Yoga, eine aus Indien stammende Praxis, die Körperhaltungen (Asanas), Atemübungen (Pranayama) und Meditation kombiniert, erfreut sich im Westen wachsender Beliebtheit. Viele Menschen praktizieren Yoga, um Stress abzubauen, den Rücken zu stärken, fit zu bleiben und das körperliche Wohlbefinden sowie die Psyche zu verbessern. Doch was bewirkt Yoga tatsächlich im Gehirn? Die Wissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten begonnen, diese Frage genauer zu untersuchen.
Yoga und seine vielfältigen Wirkungen
Yoga wirkt gegen Stress, kräftigt den Körper und beruhigt die Gedanken. Einige Menschen schreiben die positiven Effekte der Stärkung des Körpers zu, während andere auf die Atemübungen, die Meditation oder die Kontrolle des Körpers schwören. Die Wissenschaft bestätigt, dass alle diese Bereiche wirkungsvoll sind. Yoga macht gesund und hält jung.
Yoga als Werkzeug für die mentale Gesundheit
Yoga verbindet das physische und mentale Erleben. Die Praxis der Asanas hilft, körperliche Blockaden zu lösen, während Meditation den Geist von belastenden Gedanken befreit. Es ist ein bewährtes Mittel, um Stress zu bewältigen und die Resilienz zu stärken. Wer regelmäßig praktiziert, kann Emotionen besser steuern und bleibt auch in schwierigen Situationen gelassen.
Regelmäßige Meditation und tiefes inneres Fokussieren helfen, automatische negative Denkmuster zu durchbrechen. Dies führt zu einer höheren Selbstwahrnehmung und einem positiven Lebensgefühl.
Wissenschaftliche Studien zur Wirkung von Yoga auf das Gehirn
Zahlreiche Studien belegen die gesundheitlichen Vorteile von Yoga. Um die Wirkmechanismen genauer zu verstehen, schieben Wissenschaftler Probanden in die Röhre eines Magnetresonanztomografen (MRT), vermessen Hirnregionen und untersuchen, wie Yoga die Gehirnströme verändert.
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Auswirkungen auf die Gehirnstruktur
Mehrere Studien haben konsistent nachgewiesen, dass langjährige Yogapraxis anatomische Veränderungen im frontalen Kortex, im Hippocampus, im anterioren cingulären Kortex und in der Insula auslöst. Diese Hirnregionen sind unter anderem für kognitive Kontrolle, Koordination von Bewegungen und Bewertung von Entscheidungen zuständig.
Eine Studie aus dem Jahr 2011 der Universität Harvard ergab, dass eine tägliche, 30-minütige Meditation schon nach acht Wochen einen verblüffenden Effekt hatte: Die Gehirne der 50-jährigen Probanden hatten ähnlich viel Graue Substanz (GS) wie die von 25-Jährigen.
Auswirkungen auf die Gehirnfunktion
Unterschiede in der Gehirnfunktion wurden im dorsolateralen präfrontalen Kortex gefunden, der bei Yoga-Praktizierenden unter kognitiver Belastung signifikant weniger aktiviert wurde. Mehrere Studien fanden nach Absolvierung einer Yoga-Einheit eine Zunahme des Default-Mode-Netzwerks, was direkt mit der Gedächtnisleistung korreliert.
Eine weitere Arbeit kanadischer Sportwissenschaftlerinnen wertete insgesamt 32 Studien zum Thema Yoga aus. Sie wiesen nach, dass sich durch die Rekrutierung von Insula, Amygdala und Hippocampus die Aufmerksamkeit erhöht und Stress durch eine bessere Kontrolle sensomotorischer Rhythmen verringert wird. Dadurch verbessern sich die Lernrate, die sensorische Wahrnehmung, die Interozeption sowie die Geschwindigkeit und Genauigkeit beim Lösen motorischer Aufgaben. Gleichzeitig steigt die parasympathische Aktivität, was sich u. a. auf die Schmerztoleranz und auch die Katastrophisierung vor Schmerz auswirkt.
