Einleitung
Musik ist ein allgegenwärtiges Phänomen im menschlichen Leben. Sie begleitet uns in verschiedenen Situationen, weckt Emotionen und Erinnerungen und hat einen tiefgreifenden Einfluss auf unser Gehirn. Die moderne Wissenschaft, insbesondere die Neurowissenschaften, hat begonnen, die komplexen Mechanismen zu entschlüsseln, die Musik im Gehirn aktiviert. Dieser Artikel beleuchtet, was beim Musikhören und -machen im Gehirn passiert und welche Auswirkungen dies auf verschiedene Aspekte unseres Lebens hat.
Die neuronalen Grundlagen des Musikhörens
Wenn wir Musik hören, werden Schwingungen durch Veränderungen des Luftdrucks erzeugt. Diese Schallwellen gelangen über die Ohrmuschel in den Gehörgang. Von dort aus gelangen die Schwingungen ins Innenohr, wo sie in elektrische Signale umgewandelt werden. Diese Signale werden dann über den Hirnstamm zum Hörzentrum, dem sogenannten Hörkortex, im Schläfenlappen geleitet. Hier wird die Musik bewusst wahrgenommen und verarbeitet.
Aktivierung verschiedener Hirnregionen
Es gibt nicht "ein" Musikzentrum im Gehirn. Musik aktiviert eine Vielzahl von Hirnregionen gleichzeitig. Dazu gehören:
- Hörkortex: Verantwortlich für die Erkennung grundlegender Tonmerkmale wie Lautstärke, Dauer und Frequenz.
- Limbisches System: Beteiligt an der emotionalen Bewertung von Musik. Hier wird entschieden, ob uns Musik gefällt oder nicht.
- Motorischer Kortex: Wird aktiviert, wenn wir uns zur Musik bewegen, singen oder ein Instrument spielen.
- Visuelle Zentren: Werden aktiviert, wenn wir uns beispielsweise ein Streichquartett vorstellen, während wir ihm zuhören.
- Broca-Areal: Eines der Sprachzentren, das auch bei der Verarbeitung von Musik beteiligt ist.
Individuelle Unterschiede in der Hirnaktivität
Wie das Gehirn auf Musik reagiert, hängt von der persönlichen Biografie ab. Wenn jemand beispielsweise Klavierunterricht hatte und dann einem Klavierkonzert von Beethoven lauscht, werden die Areale im motorischen Kortex aktiv, die die Hand- und Fingerbewegung repräsentieren. Das Gehirn spielt im Geiste mit, auch wenn die betreffende Person die Finger gar nicht bewegt.
Musik als Belohnung
Musik kann das Belohnungssystem im Gehirn ähnlich anregen wie Essen oder Sex. Eine finnische Studie mit Hirnscannern zeigte, dass das Hören von Lieblingsmusik Opioidrezeptoren im Gehirn aktiviert, insbesondere bei Frauen. Körpereigene Opioide sind Nervenbotenstoffe, die an lustvollen Emotionen beteiligt sind.
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Dopaminausschüttung
Experimente haben gezeigt, dass der Botenstoff Dopamin eine wichtige Rolle bei den Glücksgefühlen spielt, die durch Musik ausgelöst werden. Wenn die Dopaminwirkung im Gehirn blockiert wird, empfinden Menschen Musik als weniger angenehm. Wird die Dopaminverfügbarkeit erhöht, entfaltet die Musik eine noch stärkere Wirkung.
Gänsehautmomente
Im Nucleus accumbens, einem Teil des Belohnungssystems, werden Opioide vor allem freigesetzt, wenn Menschen angenehme Gänsehautmomente beim Musikhören erleben. Je mehr Opioide freigesetzt werden, desto mehr dieser Momente verspüren sie.
Musik und Emotionen
Musik ist eng mit unseren Emotionen verbunden. Sie kann uns zum Weinen bringen, Erinnerungen wecken oder Hochgefühle auslösen. Das limbische System spielt eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung von Musik.
