Harninkontinenz kann verschiedene Ursachen haben, und ein tieferes Verständnis der beteiligten Nerven ist entscheidend, um die zugrunde liegenden Mechanismen zu verstehen. Dieser Artikel beleuchtet die komplexe nervale Steuerung der Blase, die verschiedenen Arten von Blasenfunktionsstörungen und die verfügbaren diagnostischen und therapeutischen Optionen.
Die physiologische Funktion der Blase
Die Nieren spielen eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung des Flüssigkeitshaushaltes und der Ausscheidung von Abfallprodukten aus dem Körper. Sie produzieren kontinuierlich Urin, der über die Harnleiter in die Blase geleitet wird. Die Blase dient als muskuläres Hohlorgan, das bei einem gesunden Erwachsenen etwa 300 bis 500 ml Urin speichern kann. Diese Speicherfunktion wird durch zwei Ringmuskeln unterstützt: einen inneren, unwillkürlichen Schließmuskel und einen äußeren, willkürlich steuerbaren Schließmuskel. Im Normalfall muss ein gesunder Erwachsener die Blase nur etwa 4- bis 6-mal täglich entleeren.
Während der Blasenentleerung entspannen sich die Schließmuskeln, und die Blase zieht sich zusammen (Kontraktion). In der Blasenwand befinden sich Sensoren, die den Füllstand der Blase überwachen und Nervenimpulse über das Rückenmark zum Gehirn senden. Das Gehirn sendet dann Impulse an die Blase und die Schließmuskeln, um die bewusste Entleerung einzuleiten. Gesunde Menschen können den Impuls zur Blasenentleerung unterdrücken, bis ein geeigneter Zeitpunkt und Ort verfügbar sind.
Die Harnröhre, die den Urin aus der Blase nach außen leitet, ist bei Frauen etwa 4 bis 6 cm lang, während sie bei Männern etwa 20 bis 25 cm lang ist. Die Blase selbst ist eines der dehnbarsten Organe des Körpers und kann je nach Größe zwischen 500 und 700 Milliliter Urin aufnehmen.
Die Nervenversorgung der Blase
Die Nerven des Rückenmarks steuern die Harnblase und die Schließmuskeln, die die Blasenentleerung bewirken. Die Nerven, die für die Höhe der Füllkapazität verantwortlich sind, haben ihren Ursprung im Segment Th11-L2 und führen zur Blase und zur Harnröhre. Die Nerven, die für die Entspannung des inneren Harnröhrenschließmuskels und die Kontraktion der muskulären Blasenwand verantwortlich sind, haben ihren Ursprung in der Sakralregion des Rückenmarks im Segment S2-S4. Der Nervus pudendus, der ebenfalls der Sakralregion entstammt, ist für die bewusste Steuerung des äußeren Harnröhrenschließmuskels und für die bewusste Kontrolle der Harnentleerung verantwortlich.
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Neurogene Blasenfunktionsstörungen (NLUTD)
Wenn Nervenbahnen verletzt werden, können zahlreiche Funktionsstörungen im Körper ausgelöst werden. Zu den häufigsten gehören Blasen- und Darmfunktionsstörungen, die Patienten oft stark belasten und ihre Lebensqualität gravierend einschränken. Einige Formen von Blasenfunktionsstörungen können bei Rückenmarkverletzten sogar lebensbedrohlich werden.
Seit dem Jahr 2020 werden neurogene Blasenfunktionsstörungen unter dem Begriff "Neurogene Dysfunktion des unteren Harntraktes - NLUTD" definiert. Dabei lehnt sich die Funktionsstörung an das von Madersbacher aufgestellte Schema an. Man unterscheidet eine "schlaffe Blase", bei der keine Kontraktionskraft und somit keine Speicherkapazität mehr gegeben ist, und eine "Reflexblase", bei der die Harnblase durch unwillkürliche Impulse kontrahiert. Je nach Störung kann es somit zu Restharnbildung oder Inkontinenz kommen.
Die große Gefahr bei einer Reflexblase besteht in einem Reflux von Urin in die Nieren. Der durch die reflexartigen Kontraktionen ausgelöste Reflux kann zu einer Nierenfunktionsstörung führen. Bei einer schlaffen Blase kommt es hingegen oft zu inkompletten Entleerungen. Der damit verbundene Restharn kann in der Harnblase zu Entzündungen oder zur Inkontinenz führen.
