Das vegetative Nervensystem des Pferdes: Funktion, Stress und natürliche Unterstützung

Pferde sind sensible Lebewesen, deren Nervensystem eine zentrale Rolle für ihr Wohlbefinden spielt. Das vegetative Nervensystem (VNS), auch autonomes Nervensystem genannt, steuert lebenswichtige Körperfunktionen wie Atmung, Herzschlag, Verdauung und Stoffwechsel, ohne dass das Pferd diese bewusst beeinflussen kann. Es besteht aus zwei Hauptkomponenten: dem Sympathikus und dem Parasympathikus, die als Gegenspieler fungieren und das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung regulieren. Ein Verständnis der Funktionsweise des vegetativen Nervensystems ist entscheidend, um Stressoren zu erkennen, die Gesundheit des Pferdes zu fördern und es in Balance zu halten.

Die Funktionsweise des vegetativen Nervensystems beim Pferd

Das vegetative Nervensystem ist ein komplexes Netzwerk, das alle Informationen und Eindrücke verarbeitet, die von aussen und innen auf das Pferd einwirken. Es nimmt Veränderungen der äusseren Umwelt und der inneren Umgebung wahr und verarbeitet diese Informationen in elektrische Signale. Diese werden über Nerven und ihre Endigungen aufgenommen und an das Gehirn weitergeleitet, wo sie in Zusammenhang gebracht und verarbeitet werden. Das Gehirn kann sich an vorhandene Signale erinnern und eine schnelle Antwort liefern. Wenn ein unbekannter Reiz auf Gehirnstrukturen trifft, können neue Verknüpfungen erstellt werden, um diesen beim erneuten Auftreten einordnen zu können.

Das VNS besteht aus zwei Hauptsystemen:

  • Sympathikus: Dieser Teil des VNS ist für die Aktivierung des Körpers in Stresssituationen zuständig. Er wird auch als "Stress-Nerv" oder "Kampf-oder-Flucht"-Nerv bezeichnet. Der Sympathikus bereitet den Körper auf Höchstleistungen vor, indem er Herzfrequenz und Blutdruck erhöht, die Atmung beschleunigt, die Muskeln anspannt und Energie bereitstellt.
  • Parasympathikus: Der Parasympathikus ist der Gegenspieler des Sympathikus und wird auch als "Ruhe-Nerv" oder "Erholungsnerv" bezeichnet. Er fördert Entspannung, Regeneration und Verdauung. Der Parasympathikus senkt die Herzfrequenz, verlangsamt die Atmung, entspannt die Muskeln und fördert die Verdauung.

Optimalerweise herrscht zwischen Sympathikus und Parasympathikus eine natürliche Balance. Stressige Erlebnisse sollten von Phasen der Erholung gefolgt werden, damit Stress und Nervosität nicht überhandnehmen.

Stress beim Pferd: Ursachen, Auswirkungen und Erkennung

Stress gehört zum Leben eines Pferdes dazu und ist nicht per se negativ. Er ist eine natürliche Gefühlslage, die für das soziale Fluchttier Pferd wichtige Funktionen erfüllt. Stress ist ein komplexes Geschehen, das den ganzen Pferdekörper betrifft. Allerdings sollte Stress nur ein Teil einer ausgewogenen Gefühlsbalance sein. Ruhe, Entspannung, Offenheit, Neugier und Konzentration sollten bei deinem Pferd nicht unter Nervosität, Angst und Stress begraben werden. Sobald eine Seite der Gefühle Überhand nimmt, ist es Zeit, dein Pferd dabei zu unterstützen, wieder in Balance zu kommen.

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Unsere Pferde leben in einer Welt, die grösstenteils durch uns Menschen bestimmt wird. Stressige Situationen und Phasen können dabei immer wieder vorkommen: Sei es das Feuerwerk zu Silvester, der Umzug in eine neue Herde oder die Trennung vom besten Freund. Mit welchem Stresslevel ein Pferd auf solche Vorkommnisse reagiert, ist ganz individuell. Manche Pferde sind von Natur aus reaktiver und sensibler. Sie werden schneller nervös und gestresst. Doch auch Pferde, die von ihrem Gemüt her eher ruhig sind, können situativ starken Stress erleben.

