Nerven sind empfindliche Strukturen, deren Funktionsfähigkeit durch verschiedene Einflüsse wie Schnitte, Stichverletzungen oder Quetschungen beeinträchtigt werden kann. Die Prognose für die Heilung hängt vom Ausmaß und der Art der Verletzung ab, wobei eine teilweise Durchtrennung eine deutlich bessere Prognose hat als eine vollständige Durchtrennung.
Ursachen und Häufigkeit von Nervenverletzungen
Nervenverletzungen können durch verschiedene Ursachen entstehen. Verletzungen von Nerven kommen vergleichsweise selten vor. Bei einer Studie über Erdbebenopfer wurden bei etwa 5,8 Prozent der Teilnehmer Nervenverletzungen festgestellt. In der allgemeinen Bevölkerung ist der Anteil der Betroffenen statistisch noch geringer.
Aufbau und Funktion der Nerven
Der Kern von Nerven besteht aus Nervenzellfortsätzen (Axonen), die elektrische Impulse weiterleiten. Sie sind von einer dicken, isolierenden Fett-Eiweiß-Schicht, der sogenannten Myelinscheide oder Markscheide, umhüllt. Im peripheren Nervensystem wird diese von Schwann-Zellen gebildet. Die Myelinscheide ist jedoch nicht durchgängig, sondern weist viele kleine Zwischenräume auf, in denen das Axon frei liegt. Da die Markscheide hier wie zusammengeschnürt aussieht, werden sie auch als Ranviersche Schnürringe bezeichnet. Der gesamte Nerv, einschließlich der versorgenden, größeren Gefäße, wird zudem von einer Bindegewebsschicht, dem Epineurium, umschlossen.
Arten von Nervenverletzungen
Je nach Verletzung des Nervs sind verschiedene Auswirkungen möglich:
- Neurapraxie: Bei einem leichten Trauma (zum Beispiel infolge von langem Liegen auf einer Stelle) kann die Funktion kurzzeitig eingeschränkt sein.
- Axonotmesis: Das gleiche gilt bei Verletzungen wie Quetschungen oder Überdehnungen, wenn die äußerste Gewebeschicht (Epineurium) intakt bleibt, aber das Axon (Nervenzellenfortsatz, der elektrische Nervenimpulse vom Zellkörper weg leitet) unterbrochen ist.
- Neurotmesis: Wird der Nerv komplett durchtrennt, also sowohl Nervenfasern wie Hüllenstruktur, führt dies in der Regel zu einer Funktionseinschränkung des beschädigten Nervs.
Heilungsprozesse und Regenerationsfähigkeit
Nervenverletzungen im Rückenmark oder Gehirn haben meist schlimme Folgen. Sie können nicht so einfach wieder geheilt werden. Dagegen überwinden periphere Nerven, zum Beispiel in den Armen und Beinen, Beschädigungen deutlich besser und erholen sich in vielen Fällen so weit, dass sie wieder voll funktionsfähig sind.
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Dr. med. Martin Wimmer, Neurologe aus München, betonte im Rahmen eines Expertenvortrags, dass es speziell im peripheren Nervensystem immer wieder erstaunliche Wiederherstellungsprozesse gibt. Wird die Ursache der Nervenschädigung behoben, etwa bei chronischen Rückenschmerzen, Polyneuropathie oder Karpaltunnel-Syndrom, können sich Nerven regenerieren. Die Gabe einer Nährstoffkombination aus Uridinmonophosphat (UMP), Vitamin B12 und Folsäure kann eine geeignete unterstützende Behandlungsoption sein.
Diagnostik und Therapie
Zur Diagnose von Nervenverletzungen stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, darunter elektrophysiologische Messungen, mit denen festgestellt werden kann, ob die Nerven normal leiten.
Ist davon auszugehen, dass sich der Nerv von allein wieder erholt, warten Ärzte oft einige Wochen ab. Wichtig ist jedoch, dass regelmäßige Verlaufskontrollen durchgeführt werden.
Ist der Nerv hingegen durchtrennt, ist ein chirurgischer Eingriff notwendig. Bei Nerveneinklemmungen, wie es beispielsweise beim Karpaltunnelsyndrom in der Hand der Fall ist, versucht der Chirurg den Nerv zu entlasten (Nervendekompression), indem er beispielsweise eine Sehne, die auf den Nerv drückt, durchtrennt.
