Vibrationstraining bei Polyneuropathie: Studienlage und Anwendungsempfehlungen

Vibrationstraining wird als eine mögliche Therapieoption bei Polyneuropathie in Betracht gezogen. Es kann potenziell zur Linderung von Symptomen beitragen, jedoch sind spezifische Aspekte und Vorsichtsmaßnahmen zu beachten, um die Wirksamkeit zu optimieren und unerwünschte Effekte zu vermeiden.

Einführung

Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, bei der mehrere oder alle peripheren Nerven geschädigt sind. Vibrationstraining stellt einen intensiven Reiz für das Nervensystem dar, was sich potenziell positiv auf die Nervenfunktion bei Polyneuropathie auswirken könnte.

Grundlagen des Vibrationstrainings

Beim Vibrationstraining steht man üblicherweise auf einer vibrierenden Plattform. Es gibt hauptsächlich zwei Vibrationsarten: seitenalternierende Systeme (die Platte wippt hin und her) und Systeme, bei denen sich die Platte auf und ab bewegt. Die Vibration erzeugt einen starken Reiz für den Körper und kann Trainingseffekte erzielen. Im Fitnessbereich wird oft angestrebt, durch die Vibration Reflexe auszulösen, die kleine Muskelzuckungen verursachen und so die Muskelkraft steigern sollen.

Vibrationstraining im Fitnessbereich

Im Fitnessbereich zielt das Vibrationstraining darauf ab, durch Reflexauslösung Muskelkraft und -größe zu verbessern. Studien zeigen jedoch, dass die Effekte auf die Muskelkraft umso geringer sind, je fitter die Person ist. Für gesunde Sportler ist der Effekt also begrenzt und wird oft überschätzt.

Spezifische Wirkung von Vibrationstraining bei Polyneuropathie

Die Vibration hat eine stärkere Wirkung auf das Nervensystem als auf die Muskulatur. Sie stimuliert verschiedene Nervenzellen in den Extremitäten, was zu einer intensiven Reizweiterleitung an das zentrale Nervensystem führt. Dies kann die Ausschüttung von Botenstoffen fördern, die Anpassungen im Nervensystem bewirken, Synapsenfunktion verbessern und das Nervensystem vor Schäden schützen. Tierversuche deuten sogar auf eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten hin.

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Studienlage zu Vibrationstraining bei Polyneuropathie

Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Vibrationstraining positive Effekte bei Polyneuropathie haben kann:

  • Schmerzlinderung: Studien beobachteten eine Schmerzreduktion bei Patienten mit Polyneuropathie nach Chemotherapie und bei diabetischer Polyneuropathie.
  • Vergleich mit Gleichgewichtstraining: Eine Studie zeigte, dass Vibrationstraining Schmerzen reduzieren kann, Gleichgewichtstraining jedoch bessere Effekte auf Mobilität und Gangsicherheit hat.
  • Qualität der Studien: Die Studienlage ist noch nicht ausreichend, um klare Aussagen über die tatsächliche Größe der Effekte treffen zu können.

Es gibt Hinweise darauf, dass Vibrationstraining Schmerzen und Missempfindungen bei Polyneuropathie lindern kann, jedoch ist die Wirkung möglicherweise nicht sehr stark. Langzeitwirkungen sind bisher nicht ausreichend untersucht.

Anwendungsempfehlungen für Vibrationstraining bei Polyneuropathie

Die im Fitnessbereich übliche Anwendung von Vibrationstraining ist für Polyneuropathie-Patienten nicht geeignet. Stattdessen sollte der Fokus auf der Stimulation der Nerven liegen, nicht auf der Aktivierung der Muskeln.

  • Dauer und Frequenz: Kurze Trainingseinheiten sind effektiver. Die Vibration sollte nur etwa eine Minute lang angewendet werden, gefolgt von einer mindestens einminütigen Pause. Diese Sequenz kann mehrmals wiederholt werden.
  • Position: Es kann ausreichend sein, sich einfach auf die Platte zu stellen oder sich neben die Platte auf einen Stuhl zu setzen und die Füße darauf zu stellen. Im Sitzen oder Stehen ohne zusätzliche Bewegungen scheint die Wirkung sogar größer zu sein, als wenn man gleichzeitig Übungen macht.
  • Integration in das Trainingsprogramm: Es ist ratsam, das Vibrationstraining vor anderen Trainingsmethoden wie Kraftübungen durchzuführen.
  • Intensität: Beginnen Sie mit langsamen Schwingungen und steigern Sie diese allmählich. Die Vibrationsfrequenz, bei der die stärksten Effekte gemessen wurden, liegt bei etwa 30 Hz.
  • Häufigkeit: Bei korrekter Anwendung (kurze Intervalle mit Pausen) kann das Training täglich durchgeführt werden.
  • Besondere Vorsichtsmaßnahmen: Bei einer Chemotherapie mit niedrigen Blutplättchenzahlen (< 20.000) sollte das Training im Sitzen auf einem Stuhl erfolgen, um Sturzgefahr zu vermeiden.