Ursachen von Stress beim Pferd

Stress bei Pferden kann verschiedene Ursachen haben. Je nach bisherigen Erlebnissen und Charakter des Pferdes lässt sich ein Pferd leichter stressen oder kann mit Situationen besser umgehen. Mögliche Stressursachen können sein:

  • Haltung: Alles, was nicht artgerecht ist, bedeutet einen enormen Anpassungsstress für dein Pferd. So nimmt z.B. die Boxenhaltung dem Pferd einen seiner wichtigsten Mechanismen zur Stressreduktion: Bewegung. Kann das Pferd seinen (natürlichen) Stress nicht durch Bewegung abbauen, muss es sich andere Mittel suchen zur Kompensation: So führt Bewegungsmangel u.a. zu Verhaltensstörungen wie Boxenlaufen, Weben, Koppen etc. Hinzu kommt, dass sich Haltung und Fütterung auch sekundär auf die Nerven des Pferdes auswirken: zu wenig Bewegung führt zu einer schlechteren Durchblutung und Versorgung der Gliedmassen, zu einem verlangsamten Stoffwechsel und schlechter laufenden Verdauungsvorgängen. Fehlendes und vor allem nicht artgerechtes Futter wie Kraftfutter und Heulage / Silage sorgen nach und nach für Schmerzen: Schmerzen in den Beinen und der gesamten Muskulatur und Schmerzen im Magen-Darm. Schmerz an sich erzeugt aber auch wiederum Stress. Und dann kommt auch noch hinzu, dass auch Langeweile und das Fehlen von natürlichen Reizen sowie von barrierefreien Sozialkontakten ebenfalls Stress erzeugt beim Pferd.
  • Fütterung: Ein weiteres Mittel zur natürlichen Stressreduktion ist Fressen von rohfaserhaltigem und energiearmem Futter wie z.B. Heu / Steppengras. Wenn ein Pferd also in der Box steht und sein Futter bereits aufgefressen hat, stehen ihm beide Stressreduktionsmöglichkeiten nicht mehr zur Wahl.
  • Training: Fehler beim Training wie z.B. fehlende Aufwärmphasen, zu lange Galopp-Phasen, zu monotone Trainingseinheiten oder zu viele Wiederholungen etc. erzeugen ebenfalls Stress beim Pferd. Hinzu kommt, das bestimmte Körperbereiche dadurch unterversorgt werden und somit Schmerzen entstehen, die wiederum Stress erzeugen. Großer Leistungsdruck, zu hohe Anforderungen und Erwartungen und ein emotional unausgeglichener Reiter verursachen selbiges.
  • Soziale Interaktion: Ein Pferd, das alleine gehalten wird, muss dauerhaft auf sich selbst aufpassen und ist notgedrungen im Dauerstress. In einer Herde ruhen nie alle Pferde gleichzeitig. Mindestens ein Pferd passt auf, sodass die anderen sich entspannen können. Und in einer Herde kümmert sich eine Leitstute um die Sicherheit aller. Sozialkontakt dient also in großem Maße dem Wohlbefinden Ihres Pferdes. Allerdings kann umgekehrt Sozialkontakt mitunter auch Stress bedeuten. Jede Änderung in der Herdenstruktur bedeutet zunächst, dass sich die Hierarchie in der Herde und damit möglicherweise auch das Sicherheits- bzw. Sozialgefüge ändert. In Boxenhaltung können Pferde, die sich nicht leiden können, nicht ausweichen. Auch das verursacht Stress, was mitunter zu wenig beachtet wird.
  • Veränderungen im Tagesablauf: Das Fluchttier Pferd hat gerne jeden Tag den gleichen Ablauf. Jede Veränderung bedeutet, dass irgendwo eine unentdeckte Gefahr lauern könnte.
  • Unerwartete Ereignisse: Ungewöhnlich laute Geräusche und Situationen, die das Tier nicht kennt, werden als Gefahr eingestuft und führen zu einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen.
  • Schmerzen und Unbehagen: Unpassende Ausrüstung, suboptimaler Beschlag und Lahmheiten, die zwei Beine gleichzeitig betreffen, können ebenfalls Stress verursachen.

