Physiotherapie bei Demenz: Eine umfassende Betrachtung der Verordnung und Therapieansätze

Die Physiotherapie spielt eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Menschen mit Demenz. Sie hilft, die körperliche Aktivität aufrechtzuerhalten, das Sturzrisiko zu reduzieren und die Leistungsfähigkeit im Alltag zu verbessern. Dieser Artikel beleuchtet die Verordnung von Physiotherapie bei Demenz, die verschiedenen Therapieansätze und die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit.

Einführung

Demenz ist eine fortschreitende Hirnerkrankung, die mit einem Verlust kognitiver Fähigkeiten einhergeht. Neben den kognitiven Beeinträchtigungen leiden viele Menschen mit Demenz auch unter körperlichen Einschränkungen wie Muskelschwäche, Koordinationsstörungen und einem erhöhten Sturzrisiko. Physiotherapie kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

Heilmittelverordnung bei Demenz

Gesetzliche Grundlagen

Die Verordnung von Heilmitteln, zu denen auch die Physiotherapie gehört, ist in Deutschland durch die Heilmittel-Richtlinie geregelt. Diese Richtlinie legt fest, welche Heilmittel von Kassenärzten verordnet werden können und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen.

Verordnungsprozess

  1. Ärztliche Untersuchung: Zunächst erfolgt eine ärztliche Untersuchung, bei der der Arzt den Zustand des Patienten, seine persönlichen Lebensumstände und Kontextfaktoren sowie bisher ausgestellte Heilmittelverordnungen berücksichtigt.
  2. Diagnosestellung: Der Arzt stellt eine Diagnose und dokumentiert diese mit einem ICD-10-Code. Bei Demenz ist dies in der Regel eine der Demenzformen (z.B. Alzheimer-Krankheit) in Verbindung mit spezifischen Symptomen wie Gangstörungen oder Muskelschwäche.
  3. Heilmittelverordnung: Auf Basis der Diagnose und der individuellen Bedürfnisse des Patienten verordnet der Arzt Physiotherapie. Dabei gibt er die Therapieform, die Leitsymptomatik, das Heilmittel und die Häufigkeit der Behandlungen an. Seit dem 1. Januar 2021 gibt es ein einheitliches Verordnungsformular für alle Heilmittel.

Verordnungsfall und orientierende Behandlungsmenge

Für jede Diagnosegruppe ist im Heilmittelkatalog eine orientierende Behandlungsmenge angegeben. Diese gibt an, innerhalb welcher Anzahl von Behandlungen das Therapieziel erreicht werden kann. Sollten weitere Verordnungen medizinisch notwendig sein, kann der Arzt weitere Verordnungen ausstellen. Eine Begründung für die Überschreitung der orientierenden Behandlungsmenge ist in die Patientendokumentation aufzunehmen.

Langfristiger Heilmittelbedarf und besonderer Verordnungsbedarf

Für Menschen mit langfristigem Heilmittelbedarf oder besonderem Verordnungsbedarf gelten spezielle Regelungen. In diesen Fällen können Ärzte die Versorgung mit Heilmitteln mit der ersten Verordnung für einen Zeitraum von zwölf Wochen veranlassen.

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  • Besonderer Verordnungsbedarf: Einen besonderen Verordnungsbedarf haben Menschen mit einer schweren Erkrankung, die naturgemäß mehr Heilmittel benötigen.
  • Langfristiger Heilmittelbedarf: Ein langfristiger Heilmittelbedarf liegt bei einer schweren und beständigen Beeinträchtigung vor.

Die Erkrankungen, die einen langfristigen Heilmittelbedarf oder einen besonderen Verordnungsbedarf begründen, sind in einer gemeinsamen Diagnoseliste aufgeführt. Auch wenn die Diagnose nicht auf der Liste steht, kann ein langfristiger Heilmittelbedarf bestehen. Versicherte müssen in diesem Fall allerdings bei ihrer Krankenkasse einen Antrag auf Feststellung bzw. Genehmigung stellen.