Ursachen neurogener Blasenfunktionsstörungen
Eine neurogene Blase kann durch Schäden des zentralen Nervensystems (z. B. Schlaganfall, Multiple Sklerose, Querschnittslähmung) oder des peripheren Nervensystems (z. B. Polyneuropathie, Diabetes mellitus) verursacht werden. Auch verschiedene Geburtsfehler, Tumore im Rückenmark oder im kleinen Becken können die normale Funktion der Nervenfasern unterbinden.
Ein erhöhtes Risiko für eine neurogene Blase besteht bei verschiedenen Geburtsfehlern, welche sich auf das Rückenmark und die Funktion der Harnblase auswirken. Dies ist der Fall, z. B. bei der Spina bifida oder anderen Missbildungen des Rückenmarks. Tumore im Rückenmark oder im kleinen Becken können ebenfalls die normale Funktion der Nervenfasern unterbinden.
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Symptome einer neurogenen Blase
Das Unvermögen, den Harn zu kontrollieren (Harninkontinenz), ist wahrscheinlich das häufigste Symptom der neurogenen Blase. Dies kann durch eine erniedrigte Blasenkapazität oder eine Störung des Kontrollmechanismus des Blasenhalses oder des äußeren Schließmuskels verursacht werden. Symptome wie Anstrengung während des Wasserlassens oder die Unmöglichkeit, überhaupt Wasser zu lassen, können ebenfalls Symptome einer neurogenen Blase sein. Ein Harnverhalt kann bei der neurogenen Blase ebenfalls auftreten. Andere irritative Symptome wie schmerzvolles Wasserlassen (= Dysurie) können das Ergebnis von Harnwegsinfekten sein, die auf eine zu lange Verweildauer des Harns in der Blase zurückzuführen sind. Harnwegsinfekte mit Fieber sind ein potenzielles Zeichen für ernsthafte Nierenbeckenentzündungen (= Pyelonephritis) und stellen eine sehr ernsthafte Erkrankung dar, die zum Funktionsverlust der Nieren führen kann. Nierensteine können sich aufgrund der verlängerten Harnpassage durch den Harntrakt und aufgrund der Harnwegsinfekte bilden. Ein vesicoureterorenaler Reflux, d. h. das Zurückfließen des Urins aus der kranken Harnblase in die Nieren, kann ebenfalls durch einen hohen Blasendruck entstehen.
Im Alltag kann sich die vermehrte Aktivität des Blasenmuskels durch häufigen Harndrang bemerkbar machen. So kann im Verlauf der neurogenen Blasenstörung die mehrmalige nächtliche Blasenentleerung notwendig werden bzw. bereits Gewohnheit sein. Eine Anzahl von 10 und mehr Toilettengängen am Tage ist bei einer Überaktivität des Blasenmuskels keine Seltenheit. Besonders lästig ist es, wenn der Harndrang keinen Aufschub duldet und den Alltag bestimmt. Nicht selten verleitet diese unangenehme Veränderung dazu, wenig bzw. zu wenig Flüssigkeit zu trinken. Dies kann Probleme wie bspw. Kreislaufstörungen oder Harnwegsinfekte begünstigen.
Diagnose einer neurogenen Blase
Bei Verdacht auf eine neurogene Blasenentleerungsstörung müssen sowohl das Nervensystem, einschließlich Gehirn, als auch die Blase untersucht werden. Neben einer ausführlichen Anamnese sind weitere Untersuchungen notwendig:
- Bildgebende Untersuchungen des Schädels und der Wirbelsäule
- Bildgebende Untersuchungen der Harnblase und der Harnleiter
- Funktionelle Untersuchungen einschließlich der funktionellen Untersuchung der Harnblase und der Nieren, dazu gehört z.B.
