Im Bereich der kognitiven Beeinträchtigungen sind Delir und Demenz zwei häufig auftretende Zustände, die oft verwechselt werden, obwohl sie unterschiedliche Ursachen, Verläufe und Behandlungen erfordern. Dieser Artikel zielt darauf ab, die Unterschiede zwischen Delir und Demenz klar darzustellen, um ein besseres Verständnis und eine angemessene Betreuung betroffener Personen zu fördern.
Einführung
Delir und Demenz sind beides Zustände, die die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen, aber sie unterscheiden sich in ihrem Ursprung, Verlauf und ihrer Reversibilität. Es ist wichtig, die Unterschiede zu verstehen, um eine korrekte Diagnose und Behandlung zu gewährleisten.
Im Rahmen eines praxisorientierten Projekts haben Studierende des Fachbereichs Medien der Hochschule Düsseldorf sich intensiv mit dem Krankheitsbild Delir auseinandergesetzt. Um ein umfassendes Verständnis für Delir und den Pflegealltag zu erlangen, wurden Hospitationen auf der Palliativstation des Marien Hospital absolviert und durften mit dem Therapeutischen Begleitteam mitlaufen. Diese Pflegefachpersonen kümmern sich speziell unter anderem um Patient:innen, die ein Risiko auf ein Delir haben. Das Fundament des Projekts bilden wissenschaftliche und evidenzbasierte Quellen, wie aktuelle Fachpublikationen und etablierte Leitlinien zum Thema Delir. Dieser wissenschaftliche Ansatz gewährleistet, dass sowohl die Materialien den neuesten Forschungsstand widerspiegeln und vertrauenswürdiges Wissen vermitteln als auch die Handlungsempfehlungen auf validierter Basis beruhen. Alle Materialien wurden im engen Austausch mit Pflegenden und Expert:innen entwickelt. Begleitende Workshops und Feedbackschleifen stellten sicher, dass die Inhalte fachlich korrekt und praxisnah sind. Durch den direkten Kontakt mit Patient:innen, Pflegenden und Angehörigen konnten die Herausforderungen und der Bedarf im Umgang mit Delir hautnah erlebt und in die Ergebnisse einfließen lassen.
Ziele des Projekts sind:
- Vermittlung eines tiefen Verständnisses für das Krankheitsbild Delir und seine Auswirkungen auf Patient:innen.
- Förderung eines emphatischen Umgangs mit Patient:innen im Delir.
- Entwicklung von praxisnahen Informationen und Schulungen, die auf die Gewohnheiten und Abläufe in der Pflege abgestimmt sind.
- Vermittlung von Sicherheit durch Fallbeispiele und konkrete Handlungsanweisungen.
Was ist ein Delir?
Als Delir wird eine akute, vorübergehende, meist reversible, fluktuierende Störung der Aufmerksamkeit, der Kognition und des Bewusstseinsniveaus bezeichnet. Die Symptome eines Delirs umfassen akute Verwirrtheit, Desorientierung, Halluzinationen, Wahnvorstellungen und verändertes Bewusstsein. Betroffene können auch motorische Unruhe oder im Gegensatz dazu ungewöhnliche Schläfrigkeit zeigen. Diese Symptome können innerhalb kurzer Zeit stark schwanken.
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Ursachen und Auslöser eines Delirs
Die Ursachen für ein Delir sind vielfältig und umfassen fast jede Krankheit oder Arzneimittelwirkung. Häufige Auslöser sind:
- Infektionen (z.B. Pneumonien, Harnwegsinfektionen)
- Chirurgische Eingriffe
- Medikamentennebenwirkungen oder -wechselwirkungen
- Dehydrierung
- Schlaganfall
- Herzinfarkt
- Emotionale Stressfaktoren (z.B. Schmerzen, Schockerlebnisse)
- Entzug bei Substanzabusus (Alkoholentzugsdelir)
Dauer und Verlauf eines Delirs
Ein Delir kann von wenigen Stunden bis zu mehreren Monaten andauern. Die Dauer hängt von der Schwere der zugrunde liegenden Ursache und der Schnelligkeit der medizinischen und pflegerischen Intervention ab. In einigen Fällen kann ein längeres Delir auf schwerwiegendere gesundheitliche Probleme hinweisen. Ja, ein Delir ist oft reversibel, insbesondere wenn die zugrunde liegende Ursache schnell identifiziert und behandelt wird. Die Behandlung der Auslöser, wie zum Beispiel Infektionen oder Dehydrierung, kann zu einer vollständigen Genesung führen.