Blankoverordnungen

Seit November 2024 besteht für Ärzt:innen die Möglichkeit, Blankoverordnungen für die Physiotherapie auszustellen. Blankoverordnungen können derzeit nur für Diagnosen im Bereich des Schultergelenks ausgestellt werden.

  • Luxationen des Schultergelenks
  • Läsionen der Rotatorenmanschette
  • Frakturen der gelenkbildenden Knochen
  • Schwere Verbrennungen in der Schulterregion

Bei einer Blankoverordnung werden folgende Felder auf dem Muster 13 durch die Arztpraxis frei gelassen:

  • Heilmittel gemäß Heilmittelkatalog
  • Ergänzende Angaben zum Heilmittel
  • Behandlungseinheiten
  • Therapiefrequenz

Die oben aufgeführten Felder werden von den Physiotherapeut:innen ausgefüllt. Für Blankoverordnungen tragen die Physiotherapeut:innen die wirtschaftliche Verantwortung.

Gültigkeit und Behandlungsbeginn

Nach Ausstellung der Verordnung müssen Versicherte die Behandlung innerhalb von 28 Kalendertagen beginnen. Falls dringender Behandlungsbedarf besteht, muss die Behandlung innerhalb von 14 Tagen beginnen. Tun sie dies nicht, verliert die ärztliche Verordnung ihre Geltung.

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Zuzahlung

Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, müssen eine Zuzahlung für Heilmittel leisten. Diese besteht aus einer Rezeptgebühr von 10,00 € pro Rezept sowie einem Eigenanteil von 10 % der Behandlungskosten. Es gibt jedoch die Möglichkeit, sich von den Zuzahlungen befreien zu lassen, wenn bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschritten werden.

Physiotherapeutische Therapieansätze bei Demenz

Die Physiotherapie bei Demenz zielt darauf ab, die körperlichen Fähigkeiten der Betroffenen möglichst lange zu erhalten und zu verbessern. Dabei kommen verschiedene Therapieansätze zum Einsatz, die individuell auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten des Patienten abgestimmt werden.

Bewegungstherapie

Die Bewegungstherapie ist ein zentraler Bestandteil der Physiotherapie bei Demenz. Sie umfasst Übungen zur Verbesserung der Muskelkraft, Ausdauer, Koordination und des Gleichgewichts. Ziel ist es, die Mobilität und Selbstständigkeit der Patienten zu erhalten und das Sturzrisiko zu reduzieren.

Gleichgewichtstraining

Viele Menschen mit Demenz leiden unter Gleichgewichtsstörungen, die das Sturzrisiko erhöhen. Durch gezieltes Gleichgewichtstraining können die Patienten ihreBalance verbessern und Stürzen vorbeugen.

Sturzprophylaxe

Die Sturzprophylaxe ist ein wichtiger Bestandteil der Physiotherapie bei Demenz. Sie umfasst Maßnahmen zurReduktion von Sturzrisiken im Alltag, wie z.B. die Anpassung der Wohnumgebung und das Training vonVerhaltensweisen, die Stürze verhindern können.

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Kontrakturprophylaxe

Bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz besteht die Gefahr von Kontrakturen, d.h.Verkürzungen von Muskeln und Sehnen, die zu Bewegungseinschränkungen führen können. Durch regelmäßigeBewegungsübungen und Lagerungstechniken kann die Entstehung von Kontrakturen verhindert werden.

Schmerztherapie

Viele Menschen mit Demenz leiden unter Schmerzen, die sie aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen oft nichtäußern können. Physiotherapeuten können verschiedene Techniken zur Schmerzlinderung einsetzen, wie z.B.Massagen, Wärme- oder Kälteanwendungen und Bewegungstherapie.

Atemtherapie

Atemtherapie kann bei Demenzpatienten eingesetzt werden, um die Atemfunktion zu verbessern undKomplikationen wie Lungenentzündungen vorzubeugen. Sie umfasst Übungen zur Kräftigung der Atemmuskulaturund zur Verbesserung der Atemtechnik.

