Die verheerenden Folgen von Mangelernährung für das Gehirn

Mangelernährung, insbesondere bei Essstörungen wie Magersucht (Anorexia nervosa) und ARFID (Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder), hat weitreichende und oft schwerwiegende Folgen für den Körper und insbesondere für das Gehirn. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass Mangelernährung nicht nur den Körper auszehrt, sondern auch die Struktur und Funktion des Gehirns erheblich beeinträchtigen kann. Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden haben den reversiblen Prozess untersucht und mithilfe von Biomarkern nach möglichen Ursachen für die Veränderungen in der Hirnrinde gesucht.

Einführung in das Thema

In der heutigen Gesellschaft, in der Schlankheitsideale und einseitige Ernährungsgewohnheiten weit verbreitet sind, sind Essstörungen wie Magersucht und ARFID keine Seltenheit. Diese Erkrankungen, die vor allem junge Mädchen und Frauen betreffen, können verheerende Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit haben. Eine der gravierendsten Folgen ist die Mangelernährung, die das Gehirn in Mitleidenschaft zieht und zu langfristigen Schäden führen kann.

Die Auswirkungen von Mangelernährung auf das Gehirn

Hirnatrophie bei Magersucht

Magersucht führt oft zu einem starken Untergewicht, das nicht nur den Körper, sondern auch das Gehirn beeinträchtigt. Mediziner sprechen von einer Hirnatrophie, bei der vor allem die graue Substanz in der Hirnrinde betroffen ist. Im Gegenzug erweitern sich die mit Liquor gefüllten Bereiche des Gehirns. Eine Studie der Uniklinik RWTH Aachen aus dem Jahr 2012 ergab, dass magersüchtige Mädchen im Durchschnitt 18 Prozent weniger Volumen an grauer Substanz und 27 Prozent mehr Hirnflüssigkeit als gesunde Gleichaltrige haben.

Mögliche Ursachen für den Hirnschwund

Eine mögliche Erklärung für diesen Hirnschwund ist, dass die Protein-Biosynthese im zentralen Nervensystem aufgrund der Mangelernährung reduziert ist. Das bedeutet, dass nicht genügend Eiweiße hergestellt werden, um Nervenzellen fortlaufend zu reparieren oder zu regenerieren.

Reversibilität der Hirnatrophie

Glücklicherweise ist die Hirnatrophie bei Magersucht in vielen Fällen reversibel. Sobald die Betroffenen wieder zunehmen und ihr Gewicht normalisieren, kann sich auch die Größe ihres Gehirns wieder normalisieren. Allerdings besteht insbesondere bei Jugendlichen die Gefahr, dass sich der Hippocampus und die Amygdala aufgrund der Magersucht nicht richtig entwickeln können, was später zu Depressionen oder Angststörungen führen kann.

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Veränderungen im Kortex bei Anorexie und ARFID

Eine internationale Forschungsstudie hat die Gehirne von insgesamt 290 Kindern und Jugendlichen unter 13 Jahren untersucht, um die Auswirkungen von Essstörungen wie Magersucht und ARFID zu klären. Bei der Anorexie wurde eine Verdünnung des gesamten Kortex, also der Großhirnrinde, festgestellt. Dieser Bereich des Gehirns ist unter anderem für das Bewusstsein, Verhalten und Denken verantwortlich. Diese Veränderungen lassen sich laut der Studie vor allem durch das Untergewicht erklären und könnten die gestörte Körperwahrnehmung der Betroffenen begünstigen.

Im Vergleich zur Anorexie konzentrierte sich die Veränderung bei ARFID auf einzelne Areale und ließ sich nicht direkt durch das niedrige Gewicht erklären. Die Forschenden vermuten, dass sich das Gehirn bei ARFID besser an die jahrelange Mangelernährung angepasst hat.

Neurobiologische Marker und ihre Bedeutung

Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden haben in einer Studie Blutuntersuchungen bei 54 magersüchtigen jungen Mädchen und Frauen durchgeführt. Dabei fanden sich im Blut der Anorexie-Patientinnen erhöhte Konzentrationen von Tau-Protein und Neurofilament light (NF-L), zwei Bestandteile von Neuronen. Diese Ergebnisse weisen auf mögliche Schädigungen der Neuronen im akuten Stadium der Anorexie hin.

