Die Medulla Oblongata: Funktion, Aufbau und Klinische Bedeutung

Die Medulla oblongata, auch als Myelencephalon, Nachhirn oder verlängertes Rückenmark bezeichnet, ist ein lebenswichtiger Teil des Gehirns. Sie stellt die Fortsetzung des Rückenmarks in den Gehirnbereich hinein dar und spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulation lebenswichtiger Funktionen und Reflexe. Zusammen mit der Brücke (Pons) und dem Kleinhirn (Cerebellum) bildet sie das Rautenhirn (Rhombencephalon) in der hinteren Schädelgrube.

Was ist die Medulla Oblongata?

Die Medulla oblongata ist der unterste und hinterste Bereich des Gehirns. Sie verdickt sich nach dem Übergang vom Rückenmark zwiebelförmig und endet an der Brücke. Das Myelencephalon enthält Hirnnervenkerne und ist somit der Ursprung der Hirnnerven VII bis XII, die aus der vorderen Fläche der Medulla oblongata austreten.

An der Vorderseite der Medulla oblongata liegt neben einer in der Mitte verlaufenden Spalte die Pyramide, die sich nach unten hin verjüngt und zum Teil in den Seitenstrang des Rückenmarks zieht, zum Teil über die Mittellinie kreuzt und zu einem weiteren Teil in den Vorderstrang des Rückenmarks zieht. Neben der Pyramide gibt es an der Vorderseite der Medulla oblongata noch die Olive, die in ihrem Inneren den Olivenkern, graue Substanz, enthält.

An der hinteren Seite des Myelencephalons setzt sich der Hinterstrang fort, der sich im Halsmark zweigeteilt hat. Beide Stränge werden zunehmend breiter und bilden in der Medulla oblongata zwei Verdickungen, in denen die Hinterstrangkerne liegen. Diese sind die Umschaltstationen auf ein Neuron der Hinterstrangbahnen.

Die Fortsetzung des Hinterstrangs in der Medulla oblongata nach oben in das Gehirn ist der untere Kleinhirnstiel und darüber das Kleinhirn.

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Wo befindet sich die Medulla Oblongata?

Die Medulla oblongata geht vom Abgang des ersten Spinalnerven - vom großen Hinterhauptsloch - ohne scharfen Übergang aus dem Rückenmark hervor. Das Nachhirn reicht bis hinauf zur Brücke im Hinterhirn. Dieser Abschnitt ist beim Erwachsenen etwa drei Zentimeter lang. Die Medulla oblongata stellt den untersten Abschnitt des Hirnstamms dar und liegt somit direkt oberhalb des ersten Halswirbels, zwischen dem oberen Ende des Rückenmarks und dem Pons. Als Grenze für den Übergang zwischen Rückenmark und Hirnstamm gilt die Austrittstelle des obersten Spinalnerven. Räumlich gesehen befindet sich die Medulla oblongata zudem vor dem Kleinhirn, ist dabei allerdings in der Regel etwas weiter nach unten versetzt.

Der Kleinhirnbrückenwinkel

Der Kleinhirnbrückenwinkel stellt in der Neurologie eine wichtige Region dar und bezeichnet den Bereich zwischen Hirnstamm, Kleinhirn und dem Felsenbein des Schädels. Hier verlaufen zwei Hirnnerven (VII & VIII) sowie weitere wichtige Arterien und Venen. Außerdem liegt die Medulla oblongata in unmittelbarer Nähe des vierten Ventrikels, einem mit Nervenwasser (Liquor) gefüllten Hohlraum im Gehirn. Somit stellt das verlängerte Rückenmark die untere Begrenzung, also den Boden des vierten Ventrikels dar.

Welche Funktion hat die Medulla Oblongata?

Die Medulla oblongata ist ein wichtiges Regulations- und Reflexzentrum. Sie ist für die Steuerung lebenswichtiger Funktionen wie Atmung, Kreislauf, Reflexe und Feinmotorik zuständig. In der Medulla oblongata liegen wichtige Regulationszentren für die Atmung und den Blutkreislauf sowie Reflexzentren für den Schluck- und Saugreflex, den Husten-, Nies- und Würgereflex sowie das Brechzentrum.

Atmung

Atembewegungen werden von Neuronengruppen in der Medulla oblongata gesteuert. Die rhythmische Atemaktivität geschieht durch eine komplexe Verschaltung der Atemneuronen in der Medulla oblongata, die sich gegenseitig fördern und hemmen. Durch das Atemzentrum wird ein basaler Atemrhythmus gewährleistet, der von höheren Hirnzentren und der Körperperipherie an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden kann.

