Vagusnerv-Darm-Verbindung: Eine bidirektionale Autobahn für Wohlbefinden und Gesundheit

Stress, innere Unruhe und Verdauungsprobleme sind für viele Menschen alltägliche Erfahrungen, die die enge Verbindung zwischen Körper und Geist widerspiegeln. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Darm, der Heimat unzähliger Bakterien ist, die als Darmflora oder Darm-Mikrobiom bezeichnet werden. Diese Bakterien sind für die Produktion von Botenstoffen wie Neurotransmittern verantwortlich. Über die sogenannte Darm-Hirn-Achse und insbesondere über den Vagusnerv stehen Darm und Gehirn in einem stetigen, wechselseitigen Austausch. Mit anderen Worten: Der Darm beeinflusst das psychische Wohlbefinden, während das Gehirn die Verdauung beeinflusst.

Die Rolle des Darms als "zweites Gehirn"

Der Darm wird von einem riesigen Nervengeflecht durchzogen, dem enterischen Nervensystem (ENS), das auch als "Bauchhirn" bezeichnet wird. Dieses Nervensystem koordiniert die Verdauung autark, indem es beispielsweise den Speisebrei weiterschiebt und Verdauungsenzyme ausschüttet. Das ENS besitzt mehr Nervenzellen als das Rückenmark und sammelt seine Informationen auf einer Fläche, die 200 Mal größer ist als die Haut. Diese Besonderheiten haben dem ENS die Bezeichnung "zweites Gehirn" eingebracht.

Das Darm-Nervensystem steht in direkter Verbindung mit dem autonomen Nervensystem, also jenem Teil des Nervensystems, der ohne bewusste Steuerung abläuft, wie z. B. Herzschlag oder Atmung. Einer der wichtigsten Akteure in dieser Verbindung ist der Vagusnerv.

Der Vagusnerv: Eine Datenautobahn zwischen Darm und Gehirn

Der Vagusnerv ist der Hauptnerv des parasympathischen Nervensystems und der längste Hirnnerv. Er verbindet das Gehirn mit den inneren Organen, einschließlich des Darms, und fungiert als eine Art Datenautobahn zwischen Gehirn und Darm in beide Richtungen. Er übermittelt dem Gehirn Informationen darüber, was im Verdauungstrakt vor sich geht, und sendet umgekehrt auch Signale vom Gehirn an den Darm, insbesondere wenn Entspannung und Verdauung angesagt sind.

Der Name "Vagus" leitet sich vom lateinischen Wort "vagari" ab, was so viel wie "umherschweifen" bedeutet. Der Nerv beginnt im Gehirn und seine zwei Äste ziehen sich über den Hals hinunter zum Herz, zur Lunge und bis hin zum Magen und Darm, wobei er sich weit verzweigt. Tatsächlich ist der gesamte Verdauungstrakt von Nervenzellen des Vagusnervs durchzogen.

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Stress und seine Auswirkungen auf den Darm

Die Weltgesundheitsorganisation hat Stress zu einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärt. Stress ist eine natürliche Reaktion des Körpers auf äußere oder innere Belastungen. Wenn wir mit einer Herausforderung konfrontiert werden, schüttet unser Körper Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol aus. Akuter Stress, der nur vorübergehend auftritt, ist in der Regel nicht schädlich, aber chronischer Stress hat nicht nur psychische, sondern auch körperliche Auswirkungen.

Wenn das Gehirn Stresshormone wie Cortisol und Noradrenalin ausschüttet, wird ein Signal über den Vagusnerv ins ENS geleitet, das den Darm in den Stressmodus schaltet. In der Folge können Bauchkrämpfe oder Durchfall auftreten.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn man gestresst ist, "spürt" auch der Darm diesen Stress, was erklärt, warum viele bei Nervosität nichts essen können, Verstopfung haben, häufiger auf die Toilette müssen oder Übelkeit verspüren.

Das Mikrobiom: Ein wichtiger Akteur in der Darm-Hirn-Achse

Ein weiteres wichtiges Puzzleteil der Darm-Hirn-Achse ist das Mikrobiom, auch als Darmflora bekannt. Die Gemeinschaft der unzähligen Mikroorganismen im Darm hat einen Einfluss auf die Stimmung, das psychische Wohlbefinden und die Stressverarbeitung. Beispielsweise konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden, dass Personen mit Depression eine andere Mikrobiom-Zusammensetzung aufweisen als gesunde Personen.

