Was tun bei Polyneuropathie: Behandlung, Symptome und Ursachen

Polyneuropathien sind Erkrankungen des peripheren Nervensystems, das alle außerhalb des Zentralnervensystems liegenden Anteile der motorischen, sensiblen und autonomen Nerven mit den sie versorgenden Blut- und Lymphgefäßen umfasst. Die meisten Polyneuropathien sind keine eigenständige Erkrankung, sondern das Erkennbarwerden einer anderen zugrunde liegenden Erkrankung. Daher sind auch die Ursachen vielgestaltig und es gibt unterschiedliche Schweregrade.

Was ist Polyneuropathie?

Bei einer Polyneuropathie handelt es sich um eine Erkrankung des peripheren Nervensystems. Also der Nerven, die außerhalb von Gehirn und Rückenmark verlaufen und dafür verantwortlich sind, Berührungen, Temperatur oder Schmerzempfindungen wahrzunehmen sowie die Bewegungen der Muskeln zu steuern. Bei Menschen mit einer Polyneuropathie sind mehrere periphere Nerven geschädigt. Dadurch ist die Weiterleitung von Signalen zwischen Gehirn, Rückenmark und den übrigen Körperregionen beeinträchtigt - und zwar sowohl in Richtung der Gliedmaßen als auch zurück zum Zentralen Nervensystem (ZNS). Circa fünf Prozent aller Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Polyneuropathie. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko zu erkranken kontinuierlich an; bei Menschen über 80 Jahren auf bis zu 35 Prozent.

Ursachen von Polyneuropathie

Die Wissenschaft kennt hunderte mögliche Auslöser von Polyneuropathien. Dabei wird zwischen erworbenen und angeborenen Formen unterschieden, wobei die angeborenen sehr viel seltener sind. Zu den häufigsten Ursachen von erworbenen Polyneuropathien zählen Diabetes mellitus und eine toxische Polyneuropathie aufgrund von übermässigem Alkoholkonsum. Beim Diabetes mellitus geht man davon aus, dass kleinste Gefässe geschädigt werden, welche für die Versorgung der Nerven zuständig sind und dadurch die Nerven nicht mehr ausreichend versorgt werden. Diabetes ist ausserdem die häufigste Ursache für eine Small-Fiber-Neuropathie, bei welcher die kleinsten temperatur- und schmerzempfindlichen Nerven in der Haut, meist in Händen oder Füssen, geschädigt werden. Auch rheumatische Erkrankungen können eine Small-Fiber-Neuropathie verursachen. Die Vorgänge sind noch nicht vollständig geklärt. Bei gesunden Personen wachsen die feinen Hautnerven mit der Erneuerung der Haut immer wieder nach. Verschiedene Stoffwechsel- und Versorgungsstörungen können dieses Gleichgewicht von Auf- und Abbau der Nerven stören, wodurch die Anzahl kleiner Nerven in der Haut abnimmt. Menschen mit Niereninsuffizienz, insbesondere Dialysepatienten, leiden ebenfalls oft an einer Polyneuropathie. Zu den weiteren, wenn auch selteneren Ursachen gehören Infektionen, Nährstoffmangel (insbesondere Vitamin B12) sowie Tumorerkrankungen. Es können Personen jeden Alters betroffen sein.

Folgende Grunderkrankungen sind häufig mit einer Polyneuropathie assoziiert:

  • Diabetes mellitus
  • Alkoholmissbrauch
  • Entzündungen (Borreliose, Lepra)
  • Leber-, Nieren- und Lungenerkrankungen
  • Hämatologische und rheumatologische Erkrankungen
  • Tumorerkrankungen
  • Bestimmte Medikamente
  • Langzeitbehandlung auf einer Intensivstation
  • Organtransplantationen

Eine Vielzahl von Medikamenten und weiteren Substanzen kann eine „exotoxische“ Polyneuropathie verursachen. Dazu gehören u.a. verschiedene Chemotherapeutika, Antibiotika, Immun-Checkpoint-Inhibitoren.