Eine Mangelernährung über längere Zeit wirkt sich vermutlich auch auf die Astrozyten aus. Werden diese Gliazellen, die an vielen wichtigen Hirnfunktionen beteiligt sind, beschädigt, lässt sich im Serum eine erhöhte Konzentration des GFA-Proteins nachweisen. Im Therapieverlauf mit Gewichtszunahme scheinen sich die NF-L- sowie GFA-Proteinkonzentrationen wieder abzubauen und sich den Werten der normalgewichtigen Kontrollgruppe anzugleichen.

Kognitive und emotionale Folgen

Mangelernährung und die damit verbundenen Veränderungen im Gehirn können eine Vielzahl von kognitiven und emotionalen Problemen verursachen.

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Konzentrationsprobleme und verminderte kognitive Leistungsfähigkeit

Magersüchtige Patienten haben oft Konzentrationsprobleme und eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit. Studien haben gezeigt, dass der Intelligenzquotient in einer akuten Phase des Untergewichts etwa zehn Punkte niedriger liegen kann als bei Normalgewicht.

Störungen der selektiven Aufmerksamkeit

Über den Akutzustand der Erkrankung hinaus sind bei vielen Betroffenen Störungen im Bereich der selektiven Aufmerksamkeit vorhanden. Ein Großteil der Aufmerksamkeit richtet sich auf figur-, gewichts- und nahrungsbezogene Reize, was zur Aufrechterhaltung der Störung beitragen kann.

Angststörungen, Depressionen und Zwangsstörungen

Magersucht und ARFID können auch mit anderen psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen und Zwangsstörungen einhergehen. Studien haben gezeigt, dass etwa ein Fünftel der Patientinnen und Patienten mit Anorexie an einer Zwangsstörung leiden. Bei ARFID hingegen zeigte sich eine Überlappung mit Autismus und ADHS.

Veränderungen in Stimmung und Verhalten

Eltern von Patienten mit Anorexie berichten oft von einem Zeitraum von sechs Monaten bis zu zwei Jahren, in dem eine vollständige "Hirnheilung" stattfindet. Sie bemerken einen verbesserten Zustand, "als ob der Patient aus einem Nebel herauskommt". Darüber hinaus berichten Eltern, dass Hirnheilung Veränderungen in der Stimmung und im Verhalten mit sich bringt, in denen Patienten stabiler erscheinen bei ihrer Genesung und "zurück zu ihrem früheren (vor der Krankheit) Selbst finden".

Therapie und Rehabilitation

Gewichtszunahme und Normalisierung des Ernährungsverhaltens

Die wichtigste Maßnahme zur Behandlung der Folgen von Mangelernährung auf das Gehirn ist die Wiederherstellung des Gewichts und die Normalisierung des Ernährungsverhaltens. Dies muss Vorrang vor einsichtsorientierter therapeutischer Arbeit haben.

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Psychotherapie und soziale Unterstützung

Neben der Gewichtszunahme ist auch eine psychotherapeutische Behandlung wichtig, um die Ursachen der Essstörung zu bearbeiten und den Betroffenen zu helfen, ein gesundes Körperbild und ein normales Essverhalten zu entwickeln. Auch die soziale Unterstützung durch Familie und Freunde spielt eine entscheidende Rolle bei der Genesung.

Frühzeitige Intervention

Je früher eine Essstörung erkannt und behandelt wird, desto besser sind die Chancen auf eine vollständige Genesung. Eine frühzeitige Intervention kann dazu beitragen, langfristige Schäden am Gehirn und anderen Organen zu verhindern.

Präventive Maßnahmen

Aufklärung über gesunde Ernährung und Körperbilder

Um Essstörungen und Mangelernährung vorzubeugen, ist es wichtig, Kinder und Jugendliche frühzeitig über gesunde Ernährung und realistische Körperbilder aufzuklären. Auch Eltern und Lehrer sollten sensibilisiert werden, um Anzeichen von Essstörungen frühzeitig zu erkennen und Hilfe zu suchen.

Förderung eines positiven Selbstwertgefühls

Ein positives Selbstwertgefühl und ein gesundes Körperbild können dazu beitragen, dass junge Menschen weniger anfällig für den Einfluss unrealistischer Schönheitsideale sind und ein gesundes Verhältnis zum Essen entwickeln.

Vermeidung von Diäten und restriktivem Essverhalten

Diäten und restriktives Essverhalten können das Risiko für die Entwicklung einer Essstörung erhöhen. Stattdessen sollte ein ausgewogenes und abwechslungsreiches Ernährungsverhalten gefördert werden, das alle wichtigen Nährstoffe enthält.

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