So muss man etwa bei körperlicher Aktivität stärker atmen, um den erhöhten Sauerstoffbedarf decken zu können. Also werden dem Atemzentrum in der Medulla oblongata über Mechanorezeptoren in den Gelenken und der Muskulatur Informationen zugeleitet, die den Atemantrieb erhöhen.

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Sympathikus und Parasympathikus

Der Sympathikus als Teil des vegetativen Nervensystems wird von einem Kerngebiet der Medulla oblongata gesteuert, das eine enge Beziehung zu den Atemzentren hat. Auch der Parasympathikus wird über Nervenkerne des Myelencephalons gesteuert:

Periphere Nerven haben eine Grundaktivität, den Sympathikotonus. Dieser wird über Bahnen, die aus der Medulla oblongata kommen und über die Hinterseitensträngen in das Rückenmark ziehen, bestimmt. Wird dieses Steuerzentrum des Sympathikus in der Medulla oblongata gereizt, werden sympathische Nerven und die dazu gehörenden Organe entsprechend aktiviert. Das resultiert zum Beispiel in einem Blutdruckanstieg.

Umgekehrt führt eine Hemmung dieses Steuerzentrums zu einer Abnahme der Aktivität in den sympathischen Nerven, wodurch beispielsweise der Blutdruck abfällt.

Die Verdauung im Dünndarm wird unter anderem durch den Muskeltonus der Darmwand und Nervenfasern in der Darmwand geregelt. Fasern des Parasympathikus ziehen zu erregenden und hemmenden Ganglien. Welche Funktion - die erregende oder die hemmende - überwiegt, wird in Nervenkernen der Medulla oblongata (und im unteren Rückenmark) bestimmt.

Kreislauf

Die Kreislaufregulation bei körperlicher Arbeit muss sich an die Bedürfnisse der Muskeln anpassen. Dazu muss das Herz stärker pumpen. Auch diese Regulation erfolgt durch Zentren in der Medulla oblongata. Hemmende und fördernde Impulse werden über das Nachhirn an die Großhirnrinde weitergegeben.

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Kauen und Schlucken

In der Medulla oblongata liegen die Zentren, die das Kauen und Schlucken und damit die Nahrungsaufnahme steuern. Diesen sind zwei Zentren übergeordnet, das Esszentrum und das Sattheitszentrum in Kernen des Hypothalamus. Das Kauen und der Anfang des Schluckvorgangs werden über Hirnnerven gesteuert, die aus der Medulla oblongata austreten (Nervus trigeminus, Nervus hypoglossus und Nervus vagus).

Säure-Basen-Haushalt

In der Medulla oblongata befinden sich chemosensible Rezeptoren, die den Säure-Basen-Haushalt des Körpers regulieren.

Sonstiges

Absteigende Bahnen, die das Großhirn mit dem Rückenmark verbinden, laufen durch das Myelencephalon und aufsteigende Bahnen werden hier umgeschaltet.

In den Hinterstrangkernen Nucleus gracilis und Nucleus cuneatus enden die Nervenfasern für die epikritische Sensibiltät - feine Temperatur- und Berührungsempfindungen, Bewegungs- und Stellungssinn, Kraftsinn und Formenerkennung.

Die Olivenkerne der Medulla oblongata koordinieren die Feinmotorik.

Welche Probleme kann die Medulla Oblongata verursachen?

Schädigungen der Medulla oblongata können schwerwiegende Folgen haben, da hier lebenswichtige Funktionen gesteuert werden. Ein vollständiger Ausfall der Medulla oblongata durch Verletzungen führt in der Regel zum Tod. Schädigungen im Bereich der Medulla oblongata können durch viele verschiedene Ursachen hervorgerufen werden. Mögliche Auslöser sind beispielsweise unfallbedingte Traumata, Tumore (direkt dort oder in der unmittelbaren Umgebung) oder Infarkte. Aber auch Blutungen, Entzündungen im Gehirn oder ein erhöhter Hirndruck können Ausfallerscheinungen der Funktionen der Medulla oblongata hervorrufen. In jedem Fall sind jedoch Beeinträchtigungen des verlängerten Rückenmarks durch die Gefährdung vitaler Zentren meist akut lebensbedrohlich.

Medulloblastom

Ein Medulloblastom ist ein bösartiger Tumor des Kleinhirns, der rasch wächst und undifferenziert ist. Er verdrängt durch sein Größenwachstum die Medulla oblongata. Das Medulloblastom entwickelt sich bevorzugt im Kindes- und Jugendalter, besonders im siebten bis zwölften Lebensjahr. Leitsymptome sind Erbrechen und eine Störung der Bewegungskoordination (Ataxie) mit Fallneigung nach hinten.