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Symptome einer Polyneuropathie

Typische Symptome einer Polyneuropathie sind sensible Reizerscheinungen wie Kribbeln, Ameisenlaufen, Stechen, Elektrisieren und sensible Ausfallerscheinungen wie Pelzigkeitsgefühl, Taubheitsgefühl, Gefühl des Eingeschnürtseins, Schwellungsgefühle sowie das Gefühl, wie auf Watte zu gehen. Oft bestehen eine Gangunsicherheit, insbesondere im Dunkeln, und ein fehlendes Temperaturempfinden mit schmerzlosen Wunden. Erste Anzeichen einer Polyneuropathie sind häufig Gefühlsstörungen an den Füssen oder Beinen. Im Verlauf der meisten Polyneuropathien breiten sich die Symptome aus und es können Schmerzen und Muskelschwächen dazu kommen. Im Fall einer Small-Fiber-Neuropathie hingegen bleibt es meist bei Gefühlsstörungen und Schmerzen in den Beinen. Muskeln oder grössere Nervenfasern sind nicht betroffen. Welche Nerven betroffen sind und wie sich die Beschwerden ausbreiten, ist abhängig von der Ursache für die Nervenschäden. Bestehen die Beschwerden bei Polyneuropathien über längere Zeit und verschlimmern sich, entwickeln Betroffene oft einen unsicheren Gang oder falsche Bewegungsmuster. Dadurch werden die Muskeln nicht mehr richtig benutzt und schrumpfen oder verkürzen sich, was die Instabilität der Körperhaltung zusätzlich verstärkt. Wenn die Wahrnehmung von Temperaturveränderungen oder Schmerz eingeschränkt ist, besteht zudem ein grösseres Verletzungsrisiko und Betroffene laufen Gefahr, Druckstellen oder Wunden nicht zu bemerken. Langfristig können so schwere Entzündungen oder Geschwüre entstehen.

Je nachdem, welche Nerven betroffenem sind, stehen unterschiedliche Beschwerden im Vordergrund:

  • Schäden an den sensiblen Nerven (Empfindungsnerven): Sensible Nerven übermitteln Informationen von der Haut zum Gehirn. Bei Beeinträchtigungen treten oft stechende oder brennende Schmerzen auf. Betroffene haben das Gefühl, als ob tausende Ameisen über ihre Haut krabbeln. Manchmal entwickeln sie eine Überempfindlichkeit, bei der selbst leichte Berührungen (Allodynie) schmerzhaft sein können.
  • Schäden an den kleinen Nervenfasern: Diese Nerven vermitteln Schmerz-, Temperatur- und Berührungsempfindungen. Bei Nervenschäden nehmen Betroffene Hitze, Kälte und Schmerzen nur noch abgeschwächt oder gar nicht mehr wahr. Zusätzlich treten oft Taubheitsgefühle auf, besonders in Händen und Füßen. Die Haut fühlt sich pelzig und fremd an. Als Folge steigt die Verletzungsgefahr erheblich: So wird beispielsweise die Wassertemperatur beim Duschen oder Baden nicht mehr als zu heiß empfunden. Auch kleine Verletzungen wie Schnittwunden, Brandblasen oder Druckstellen bleiben oftmals unbemerkt und werden erst spät entdeckt. Dadurch erhöht sich das Risiko für Entzündungen oder chronische Wunden.
  • Schäden an motorischen Nerven: Motorische Nerven steuern die Muskeln. Sind sie betroffen, können die Impulse, welche die Muskeln zum Bewegen anregen, nicht mehr richtig weitergeleitet werden. Die Folge sind Muskelschwäche oder Lähmungen, insbesondere in den Beinen und Füßen. Bei einigen Menschen sind auch in die Arme und Hände betroffen. Langfristig kann die fehlende Nutzung der Muskeln zu einem Abbau der Muskelmasse führen, was die Bewegungsfähigkeit weiter einschränkt.
  • Schäden an den autonomen Nerven: Autonome Nerven steuern das vegetative Nervensystem. Sind sie geschädigt, können sie Kreislaufprobleme wie Schwindel oder Ohnmacht beim Aufstehen verursachen. Zudem kann die Verdauung beeinträchtigt sein, was zu Symptomen wie Verstopfung, Durchfall oder Inkontinenz führen kann. Auch Probleme mit der Blase, etwa eine Blasenschwäche oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen, sind durch die Nervenschäden möglich.