Formen des Delirs
Grundsätzlich kann ein Delir in zwei Formen unterschieden werden:
- Hyperaktives Delir: Es geht einher mit Unruhezuständen, häufig auch Aggressionen. Die Betroffenen verweigern die Versorgung, ziehen sich z.B. (auch geblockte) Katheter und Infusionen, sind schwer zugänglich.
- Hypoaktives Delir: Betroffene sind abwesend, apathisch und fordern in der Regel nichts. Die akute Verwirrtheit die zum Beispiel mit Halluzinationen einhergeht, wird nur bei näherer Betrachtung entdeckt.
Diagnose eines Delirs
Grundsätzlich gibt es verschiedene Verfahren, die auf Anzeichen eines Delirs hinweisen können. Klassisch für jede Krankheit mit kognitiven Einschränkungen ist die Untersuchen des psychologischen Status der Patient:innen. Diese werden zunächst mittels einfacher Aufgaben (Nachsprechen, Zahlen vorwärts oder rückwärts wiedergeben, etc.) auf ihre Aufmerksamkeit überprüft. Laut dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5th Edition (DSM-5) muss eine Störung der Aufmerksamkeit und eine kurzfristige Entwicklung oder Schwankung dieser vorliegen. Der zugrundeliegenden CAM (Confusion Assessment Method) muss des Weiteren eine Denkstörung oder Bewusstseinsveränderungen vorliegen, damit ein Delir vorliegen kann.
Bei der Anamnese werden Patient:innen und deren Angehörige befragt, um festzustellen, ob die psychischen Veränderungen nicht im Zusammenhang mit einer Demenz, sondern durch das Delir auftreten. Sollten Symptome wieder Aufmerksamkeitsmangel oder Schlaf- und Apettitstörungen aufgetreten sein, soll hier auch eine mögliche Depression ausgeschlossen werden (durch z.B. eine Hamilton Depressionsskala). Zudem sollen mögliche psychische Störungen ausgeschlossen werden. Bei der Anamnese werden Skalen eingesetzt, die das Verhalten der Patient:innen während der Tests bzw. dem Screening bewertet, um so eine Aussage über ein mögliches Delir machen zu können. Eine diese Skalen ist die DOS(Delirium Observation Scale). Alternativ wird oft die Nursing Delirium Screening Scale (Nu-DESC) verwendet. Da beide Methoden nur wenige Minuten zur Durchführung benötigen, lassen sie sich einfach in den Alltag der Pflege einbinden. Außerdem wird bei der Anamnese der Gebrauch von Alkohol, Freizeitdrogen und Arzneimitteln erfasst, um Missbrauch oder eine etwaige Überdosierung festzustellen.
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Um auszuschließen, dass andere Erkrankungen oder Auslöser der Verwirrtheit vorliegen, werden Patient:innen auf mögliche körperliche Merkmale wie Verletzungen oder Infektionen untersucht. Solche können z.B. Verletzungen an Kopf oder Nacken oder mögliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems sein. Weitere Testverfahren werden eingesetzt, um messbare Krankheiten festzustellen. Zu solchen Test gehören CT/MRT, Screening diverse Mittel und Stoffe, die eine toxische Wirkung haben können, Blutbild, Urinanalyse etc. Sollte danach die Diagnose noch unklar sein, werden Tests wie eine Liquoranalyse (zum Ausschluss einer Meningitis oder Enzephalitis) oder ein EEG durchgeführt.