Um eine neurogene bzw. neurologische Ursache der Blasenstörung nachzuweisen, sind spezialisierte Untersuchungen erforderlich. Hierfür arbeiten Urologen eng mit Neurourologen zusammen. Eine sehr hilfreiche Untersuchung der Blasenfunktion ist die Video-Urodynamik. Die urodynamische Untersuchung ermöglicht es, die genannten Formen neurogener Blasenstörungen zu differenzieren. Anhand einer urodynamischen Untersuchung werden die Harnblasen-Druck- und Flusskurven vor und während der Harnblasen-Entleerung aufgezeichnet. Im Rahmen der Video-Urodynamik wird eine Röntgen-Untersuchungseinheit verwendet, mit Hilfe derer sich die Veränderung des Füllungszustandes der Harnblase während der urodynamischen Untersuchung dokumentieren lässt. Bei neurogener Blasenstörung trägt zusätzlich die Autonome Funktionstestung zum Verständnis der Schädigung parasympathischer oder sympathischer Nerven bei. Damit kann die Frage beantwortet werden, ob eine chronische Blasenstörung beispielsweise Folge einer generellen Dysautonomie (Störung des Autonomen Nervensystems) wie bspw. bei einer Parkinson-Erkrankung ist. Die Untersuchungen helfen, eine Autonome Neuropathie als Teil einer Nerven-Erkrankung wie der Polyneuropathie zu identifizieren.
Behandlung einer neurogenen Blase
Die Behandlungsplanung neurologischer Blasenstörungen geschieht in Abstimmung zwischen neurologischen und urologischen Fachärzten. Zunächst werden nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Dazu gehören das Blasentraining und die Trinkmengenplanung für den Tagesverlauf. Sollten Medikamente zur Verbesserung der Blasenfunktion erforderlich sein, so werden diese unter sorgfältiger Abwägung und Vermeiden von Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten ausgewählt.
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Die Behandlung der Reflexinkontinenz kann mehrere Ziele verfolgen:
- Schutz der Nieren, damit ihre Funktionsfähigkeit erhalten bleibt.
- Vermeidung von Blasenentzündungen
- Verbesserung der Kontinenz
- Verbesserung der Lebensqualität
Die Wahl der Therapie richtet sich hauptsächlich danach, welche Grunderkrankung zur Reflexinkontinenz geführt hat. Folgende Behandlungsmöglichkeiten stehen u.a. zur Verfügung:
- Medikamente: Medikamente zur Behandlung einer überaktiven Harnblase können die irritativen Symptome aber auch die Inkontinenz verbessern oder sogar beseitigen. Antibiotika sind wichtig, um Harnwegsinfekten vorzubeugen bzw. um diese zu behandeln. Dies ist insbesondere bei Patienten mit vesicoureterorenalem Reflux notwendig. Andere Medikamente können die Blasenfunktion verbessern, indem sie den Auslasswiderstand am Blasenhals senken, z.B. alpha- Blocker wie Alfuzosin oder Tamsulosin.
- Saubere intermittierende Katheterisierung (SIK): Eine saubere intermittierende Katheterisierung sollte bei Patienten angewendet werden, die die Harnblase nicht komplett entleeren können. Der Katheter wird mehrmals am Tag in die Harnblase eingeführt und der Urin abgelassen. Danach wird der Katheter wieder entfernt.
- Chirurgische Eingriffe: Das chirurgische Einschneiden des äußeren Schließmuskels (= Sphinkterotomie) kann durchgeführt werden um einen ungehinderten Abfluss des Urins und eine akzeptable Harnröhrenweite für die saubere intermittierende Katheterisierung zu ermöglichen. Die endoskopische Injektion von Medikamenten, die zu einer Lähmung der Harnblase führen (=Botox, Botulinum Toxin), ist ebenfalls eine therapeutische Option. Die Funktion der Blase kann sich trotz medikamentöser Behandlung und Selbstkatheterismus so verschlechtern, dass die Kapazität der Blase sinkt oder ein Reflux auftritt. In solch einer Situation werden weitere chirurgische Maßnahmen notwendig. Dazu gehört die Blasenaugmentation (= Vergrößerung der Blase, meistens mit Darmanteilen) und/oder die operative Sanierung eines vesico-uretero-renalen Refluxes. Letztendlich kann es notwendig sein, die Harnblase als Harnreservoir zu umgehen, wobei ein neues Reservoir für die Speicherung des Harnes geschaffen werden muss.
- Blasen-Training: Bei Patienten mit OAB sind die Blasenmuskeln darauf konditioniert, sich regelmäßig zu entleeren. Kegel-Übungen (Anspannen der Beckenbodenmuskeln) können helfen, den Harndrang zu unterdrücken, wenn er sich nur schwer aufschieben lässt.