Die operative Behandlung von komplett durchtrennten Nerven kann nur mittels einer End-zu-End-Naht erfolgen. Sind die beiden Enden aufgrund der Verletzung so weit voneinander entfernt, dass der Arzt sie nicht zusammenlegen kann, ist eine Nerventransplantation erforderlich, bei der ein Spendernerv zur Überbrückung des fehlenden Stücks eingenäht wird. Diesen entnimmt der Arzt meist aus dem Nervus suralis, der an der Außenkante des Fußes und des Unterschenkels verläuft.
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Im Anschluss an die Operation muss die operierte Stelle - je nach Operationsart - für zehn Tage bis drei Wochen mit einem Gips ruhiggestellt werden. Über den Zeitpunkt für die Operation entscheidet der Neurologe (Facharzt für Nerven) beziehungsweise Chirurg. Im Falle einer glatten Durchtrennung sollte die Nervennaht bereits in den ersten Stunden nach dem Geschehen gesetzt werden, um eine gute Chance zu haben, dass sich der Nerv wieder regeneriert.
Konservative Behandlungsmöglichkeiten bei Finger-Nervenverletzungen
In den Fällen, in denen ein Finger-Nerv durchtrennt ist, spielen konservative Behandlungsmöglichkeiten eine entscheidende Rolle bei der Genesung. Nach einer durchtrennten Finger-Nerv Verletzung ist es wichtig, dem betroffenen Finger ausreichend Ruhe zu gönnen. Durch das Vermeiden von Belastung und Bewegung wird die Heilung gefördert und das Risiko für weitere Komplikationen minimiert. Physiotherapie spielt eine essentielle Rolle im Prozess der Heilung nach einer Finger-Nerv Verletzung. Durch gezielte Übungen und Techniken werden die Muskeln gestärkt, die Beweglichkeit verbessert und die sensorische Wahrnehmung im betroffenen Bereich wiederhergestellt.
Chirurgische Optionen bei Finger-Nervenverletzungen
Die Entscheidung für einen chirurgischen Eingriff bei einem durchtrennten Finger-Nerv hängt von verschiedenen Faktoren ab. Eine Operation zur Behandlung eines durchtrennten Finger-Nervs kann in Betracht gezogen werden, wenn konservative Behandlungsmethoden nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen oder wenn bestimmte Symptome oder Umstände vorliegen, die eine chirurgische Korrektur erfordern. Bei der Operation eines durchtrennten Finger-Nervs stehen unterschiedliche chirurgische Techniken zur Verfügung, die je nach Art und Schwere der Verletzung angewendet werden.
- Nerventransplantation: Falls ein längerer Nervendefekt vorliegt, kann eine Nerventransplantation erforderlich sein.
- Nervenrekonstruktion: Bei komplexen Nervenverletzungen kann eine umfassendere Rekonstruktion erforderlich sein, um die Funktion des Nervs wiederherzustellen.
Die Wahl der geeigneten chirurgischen Technik richtet sich nach verschiedenen Faktoren wie der Lokalisation der Verletzung, dem Ausmaß des Nervenschadens und den individuellen Bedürfnissen des Patienten.
Heilungsdauer und Rehabilitation nach Finger-Nervenbehandlung
Der Heilungsprozess nach einer Nervendurchtrennung im Finger ist individuell und kann je nach Schwere der Verletzung variieren. In der Regel kann es mehrere Wochen bis Monate dauern, bis die Nervenfasern wieder zusammenwachsen und die Funktion des Nervs teilweise oder vollständig wiederhergestellt ist.
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Die Rehabilitationsmaßnahmen nach einer Finger-Nervenbehandlung sind entscheidend für eine erfolgreiche Genesung. Dazu gehören gezielte physiotherapeutische Übungen, die darauf abzielen, die Beweglichkeit des betroffenen Fingers zu verbessern und die Kraft in der Hand wiederherzustellen. Die regelmäßige Nachsorge und Kontrolluntersuchungen beim Handchirurgen sind ebenfalls wichtig, um den Fortschritt der Heilung zu überwachen und potenzielle Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Durch die konsequente Einhaltung der Rehabilitationsmaßnahmen und der empfohlenen Nachsorge können Patienten mit einem durchtrennten Finger-Nerv optimale Bedingungen für eine erfolgreiche Genesung schaffen.