Auswirkungen von Stress auf den Pferdeorganismus

Kurzzeitiger Stress ist ein natürlicher Schutzinstinkt. Dauerstress kann jedoch negative Auswirkungen auf die Gesundheit und das Verhalten des Pferdes haben. Er verhindert Lernen und kann zu folgenden Problemen führen:

  • Körperliche Auswirkungen:
    • Magenprobleme: Stress schlägt Pferden oft stark auf den Magen. Der gestresste Magen wird dann wiederum selbst zum Stressor: Ein Teufelskreis.
    • Muskelverspannungen: Ist ein Pferd immer wieder in bestimmten Körperregionen verspannt - und kommt die Verspannung nach der Behandlung durch einen Therapeuten immer wieder -, kann das neben unpassendem Equipment oder unphysiologischem Training eine emotionale Ursache haben.
    • Immunschwäche: Dauerstress führt körperlich zu sehr ernsten Erkrankungen, wie unheilbaren Stoffwechselerkrankungen, Immunschwäche, Allergien und Knochenschäden.
    • Stoffwechselentgleisungen: Die vermehrte Ausschüttung des Nebennierenrindenhormons Cortisol verändert den Stoffwechsel: längerfristige Erhöhung des Blutzuckerspiegels, Mobilisation von Körperfett, Abbau von Körpereiweiß, Freisetzung von Calcium, Einsparung von Natrium, um nur einige Beispiele zu nennen.
  • Psychische Auswirkungen:
    • Eingeschränkte Lernfähigkeit: Stress verhindert Lernen - darum ist es für manche Pferde so schwierig, sich an stressige Situationen zu gewöhnen und zu verinnerlichen, dass eigentlich keine Bedrohung vorliegt.
    • Verhaltensauffälligkeiten: Bewegungsmangel führt u.a. zu Verhaltensstörungen wie Boxenlaufen, Weben, Koppen etc.
    • Panikattacken und Durchgehen: Ein durch langanhaltenden Dauerstress vorgeschädigtes Pferd zeigt auch oft ein Verhalten, das notgedrungen für den Menschen zum Problem wird, wie z.B. Panikattacken, Durchgehen, Abschalten usw.

Erkennung von Stress beim Pferd

Stress ist nicht immer auf den ersten Blick offensichtlich. Es ist wichtig, das individuelle Verhalten des Pferdes genau zu kennen und auf subtile Anzeichen von Stress zu achten.

Mögliche Stressanzeichen sind:

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  • Verhaltensänderungen: Aufgeblähte Nüstern, Schnauben, Zittern, festgehaltene Muskulatur, Wegspringen bei jeder Kleinigkeit oder kopflose Flucht sind sehr eindeutige Anzeichen von Stress. Auch ein Pferd in einer aus menschlicher Sicht optimalen Haltung kann gestresst sein. Manch ein Pferd fällt vielleicht nur durch Unwillen oder Aggression auf und wird dafür womöglich noch bestraft.
  • Körperliche Anzeichen: Erhöhte Herzfrequenz, erhöhte Atemfrequenz, Schwitzen, Muskelverspannungen, Kotwasser.
  • Mimik: Das Pferd zeigt die typische Sorgenfalte über dem Auge, die sich als Dreieck darstellt; durch die etwas gepresste Atmung ist der Rand der Nüstern gespannt und der Blick wirkt starr und hart.

Es ist wichtig zu beachten, dass Pferde auch schauspielern können. Sie sind kluge Tiere, die blitzschnell Ursache und Wirkung ihres Verhaltens heraushaben. Zeigt das Pferd in einer bestimmten Situation aber immer ein bestimmtes Verhalten, könnte z. B. Was nicht schauspielern kann, ist das Nervensystem und letztlich die unwillkürlich gesteuerten Strukturen des Pferdekörpers.