Behandlung eines Delirs
Die Behandlung besteht in der Korrektur der zugrunde liegenden Störung und unterstützenden Maßnahmen. Die Behandlung des Delirs konzentriert sich auf die rasche Erkennung und Behandlung der Auslöser und die Bewältigung von Symptomen wie Stress. Zu diesen Auslösern zählen zum Beispiel Pneumonien und Harnwegsinfektionen, chirurgische Belastungen oder auch Nebenwirkungen von Medikamenten. Für Pflegefachleute ist es wichtig die Risikofaktoren zu kennen, und ein pflegefachliches Handlungskonzept auszuarbeiten. Dazu gehören die Hilfestellung bei der Reorientierung sowohl im Gespräch als auch durch Hilfsmittel wie Uhren, Kalender, Hör- und Sehhilfen. Eine kontinuierliche Flüssigkeitszufuhr, frühe Mobilisierung, die Aufrechterhaltung der Kommunikation und das Vermitteln von Vertrautheit und Sicherheit und Maßnahmen die dem Erhalt des Schlaf-Wach-Rhythmus dienen. Elemente basaler Stimulation, die Einbindung der Angehörigen, sowie gezielte Aktivierung und je nach Bedarf Reizreduktion (Lärm und Licht), sollten ebenfalls Bausteine ihres Delir Konzeptes sein.
Tipps für den Umgang mit Patient:innen mit Delir
Neben den oben erwähnten Methoden gibt es viele weitere Screening-Varianten, die schnell umgesetzt sind. Scheuen Sie sich nicht davor, diese zu verwenden. Treten sie mit der Familie in Kontakt. Diese werden wertvolle Informationen haben: Auf welchen Namen der Patient hört, zum Beispiel. Die Familie könnte auch Habseligkeiten des Patient:innen mitbringen, welche den Patient:innen an den Alltag erinnern lässt. Die Art und Weise, wie Sie mit den Patient:innen kommunizieren, hat großen Einfluss auf deren Wohlbefinden und Genesung. Geben Sie den Patient:innen das Gefühl, wertvolle und gleichwertige Gesprächspartner zu sein. Nehmen Sie die Ängste der Patient:innen ernst. Delir kann Halluzinationen verursachen. Wenn der/die Patient:in sich mit seinen/ihren Ängsten alleine gelassen fühlt, kann dies seinen/ihren Zustand verschlechtern. Seien Sie sich zudem bewusst, dass Delir zu verschiedenen Tageszeiten mit verschiedenen Symptomen und Stärken auftreten. Trotz Stress im Arbeitsalltag lohnt es sich, Gespräche mit den Patient:innen mit Delir zu führen, auch wenn diese nicht immer wirken, als würde sie nicht viel erreichen. Es ist wichtig auch bei Stress und Verwirrung des Patient:innen geduldig zu bleiben.
Ein ruhiges und angenehmes Umfeld trägt wesentlich zur Genesung bei. Platzieren Sie persönliche Gegenstände wie Familienfotos oder Andenken im Zimmer der Patient:innen. Diese Erinnerungen an zu Hause können Trost spenden und helfen, Klarheit und Orientierung zu gewinnen. Stellen Sie sicher, dass die Patient:innen Zugang zu gut sichtbaren Uhren und Kalendern haben. Dies unterstützt sie dabei, ihren Tagesrhythmus zu behalten. Versuchen Sie, den Patient:innen einen geregelten Alltag für ermöglichen. Neben dem Essen können auch Aktivitäten zu geregelten Uhrzeiten dazu beitragen, den Tagesrhythmus der Patient:innen aufrecht zu erhalten, an dem diese ihre (zeitliche) Orientierung aufrecht erhalten können. Versuchen Sie außerdem, längere Bettphasen tagsüber zu vermeiden. Keine Bewegungsübungen oder -spiele können hier schon eine große Wirkung zeigen! Das beinhaltet z.B. eine klare Tagesstruktur.