Yoga und Alpha-Wellen
Yogapraktizierende weisen nach Meditation, Atemübungen und Asanas eine höhere Frequenz von Alphawellen auf. Diese Hirnwellen sind relativ langsam und versetzen das Hirn in einen Ruhezustand, in dem es gemächlicher schwingt und dadurch mehr aufnehmen kann.
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Yoga und Dopamin
Im ventralen Striatum, einem Teil des Vorderhirns, steigt der Botenstoff Dopamin während Meditationsübungen stark an. Dopamin ist ein körpereigener Stimmungsaufheller und stimuliert wichtige kognitive Prozesse im präfrontalen Kortex.
Yoga und Stresshormone
Studien zeigen, dass Yoga das sympathische Nervensystem (verantwortlich für die „Kampf-oder-Flucht“-Reaktion) beruhigt und das parasympathische Nervensystem aktiviert, das für Entspannung und Regeneration zuständig ist. Durch Atemtechniken wie Pranayama und Achtsamkeitsmeditation kann das Stresshormon Cortisol gesenkt werden. Ein achtwöchiges Hatha-Yoga-Programm senkt den Blutspiegel des Stresshormons Kortisol deutlich mehr als Stretching.
Yoga und neurodegenerative Erkrankungen
Neuere Forschungen belegen, dass Yoga nicht nur Gedächtnis und Konzentration verbessern kann, sondern sogar Demenzerkrankungen wie Alzheimer entgegenwirken soll.
Yoga bei leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI)
In einer 2016 publizierten Studie erforschte Dr. Helen Lavretsky den Zustand von Patienten über 55, die schon an leichter kognitiver Beeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI) litten und daher ein erhöhtes Risiko hatten, irgendwann an Demenz zu erkranken. Nach einem 12-wöchigen Yogaprogramm waren sie ausgeglichener und ihr visuelles und verbales Gedächtnis hatte sich messbar verbessert - ein Effekt, der sechs Monate lang anhielt. In bildgebenden Verfahren konnte man sehen, dass insbesondere die Verbindungen im Default-Mode-Network von dem Kurs profitiert hatten.
Wie Yoga die Neuroplastizität fördert
Lavretsky ist überzeugt, dass die positiven Veränderungen im Gehirn vor allem damit zusammenhängen, dass die Testpersonen im Yogakurs ihnen unbekannte Bewegungen einübten. Etwas zu lernen, legt nämlich neue neuronale Pfade an und verbessert so die Neuroplastizität, also die Fähigkeit des Gehirns, sich selbst zu erneuern.
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Yoga und Entzündungsreaktionen
Entzündungsreaktionen spielen offenbar eine beträchtliche Rolle beim Schwund von Gehirnzellen - und häufig stehen sie in Zusammenhang mit dem Stresshormon Cortisol. Der Alzheimer-Experte Bredesen ist deswegen überzeugt: “Es ist ganz entscheidend, dass du für ausreichend Ruhe und Entspannung sorgst und dein Nervensystem gut regulieren kannst” - und dafür sind ganzheitliche Körper-Geist-Praktiken wie Yoga und Meditation prädestiniert.
Yoga und Schlaf
Das Allerwichtigste, was wir für unser Gehirn tun können, ist nach Emmons‘ Ansicht tiefer, erholsamer Schlaf. Im Tiefschlaf verarbeitet das Gehirn aktuelle Erinnerungen und verlagert sie ins Langzeitgedächtnis. Eine vor einigen Jahren in der Zeitschrift Science veröffentlichte Studie zeigte außerdem einen wichtigen Zusammenhang mit dem Plaques bildenden Beta-Amyloid: “Wenn im Tiefschlaf das Gehirn zur Ruhe kommt, werden die Hirnzellen kleiner. Das schafft Raum für die Kanäle, durch die die verschiedenen Nebenprodukte des Stoffwechsel abfließen können,” erklärt Emmons. Eine ausgewogene Asana-Praxis während des Tages kann den nächtlichen Schlaf verbessern.