Die Bakterien im Darm kommunizieren mit dem Nervensystem, indem sie beispielsweise wichtige kurzkettige Fettsäuren aus Ballaststoffen herstellen und an der Produktion oder Aktivierung von wichtigen Botenstoffen (Hormone und Neurotransmitter) beteiligt sind. Gerät das Mikrobiom aus der Balance, etwa durch chronischen Stress, unausgewogene Ernährung oder Antibiotika, dann kann auch die Signalübertragung zwischen Darm und Gehirn aus dem Gleichgewicht geraten. Die Folge können Stimmungsschwankungen, Ängste, Schlafprobleme oder eine erhöhte Stress- und Infektanfälligkeit sein.

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Wege zur Aktivierung des Vagusnervs und zur Förderung der Darmgesundheit

Es ist nicht immer einfach, Stress im Alltag zu reduzieren. Was wir aber durchaus beeinflussen können, ist, wie wir mit stressigen Situationen umgehen. Da unser Nervensystem nicht unterscheiden kann, ob wir tatsächlich gerade in Gefahr sind oder ob die Stressreize "nur" in unseren Gedanken entstehen, können wir mit der Kraft unserer Gedanken und der aktiven Regulierung von Körperfunktionen, wie z. B. der Atmung, Stress entgegenwirken.

Einige praktische Tipps zur Aktivierung des Vagusnervs und zur Förderung der Darmgesundheit sind:

  • Achtsamkeit: Achtsamkeit bedeutet, den gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen - mit allem, was gerade da ist: Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen. Achtsamkeit - insbesondere in Form von Meditation, bewusster Atmung oder auch achtsamen Yogaübungen - kann den Vagusnerv auf natürliche Weise aktivieren und Stress lindern. Forscher:innen haben herausgefunden, dass achtsame Atemtechniken und meditative Zustände die Herzfrequenzvariabilität (HRV) erhöhen - ein Zeichen für eine gesteigerte Aktivität des Vagusnervs.
  • Atemübungen: Bewusstes Atmen kann helfen, zur Ruhe zu kommen und Gedankenkarusselle zu stoppen. Eine einfache Atemtechnik ist, durch die Nase einzuatmen und dabei innerlich bis 4 zu zählen, und dann durch Nase oder Mund sanft auszuatmen und wieder bis 4 zu zählen.
  • Meditation: Regelmäßige Meditationspraktiken helfen dabei, im Moment und ganz bei sich selbst anzukommen. Es gibt unzählige Meditationsarten. Wenn man merkt, dass Gedanken auftauchen, sollte man sie bewusst wahrnehmen, ohne sie zu bewerten, und sie weiterziehen lassen.
  • Achtsames Essen: Durch achtsames Essen können wir Signale unseres Körpers, wie zum Beispiel unser Sättigungsgefühl, besser wahrnehmen. Außerdem beginnt die Verdauung bereits im Mund: Durch gründliches und bewusstes Kauen wird die Nahrung mechanisch zerkleinert und gleichzeitig mit Enzymen im Speichel vermischt. Dadurch werden Magen und Darm entlastet, Nährstoffe besser aufgenommen, eine gesunde Darmfunktion unterstützt und Blähungen vorgebeugt.
  • Kältereize: Kälte aktiviert das Nervensystem. Man kann es mit einer kurzen kalten Dusche am Morgen probieren oder einen Eisbeutel auf das Gesicht oder den Nacken legen.
  • Singen und Summen: Der Vagusnerv ist mit den Stimmbändern verbunden. Summen, Singen oder Gurgeln kann den Vagusnerv aktivieren.
  • Bewegung: Sport und Bewegung können den Vagusnerv beeinflussen, indem sie die Aktivität des Sympathikus senken und den Parasympathikus steuern. Dadurch kommt die Herz-Kreislauf- und Atemfunktion ins Gleichgewicht.
  • Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst und Ballaststoffen sowie fermentierten Lebensmitteln wie Joghurt, Kefir oder Sauerkraut kann die Darmgesundheit fördern und somit auch die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn verbessern. Probiotika und Präbiotika können ebenfalls eine positive Wirkung auf die Darm-Hirn-Achse haben.

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