Angenehme und unangenehme Klänge
Der Gyrus cinguli wird aktiv, wenn eine Melodie als angenehm empfunden wird. Dissonante, als unangenehm empfundene Klänge regen dagegen den Gyrus parahippocampalis an.
Kulturelle Prägung
Auch persönliche Vorlieben, Erfahrungen und die kulturelle Prägung spielen eine Rolle beim Musikempfinden.
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Musik und Sprache
Musik und Sprache haben mehr gemeinsam, als man denkt. Beide werden nach syntaktischen Regeln verarbeitet. Das Gehirn analysiert Töne, Intervalle und Akkorde und stellt sie in einen Zusammenhang.
Broca-Areal
Das Broca-Areal, das auch für die syntaktische Verarbeitung von Sprache von Bedeutung ist, ist auch bei der Verarbeitung von Musik aktiv.
Nonverbale Kommunikation
Musik wurzelt möglicherweise in einer Art vorsprachlicher Kommunikation. Wir messen Klängen nicht nur eine Bedeutung bei, wie hohl, spitz oder rau, sondern verarbeiten Melodien auch nach einer musikalischen Syntax, einer Art Satzbau.
Musizieren verändert das Gehirn
Aktives Musizieren hinterlässt deutliche Spuren im Gehirn. Bei Musikern ist das Corpus callosum vergrößert, der Balken, der beide Gehirnhälften verbindet. Außerdem weist die Hörrinde im Vergleich zu Kontrollpersonen bis zu 130 Prozent mehr Volumen auf.
Sensibilität des Gehirns
Die Sensibilität des Gehirns hängt vom gespielten Instrument ab. Bei Trompetern reagiert das Gehirn beispielsweise stärker auf Trompeten- als auf Geigenklänge.
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Fehlererkennung
Instrumentalisten registrieren Fehler bereits Sekundenbruchteile, bevor der Misston erklingt. Dieser Effekt tritt allerdings nur bei klassischer Musik auf.
Musik und Gedächtnis
Musiker scheinen im Schnitt ein besseres Gedächtnis als Nicht-Musiker zu haben. Dies betrifft sowohl das Kurzzeit- als auch das Langzeitgedächtnis.
Verbesserte auditive Verarbeitung
Musiker erkennen besser, ob eine zuvor gehörte Melodie schneller oder langsamer, höher oder tiefer als zuvor gespielt wird. Auch erkennen sie besser, ob ihnen falsche oder schiefe Töne untergejubelt werden.
Vorteile bei der Sprachwahrnehmung
Musiker haben auch Vorteile bei der Sprachwahrnehmung. Oft erkennen sie die Prosodie besser, sprich die Sprachmelodie, Akzentuierung, Rhythmus oder Lautstärke des Gesprochenen. Ebenso sind Musiker häufig besser darin, Gesprochenes aus Lärmgeräuschen herauszufiltern und zu verstehen.
Aktive Lernstrategien
Instrumentalunterricht verbessert die aktiven und kontrollierten Lernfähigkeiten, was sich auch auf Gedächtnisaufgaben außerhalb der Musik auswirkt.
Neuroplastizität und Musik
Unser Gehirn ist ein dynamisches Netzwerk von Neuronen, das sich in ständiger Anpassung befindet und kontinuierlich wächst und sich verändert. Diese Fähigkeit, sich ständig zu verändern und entsprechend den äußeren Gegebenheiten zu optimieren, nennen wir Neuroplastizität.
Musizieren fördert die Neuroplastizität
Verschiedene Studien gehen von einem Zusammenhang musikalischen Trainings mit erhöhten kognitiven Fähigkeiten und verbesserter Neuroplastizität aus. Ein Instrument zu spielen ist ein anspruchsvolles kognitives Unterfangen, das eine Vielzahl von Sinneswahrnehmungen mit dem motorischen System und weiteren höheren kognitiven Prozessen koordiniert.
Belohnungssystem und Neuroplastizität
Das Belohnungssystem, das durch Musik und musikalisches Training aktiviert wird, hat einen positiven Einfluss auf die Neuroplastizität des Gehirns.