Beim Betreuen der Patient:innen darf deren Mobilität nicht vernachlässigt werden. Dazu helfen schon kleine Spaziergänge oder Bewegungsübungen, aber auch Physio- und Ergotherapien wirken hier. Motivieren Sie ihre Angehörigen dazu, sich nicht vor der Teilnahme an solchen Aktivitäten zu scheuen. Zudem ist es wichtig, dass die Patient:innen das Leben nicht "verlernen". Durchgehende Übung von autonomen Aktivitäten wie Essen oder Trinken sollten Teil des geregelten Tagesablaufs sein. Im Sinne der Patient:innen sollte ein möglichst ruhiges Umfeld geschaffen werden. Laute und störende Geräusche (wie z.B. Alarme/Wecker oder Fernseher) sollten möglichst vermieden werden, da diese als störend oder erschreckend wahrgenommen werden können. Auch Nebengespräche können von den Patient:innen negativ aufgefasst werden.
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Was ist Demenz?
Die Bezeichnung „Demenz“ wird laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und International Classification of Diseases (ICD-10) als Überbegriff verschiedener Subtypen derselben Krankheitsgruppe verwendet. Die Ursachen sind meist direkte Hirnschäden; häufig liegt ein neurodegenerativer Prozess zugrunde. Die Demenz betrifft vor allem das Gedächtnis und kognitive Funktionen und wird durch anatomische Veränderungen im Gehirn ausgelöst. Eine Demenz schreitet meist langsam voran und ist irreversibel. Das Erscheinungsbild der Demenz äußert sich in einem Rückgang höherer kortikaler Funktionen, begleitet von klinischen Verhaltensänderungen. Die psychopathologische Symptomatik der Demenz kann bei betroffenen Patient/-innen ein auftretendes Delir maskieren. Gedächtnisstörungen oder Sprachprobleme lassen bei Betroffenen und Angehörigen die Alarmglocken läuten, denn es könnte sich um eine Demenzerkrankung wie Alzheimer handeln.
Ursachen und Risikofaktoren für Demenz
Die möglichen Ursachen für Demenzsymptome sind vielfältig. So können zum Beispiel auch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten Verwirrtheit auslösen, ebenso Dehydrierung, also ein Flüssigkeitsmangel im Körper durch zu wenig Trinken. Auch Erkrankungen der Schilddrüse, Nieren oder Leber sowie Hirnschädigungen durch Vergiftungen können demenzähnliche Symptome hervorrufen.Multimorbidität, funktionelle Beeinträchtigungen und Mobilitätseinschränkungen gelten als Risikofaktoren für ein Delir. Demenzerkrankungen stellen einen hohen Risikofaktor für ältere Menschen dar, ein Delir zu erleiden. Der Schweregrad von Demenzerkrankungen gilt als unabhängiger Prädiaktor für dessen auftreten. Zugleich kann das Vorliegen einer Demenz oder Depression die Diagnose und Abgrenzung erheblich erschweren.
Symptome der Demenz
Symptome, die sowohl bei Hirntumoren, als auch bei Demenzerkrankungen auftreten können, sind Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sowie Persönlichkeitsveränderungen. Auch Apathie und Depressionen können Folgen eines Hirntumors sein.
Diagnose der Demenz
Wichtig ist bei jeglichem Verdacht auf eine Demenzerkrankung, immer die Symptome abklären zu lassen. Gedächtnisambulanzen oder Gedächtnissprechstunden sind Abteilungen in Krankenhäusern, die auf kognitive Störungen spezialisiert sind. Dort klären ärztliche Teams die Ursache für Gedächtnis- oder Sprachprobleme ab. Als Demenzbeauftragte*r sollten Sie sich im Haus vorhandene Screeninginstrumente ansehen oder sich mit Ihnen vertraut machen, um sie in die Diskussion einbringen zu können. Z.B. Nursing Delirium Screening Scale, Delir-Beobachtungs-Screening-Skala (DOS) oder die relativ weit verbreitete CAM - Confusion Assessment Method.
Behandlung der Demenz
Die pharmakologische Therapie gehört in die Hände eines erfahrenen Arztes. Häufig werden Haloperidol oder Risperidon eingesetzt bei Eigen- und Fremdgefährdung. Ein adäquates Schmerzmanagement sollte auch hier zudem selbstverständlich sein.
