Neurochirurgie vs. Orthopädie: Ein Überblick über Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Wirbelsäulenchirurgie

Die Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen und -verletzungen ist ein komplexes Feld, das traditionell von Neurochirurgen und Orthopäden bearbeitet wird. Während es in der Vergangenheit klare Abgrenzungen gab, verschwimmen die Grenzen heutzutage zunehmend. Dieser Artikel beleuchtet die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Neurochirurgie und Orthopädie in Bezug auf die Wirbelsäulenchirurgie, wobei ein besonderer Fokus auf die aktuellen Entwicklungen und Spezialisierungen gelegt wird.

Historische Perspektive

Noch vor einigen Jahrzehnten unterschieden sich die Aufgabenbereiche von Neurochirurgen und Orthopäden in der Wirbelsäulenchirurgie deutlich. Neurochirurgen konzentrierten sich hauptsächlich auf die Dekompression von Nervenstrukturen, insbesondere im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule. Sie führten Operationen zur Entlastung der Nerven durch, beispielsweise bei Spinalkanalstenosen. Orthopäden und Unfallchirurgen hingegen waren primär für instrumentierte Wirbelsäulenoperationen zuständig, insbesondere bei Frakturen. Oftmals arbeiteten beide Fachrichtungen bei komplexen Eingriffen zusammen, wobei jeder seine spezifischen Kompetenzen einbrachte.

Aktuelle Situation: Spezialisierung und Expertise

Heutzutage ist die klare Trennung zwischen Neurochirurgen und Orthopäden in der Wirbelsäulenchirurgie nicht mehr gegeben. In beiden Fachrichtungen haben sich Ärzte auf das gesamte Behandlungsspektrum von Wirbelsäulenerkrankungen spezialisiert. Die Frage, welcher Spezialist der geeignetere ist, stellt sich somit nicht mehr in dieser Form. Stattdessen rücken andere Aspekte in den Vordergrund.

Vor einer Operation sollte man sich informieren, ob die Klinik über eine große Erfahrung in der bevorstehenden Behandlung verfügt und ob der Arzt auf Wirbelsäulenbehandlungen spezialisiert oder sogar subspezialisiert ist. Ein kompetenter Arzt muss über alternative Behandlungen aufklären, mögliche Komplikationen erläutern und die notwendige Nachbehandlung eines Eingriffes darlegen können.

Aufgabenbereiche und Schwerpunkte

Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie

Die Orthopädie befasst sich mit Erkrankungen, Schädigungen und Fehlbildungen des menschlichen Stütz- und Bewegungsapparates. Die chirurgische Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie behandelt diese Erkrankungen operativ. Dabei ist zu beachten, dass sich im Operationsgebiet funktionsrelevante neuronale Strukturen befinden. Eine mögliche Verletzung der Medulla spinalis oder der Spinalnerven kann zu schwerwiegenden Paresen, Paralysen und Plegien führen. Daher spielt das intraoperative Neuromonitoring eine entscheidende Rolle, um intraoperative Verletzungen zu vermeiden. Das Ziel des intraoperativen Neuromonitorings spinaler Nerven ist es, vor Verletzungen vitaler neuraler Strukturen zu warnen. Insbesondere bei der Resektion spinaler Tumore, Skoliose- oder Kyphosekorrekturen sowie Spondylodesen ist Neuromonitoring unerlässlich. Beim Neuromonitoring an der Wirbelsäule werden vor allem afferente Rückenmarksbahnen mittels Ableitung von somatosensorisch evozierten Potentialen (SEP) und efferente Rückenmarksbahnen mit motorisch evozierten Potentialen (MEP) überwacht.

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Neurochirurgie und Wirbelsäulenerkrankungen

Die Neurochirurgie widmet sich neben Erkrankungen des Gehirns auch der Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen und -verletzungen. Die Wirbelsäule ist eine komplexe Struktur aus Knochen, Knorpel und Nerven, die die Grundlage unseres Rückens bildet. Verletzungen, Degeneration und Erkrankungen der Wirbelsäule können erhebliche Schmerzen und neurologische Probleme verursachen. Dazu gehören Bandscheibenvorfälle, Wirbelkörperfrakturen, Wirbelkanalstenosen und Wirbelsäulentumore. Neurochirurgen verwenden verschiedene Techniken, von minimal-invasiven Eingriffen bis hin zu komplexen Wirbelsäulenrekonstruktionen, um Schmerzen zu lindern, neurologische Funktionen zu verbessern und die Stabilität der Wirbelsäule wiederherzustellen.