Mögliche Komplikationen und Risiken
Nach einer Finger-Nerv Behandlung können bestimmte Komplikationen auftreten, die den Heilungsprozess beeinflussen können. Bei der Behandlung von durchtrennten Finger-Nerven können verschiedene Komplikationen auftreten, die den Genesungsprozess verlängern oder beeinträchtigen können. Um diese Komplikationen zu minimieren, ist eine sorgfältige Nachsorge und regelmäßige Kontrolle der Heilung essenziell. Bei starken Schmerzen oder anderen ungewöhnlichen Symptomen sollten Betroffene umgehend ihren Arzt konsultieren. Chirurgische Eingriffe zur Behandlung von durchtrennten Finger-Nerven sind nicht frei von Risiken. Es ist wichtig, dass Patienten sich über potenzielle Risiken im Klaren sind, bevor sie sich für eine Operation entscheiden. Vor einer Operation sollten Patienten mit ihrem Chirurgen ausführlich über mögliche Risiken und Nebenwirkungen sprechen. Ein fundiertes Verständnis der Risiken kann dazu beitragen, informierte Entscheidungen zu treffen und den Erfolg des Eingriffs zu optimieren.
Neuropathische Schmerzen nach Nervenverletzungen
Selbst ausgeheilte Nervenverletzungen hinterlassen häufig chronischen Schmerz und Überempfindlichkeit gegenüber sanften Berührungen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Pharmakologischen Instituts und des Instituts für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) haben nun im Tierversuch gezeigt, dass fehlerhafte „Verschaltungen“ der Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) zu einer bisher noch nicht untersuchten Form sogenannter neuropathischer Schmerzen führen. Sie treten erst im Zuge der Regeneration von Nervenverbindungen beim Ausheilen der Verletzung auf.
Die neuropathischen Schmerzen, die eine interdisziplinäre Forschungsgruppe im Rahmen des Heidelberger Sonderforschungsbereichs (SFB) 1158 „Von der Nozizeption zum chronischen Schmerz“ untersuchte, treten nach traumatischen Verletzungen wie z.B. Quetschungen auf: Dabei sind nicht alle Fasern eines z.B. die Haut versorgenden Nervs geschädigt, daneben gibt es noch intakte Fasern, deren Verbindung zur Haut weiterhin besteht.
Die neuen Ergebnisse zeigen nun, dass die chronischen Schmerzen nicht etwa durch die eigentliche Verletzung entstehen, sondern auf einer fehlerhaften Nervenregeneration sowie auf einer fehlerhaften Wiederherstellung der nervalen Versorgung, der sogenannten Reinnervation, beruhen.
Während sich die taktilen Nervenfasern, die Berührungsreize an Rückenmark und Gehirn weiterleiten, nach der Verletzung nicht oder nur langsam regenerieren - daher das anfängliche Taubheitsgefühl -, sind die schmerzleitenden Fasern dazu schneller in der Lage. Sie nehmen statt der sensorischen Fasern den Platz der gekappten Berührungssensoren in der Haut ein. Die Folge: Jeder taktile Reiz wirkt nun wie ein Schmerzreiz - selbst ein sanftes Streicheln oder das Gefühl von Kleidung auf der Haut kann dann Schmerzen verursachen.
Derzeit gibt es keine Behandlungsmöglichkeit, diese Form von chronischen Schmerzen zielgerichtet zu lindern oder zu verhindern.
Innovative Therapieansätze
Künstliche Matrix zur Nervenregeneration
Wissenschaftler des MPI für Polymerforschung arbeiten an der Entwicklung von Materialien, die das Wachstum von Nervenzellen stimulieren und ihnen helfen, eine Lücke im Nerv wieder zu schließen. Sie verwenden kurze Molekülketten, sogenannte Peptide, die aus den gleichen körpereigenen Bausteinen wie Proteine bestehen. Diese Peptide werden chemisch gezielt hergestellt, sodass sich die Position jedes einzelnen Bausteins genau festgelegen lässt. Im übertragenen Sinne erzeugen sie auf diese Weise an den Molekülen etwas Analoges wie die Noppen und zugehörigen Löcher, die wir von Legosteinen kennen: Ein so synthetisiertes Peptid-Molekül lagert sich am liebsten so mit anderen Peptiden zusammen, dass Noppen und Löcher aufeinandertreffen; nur dann entsteht eine neue stabile Struktur.