Hauptunterschiede zwischen Delir und Demenz
Die MSD unterscheidet beide Krankheiten wie folgt:
- Das Delir betrifft hauptsächlich die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein und wird in der Regel durch eine akute Krankheit oder Medikamentenvergiftung ausgelöst. Ein Delir tritt häufig plötzlich auf, ist aber reversibel.
- Die Demenz betrifft vor allem das Gedächtnis und kognitive Funktionen und wird durch anatomische Veränderungen im Gehirn ausgelöst. Eine Demenz schreitet meist langsam voran und ist irreversibel.
Im Folgenden werden weitere Unterschiede zwischen Demenz und Delir aufgelistet:
Merkmal | Demenz | Delir |
---|---|---|
Auftritt | Langsam, undefinierter Anfangspunkt | Plötzlich, klarer Anfangspunkt |
Ursache | Chronische Erkrankung des Gehirns | Andere Störung oder Infektion, aber auch Folgen durch z.B. Operationen |
Dauer | Dauerhaft | Bis zu mehreren Monaten, allerdings auch länger möglich |
Verlauf | Irreversible, langsam fortschreitend | Im Normalfall reversibel |
Bewusstsein | Erst bei schwerer(er) Demenz beeinträchtigt | Beeinträchtigung variabel |
Aufmerksamkeit | Erst bei schwerer(er) Demenz beeinträchtigt | Von Beginn an stark beeinträchtigt |
Orientierung | Vermindert | Variiert, oft aber stark beeinträchtigt |
Sprache | Wortfindungsstörungen | Langsam und inkohärent |
Wirkung der Behandlung | Verlangsamt den Verlauf, kann die Krankheit aber nicht aufhalten | Beschleunigt den Genesungsprozess |
Dringlichkeit eines Arztes | Empfehlenswert, da der Fortschritt der Krankheit verlangsamt wird | Sofort |
Delir bei Demenzpatienten (DSD)
Das Auftreten einer der beiden Krankheiten schließt die andere allerdings nicht aus. Als DSD ("delir superimposed on dementia", demenzüberlagerndes Delir) bezeichnet man ein bei Demenzpatient:innen auftretendes Delir. Laut MSD tritt dies bei bis zu 49% der Patient:innen auf. Ein die Demenz überlagerndes Delir („delirium superimposed on dementia“, DSD) ist ein weit verbreitetes, aber häufig unerkanntes Problem. Ein solches Delir mindert die Lebensqualität von Patient/-innen mit einer Demenzerkrankung erheblich. Die diagnostischen Möglichkeiten zur Detektion von DSD sind zurzeit auf Instrumente zur alleinigen Delirdiagnostik beschränkt, wie etwa die Confusion Assessment Method. Ein regelmäßiges multiprofessionelles Screening der Risikopatient/-innen ist zur frühen Detektion und Prävention dieser Erkrankung essenziell. Auch die Behandlung erfordert einen interdisziplinären Zugang. Eine pharmakologische Therapie ist indiziert, wenn nichtpharmakologische Maßnahmen nicht ausreichen oder zur Behandlung von delirauslösenden Ursachen. DSD ist ein ernst zu nehmendes Syndrom. Noch gibt es keinen Goldstandard in der Diagnostik und Therapie. Multikomponente nichtpharmakologische Interventionsprogramme reduzieren nachweislich die Inzidenz eines Delirs.