Gemeinsame Krankheitsbilder und Behandlungsmethoden

Sowohl Neurochirurgen als auch Orthopäden behandeln eine Vielzahl von Wirbelsäulenerkrankungen, darunter:

  • Bandscheibenvorfälle: Ein Bandscheibenvorfall tritt auf, wenn der gallertartige Kern einer Bandscheibe durch einen Riss im äußeren Faserring austritt und auf Nervenstrukturen drückt. Dies kann zu starken Schmerzen, Taubheitsgefühlen oder Muskelschwäche führen.
  • Spinalkanalstenose: Bei der Spinalkanalstenose kommt es zu degenerativen Veränderungen des Wirbelkanals, die diesen im Laufe der Jahre immer enger machen. Erste Symptome sind Schmerzen im Gesäß und in den Beinen bei alltäglichen Belastungen wie Stehen oder Gehen. Auch Taubheits- oder Kribbelgefühle können vorkommen.
  • Wirbelkörperfrakturen: Ein Wirbelsäulenbruch ist eine Fraktur des Wirbelkörpers in der Wirbelsäule. Zu einem solchen Bruch kommt es in der Regel durch einen Unfall oder Sturz bzw. durch Osteoporose und Knochenschwund im Alter.
  • Wirbelgleiten (Spondylolisthesis): Das Wirbelgleiten umschreibt das Verschieben eines Wirbelkörpers mitsamt Bogenwurzeln, Querfortsätzen und oberen Gelenkfortsätzen. Symptome des Wirbelgleitens sind zum einen Schmerzen in Rücken und Beinen - entweder chronisch oder nur bei bestimmten Bewegungen - und zum anderen Begleitsymptome wie Kribbeln, Taubheit und Lähmungserscheinungen.
  • Skoliose: Bei einer Skoliose ist die Wirbelsäule dreidimensional verkrümmt. Dabei kommt es auch zu einer Verformung oder Verdrehung der Wirbelkörper. Je nach Ausprägung kann ein Rippenbuckel und/oder ein Lendenwulst entstehen.
  • Spinale Tumore: Spinale Tumore können sowohl gut- als auch bösartige Geschwulste im Rückenmark, in der Wirbelsäule oder im umliegenden Gewebe sein. Typische Beschwerden sind teilweise reißende Schmerzen der Nerven im Rücken, die in Arme oder Beine ausstrahlen können. Auch neurologische Ausfälle mit Taubheit und Lähmungserscheinungen können auftreten.
  • Osteoporose: Wenn die Knochendichte einen bestimmten Wert unterschreitet, liegt eine Osteoporose vor. Sie betrifft vor allem ältere Menschen und erhöht das Risiko für Knochenbrüche, die im Alter schlechter ausheilen können.

Die Behandlungsmethoden umfassen sowohl konservative als auch operative Ansätze. Konservative Therapien umfassen Schmerztherapie, Physiotherapie, Injektionen und Medikamente. Operative Verfahren reichen von minimal-invasiven Eingriffen bis hin zu komplexen Wirbelsäulenrekonstruktionen.

Minimal-invasive Chirurgie als moderner Ansatz

Ein wichtiger Trend in der Wirbelsäulenchirurgie ist die zunehmende Anwendung minimal-invasiver Verfahren. Die Schlüssellochchirurgie (laparoskopische Chirurgie) ist ein Teilbereich der minimal-invasiven Chirurgie. Diese Techniken ermöglichen kleinere Hautschnitte, geringeren Blutverlust und eine schnellere Erholung. Viele Patient:innen profitieren von weniger Schmerzen, einem geringeren Komplikationsrisiko und einer schnelleren Rückkehr in den Alltag.

Beispiele für minimal-invasive Verfahren:

  • Mikroskopische Diskektomie: Bei diesem Verfahren wird das vorgefallene Bandscheibengewebe unter einem Mikroskop entfernt.
  • Endoskopische Bandscheiben-OP: Hierbei wird ein Endoskop verwendet, um das vorgefallene Gewebe zu entfernen.
  • Vertebroplastie: Bei diesem Verfahren werden dünne Hohlnadeln in den Wirbelkörper eingeführt, um ihn zu stabilisieren.