Geräteauswahl

Hochwertige Vibrationsgeräte (z. B. von Power Plate oder Galileo) sind teuer und platzaufwendig. Bei der Anschaffung eines günstigeren Geräts für den Hausgebrauch sollte auf eine ausreichende Frequenz geachtet werden.

Ergänzende Therapieansätze

Neben Vibrationstraining sind auch Gleichgewichtstraining, Massage, Dehnung, Krafttraining und Ausdauersport bei Polyneuropathie sinnvoll. Die Kombination verschiedener Methoden kann besonders effektiv sein.

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Chemotherapie-induzierte periphere Polyneuropathie (CIPN)

CIPN ist eine häufige Nebenwirkung der Chemotherapie, die durch nervenschädigende Substanzen ausgelöst wird. Sie verursacht sensorische und motorische Symptome wie Taubheitsgefühle, Kribbeln, Schmerzen, Gleichgewichtsprobleme und Gangunsicherheiten. Bisher gibt es keine etablierte Behandlungsmöglichkeit.

  • Sporttherapie: Vielversprechend ist die Sporttherapie, insbesondere ein Programm aus Ausdauer, Kraft und Sensomotoriktraining.
  • Sensomotoriktraining und Vibrationstraining: Studien untersuchen gezielt die Wirkung von Sensomotoriktraining und Vibrationstraining auf die Symptome der CIPN. Es wird eine Reduktion der Symptome erwartet, was die Lebensqualität der Patienten verbessern würde.
  • Studienaufbau: In einer Studie werden Patienten mit CIPN in Gruppen für Sensomotoriktraining (SMT), Vibrationstraining (WBV) und eine Kontrollgruppe randomisiert. Die Interventionsgruppen trainieren zweimal pro Woche für sechs Wochen. Primärer Endpunkt ist ein neurologischer Kurztest. Sekundäre Endpunkte sind Nervenleitgeschwindigkeit, Gleichgewichtskontrolle, neuropathische Schmerzen, subjektive Einschätzung der Symptome, Lebensqualität und Aktivitätsniveau.

Akupunktur und Vibrationstraining bei Polyneuropathie

Aufgrund fehlender etablierter Therapiemöglichkeiten werden neue Therapieoptionen wie Akupunktur und Vibrationstraining untersucht.

  • Akupunktur: Die Akupunktur wird in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) seit Jahrhunderten zur Behandlung von Erkrankungen des peripheren Nervensystems eingesetzt.
  • Studienziel: Eine Studie untersucht die Wirksamkeit von Akupunktur und Vibrationstraining zur Prävention der CIPN bei Patienten mit oxaliplatinhaltiger Chemotherapie.
  • Studienaufbau: Patienten werden vor Therapiebeginn oder innerhalb der ersten zwei Wochen nach Chemotherapiebeginn in Gruppen für Vibrationstraining, Akupunktur und eine Akupunktur-Warteliste randomisiert. Der primäre Endpunkt ist der Vergleich des sensiblen Aktionspotentials des N. suralis vor und nach der Chemotherapie. Sekundäre Endpunkte sind weitere neurographische, neurologische und sportmedizinische Befunde sowie standardisierte Fragebögen.

Naturheilkundliche Therapieansätze bei Polyneuropathie

Neben dem Vibrationstraining gibt es verschiedene naturheilkundliche Therapieansätze, die zur Linderung der Beschwerden beitragen können:

  • Hydro- und Thermotherapie: Trockenbürsten, Igelballmassagen, Sandbäder, Klopfungen, Wassertreten nach Kneipp, kalte Unterschenkelgüsse, ansteigende Teilbäder, Vollbäder mit Fichtennadeln oder Heublumen, Lehmpackungen.
  • Ernährung und Vitamine: Ovolaktovegetabile vollwertige Kost, Vermeidung von Vitamin- und Mineralstoffmangel, Blutzuckereinstellung, Meidung von Alkohol, basische Ernährung, Heilfasten, Eisenzufuhr, Vitamin B1 (Benfotiamin), Vitamin B12, Folsäure, Alpha-Liponsäure, Glutathion.
  • Ordnungstherapie: Diskussion über Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum, Stressmanagement, Entspannungsverfahren, Yoga, Akupunktur.
  • Phytotherapeutische Präparate: Teufelskrallen-Präparate, Aconit-Nervenöl, Nelken-, Rosmarin- oder Minzöl, Johanniskraut-Rotöl, Einreibungen mit capsaicinhaltiger Salbe oder Cayennepfeffer, Senfmehl-Fußbäder.
  • Bewegungstherapie und Krankengymnastik: Trainingstherapie, Walking, Geräte- oder Ergometertraining, Bewegungsbäder, physiotherapeutisch angeleitetes Training, Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitationstherapie (PNF), Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage (z. B. nach dem Bobath-Konzept), Gangschulung, Hilfsmittelversorgung (Fußheberorthesen, orthopädische Schuhe, Gehstock, Rollator), Übungen auf dem Kreisel oder Gangschulung auf weicher Unterlage zur Gleichgewichtsschulung, Posturomed-Training.

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