Prävalenz von DSD
Zahlen zur Prävalenz des DSD bei Patient/-innen über 65 Jahren mit einer Demenzerkrankung schwanken je nach Setting zwischen 22 und 89 %. Die große Spanne in den Angaben zur Prävalenz ist dem geschuldet, dass ein Delir durch tageszeitliche Fluktuationen und den oft subsyndromalen Verlauf häufig nicht als solches erkannt wird. Laut klinischen Studien weisen beinahe bis zu zwei Drittel aller hospitalisierten über 65-Jährigen ein subsyndromales Delir auf. Bei der Aufnahme in die Klinik haben bereits bis zu 25 % der Patient/-innen über 65 ein Delir; weitere 30 % entwickeln eines während des stationären Aufenthalts. Demgegenüber wurde in mehreren Arbeiten erfasst, dass bei rund zwei Dritteln der hospitalisierten Delirpatient/-innen über 65-Jahren eine Demenzerkrankung zugrunde liegt, wobei das Risiko, ein Delir zu entwickeln, mit der Schwere der Demenzerkrankung steigt. Mehrere Studien geben zudem an, dass die Delirprävalenz in Langzeitpflegeeinrichtungen (33,3-70,3 %) höher ausfällt als bei nichtinstitutionalisierten Patient/-innen; etwas niedrigere Werte (9-57 %) wurden bei Patient/-innen in Kliniken festgestellt.
Risikofaktoren für DSD
Die Entwicklung eines Delirs bei vorbelasteten Patient/-innen ist abhängig von den komplexen Wechselbeziehungen zwischen prädisponierenden Faktoren (Vulnerabilität) und der Exposition gegenüber auslösenden Faktoren (Noxe). Bei Patient/-innen mit zugrunde liegenden Risikofaktoren (z. B. Demenz, Multimorbidität, Polypharmazie) können daher bereits relativ geringgradige Faktoren - z. B. ein leichter Harnwegsinfekt bzw. eine leicht bis mäßig ausgeprägte Elektrolytstörung - ausreichen, um ein Delir auszulösen.
Auswirkungen von DSD
Demenz mit überlagertem Delir wird mit höheren Kosten für das Gesundheitssystem, durchschnittlich längeren Krankenhausaufenthalten und schlechterem funktionellem Outcome als bei einer solitären Demenzerkrankung in Zusammenhang gebracht. Patient/-innen mit einer diagnostizierten Demenzerkrankung weisen während ihrer Behandlung in einer Einrichtung des Gesundheitswesens, ein etwa 3fach erhöhtes Risiko einer Delir-Entwicklung auf. Dies erfordert eine genauere Beobachtung der betroffenen Risikogruppe, systematische Präventions- und Behandlungsmaßnahmen und v. a. ein geschultes Bewusstsein dieser Problematik von Gesundheitsfachpersonen. Ein Delir und insbesondere ein übersehenes und nichtbehandeltes Delir kann im weiteren Verlauf zu einem beschleunigten kognitiven Rückgang, zu verfrühter Einweisung in ein Pflegeheim und insgesamt zu höherer Morbidität und Mortalität führen.
Screening und Diagnose von DSD
Die Österreichische Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie (ÖGGG) empfiehlt bei der Aufnahme in einer medizinischen Einrichtung ein standardisiertes Delirscreening bei allen Patient/-innen über 70 Jahren durchzuführen. Die strukturierte Anwendung von Screeninginstrumenten soll eine frühzeitige Diagnostik unterstützen und gewährleisten, dass DSD bereits bei Patient/-innen mit zunächst asymptomatischem Erscheinungsbild entdeckt und rechtzeitig behandelt werden kann. In Ermangelung spezifisch entwickelter Tests zur Detektion des DSD werden in der Praxis zurzeit Instrumente verwendet, die zur Diagnostik des alleinigen Delirs entwickelt wurden. Bereits im Jahre 1990 entwickelten Inouye et al. (1990) ein Assessmentinstrument, das es Gesundheitsfachpersonen ermöglicht, ein Delir möglichst frühzeitig zu erkennen. Hierbei handelt es sich um die „Confusion Assessment Method“ (CAM). Noch heute ist dies eines der am meisten verwendeten Instrumente zur Diagnosesicherung eines Delirs. In den Leitlinien der Universitätsklinik Jena wird die CAM als Goldstandard zur Delirdiagnostik genannt. Ausgehend von der CAM wurde 2014 die 3D-CAM entwickelt; ein strukturierter Fragebogen, der eine einfache und schnelle Anwendung in der klinischen Praxis ermöglicht. Die CAM und die 3D-CAM wurden jeweils in die deutsche Sprache übersetzt und validiert.