- Interstim: Eine Therapie namens Interstim ist in der Regel den Patienten vorbehalten, bei denen Verhaltenstherapie und Medikamente nicht helfen. Interstim ist ein kleiner Schrittmacher, der Impulse an den Sakralnerv sendet, der die Blase steuert.
- Künstliche Schließmuskel: Künstliche Schließmuskel sind mechanische Vorrichtungen für Patienten mit schwerer Inkontinenz, die durch Aktivitäten wie Husten, Laufen, Niesen und Heben verursacht wird. Diese Vorrichtungen verfügen über eine Manschette, die sich um die Harnröhre legt, die normalerweise voll ist und den Urin am Austritt hindert. Harnableitung und Blasenvergrößerung sind Verfahren, bei denen der Urin abgeleitet oder die Blase vergrößert wird, um die Nieren zu schützen und die Kontinenz der Patienten zu erhalten.
- Tibialis-Nerv-Stimulation: Die Tibialis-Nerv-Behandlung ist für Patienten mit überaktiver Blase, Drang-, Stress- und Stuhlinkontinenz geeignet. Die Behandlung mit dem LANCY Tibialis Gerät erfolgt über einen Zeitraum von ca. 12 Wochen, ist nebenwirkungsarm und kann bequem zu Hause durchgeführt werden.
Blasen- und Darmmanagement bei Rückenmarkverletzungen
Das Blasen- und Darmmanagement bei Rückenmarkverletzungen ist nicht nur von der Art der Rückenmarkverletzung abhängig, sondern richtet sich auch nach der Phase der Rehabilitation. In der Akutphase werden in der Regel Dauerkatheter verwendet, um die Urinausscheidung besser überwachen und steuern zu können. Zur Anwendung kommen dabei suprapubische oder transurethrale Dauerkatheter. Mit Hilfe des Katheters kann der Urin aus der Harnblase abfließen - eine Überfüllung wird vermieden. Gleichzeitig wird ein Rückfluss des Urins in die Nieren verhindert.
Ab der Rehabilitationsphase kann man das Blasen- und Darmmanagement auf unterschiedliche Verfahren stützen, die oft selbstständig durchgeführt werden können. Im Bereich des Blasenmanagements stehen aufsaugende/auffangende Systeme sowie Harnableitungsverfahren zur Verfügung. Sogenannte Kondom-Urinle können von Männern verwendet werden und stellen bei einer Reflexblase eine effektive Verbesserung gegenüber einer Schutzhose oder einer Vorlage dar. Goldstandard bei neurogenen Blasenentleerungsstörungen ist seit Jahrzehnten der intermittierende Einmalkatheterismus.
Ein wichtiges Ziel des Darmmanagements ist es, Betroffenen eine selbstbestimmte und sichere Darmentleerung zu ermöglichen. Das Darmmanagement verhindert Stuhlinkontinenz, Obstipation und lange Toilettenzeiten. Die Therapiepyramide des Darmmanagements umfasst:
- Ernährung: Eine regelmäßige Ernährung, eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme (1.500‑2000 ml/Tag) und die Zufuhr von Ballaststoffen (bis 30 g/Tag, löslich und unlöslich) als Grundlage der Ernährung.
- Reflexauslösung: Auslösung bestehender Reflexe durch digitale Stimulation oder Einsatz von Suppositorien.
- Transanale Irrigation: Einführen von Wasser in den Darm zur Auslösung von Dehnungsreflexen.
- Sakrale Neuromodulation (SNM): Elektronische Impulse an das sakrale Nervenzentrum.
- MACE-Technik: Antegrade Darmspülung nach Malone.
- Vorderwurzelstimulator nach Brindley: Passives Implantat zur Steuerung der Blasen- und Darmfunktion.
- Kolostoma: Anlage eines Kolostomas als letzte Option.
Langzeitnachbeobachtung
Bei Patienten mit neurogener Blasenfunktionsstörung ist eine langjährige Nachbeobachtung notwendig. Diese schließt die Untersuchung der Blasenfunktion wie auch der Nierenfunktion ein. Regelmäßige Untersuchungen helfen, Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.