Ein Schlaganfall kann nicht nur körperliche Einschränkungen verursachen, sondern auch zu Wesensveränderungen führen, die für Betroffene und Angehörige eine große Herausforderung darstellen. Eine solche Veränderung kann sich in Aggressivität äußern. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen für aggressive Verhaltensweisen nach einem Schlaganfall und bietet Hilfestellungen für den Umgang mit dieser schwierigen Situation.
Ursachen für Aggressivität nach einem Schlaganfall
Ein Schlaganfall, der durch eine plötzliche Durchblutungsstörung im Gehirn verursacht wird, kann weitreichende Folgen haben. Neben Lähmungserscheinungen, Sprach-, Seh- und Koordinationsstörungen kann es auch zu Persönlichkeitsveränderungen kommen. Diese Veränderungen können sich in Form von Aggressivität äußern. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Verhaltensweisen oft organische Ursachen haben und nicht auf Bequemlichkeit oder mangelnde Motivation zurückzuführen sind.
- Hirnschädigung: Die Schädigung bestimmter Hirnbereiche, insbesondere des Frontal- und Temporallappens, kann zu Veränderungen im Verhalten führen. Schädigungen der Frontallappen begünstigen oft ein "Plus-Syndrom" (Impulsivität, Aggressivität), während Schädigungen der Temporallappen eher zu einem "Minus-Syndrom" (Antriebsarmut, Apathie) führen können.
- Aphasie und Kommunikationsprobleme: Viele Schlaganfallpatienten leiden unter Aphasie, einer Sprachstörung, die das Sprechen und Verstehen erschwert. Die Unfähigkeit, sich auszudrücken oder verstanden zu werden, kann zu Frustration und Aggression führen. Es ist wichtig zu beachten, dass die Unfähigkeit zu sprechen nicht bedeutet, dass die betroffene Person nicht mehr denken kann.
- Organische Persönlichkeitsstörung: Nach einem Schlaganfall kann sich eine organische Persönlichkeitsstörung entwickeln. Betroffene verhalten sich dann anders als gewohnt und können ihr verändertes Verhalten oft selbst nicht erkennen oder reflektieren. Ihnen fehlt die Einsichtsfähigkeit, was die Situation für alle Beteiligten erschwert.
- Weitere Erkrankungen: Auch andere Erkrankungen wie Demenz, Depressionen, Schilddrüsenfunktionsstörungen, Stoffwechselerkrankungen, Lungen- oder Herzerkrankungen können zu Wesensveränderungen und Aggressivität im Alter beitragen. Es ist wichtig, diese Faktoren bei der Ursachenforschung zu berücksichtigen.
- Medikamente: Die Medikation kann ebenfalls eine Rolle spielen. Durch Krankenhausaufenthalte oder Kurzzeitpflege kann es zu Änderungen in der Medikation kommen, die unerwünschte Nebenwirkungen verursachen oder bestehende verstärken.
Hilfe und Unterstützung für Betroffene und Angehörige
Der Umgang mit Aggressivität nach einem Schlaganfall erfordert Geduld, Verständnis und professionelle Unterstützung. Hier sind einige hilfreiche Strategien und Anlaufstellen:
- Ärztliche Untersuchung: Es ist wichtig, die Ursachen für die Aggressivität ärztlich abklären zu lassen. Ein Neurologe oder Psychiater kann organische Ursachen feststellen oder ausschließen und eine geeignete Behandlung einleiten.
- Logopädie: Eine intensive logopädische Therapie kann helfen, die Sprachfähigkeit zu verbessern und Kommunikationsprobleme zu reduzieren. Auch nach Jahren können durch individuelle Übungen noch Fortschritte erzielt werden. Wichtig ist, dass der Betroffene auch zu Hause übt - entweder alleine oder gemeinsam mit Angehörigen.
- Neuropsychologische Behandlung: Eine neuropsychologische Behandlung kann helfen, die kognitiven Fähigkeiten zu verbessern und den Betroffenen zu helfen, ihr verändertes Verhalten besser zu verstehen und zu bewältigen.
- Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann sowohl für den Betroffenen als auch für die Angehörigen hilfreich sein, um die emotionalen Belastungen zu verarbeiten und Strategien für den Umgang mit der neuen Situation zu entwickeln.
- Kommunikation: Eine ruhige und entspannte Atmosphäre ist für Gespräche wichtig. Radio und Fernseher sollten ausgeschaltet und die Gruppe der Gesprächspartner möglichst klein gehalten werden. Kurze Sätze und Ja/Nein-Fragen können bei Verständnisproblemen hilfreich sein. Achten Sie auf Gestik, Mimik und Körpersprache, um die Kommunikation zu erleichtern.
- Unterstützung für Angehörige: Angehörige sollten sich nicht scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Selbsthilfegruppen, Pflegestützpunkte und Beratungsstellen bieten Unterstützung und Entlastung. Es ist wichtig, dass auch die Angehörigen auf ihre eigene Gesundheit und ihr Wohlbefinden achten.
- Medikamentöse Behandlung: In manchen Fällen kann eine medikamentöse Behandlung notwendig sein, um aggressive Verhaltensweisen zu reduzieren. Dies sollte jedoch immer in Absprache mit einem Arzt erfolgen.
- Information und Beratung: Es gibt zahlreiche Beratungsstellen und Netzwerke, die Informationen und Unterstützung für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen und ihre Angehörigen anbieten. Das Bundesnetzwerk "Beratung für Menschen mit erworbener Hirnschädigung" bietet auf seiner Homepage eine Übersicht über kostenlose, fachlich qualifizierte Beratungsangebote.
- Kardiologische Reha: Auch während der kardiologischen Rehabilitationsbehandlung (z.B. nach einem Infarkt oder einer Herz-Op) ist der Einbezug von Familienangehörigen ausdrücklich vorgesehen.
- Wohnumfeld anpassen: Gegebenenfalls muss die Wohnumgebung an die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden. Treppen, hohe Türschwellen oder beengte Räumlichkeiten können Pflegebedürftige vor große Herausforderungen stellen. Für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen kann ein Zuschuss bei der Pflegekasse beantragt werden.
Umgang mit Wesensveränderungen im Alter
Wesensveränderungen im Alter sind ein komplexes Thema, das viele Ursachen haben kann. Neben den bereits genannten Erkrankungen können auch Schwerhörigkeit, Einsamkeit oder der Verlust von sozialen Kontakten eine Rolle spielen. Es ist wichtig, die individuellen Umstände des Betroffenen zu berücksichtigen und entsprechend zu reagieren.
- Geduld und Einfühlungsvermögen: Gegenüber Seniorinnen und Senioren sollte man möglichst geduldig und einfühlsam auftreten. Nehmen Sie aggressives und misstrauisches Verhalten nicht persönlich. Manchmal hilft es, die Person abzulenken, um herausforderndes Verhalten zu beenden.
- Klare Kommunikation: Sprechen Sie in einfachen, möglichst kurzen und deutlichen Sätzen. Wiederholen Sie wichtige Informationen bei Bedarf. Bleiben Sie nach Möglichkeit geduldig und lassen Sie Ihren Angehörigen Zeit, Sie zu verstehen und zu reagieren.
- Selbstvertrauen stärken: Stärken Sie das Selbstvertrauen der älteren Person, indem Sie sie so viel wie möglich selbstständig tun lassen, ohne sie zu überfordern.
- Strukturierter Tagesablauf: Hilfreich sind feste Gewohnheiten und ein strukturierter Tagesablauf mit Orientierungspunkten wie Essens- und Ruhezeiten.
- Vertraute Umgebung: Schaffen Sie eine vertraute, übersichtliche und gut ausgeleuchtete Wohnumgebung, die sich möglichst wenig ändert.
- Eigene Bedürfnisse nicht vergessen: Wenn Sie eine ältere Person pflegen, achten Sie darauf, dass auch Sie selbst nicht zu kurz kommen: Tun Sie Dinge, die Sie entspannen und die Ihnen Spaß machen, und pflegen Sie auch Ihre eigenen sozialen Kontakte. Scheuen Sie sich nicht, nach Hilfe zu fragen, wenn Sie sich überfordert fühlen.
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