Operationsmethoden im Detail

Es gibt verschiedene Methoden, Bandscheibenvorfälle zu operieren. Die angewandte Methode richtet sich unter anderem nach der Lokalisation des Bandscheibenvorfalls. Bandscheibenvorfälle der HWS (Halswirbelsäule) werden beispielsweise anders operiert als Bandscheibenvorfälle der LWS (Lendenwirbelsäule). Auch der Schweregrad des Vorfalls und das Ausmaß der Nervenschädigung spielen eine Rolle bei der Auswahl der Operationsmethode.

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Mikrochirurgie

Die mikrochirurgische Technik wird häufig durchgeführt und ist inzwischen ein Standartverfahren zur Behandlung von Bandscheibenvorfällen der Lendenwirbelsäule. Mit einem kleinen Eingriff werden die vorgefallenen Bandscheibenanteile entfernt. Der Chirurg verwendet ein Operationsmikroskop und spezielle Instrumente, um das Operationsfeld möglichst klein zu halten, und das Gewebe zu schonen.

Endoskopische Bandscheibenoperation

Die endoskopische Operationstechnik ist eine Alternative zur mikrochirurgischen Technik. Sie ist noch gewebeschonender und wird zunehmend angewandt. Die Methode ist mit einer Gelenksspiegelung vergleichbar. Das Endoskop ist ein dünnes Rohr mit Kamera, in das auch die Operationsinstrumente geschoben werden. Über das Endoskop entfernt der Chirurg die vorgefallenen Bandscheibenanteile.

Offene Bandscheibenoperation

Die offene Technik wurde früher häufig verwendet, um Bandscheibenvorfälle der Lendenwirbelsäule zu operieren. Mittlerweile wurde sie von der mikrochirurgischen Technik weitgehend verdrängt. Die Operationen sind vom Prinzip her ähnlich, aber der Eingriff ist bei der offenen Technik größer.

Künstliche Bandscheibe

Die Bandscheibenprothese wird vor allem bei Bandscheibenvorfällen der Halswirbelsäule eingesetzt und hat sich in den letzten Jahren als Alternative zu einer wirbelversteifenden Operation bewährt. Die künstliche Bandscheibe soll die Funktion der natürlichen Bandscheibe ersetzen und die Beweglichkeit der Wirbel erhalten. Vor allem junge Patienten ohne starke Verschleißerscheinungen der Wirbel profitieren von der Methode.

Wirbelsäulenversteifung (Spondylodese)

Die ventrale Versteifung (ACDF, anterior cervical decompression and fusion, ventrale Diskektomie mit interkorporeller Fusion) ist die häufigste Operationstechnik, die bei Bandscheibenvorfällen der Halswirbelsäule angewandt wird. Sie ist das Standardverfahren bei Bandscheibenvorfällen der Halswirbelsäule und wird heute meist in mikrochirurgischer Technik durchgeführt. Hierbei wird die vorgefallene Bandscheibe entfernt und die Wirbel ober- und unterhalb dieser Bandscheibe miteinander verbunden und versteift.

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Heilungsverlauf und Rehabilitation nach einer Bandscheibenoperation

Bevor der Patient mit Rehabilitationsmaßnahmen beginnen kann, sollten sich die Schmerzen nach der Operation gebessert haben. Aktive krankengymnastische Übungen sollten möglich sein. Die Rehabilitationsmaßnahmen beinhalten eine Physiotherapie, Rückenschule, Bewegungstherapie und Übungsprogramme für Zuhause. Ein Training soll die Rückenmuskulatur stärken und die Flexibilität verbessern. Die Patienten lernen zusätzlich, wie sie ihr Verhalten im Alltag und ihren Lebensstil anpassen können, um den Rücken zu schonen und weiteren Problemen vorzubeugen. Acht bis zwölf Wochen nach einer Operation können die Patienten in der Regel wieder schrittweise ihre berufliche Tätigkeit aufnehmen.

Die Rolle der Deutschen Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie (DGW)

Die Deutsche Gesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie (DGW) ist die größte Fachgesellschaft für Wirbelsäulenchirurgie in Europa. Ihr Zweck war die Weiterentwicklung und Vertiefung der klinischen wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Wirbelsäulenchirurgie. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Informationslage auf dem Gebiet und der Förderung von Qualitätsstandards.

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