Natürliche Unterstützung für nervöse Pferde

Wenn ein Pferd gestresst ist, ist es wichtig, ihm zu helfen, wieder in Balance zu kommen. Neben einer artgerechten Haltung, einer ausgewogenen Fütterung und einem schonenden Training können auch natürliche Mittel zur Unterstützung des Nervensystems eingesetzt werden.

Kräuter für die Nerven

Mit den richtigen Kräutern und Pflanzen kannst du dein gestresstes Pferd unterstützen, seine natürliche mentale Balance stärken und ihm in verschiedenen Situationen zur Seite stehen, die von Stress geprägt sind:

  • Baldrian: Ein König unter den Nervenkräutern. Er schenkt deinem Pferd eine starke Unterstützung. Baldrianwurzel hat ein recht starkes Aroma und wird nicht von jedem Pferd akzeptiert. Außerdem braucht Baldrian einige Zeit, bis sich seine Eigenschaften im Pferdekörper entfalten. Er ist eine besonders gute Wahl, wenn du vorausplanen kannst.
  • Hopfen: Ein wichtiges Nervenkraut, das bei deinem Pferd die natürliche Funktion der Stressregulation unterstützt.
  • Kamille, Melisse und Pfefferminze: Diese Kräuter sind nicht nur natürliches Nervenfutter für dein Pferd, sondern stärken auch die natürliche Funktion von Magen und Magenschleimhaut.

Je nach Unterstützungsbedarf deines Pferdes kannst du zwischen verschiedenen Intensitäten wählen. Es gibt Kräutermischungen für sanfte und starke Nervenunterstützung.

Weitere unterstützende Massnahmen

  • Magnesium: Ein Mangel an Magnesium führt neben der Einschränkung enzymatischer Reaktionen auch zu einem vermehrten Einströmen von Calcium in die Körperzellen und somit zur Calciumüberladung dieser Zellen. Reizleitungsstörungen im Nervensystem und eine gestörte Verarbeitung von Lernprozessen im Gehirn sind die Folge. Dies wiederum führt zu erhöhter Schreckhaftigkeit und Stress.
  • Tryptophan: Die Gabe von Tryptophan kann beruhigend auf Pferde wirken, denn die essenzielle Aminosäure, die über die Nahrung aufgenommen werden muss, kann im Organismus zu Serotonin umgewandelt werden.
  • Positive Verstärkung: Pferde „programmieren“ ihr Verhalten nicht durch Zwang oder Wiederholung, sondern durch Verknüpfungen in ihrem Gehirn. Alles, was sie erleben, wird mit Emotionen verknüpft - positiv oder negativ. Mit NLPP erschaffen wir eine bewusste, klare und feine Kommunikation, die sich direkt auf das Nervensystem des Pferdes auswirkt. Wir nutzen gezielte Signale, um das Pferd in einen Lern- und Vertrauensmodus zu bringen, anstatt es in Stress oder Überforderung zu treiben.
  • Achtsamkeit des Reiters: Pferde sind wahre Meister darin, die Emotionen und körperlichen Zustände anderer zu lesen - und das betrifft nicht nur ihre Artgenossen, sondern auch uns Menschen. Ihr vegetatives Nervensystem (VNS), das unbewusst Körperfunktionen wie Herzschlag, Atmung und Muskelspannung steuert, reagiert direkt auf die Schwingungen und Signale ihres Umfelds. Es ist essenziell, dass der Reiter ruhig, fokussiert und in einer harmonischen Herz-Hirn-Kohärenz ist, um dem Pferd unbewusst ein Signal von Sicherheit zu geben, das sein parasympathisches Nervensystem aktiviert - den Teil, der für Entspannung, Regeneration und Lernen zuständig ist.
  • Parasympatische Momente schaffen: Gönnen Sie Ihrem Pferd regelmäßig nach dem Training eine Massage - das Nervensystem dankt es. Wohltuende Berührungen entspannen die Muskeln, Puls und Atmung werden langsamer, die Zellregeneration setzt ein und das Pferd schüttet Glückshormone aus.

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