Musik und das alternde Gehirn
Mit zunehmendem Alter nimmt die Hirnplastizität und somit die Fähigkeit, schnell neue Verknüpfungen zu bilden und neue Dinge zu erfassen, ab. Musikalisches Training kann die Hirnplastizität bis ins hohe Alter fördern.
Langfristige Veränderungen
Vor allem bei Menschen, die schon in jungen Jahren ein Instrument erlernten, sind große langfristige Veränderungen festzustellen. Sie zeigen etwa verbesserte Fähigkeiten, visuelle sowie auditive Reize mit motorischen Handlungen zu koordinieren.
Schutz vor kognitiven Verlusten
Das Spielen eines Instruments kann mit dem späteren Einsetzen altersbedingter kognitiver Verluste zusammenhängen. Durch derartige Aktivitäten wird nämlich die sogenannte kognitive Reserve vergrößert, was vor den Verlusten schützen kann.
Musiktherapie
Musik wird auch bei konkreten Erkrankungen eingesetzt, und zwar als Musiktherapie. Dabei gibt es Formen, bei denen die Teilnehmenden selbst Musik machen oder sich zumindest aktiv mit ihr beschäftigen, und das passive Zuhören.
Anwendungsgebiete
Musiktherapien kommen in den unterschiedlichsten Bereichen zum Einsatz und werden zunehmend in klinischen Studien untersucht. Ein Anwendungsgebiet ist beispielsweise die Demenz. Gerade Betroffene, die unter Ängsten oder Aggressionen leiden, können davon profitieren.
Emotionale Regulation
Musik kann genutzt werden, um Emotionen zu regulieren. Menschen können Musik nutzen, um sich aufzumuntern, zu entspannen oder sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen.
Musikgeschmack
Was einem Menschen gefällt, ist eine Frage davon, was er oder sie kennt. In der Regel hören wir Musikarten, mit denen wir aufgewachsen sind. Aber auch die Persönlichkeitseigenschaften und Werte spielen eine Rolle.
Soziale Komponente
Menschen, die miteinander vernetzt sind, hören auch eher die gleiche Art Musik.
Traurige Lieder
Das Gehirn kann Trauer, die nicht auf uns selbst bezogen ist, in eine angenehme Erfahrung uminterpretieren.
Musik für Babys
Musik kann verschiedene Funktionen des autonomen Nervensystems des ungeborenen Babys beeinflussen. Dabei wird der Parasympathikus aktiviert und der Sympathikus heruntergeregelt.
Positive Auswirkungen
Musik kann sich über die Geburt hinaus positiv auf die Kleinen auswirken. Beispielsweise könnten die Entwicklung des Nervensystems gefördert und der Stress reduziert werden, wenn Babys zu früh auf die Welt kommen.
Musikspezifische Anhedonie
Es gibt Menschen, die mit Musik kaum etwas anfangen können. Das Phänomen nennt sich "musikspezifische Anhedonie". Bei der musikbezogenen Version kommen diese positiven Gefühle aber bei Aktivitäten wie Essen, Sport oder Sex genauso vor wie bei anderen Menschen.
Belohnungssystem
Forschende schließen daraus, dass es im Gehirn ein Belohnungssystem geben muss, das nur für Musik zuständig ist.
Das absolute Gehör
Das absolute Gehör ist die Fähigkeit, Tonhöhen korrekt zu benennen, ohne dass dafür ein Referenzton erklingen muss. Was darüber entscheidet, ob ein Mensch das absolute Gehör besitzt, ist noch nicht endgültig geklärt.
Genetische Veranlagung und Prägung
Eine Theorie geht davon aus, dass es vererbt wird. Andere Wissenschaftler vermuten, dass es durch Prägung entsteht, also durch frühe musikalische Übung. Eine dritte Hypothese besagt, dass die Fähigkeit grundsätzlich angeboren ist, im Laufe der Entwicklung aber verloren geht.
Bedeutung des absoluten Gehörs
In seiner Bedeutung wird das absolute Gehör allerdings überschätzt. Für das Musizieren selbst ist das relative Gehör wichtiger.