Polyneuropathie und Fibromyalgie: Ein Vergleich

Erschöpfung, chronische Schmerzen und Missempfindungen im ganzen Körper können sowohl auf ein Fibromyalgiesyndrom (FMS) als auch auf eine Polyneuropathie hindeuten. Obwohl diese beiden Erkrankungen unterschiedliche Ursachen und Schwerpunkte haben, weisen sie auch einige Gemeinsamkeiten auf, die eine klare Unterscheidung erschweren können. Dieser Artikel beleuchtet die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Fibromyalgie und Polyneuropathie, insbesondere die Small-Fiber-Neuropathie (SFN), um ein besseres Verständnis dieser komplexen Krankheitsbilder zu ermöglichen.

Was ist Fibromyalgie?

Das Fibromyalgiesyndrom (FMS), oft als „Faser-Muskel-Schmerz“ übersetzt, ist eine chronische Schmerzerkrankung, die durch anhaltende Schmerzen im Bereich der Muskeln und Sehnenansätze gekennzeichnet ist. Betroffene leiden unter Schmerzen von wechselnder Intensität und Lokalisation, die oft diffus auftreten. Zusätzlich zu den Schmerzen sind Schlafstörungen, Erschöpfung und Konzentrationsprobleme typische Symptome. Die Fibromyalgie beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, da sie ihre Aktivitäten und Entfaltungsmöglichkeiten in verschiedenen Lebensbereichen einschränkt.

Die Ursachen der Fibromyalgie sind bis heute nicht vollständig geklärt. Experten gehen von einem bio-psycho-sozialen Krankheitsbild aus, das auf einer Störung der Schmerzwahrnehmung basiert. Psychische und physische Stressoren am Arbeitsplatz sowie eine Neigung zu Depressionen gelten als Risikofaktoren. Auch eine genetische Veranlagung wird diskutiert, da eine familiäre Häufung beobachtet wurde. Der Schmerz in Muskeln und Sehnen wird durch Verspannungen ausgelöst, die wiederum zu weiteren Verspannungen führen, wodurch ein schwer zu durchbrechender Teufelskreis entsteht.

Ein Hauptsymptom der Fibromyalgie sind anhaltende Schmerzen von wechselnder Intensität und Lokalisation sowie Druckschmerzhaftigkeit an definierten Punkten, den sogenannten „Tender Points“. Mit der Zeit kann sich das ganze Leben der Betroffenen nur noch um den Schmerz drehen. Oft sind sie davon überzeugt, dass Aktivität, Belastung oder Bewegung eher schädlich sind, weshalb sie diese vermeiden. Wenn sich die Betroffenen von ihrer Umgebung nicht verstanden fühlen, kann es zu Konflikten in Familie, Beruf oder Freundeskreis kommen.

Was ist Polyneuropathie?

Polyneuropathie ist ein allgemeiner Begriff für Erkrankungen, die mehrere periphere Nerven schädigen. Die peripheren Nerven sind alle Nerven außerhalb des Gehirns und Rückenmarks. Sie sind wichtig für die Wahrnehmung von Reizen, die Bewegung der Muskeln und die Steuerung der Organe. Schäden an diesen Nerven können zu Missempfindungen, Schmerzen, Muskelschwäche und anderen Symptomen führen. Die Ursachen für Polyneuropathie sind vielfältig und reichen von Diabetes mellitus und Alkoholkonsum bis hin zu Entzündungen, Infektionen und genetischen Faktoren.

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Small-Fiber-Neuropathie (SFN) als Sonderform

Die Small-Fiber-Neuropathie (SFN) ist eine spezielle Unterform der Polyneuropathie, bei der die kleinsten, unmyelinisierten Nervenfasern des peripheren Nervensystems betroffen sind. Diese Nervenfasern sind für die Weiterleitung von Signalen verantwortlich, die unsere Temperatur- und Schmerzempfindungen beeinflussen. Eine Schädigung dieser Fasern äußert sich häufig in stechenden Missempfindungen, oft in Händen und Füßen. In fortgeschrittenen Stadien kann es auch zu Taubheitsgefühlen kommen, wenn die Nervenfasern so stark beschädigt sind, dass sie keine Impulse mehr weiterleiten können.

Die SFN tritt in der Regel ab dem 50. Lebensjahr auf, kann aber in seltenen Fällen auch früher beginnen. Die Schädigung betrifft insbesondere die in den obersten Hautschichten liegenden Nerven, was dazu führen kann, dass sie anfänglich leicht mit einer Fibromyalgie verwechselt wird.

