Vitamin D und Alzheimer-Forschung: Ein Überblick über aktuelle Erkenntnisse

Einführung

Die Alzheimer-Krankheit, eine komplexe neurodegenerative Erkrankung, stellt eine wachsende Herausforderung für die alternde Bevölkerung dar. Trotz intensiver Forschung gibt es bislang keine heilende Medikamententherapie. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig gegenzusteuern. Die Forschung der letzten Jahre hat gezeigt, dass Vitamin D eine wichtige Rolle für die Gesundheit des Gehirns spielen könnte, insbesondere im Zusammenhang mit Demenz und Alzheimer. Dieser Artikel fasst die aktuellen Erkenntnisse zu diesem Thema zusammen und beleuchtet die potenziellen Auswirkungen von Vitamin D und seinen Analoga auf die Prävention und Behandlung von Alzheimer.

Vitamin D-Mangel und Demenzrisiko

Mehrere Studien haben einen Zusammenhang zwischen niedrigen Vitamin D-Spiegeln und einem erhöhten Risiko für Demenz und Alzheimer festgestellt. Eine prospektive Beobachtungsstudie in Neurology (Online) zeigte, dass ältere Menschen mit niedrigen Vitamin D-Konzentrationen ein doppelt so hohes Risiko hatten, an einer Demenz oder einem Morbus Alzheimer zu erkranken. Eine übergreifende Analyse mehrerer Studien mit fast 30.000 Teilnehmern fand einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Vitamin-D-Gehalt des Blutes und dem Risiko einer Demenzerkrankung bzw. speziell der Alzheimererkrankung. Je mehr Vitamin D im Blut war, desto seltener litten die Studienteilnehmer unter einer Demenz.

David Llewellyn von der University of Exeter und Kollegen untersuchten die medizinischen Daten von mehr als 1600 Menschen über 65 Jahren, die an der amerikanischen Cardiovascular Health Study teilnahmen. Die Probanden waren zu Beginn der Studie frei von Demenz- oder Alzheimeranzeichen. Über sechs Jahre hinweg beobachteten die Wissenschaftler, wer dennoch eines der Krankheitsbilder entwickelte. Dabei fanden sie heraus, dass Menschen, die unter einem moderaten Vitamin-D-Mangel litten, offenbar ein 53 Prozent höheres Risiko aufwiesen, an Demenz zu erkranken. Für die Alzheimerkrankheit war dieses Risiko mit knapp 70 Prozent noch höher. Versuchsteilnehmer mit starken Mangelerscheinungen erkrankten sogar mit einer mehr als doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit an Alzheimer oder einen anderen Form der Demenz. Den Schwellenwert für dieses Risiko konnten die Forscher auf eine Vitamin-D-Konzentration von unter 50 Nanomol pro Liter im Blut festlegen.

Diese Ergebnisse bedeuten aber nicht, dass zu wenig Vitamin D tatsächlich Demenz verursacht, betonen die Forscher. Auch werden erst weitere klinische Versuche zeigen können, ob regelmäßige Portionen Fisch oder entsprechende Nahrungsergänzungsmittel das Risiko im Umkehrschluss vielleicht wieder senken können.

Mögliche Mechanismen

Wie ein Vitamin D-Mangel die Gedächtniszentren des Gehirns schädigen könnte, ist nicht genau bekannt. Viele Hirnzellen hätten jedoch Rezeptoren für Vitamin D3 und auch das Enzym, 1a-Hydroxylase, das für die Synthese der bioak­tiven Form des Vitamins benötigt werde, sei im Gehirn verbreitet, schreibt Llewellyn. Vitamin D würde auch von Makrophagen benötigt, die im Gehirn für die Beseitigung von Amyloidablagerungen zuständig sind.

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Eine andere Studie untersuchte den Einfluss von Vitamin D auf den Aβ-Anabolismus und -Katabolismus systematisch mittels Expressionsanalysen, Bestimmung von Proteinspiegeln, sowie Enzymaktivitätsmessungen. Im in vivo Mausmodell führte eine leichte bis moderate Vitamin D-Mangelsituation (23%ige Reduktion im Vergleich zu den Kontrolltieren), wie sie typischerweise in der Bevölkerung beobachtet wird, zu einem signifikanten Anstieg von Aβ40 und Aβ42. Dies war auf eine gesteigerte β-Sekretaseaktivität, bedingt durch erhöhte BACE1-Proteinspiegel, zurückzuführen. Die Aβ-Gesamtdegradation war signifikant reduziert. Passend kam es zu einer Expressions- und Aktivitätsreduktion von Neprilysin. In vitro führte eine (supra-)physiologische Calcidiol-Supplementierung in SH-SY5Y- sowie N2a-Neuroblastomzellen zu einer signifikanten Aβ-Reduktion. In Übereinstimmung mit den in vivo Daten war dies auf eine reduzierte β-Sekretase- sowie γ-Sekretaseaktivität zurückzuführen. Die Aβ-Gesamtdegradation war zeitabhängig gesteigert. Dies war auch hier auf eine Erhöhung der Neprilysin-Expression und -Aktivität zurückzuführen.