Bisher lassen sich mit dieser künstlichen Matrix bereits erste Schädigungen an Nervenbahnen reparieren, wie das Laborexperiment mit einer Maus gezeigt hat. Bis zum Einsatz am Menschen werden noch weitere Optimierungen nötig sein, um das Nervenbahnwachstum noch effizienter zu gestalten.
Chemischer Cocktail zur Förderung der Nervenregeneration
Neurowissenschaftler George Bittner von der Universität von Texas in Austin hat eine neue Behandlungsmethode entwickelt, die dem Nerv hilft, wieder richtig zusammenzuwachsen. Wenn ein Nerv durchtrennt ist, dann werden die beiden Enden ziemlich schnell versiegelt, so dass sie sich nicht mehr richtig miteinander verbinden können. Nervensignale werden kaum noch weitergeleitet - auch dann nicht, wenn der Nerv zusammengeflickt worden ist. Genau das soll der Chemikaliencocktail aus Austin offenbar verhindern. Das Geheimnis liege in der richtigen Reihenfolge, sagt George Bittner. "Zuerst tragen wir eine salzhaltige Lösung auf die Nervenenden auf. Sie verhindert, dass sich die Enden verschließen. Danach nähen wir die Enden zusammen und spülen die Stelle ein paar Minuten mit einer Substanz namens Polyethylenglycol - sie sorgt dafür, dass die beiden Stücke wieder zu einem durchgängigen Strang zusammenschmelzen."
Stammzellen zur Überbrückung von Nervenenden
Giorgio Terenghi von der Universität von Manchester überbrückt die Nervenenden mit einem Röhrchen. Das Röhrchen ist mit körpereigenen Stammzellen ausgekleidet. Mit Hilfe der Stammzellen sollen die Nervenenden viel schneller wieder zusammenwachsen.
Stabilisierung zellinterner Protein-Röhrchen
Wissenschaftler der Selbstständigen Nachwuchsgruppe „Axonales Wachstum und Regeneration“ am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried haben herausgefunden, dass der Stabilisierung zellinterner Protein-Röhrchen eine wichtige Bedeutung beim Wachsen von Nervenzellen zukommt. Wird ein Axon im Peripheren Nervensystem durchgeschnitten, so bildet sich an seiner Spitze ein Wachstumskegel - ganz wie bei einer jungen Zelle -, und das Axon wächst erneut aus. Auch im Zentralen Nervensystem bildet sich an der verletzten Axonspitze eine Verdickung. Anders als beim Wachstumskegel im peripheren Bereich zeigt diese sogenannte Verkürzungsknolle jedoch keinerlei Bestreben zum Weiterwachsen.
Durch Zugabe von Paclitaxel, einem Wirkstoff, der die Mikrotubuli stabilisiert, gelang es den Wissenschaftlern, einer jungen Zelle die Entscheidung abzunehmen, welcher ihrer Fortsätze zum Axon wird. Mithilfe des Wirkstoffs konnten die Mikrotubuli jedes beliebigen Fortsatzes stabilisiert werden, wodurch dieser Fortsatz zum Axon auswuchs.
Hemmung der synaptischen Übertragung
Forschende des DZNE haben herausgefunden, dass zwei Proteine, die für die so genannte synaptische Übertragung zwischen Nervenzellen entscheidend sind, das Auswachsen von Zellfortsätzen verhindern. Die identifizierten Moleküle mit den Namen „Munc13“ und „RIMs“ treten im „präsynaptische Endknöpfchen“ auf, dem äußersten Ende eines Axons. Beide Proteine sind an einem Prozess beteiligt, der als „Vesikel-Priming“ bezeichnet wird und letztlich zur Freisetzung von Neurotransmittern führt, chemischen Verbindungen, über die Nervenzellen miteinander kommunizieren.
Experimente, bei denen die Wissenschaftler diese Proteine sozusagen aktivieren und deaktivieren konnten, zeigten, dass Munc13 und RIMs die Regeneration von Nervenzellen hemmen. Untersuchungen an Nervenzellen von Mäusen mit einer Rückenmarksläsion ergaben, dass die Behandlung mit Baclofen, einem Medikament, das die Erregbarkeit von Nervenzellen und die synaptische Übertragung verringert, tatsächlich Wachstum und Regeneration von Axonen im verletzten Rückenmark anregte.
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