Neben der CAM kommen im täglichen klinischen Setting die Kriterien der 5. Edition des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-5) und der ICD-10-Klassifikation zum Einsatz. Anhand der DSM-5-Kriterien wurde die „Delirium Observation Scale (DOS)“ erstellt. Dieses Screening-Tool empfiehlt die Schweizer Leitlinie als geeignetes Instrument zur schnellen Erfassung eines Delirs. Die schottische SIGN-Leitlinie (Scottish Intercollegiate Guidelines Network) nennt hingegen das 4AT-Tool (assessment test for delirium & cognitive impairment) zur Identifikation eines Delirs im akut-klinischen Rahmen. Dabei werden Wachheit, Orientierung, Aufmerksamkeit und fluktuierende Symptomatik anhand eines Punktesystem bewertet und interpretiert. Das 4AT-Tool liegt auch in validierter deutscher Form vor.
Therapie und Prävention von DSD
Die wichtigsten Säulen im Management von DSD sind in erster Linie geeignete Präventionsmaßnahmen, frühzeitige Diagnose und Behandlung. Die verschiedenen Ausprägungen und Ursachen des DSD erschweren das Screening und machen es kaum möglich, ein allgemein gültiges Therapiekonzept zu entwickeln. In der Literatur werden verschiedene therapeutische Ansätze beschrieben und evaluiert. Angestrebte Therapieziele sind v. a. die Vermeidung von Komplikationen durch Hospitalisierung, die Behebung der zugrunde liegenden Erkrankung(en), die Verminderung kausaler Faktoren und die Unterstützung der Patient/-innen und deren Angehörigen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf nichtpharmakologischen supportiven Maßnahmen, u. a. auf der Überwachung des physiologischen Status und der psychosozialen Unterstützung der Patient/-innen im Rahmen von multikomponenten Interventionsprogrammen. Pharmakologische Therapieansätze nehmen in der Behandlung eines DSD nur eine untergeordnete Rolle ein. Die beschriebenen therapeutischen Ansätze werden jeweils kurz angeschnitten.
Im Vordergrund steht die Prävention eines Delirs. Um diese zu fördern, wurden strukturierte Delirpräventionsprogramme, wie das „Hospital Elder Life Program“ (HELP) entwickelt. Dabei unterstützen sich Fachkräfte aus unterschiedlichen gesundheitlichen Sektoren in der Behandlung älterer Patient/-innen gegenseitig. Besteht ein DSD, liegt der therapeutische Schwerpunkt auf der Behandlung der Grunderkrankung(en): Mangelernährung, Dehydratation, Schlafentzug sind häufige pathophysiologische Trigger für ein Delir. Die therapeutischen Maßnahmen inkludieren die Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts, des Blutzuckers, des Blutdrucks und das Absetzen/Vermeiden von delirogenen Medikamenten. Unterstützende Ergo- und Physiotherapie fördert die Autonomie der Patient/-innen und damit die Bewältigung grundlegender Aktivitäten im Alltag. Wichtig sind ebenso eine beständige Betreuung, enger Kontakt zu den Angehörigen (ggf. Rooming-in) und die Anpassung der Umgebung an die Bedürfnisse der Betroffenen. Ziel dabei ist es, Sicherheit im Alltag zu gewährleisten, Stürze zu verhindern, Schlafstörungen zu vermeiden, die Orientierung zu fördern, laute Geräusche, grelles Licht und exzessive Stimuli zu vermeiden, um die sensorische und wahrnehmungsbezogene Integrität zu erhalten. Auch die Gewährleistung von Brillen und/oder Hörgeräten kann Verwirrtheitszuständen, die durch sensorische Wahrnehmungsstörungen hervorgerufenen sind, vorbeugen und somit das Risiko einer deliranten Symptomatik mildern. Basierend auf diesem Vorwissen wurden mehrere multikomponente nichtpharmakologische Interventionsprogramme, bestehend aus einer Kombination von Schmerzmanagement, Mobilisation, Schlafförderung, Ernährung, kognitiver und sensorischer Stimulation, entwickelt.
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