Diagnose von Polyneuropathie

Die klinische Diagnose einer Polyneuropathie wird anhand von Anamnese und dem klinisch-neurologischen Befund gestellt. In der Krankengeschichte wird nach typischen Symptomen, dem Erkrankungsverlauf, nach Vorerkrankungen und Begleiterkrankungen sowie nach der Familienanamnese gefragt. In einer neurologischen Untersuchung werden Muskelkraft, Sensibilität und Muskeleigenreflexe geprüft. Am häufigsten beginnen die Symptome und Ausfälle an den unteren Extremitäten, meist an den Füßen oder Fußspitzen. In einer klinischen Untersuchung stellt man häufig abgeschwächte oder ausgefallene Muskelreflexe (insbesondere Achillessehnenreflex) und schlaffe Lähmungen fest. An den Extremitäten können sich Sensibilitätsstörungen socken-, strumpf- oder handschuhförmig ausbreiten. Zu den weiteren Symptomen gehört einerseits eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit, z. B. auf Berührung, Wärme oder Kälte. Je nach Schädigung der Nerven kann aber auch das Berührungs- und Schmerzempfinden abgeschwächt sein. Bei der neurophysiologischen Untersuchung mit Elektroneurographie (ENG) werden mit Stromimpulsen periphere Nerven stimuliert und Antworten von Muskeln oder sensiblen Fasern abgeleitet. Damit lässt sich die Art der Nervenschädigung feststellen. Die Elektromyographie (EMG) untersucht Muskeln mit Nadeln und stellt so das Ausmaß der Schädigung fest.

Die Grundlage der Diagnose bildet die Krankheitsgeschichte des Patienten. Neben den Beschwerden kommen dabei auch Themen wie Alkoholkonsum, Zuckerkrankheit, Medikamenteneinnahme, frühere Infektionen sowie Nervenerkrankungen in der Familie zur Sprache. Danach prüfen die Fachärzte im Rahmen einer neurologischen Untersuchung die Sensibilität der Nerven, die Muskelkraft und die Reflexe. Um die Art und das Ausmass der Nervenschädigung zu bestimmen, gelangen mitunter auch elektrophysiologische Untersuchungen zum Einsatz. Dazu werden Elektroden an der betreffenden Körperstelle angebracht und ein Nerv mit ganz wenig Strom angeregt. Mit den Elektroden kann nun gemessen werden, wie stark und wie schnell das Signal durch den Nerv weitergeleitet wird. Bei der Small-Fiber-Neuropathie ist die Entnahme einer Gewebeprobe der Haut (Hautstanzbiopsie) notwendig, da die kleinen Nerven der Haut nicht mit einer elektrophysiologischen Untersuchung erfasst werden können. Unter lokaler Betäubung werden an Ober- und Unterschenkel einige Hautproben entnommen. Anhand dieser Proben kann im Labor die Nervendichte in der Haut bestimmt werden. Bei Menschen mit Small-Fiber-Neuropathie werden im Laboruntersuch meist weniger kleine Nerven in der Haut entdeckt. Zudem ist die Funktion der verbleibenden Nerven oft eingeschränkt. Nachdem die Art der Schädigung festgestellt wurde, gilt es die Ursache zu finden. Aufgrund der zahlreichen möglichen Auslöser, ist dies nicht immer einfach. Ausserdem muss eine umfassende Laboruntersuchung von Blut und Urin gemacht werden, um die Ursache zu klären und andere Erkrankungen auszuschliessen. In seltenen Fällen werden bildgebende Verfahren, wie die Magnetresonanztomographie (MRT) eingesetzt, um Nerven und Muskeln abzubilden oder Gewebeproben von Nerven entnommen.

Zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt. Mit einer Stimmgabel prüft der Neurologe das Vibrationsempfinden. Bei der standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz. Die Untersuchung einer Gewebeprobe kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen. Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Sie werden unter dem Namen Small-Fiber-Neuropathien zusammengefasst. Die Nervenleitgeschwindigkeit, die die Funktion von dickeren Nerven misst, ist dann oft unauffällig. Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden.