Zusammenfassend bedingt bereits ein leichter bis moderater Vitamin D-Mangel eine Zunahme der Aβ-Gesamtmenge durch negative Beeinflussung des Gleichgewichts zwischen Aβ-Produktion und -Degradation. Zudem könnte eine Supplementierung bei bereits ausreichender Vitamin D-Versorgung mit dem Ziel einer hochnormalen Calcidiol-Serumkonzentration einen zusätzlichen positiven Effekt auf die Aβ-Homöostase haben.

Vitamin D-Substitution: Nutzen und Risiken

Obwohl Beobachtungsstudien einen Zusammenhang zwischen Vitamin D-Mangel und Demenzrisiko nahelegen, ist es wichtig zu beachten, dass dies kein Beweis für einen kausalen Zusammenhang ist. Es ist noch unklar, ob die Gabe von Vitamin D im Alter Demenzer­krankungen tatsächlich vorbeugen könnte. Dies könnte nur durch eine randomisierte klinische Studie belegt werden. Eine solche Studie steht noch aus.

Die Vitamin D-Substitution im Alter ist in klinischen Studien zur Osteoporose-Prophylaxe untersucht worden, so beispielsweise in der Calcium/Vitamin D Supplementation Study, eine Unterstudie der Women’s Health Initiative). Dort waren 2.034 Frauen im Alter über 65 Jahre auf eine Therapie mit 400 IU Vitamin D3 (plus 1000 mg Kalzium) oder Placebo randomisiert worden. Eine kürzlich veröffentlichte Post-hoc-Analyse ergab nun, dass in den ersten 7,8 Jahren der Vitamin D-Substitution nicht weniger, sondern tendenziell sogar mehr Demenzerkrankungen auftraten (J Am Geriatr Soc. 2012; 60: 2197-2205).

Eine Post-hoc-Analyse ist aus statistischen Gründen mit einem Fragezeichen zu versehen.

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Vitamin-D-Analoga: Eine neue Perspektive?

Die Übersichtsarbeit betont die Bedeutung einer ausreichenden Vitamin-D-Versorgung und diskutiert die Besonderheiten der Verabreichung verschiedener Vitamin-D-Analoga im Vergleich zu Vitamin D bei geriatrischen Patientinnen und Patienten, insbesondere bei Personen, die an der Alzheimer-Krankheit leiden. Die Vitamin-D-Analoga zeigen neben ihren vielseitigen Effekten auf Mechanismen, die für die Alzheimer-Krankheit relevant sind, auch potenzielle Auswirkungen auf Komorbiditäten, die im Kontext von geriatrischen Erkrankungen häufig auftreten. Vitamin-D-Analoga wie Alfacalcidol, Paricalcitol, Doxercalciferol, Tacalcitol, Calcipotriol und Eldecalcitol unterscheiden sich in ihren pharmakokinetischen Eigenschaften, d. h. darin, wie sie im Körper aufgenommen, verteilt und abgebaut werden, sowie in ihrer Bindungsaffinität zum Vitamin-D-Rezeptor und ihren möglichen Nebenwirkungen.

Die Ergebnisse der Arbeit diskutieren wichtige Erkenntnisse zur Verwendung von Vitamin-D-Analoga und deren Rolle bei der Prävention und Behandlung von Alzheimer und anderen geriatrischen Erkrankungen und zeigen auf, dass Vitamin-D-Analoga bei bestimmten Personen und Krankheiten einer Vitamin-D-Zugabe überlegen sein könnten.

Orthomolekulare Medizin zur Demenz-Prävention

Ein vielversprechender Weg liegt in der orthomolekularen Medizin. Durch gezielten Einsatz von Vitaminen, Mineralstoffen und anderen Mikronährstoffen lässt sich die Gehirngesundheit aktiv unterstützen - und das Risiko für Demenz nachweislich senken. Studien zeigen: Bestimmte Nährstoffe und Lebensstilfaktoren können nicht nur das Fortschreiten einer beginnenden Demenz verlangsamen, sondern auch präventiv wirken - vor allem, wenn sie frühzeitig und individuell abgestimmt eingesetzt werden.