Unterschiede zwischen Fibromyalgie und Small-Fiber-Neuropathie

Obwohl Fibromyalgie und Small-Fiber-Neuropathie einige ähnliche Symptome aufweisen, gibt es wichtige Unterschiede, die bei der Diagnose berücksichtigt werden müssen:

  • Schmerzlokalisation: Bei der SFN sind die Schmerzen bzw. Taubheitsgefühle stetig an der gleichen Stelle oder breiten sich langsam aus, während bei der Fibromyalgie oft wechselnde Schmerzpunkte auf dem gesamten Körper auftreten. Die Schmerzen der Fibromyalgie verteilen sich wesentlich auf den gesamten Körper und sind dabei punkthaft ausgehend an Sehnenansätzen am stärksten. Die Missempfindungen bei der SFN sind vorerst socken- und handschuhförmig begrenzt und eine motorische Beteiligung liegt nicht vor.
  • Begleitsymptome: Im Gegensatz zur Fibromyalgie treten bei der SFN selten Begleitsymptome wie Müdigkeit, Morgensteifigkeit oder kognitive Störungen auf.
  • Diagnostik: Bei der SFN sind die Elektroneurografie und die Elektromyografie lange Zeit unauffällig, während ein Verdacht auf SFN sich bei oberflächlichem Schmerzempfinden ergibt, das meist reißend und stechend in den Händen, Unterarmen, Füßen und Unterschenkeln beginnt. Die Fibromyalgie wird primär klinisch diagnostiziert, wobei die Druckschmerzhaftigkeit an den Tender Points eine wichtige Rolle spielt.
  • Fachbereich: Während es sich bei SFN um eine neurologische Erkrankung handelt, ist die Fibromyalgie dem schmerzmedizinischen Fachbereich zuzuordnen.

Trotz dieser Unterschiede ist es wichtig zu beachten, dass die Symptome beider Erkrankungen überlappen können, was die Diagnose erschwert.

Zusammenhänge zwischen Fibromyalgie und Small-Fiber-Neuropathie

Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass die Small-Fiber-Neuropathie ein möglicher Auslöser für die Fibromyalgie sein könnte. Eine Studie der Würzburger Uniklinik fand bereits erste Hinweise, die diese These teils unterstützen könnten. So war bei einem Teil der untersuchten Patienten die Zahl der „small fibers“ weit genug vermindert, dass die Bedingungen für eine SFN erfüllt wurden.

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Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Fibromyalgie in einigen Fällen möglicherweise auf eine Schädigung der kleinkalibrigen schmerzleitenden Nervenfasern in der Haut zurückzuführen ist. Dies könnte einen Paradigmenwechsel in der Betrachtung der Fibromyalgie bedeuten, die bislang als rein klinische Diagnose ohne morphologisch fassbare Pathologie galt.

Diagnostik und Behandlung

Die Diagnose von Fibromyalgie und Polyneuropathie erfordert eine sorgfältige Anamnese, körperliche Untersuchung und gegebenenfalls weitere diagnostische Maßnahmen.

Fibromyalgie

  • Anamnese: Ein ausführliches Gespräch über die Krankheitsgeschichte, Dauer und Schwere der Erkrankung ist entscheidend.
  • Körperliche Untersuchung: Die Untersuchung umfasst unter anderem die Prüfung auf Druckschmerzhaftigkeit an den Tender Points.
  • Weitere Untersuchungen: Bei Verdacht auf andere Erkrankungen können Rheumafaktoren, Entzündungsparameter und Schilddrüsenwerte bestimmt werden. Bei starken psychosozialen Stressoren oder psychiatrischen Vorerkrankungen sind fachpsychotherapeutische Untersuchungen sinnvoll.

Polyneuropathie/Small-Fiber-Neuropathie

  • Anamnese: Erhebung der Krankheitsgeschichte, einschließlich der Art der Beschwerden, ihres Auftretens und ihrer Lokalisation.
  • Körperliche Untersuchung: Untersuchung des Nervensystems, einschließlich der Prüfung von Sensibilität, Reflexen und Muskelkraft.
  • Elektrophysiologische Untersuchungen: Elektroneurografie und Elektromyografie können helfen, die Funktion der Nerven zu beurteilen.
  • Hautbiopsie: Eine Stanzbiopsie der Haut kann die Anzahl der kleinen Nervenfasern bestimmen und eine SFN bestätigen.
  • Weitere Untersuchungen: Bluttests können durchgeführt werden, um mögliche Ursachen der Polyneuropathie zu identifizieren, wie z.B. Diabetes, Vitaminmangel, Infektionen oder Autoimmunerkrankungen.

Die Behandlung von Fibromyalgie und Polyneuropathie zielt in erster Linie auf die Linderung der Symptome ab.

Fibromyalgie

  • Schmerztherapie: Schmerzmittel, Antidepressiva und Antikonvulsiva können zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
  • Physiotherapie: Bewegung und physikalische Therapie können helfen, die Muskeln zu stärken und die Beweglichkeit zu verbessern.
  • Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann helfen, mit dem Schmerz umzugehen und Stress abzubauen.
  • Weitere Maßnahmen: Entspannungsverfahren, Akupunktur und alternative Therapien können ebenfalls zur Linderung der Symptome beitragen.

Polyneuropathie/Small-Fiber-Neuropathie

  • Behandlung der Ursache: Wenn die Ursache der Polyneuropathie bekannt ist, sollte diese behandelt werden. Beispielsweise kann eine gute Blutzuckereinstellung bei Diabetes oder der Verzicht auf Alkohol bei alkoholischer Neuropathie helfen, die Nervenschäden zu verlangsamen oder zu stoppen.
  • Schmerztherapie: Ähnlich wie bei der Fibromyalgie können Antidepressiva, Antikonvulsiva und Opioide zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
  • Weitere Maßnahmen: Physiotherapie, Ergotherapie und orthopädische Hilfsmittel können helfen, dieFunktion zu verbessern und die Belastung der Nerven zu reduzieren.

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