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Behandlung von Polyneuropathie

Entscheidend ist stets die Behandlung der Grunderkrankung, z. B. bei Diabetes mellitus eine Verbesserung der Blutzuckereinstellung, das strikte Vermeiden von Alkohol oder die Behandlung einer Tumorerkrankung. Bei autoimmunvermittelten, entzündlichen Polyneuropathien gibt es verschiedene gegen die Entzündung wirkende Medikamente (Immunglobuline, Kortikoide, Immunsuppressiva). Bei schweren Verläufen kann auch eine Blutwäsche durchgeführt werden. Bei erblichen Neuropathien gibt es bisher keine Therapie. Bei ca. einem Viertel der Polyneuropathien kann die Ursache nicht geklärt werden, meist haben diese Formen jedoch eine gute Prognose. Reizerscheinungen und Muskelkrämpfe lassen sich mit verschiedenen Medikamenten dämpfen. In Abhängigkeit von der Ursache besteht nur begrenzt die Aussicht auf Heilung. Zum Beispiel sind die weniger häufig vorkommenden entzündlichen Neuropathien mit Medikamenten meist sehr gut zu behandeln, akute Formen heilen oft komplett aus.

Die Therapie der Polyneuropathie umfasst kausale Ansätze zur Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung und symptomatische Ansätze zur Therapie von im Rahmen der Polyneuropathie auftretenden Beschwerden. Zu Beginn der Behandlung sollten stets alle kausalen Therapieoptionen ausgeschöpft werden, um einen weiteren Progress zu verhindern. Im klinischen Alltag kommen vor allem symptomatische Ansätze zur Behandlung der verschiedenen sensiblen, motorischen und autonomen Symptome zum Einsatz. Etwa 50 % aller Polyneuropathien gehen mit Schmerzen einher. Diese neuropathischen Schmerzen entstehen als direkte Folge einer Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems. Nach Nervenschädigung kommt es zu Veränderungen der primär betroffenen und umgebenden Nervenzellen mit daraus resultierender gesteigerter Erregbarkeit primärer Afferenzen (periphere Sensibilisierung) und verstärkter Erregbarkeit multirezeptiver Neurone im Rückenmark (zentrale Sensibilisierung).

Kann als Ursache eine bestimmte Krankheit identifiziert werden, konzentriert sich die Therapie darauf, diese Grunderkrankung zu behandeln. Liegt der Polyneuropathie hingegen eine nicht behandelbare Krankheit zugrunde oder bleiben ihre Ursachen im Dunkeln, fokussiert sich die Therapie auf die Symptombehandlung. Im Vordergrund steht dabei die Schmerzlinderung.

Medikamentöse Therapie neuropathischer Schmerzen

Zur Linderung neuropathischer Schmerzen stehen verschiedene medikamentöse Ansätze zur Verfügung, die auf die zugrunde liegenden Pathomechanismen abzielen. Eine komplette Schmerzfreiheit kann mit den derzeit verfügbaren Medikamenten in der Regel nicht erzielt werden. Die oralen Medikamente sollten langsam aufdosiert und je nach Nebenwirkungen individuell titriert werden. Patienten sollten darüber aufgeklärt werden, dass die analgetische Wirkung zeitverzögert eintritt.

Die aktuelle S2-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) empfiehlt die Antikonvulsiva Gabapentin und Pregabalin sowie trizyklische Antidepressiva (TCA) und Duloxetin als Mittel der ersten Wahl zur Therapie neuropathischer Schmerzen.