Yoga und körperliche Bewegung
Körperliche Bewegung hat bekanntermaßen eine Fülle positiver Wirkungen auf das Gehirn: Sobald die Herzrate steigt, können Stresshormone besser abgebaut werden. Außerdem hilft sie, die sogenannte Entspannungsreaktion zu verbessern, also die Fähigkeit, sich auch in aufreibenden Situationen wieder zu beruhigen und das parasympathische Nervensystem zu aktivieren. Auf chemischer Ebene verbessert Sport die Insulinsensitivität (laut Bredesen ein bedeutender Risikofaktor für Alzheimer) und unterstützt die Wirkung des Wachstumsfaktors BDNF (brain-derived neurotrophic factor), ein Protein, das bestehende Neuronen schützt und das Wachstum von neuen fördert.
Auch mit weniger “anstrengenden” Formen von Yoga kann man ähnliche Effekte erzielen, wie Dr. Helen Lavretsky in ihren Forschungen gezeigt hat: Einmal wöchentlich eine 60-minütige Kundalini-Yogaklasse mit Asanas und Meditation, kombiniert mit einer täglichen, 12-minütigen Kirtan-Kriya-Meditation verbessert demnach messbar die Konnektivität im Gehirn.
Yoga und Ernährung
Gesundes Essen ist ein weiterer wichtiger Schlüssel im Kampf gegen Demenzerkrankungen. Eine vorwiegend pflanzliche Ernährung mit vielen gesunden Fetten, dafür aber wenig Zucker und Kohlenhydraten wird empfohlen. Auch regelmäßige Fastenkuren und ayurvedische Gewürze und Heilmittel wie Kurkuma, Ashwagandha, Brahmi und Gotu Kola können Vergesslichkeit gezielt entgegenwirken, die Konzentrationsfähigkeit zu verbessern und Entzündungsreaktionen zu reduzieren.
Die Bedeutung von Prävention
Je früher im Leben man beginnt vorzubeugen und aktiv etwas für die Gesundheit von Gehirn und Nerven zu tun, desto besser. Alzheimer entwickelt sich typischerweise in vier Stadien - und gerade in den ersten beiden kann man mit Änderungen im Lebensstil noch sehr viel erreichen.
Kritik und Einschränkungen der Forschung
Obwohl zahlreiche Studien positive Effekte von Yoga auf das Gehirn zeigen, gibt es auch Kritik und Einschränkungen:
- Definition von Yoga: Was genau "Yoga" ist, ist schwer zu sagen, da es unterschiedliche Stile mit unterschiedlichen Schwerpunkten gibt.
- Confounder: Es ist schwierig zu bestimmen, wodurch die positiven Effekte zustande kommen. Liegt es an den körperlichen Übungen, der Konzentration auf den Atem, dem Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, oder dem Lehrer?
- Ursache-Wirkungs-Verhältnis: Es ist unklar, ob Yoga die Veränderungen im Gehirn verursacht oder ob Menschen mit bestimmten Gehirnstrukturen eher dazu neigen, Yoga zu praktizieren.
- Kleine Stichprobengrößen: Viele Studien haben nur eine kleine Anzahl an Probanden, was die Aussagekraft der Ergebnisse einschränkt.
- Mangel an Langzeitstudien: Es gibt nur wenige Langzeitstudien, die die langfristigen Auswirkungen von Yoga auf das Gehirn untersuchen.
Tipps für den Einstieg ins Yoga
- Perfektionismus beiseitelegen: Beim Yoga geht es nicht um Leistung, sondern um die Entwicklung von Bewusstheit für den eigenen Körper, die Emotionen und den Geist.
- Auf den Atem achten: Die Stellungen entfalten ihre volle Wirkung dadurch, dass sie mit bewusstem Atmen und voller Aufmerksamkeit ausgeführt werden.
- Sich nicht überfordern: Gehen Sie nur so weit, dass Sie noch ruhig atmen können.
- Sich aufwärmen: Wichtig ist, sich vor den einzelnen Übungen aufzuwärmen.
- Vorsicht bei fortgeschrittenen Stellungen: Werden Kopfstand oder starke Rückwärtsbeugen nicht richtig ausgeführt, kann man sich leicht verletzen.
- Qualifizierte Anleitung suchen: Der sicherste Einstieg ist die Teilnahme an einem Kurs unter qualifizierter Anleitung.
- Arzt konsultieren: Bei Beschwerden sollte man vor einem Yogakurs den Arzt fragen.