Infarkt der Medulla Oblongata

Ein Infarkt der Medulla oblongata kann etwa durch einen Verschluss eines wichtigen Blutgefäßes (Arteria cerebelli inferior posterior) am Übergang der Brücke in die Medulla oblongata entstehen. Mögliche Symptome sind Kopfschmerz, schneller Herzschlag, Atemnot, Drehschwindel und Fallneigung, Augenzittern, Gangstörung, Schluck- und Sprachstörung sowie Empfindungsstörungen durch Trigeminuslähmung.

Durchblutungsstörungen und Blutungen

Eine Durchblutungsstörung in der Medulla oblongata, wie sie zum Beispiel bei einer zerebralen Ischämie auftritt, führt zu einer Aktivierung des Sympathikus. Das Gleiche geschieht, wenn plötzlich auftretende Blutungen im Gehirn Raum fordern und das Hirngewebe verdrängen: Die Sympathikusaktivität nimmt zu, und der Blutdruck steigt (Cushing-Reflex).

Untere Einklemmung

Ein weiterer krankhafter Prozess im Bereich des verlängerten Rückenmarks stellt die sogenannte “untere Einklemmung” dar. Bei einer Einklemmung verschiebt sich Hirngewebe in Folge eines erhöhten Hirndrucks, was dementsprechend umliegende Strukturen des Gehirns komprimiert und bis zum Funktionsausfall derselben führen kann. Bei der unteren Einklemmung verschiebt sich der unterste Anteil des Kleinhirns. Da das Kleinhirn direkt hinter (und etwas oberhalb) der Medulla oblongata gelegen ist, wird durch die Verschiebung Druck auf das verlängerte Mark ausgeübt.

Schädigung der unteren Olivenkerne

Bei Schädigungen der unteren Olivenkerne, beziehungsweise von verbindenden Faserbahnen in diesem Bereich, treten meist motorische Symptome auf. Diese ähneln der Symptomatik bei Läsionen im Bereich des Kleinhirns, sind aber normalerweise schwächer ausgeprägt.

Der Hirnstamm als Einheit

Der Hirnstamm, zu dem die Medulla oblongata gehört, ist der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil des Gehirns und bildet die Schnittstelle zwischen dem übrigen Gehirn und dem Rückenmark. Er ist für die essenziellen Lebensfunktionen zuständig wie die Steuerung der Herzfrequenz, des Blutdrucks und der Atmung. Zudem ist er für wichtige Reflexe wie den Lidschluss-, Schluck- und Husten-Reflex verantwortlich. Auch der Schlaf und die verschiedenen Schlaf- und Traumphasen werden hier kontrolliert.

Innerhalb der Brücke verläuft die Pyramidenbahn - die Verbindung zwischen dem motorischen Kortex und dem Rückenmark, die für willkürlich-motorische Signale (also willkürliche Bewegungen) wichtig ist. Über den Pons werden diese Signale, die von der Großhirnrinde kommen, ins Kleinhirn weitergeleitet.

Der Hirnstamm ist durchzogen von der Formatio reticularis - einer netzartigen Struktur aus Nervenzellen und ihren Fortsätzen. Sie ist an verschiedenen vegetativen Funktionen des Organismus beteiligt, etwa an der Steuerung der Aufmerksamkeit und des Wachheitszustandes. Auch Kreislauf, Atmung und Erbrechen werden hier kontrolliert.

Schädigungen des Hirnstamms führen zu sogenannten Hirnstamm-Syndromen. Diese sind in den meisten Fällen durch den Ausfall von Hirnnerven gekennzeichnet (durch Schädigung der Hirnnervenkerne). Je nach Höhe der Läsion - in Mittelhirn, Pons oder verlängertem Mark - fallen die Funktionen verschiedener Nerven aus. Bei unvollständigen Hirnstamm-Läsionen können die Symptome auf der gleichen oder auf der gegenüber liegenden Körperseite auftreten (wegen der gekreuzten Bahnen).

Wenn Nervenbahnen, die innerhalb des Hirnstamms zu weiter abwärts gelegenen Hirnnervenkernen führen, beidseitig geschädigt sind, entsteht eine Pseudobulbärparalyse. Die wichtigsten Symptome sind Sprech- und Schluckstörungen, beeinträchtigte Zungenbeweglichkeit und Heiserkeit.

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