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  • Gabapentin und Pregabalin: Laut aktueller S2-Leitlinie der DGN sollen Gabapentin und Pregabalin als Mittel der ersten Wahl zur Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden, unabhängig von der Ätiologie. Nebenwirkungen unter der Therapie sind häufig und umfassen vor allem zentralnervöse Effekte wie Schwindel, Schläfrigkeit, Konzentrations- und Gleichgewichtsstörungen, die nicht selten zum Therapieabbruch führen.
  • Carbamazepin, Oxcarbazepin, Lamotrigin und Topiramat: Aufgrund der geringen Evidenz und häufiger Nebenwirkungen werden Carbamazepin und Oxcarbazepin laut Leitlinie nicht zur Behandlung von schmerzhaften Polyneuropathien empfohlen. Bei Versagen von Gabapentin und Pregabalin kann im Einzelfall ein Off-label-Versuch erfolgen, vor allem bei einschießenden Schmerzattacken. Topiramat und Lamotrigin sollten im Allgemeinen nicht zur Therapie neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden.
  • Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Duloxetin und Venlafaxin): Laut Leitlinie sollten TCA als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. Insbesondere bei begleitenden Schlafstörungen kann sich Amitriptylin aufgrund seines sedierenden Effekts günstig auswirken. Duloxetin ist in Deutschland als Mittel der ersten Wahl für die Behandlung der schmerzhaften DPN zugelassen. Venlafaxin hat in Deutschland keine Zulassung für die Behandlung neuropathischer Schmerzen, es kann jedoch in Einzelfällen „off label“ eingesetzt werden.
  • Topika (Capsaicinpflaster und Lidocainpflaster): Ein Vorteil der Topika ist die geringe systemische Nebenwirkungsrate und somit gute Verträglichkeit, sodass der Einsatz vor allem für ältere Patienten empfohlen wird. Die S2-Leitlinie empfiehlt das Hochdosispflaster als zweite Wahl zur Therapie neuropathischer Schmerzen, bei lokalisierten Schmerzen auch als Primärtherapie. Laut Leitlinie können Lidocainpflaster in der Therapie lokalisierter neuropathischer Schmerzen als zweite Wahl eingesetzt werden (bei postherpetischer Neuralgie gegebenenfalls als erste Wahl), bei allen anderen Neuropathien „off label“.
  • Botulinumtoxin(BTX)-Injektionen: Insgesamt wurde aufgrund der unzureichenden Datenlage eine Level-B-Empfehlung für BTX bei DPN ausgesprochen.
  • Opioide: In der NeuPSIG-Leitlinie werden niederpotente Opioide als zweite Wahl und hochpotente Opioide als dritte Wahl empfohlen. Das niederpotente Tramadol hemmt neben seiner Wirkung am µ‑Rezeptor die Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme. Tapentadol wirkt zusätzlich über eine Noradrenalinwiederaufnahmehemmung.

Weitere Therapieansätze

  • Physikalische Therapie: Die physikalische Therapie hilft bei der Schmerzbekämpfung, vor allem gegen die sensiblen und motorischen Störungen einer Polyneuropathie. Mit Hilfe verschiedener Anwendungen soll die Durchblutung verbessert, die geschwächten Muskeln gestärkt und die Mobilität längstmöglich aufrechterhalten werden.
  • Physiotherapie: Da Polyneuropathien häufig mit einer sensiblen Ataxie und motorischen Ausfällen einhergehen, sollte die medikamentöse Therapie um physiotherapeutische Maßnahmen ergänzt werden. Ziele sind unter anderem die Verbesserung von Stand, Gang und Gleichgewicht sowie ein gezieltes Training der Muskelkraft.
  • Ergotherapie: Zur Verbesserung der Feinmotorik können ergotherapeutische Maßnahmen eingesetzt werden.
  • Ernährung: Völlegefühl, Übelkeit und Erbrechen lassen sich durch häufige kleinere Mahlzeiten vermeiden. Gegen Verstopfungen helfen reichlich Flüssigkeit und eine ballaststoffreiche Ernährung, die mit körperlicher Bewegung ergänzt werden sollte.
  • Weitere Maßnahmen: Das Schlafen mit erhobenem Oberkörper und das Tragen von Stützstrümpfen helfen in einigen Fällen, das Schwindelgefühl beim Aufstehen zu vermindern. Ebenso hilfreich ist, das langsame Aufstehen sowie ein regelmäßiges Muskeltraining. Patienten mit bekannter Blasenschwäche sollten in regelmäßigen Abständen (z.B. alle drei Stunden) zur Toilette gehen. Eine Potenzschwäche (erektile Dysfunktion) kann neben dem Diabetes mellitus auch die Folge von Medikamenten - zum Beispiel von Antidepressiva - sein. Gegen eine Trockenheit der Scheide gibt es spezielle Gleitmittel und Gele.