Die orthomolekulare Medizin wurde in den 1960er Jahren vom zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling geprägt. Der Begriff bedeutet wörtlich „die richtigen Moleküle“ - gemeint ist die Versorgung des Körpers mit optimalen Konzentrationen natürlicher Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralien, Aminosäuren, Fettsäuren etc.), um Gesundheit zu erhalten und Krankheiten vorzubeugen.

Alzheimer entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel schädlicher Prozesse, die jedoch an vielen Stellen durch Nährstoffe positiv beeinflusst werden können. Orthomolekular bedeutet, alle Puzzleteile zu berücksichtigen: Oxidativen Stress reduzieren, Entzündungen dämpfen, Mitochondrien stärken, Gefäßgesundheit und Homocystein optimieren, Neurotransmitter unterstützen und schädliche Proteine abbauen. Kein einzelnes Vitamin wird Alzheimer verhindern - aber das orchestrierte Zusammenspiel vieler Mikronährstoffe plus eines gesunden Lebensstils kann ein robustes Schutznetz spannen, das den Ausbruch der Demenz verzögert oder im Idealfall ganz verhindert.

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Wichtige Mikronährstoffe zur Demenz-Prävention

  • B-Vitamine (B₆, B₁₂, Folsäure): Schützen Nervenzellen, senken Homocystein und beugen Hirnatrophie vor. Hohe Homocysteinwerte durch B-Vitamin-Mangel steigern das Demenzrisiko.
  • Omega-3-Fettsäuren (DHA/EPA): Entzündungshemmende „Brain Food“-Fette, essentiell für Hirnmembranen und Synapsen. Korrelieren mit niedrigerem Demenzrisiko (Fischesser erkranken seltener).
  • Vitamin D: Hormonähnliches „Sonnenvitamin“, wichtig für Immunfunktion und Schutzmechanismen im Gehirn. Mangel erhöht laut Beobachtungsstudien das Alzheimer-Risiko deutlich.
  • Antioxidantien (Vitamin C, E, Selen): Neutralisieren freie Radikale im energiehungrigen Gehirn. Bei Alzheimer häufig zu niedrige Spiegel gemessen.
  • Magnesium: Wichtig für die Signalübertragung zwischen Gehirnzellen und Gedächtnisbildung.
  • Zink & Selen: Spurenelemente, essentiell für Wachstum und Reparatur von Nervenzellen. Ein Mangel an Zink oder Selen stört die Bildung neuer Neuronen und erhöht das Demenzrisiko.
  • Coenzym Q10 & L-Carnitin: Unterstützen die Mitochondrien (Kraftwerke der Zelle).
  • Lithium (Spurenelement): In sehr kleinen Mengen essentiell fürs Gehirn.

Weitere Risikofaktoren und Präventionsmaßnahmen

Neben Vitamin D und anderen Mikronährstoffen gibt es weitere Faktoren, die das Demenzrisiko beeinflussen können. Dazu gehören:

  • Herzinsuffizienz: Zunehmend werden Wechselwirkungen zwischen Herzinsuffizienz und kognitiven Störungen deutlich, da sich beide Erkrankungen auf einen verringerten zerebralen Blutfluss, Entzündungsprozesse und eine neurohumorale Aktivierung zurückführen lassen.
  • Vitamin-B1-Mangel: Das Defizit wirkt sich besonders auf das Nervensystem aus, das seine Energie vollständig aus Kohlenhydraten bezieht. Denn Vitamin B1 ist ein wichtiger Kofaktor für das Schlüsselenzym des Glucoseabbaus und auch essenziell für die Bildung von Acetylcholin.
  • Omega-3-Fettsäuren: Die langkettigen Omega-3-Fettsäuren sind biologisch aktiv, beeinflussen inflammatorische Prozesse und bestimmen die Struktur der Biomembranen. Zudem werden aus DHA Neuroprotektine gebildet, die den kognitiven Abbau im biologischen Alterungsprozess abschwächen. Im Zellkern ist eine inverse Beziehung zwischen einer Verkürzung der Telomere und dem EPA/DHA-Serumspiegel bekannt.
  • Magnesium: Eine unzureichende Versorgung kann eine vaskuläre Demenz verschlechtern.

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