Weitere unterstützende Therapieformen

Neben der Physiotherapie können auch andere Therapieformen die Behandlung von Menschen mit Demenz unterstützen. Dazu gehören:

Ergotherapie

Die Ergotherapie hilft Patientinnen und Patienten im frühen und mittleren Stadium der Demenz, Alltagskompetenzen möglichst lange aufrechtzuerhalten. Gemeinsam mit der Therapeutin oder dem Therapeuten üben Betroffene Tätigkeiten wie Einkaufen, Kochen oder auch Zeitunglesen.

Logopädie

Die Logopädie konzentriert sich auf die Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen, die bei Demenz auftreten können. Durch gezielte Übungen können die kommunikativen Fähigkeiten der Betroffenen unterstützt und die Nahrungsaufnahme erleichtert werden.

Musiktherapie

Musiktherapie kann in allen Stadien der Demenz helfen. Im Frühstadium spielt nicht nur das Hören, sondern auch das Musikmachen eine wichtige Rolle. Im späten Stadium kann das Hören vertrauter Melodien beruhigen und Schmerzen lindern. Musik weckt positive Erinnerungen und Gefühle.

Kunsttherapie

Kunst weckt Erinnerungen - unabhängig davon, ob Menschen mit Demenz im Museum Werke von Künstlerinnen und Künstlern erleben oder selbst schöpferisch tätig werden. Kunst und Kunsttherapie ermöglichen die Begegnung mit sich selbst und anderen. Sie tragen dazu bei, die Lebensqualität zu erhalten.

Kognitives Training

Durch kognitives Training können Menschen mit Demenz im frühen bis mittleren Stadium ihre Wahrnehmung, ihre Lernfähigkeit und ihr Denkvermögen schulen. Einfache Wortspiele in Einzel- oder Gruppentherapie kommen dazu infrage.

Verhaltenstherapie

Diese Form der Therapie ist besonders für Menschen im Frühstadium einer Demenz geeignet. Unterstützt von einer Psychologin oder einem Psychologen oder einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten, lernen sie, diese Probleme zu bewältigen und mit ihrer Demenz besser umzugehen.

Biographiearbeit

Die biografische Arbeit eignet sich vor allem im frühen bis mittleren Stadium der Demenz. Durch gezielte Gespräche mit der oder dem Betroffenen werden mithilfe von Fotos, Büchern und persönlichen Gegenständen positive Erinnerungen an frühere Lebensabschnitte wachgerufen.

Realitätsorientierung

Die sogenannte Realitätsorientierung hilft in allen Stadien der Demenz, sich räumlich und zeitlich zurechtzufinden und Personen und Situationen wieder besser einzuordnen.

Milieutherapie

Die Milieutherapie ist in allen Stadien der Demenz sinnvoll. Sie zielt darauf ab, Wohn- und Lebensräume so umzugestalten, dass Betroffene sich darin wohlfühlen und möglichst selbstständig und selbstbestimmt leben können.

Sensorische Therapie (Snoezelen)

Beim Snoezelen geht es in erster Linie darum, einer Person möglichst vielfältige sinnliche Wahrnehmungen zu ermöglichen. Insbesondere der Sehsinn, Hörsinn, Geruchssinn und Tastsinn werden mit positiven Reizen angesprochen.

Tiergestützte Therapie

Hinter dem Begriff „tiergestützte Therapie“ verbirgt sich ganz einfach der Umgang mit Tieren. Also das Streicheln und die Interaktion mit Tieren unterschiedlichster Art. Dabei werden die sinnliche Wahrnehmung und die Sozialfähigkeit der demenzerkrankten Person angesprochen.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Eine erfolgreiche Behandlung von Menschen mit Demenz erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen, wie Ärzten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen und Pflegekräften. Durch den Austausch von Informationen und die Abstimmung der Therapieziele kann eine individuelle und umfassende Versorgung gewährleistet werden.

Bedeutung der Angehörigen

Auch die Angehörigen spielen eine wichtige Rolle bei der Betreuung und Unterstützung von Menschen mit Demenz. Sie können die Therapeuten über die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben des Patienten informieren und die Therapieerfolge im Alltag unterstützen. Zudem ist es wichtig, dass die Angehörigen selbstEntlastung und Unterstützung erhalten, um ihre eigene Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu erhalten.

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