Behandlung spezifischer Polyneuropathie-Formen

  • Diabetische Polyneuropathie: Ist die Nervenschädigung eine Folge von Diabetes mellitus, verhindert eine optimale Blutzuckereinstellung das rasche Fortschreiten der Erkrankung. Daneben gibt es gewisse Medikamente, welche die Beschwerden zu lindern vermögen.
  • Toxische Polyneuropathie (Alkoholismus): Hat die Polyneuropathie ihre Ursache im übermässigen Alkoholkonsum, ist der vollständige Verzicht die wichtigste Massnahme. Daneben ist zu prüfen, ob der oder die Betroffene aufgrund einer vernachlässigten Ernährung an einem Vitaminmangel leidet, welcher die Nerven zusätzlich schädigt. Bestimmte Vitaminpräparate helfen, die geschädigten Nerven zu regenerieren und die Schmerzen zu verringern.
  • Infektiös bedingte Polyneuropathien: Polyneuropathien, die aufgrund einer Infektion wie beispielsweise Masern, Lepra, HIV, Hepatitis B, C und E, Borrelien oder Diphtherie entstanden sind, lassen sich in der Regel (bei Masern nicht) erfolgreich mit Antibiotika behandeln.
  • Angeborene Polyneuropathien: Je nachdem um welche Erkrankung es sich handelt stehen heute Medikamente zur Verfügung, die ein überaktives Immunsystem bei entzündlichen Erkrankungen unterdrücken (Immunsuppressiva). Auch können unter anderem heute seltene Erkrankungen, die Fabry Erkrankung und die Amyloidose, teils behandelt werden.
  • Polyneuropathien unbekannter Ursache: Bei der Behandlung von Polyneuropathien unbekannter Ursache steht die Schmerztherapie im Zentrum. Als wirksam haben sich etwa die trizyklischen Antidepressiva erwiesen, mit welchen auch depressive Erkrankungen behandelt werden. Dasselbe gilt für Antikonvulsiva, die sonst der Behandlung von Krampfanfällen dienen. Einige Betroffene, die auf herkömmliche Behandlungen nicht ansprechen, können mit einer elektrischen Rückenmarkstimulation wirksam behandelt werden.

Alltag mit Polyneuropathie

Der Alltag mit einem eingeschränkten Temperatur- und Schmerzempfinden kann herausfordernd sein und erfordert besondere Vorsicht und Vorsorge, um Verletzungen zu vermeiden und frühzeitig zu erkennen sowie um Stürze zu vermeiden.

Wie kann ich Verletzungen frühzeitig erkennen?

Kontrollieren Sie täglich sorgfältig Ihre Hände und Füße und achten Sie auf Rötungen, kleine Schnitte oder Druckstellen. Nutzen Sie für schwer einsehbare Stellen einen Handspiegel.

Welche Rolle spielt Hautpflege?

Regelmäßiges Eincremen beugt trockener, rissiger Haut vor, die anfällig für Erreger ist. Stellen Sie Wunden oder Entzündungen fest, sollten Sie frühzeitig ärztlichen Rat einholen. Auch medizinische Fußpflege kann eine sinnvolle Ergänzung sein.

Wie schütze ich mich vor Verbrennungen oder Erfrierungen?

Nutzen Sie ein Thermometer, um die Wassertemperatur zu überprüfen. Verzichten Sie zudem auf Wärmflaschen oder Heizdecken. Im Winter können warme Handschuhe und gut isolierte Schuhe vor Kälte schützen.

Worauf sollte ich zuhause und draußen achten?

In den eigenen vier Wänden sind unter anderem rutschfeste Böden, ausreichende Beleuchtung und das Entfernen von Stolperfallen wie losen Teppichen, wichtig, um Stürzen vorzubeugen. Im Freien sollten Sie auf festes Schuhwerk, Gehhilfen, gut beleuchtete Wege und die Vermeidung glatter oder unebener Flächen achten.

Polyneuropathie und Sexualität

Die Nervenschädigung kann bei Männern und Frauen zu sexuellen Funktionsstörungen führen. Durch die Polyneuropathie sind die Nerven geschädigt, die für die Empfindungen und Steuerung von Körperfunktionen zuständig sind - darunter auch die Nerven, die an der sexuellen Reaktion beteiligt sind. Männer haben häufig Schwierigkeiten eine Erektion zu bekommen oder aufrechtzuerhalten. Frauen hingegen verspüren oft eine geringere Empfindlichkeit im Intimbereich, wodurch Erregung und Orgasmus erschwert sind. Zudem kann auch eine vaginale Trockenheit auftreten, was den Geschlechtsverkehr unangenehm macht. Auch Schmerzen oder Unsicherheiten können die Lust mindern und den Sexualtrieb negativ beeinflussen. Sprechen Sie offen mit Ihrem behandelnden Arzt, am besten einem Neurologen oder Sexualmediziner.

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