Kribbeln: Welche Nerven sind beteiligt und was sind die Ursachen?

Kribbeln, Brennen und Taubheit sind typische Symptome, die auf eine Nervenerkrankung wie die Polyneuropathie hinweisen können. Diese Empfindungsstörungen treten oft zuerst an den Füßen und Beinen auf und können auf Schäden an den langen Nerven zurückzuführen sein, die Muskeln, Haut und Organe mit dem Gehirn verbinden. Die Polyneuropathie gehört zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen, wobei die Ursache trotz diagnostischer Fortschritte oft unklar bleibt ("idiopathische Neuropathie").

Das periphere Nervensystem und seine Funktionen

Das periphere Nervensystem verbindet Organe und Gewebe mit dem zentralen Nervensystem. Dieses komplexe Nervengeflecht hat vielfältige Aufgaben, wie die Weiterleitung motorischer Befehle an die Muskeln oder die Übertragung von Sinneseindrücken. Ohne das periphere Nervensystem wären Bewegungen oder das Spüren einer Berührung auf der Haut nicht möglich.

Symptome der Polyneuropathie

Die Symptome einer Polyneuropathie können je nach den betroffenen Nerven variieren. Mediziner unterscheiden sensible, motorische und vegetative Polyneuropathien, wobei manche Menschen auch von mehreren Formen gleichzeitig betroffen sein können. Der Verlauf kann akut, sich schnell verschlechternd oder chronisch sein.

Sensible Polyneuropathie

Sensible Nerven leiten Informationen von der Haut zum Gehirn. Beeinträchtigungen können zu Empfindungsstörungen wie Ameisenlaufen, Brennen, Jucken, Taubheitsgefühlen oder Kribbeln führen. Auch ein vermindertes Temperatur- oder Schmerzempfinden ist möglich. Betroffene bemerken diese Form der Polyneuropathie vor allem an Füßen oder Händen.

Motorische Polyneuropathie

Die motorischen Nerven leiten Signale vom Gehirn zu den Muskeln weiter. Eine Nervenschädigung kann Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Muskelzucken oder Muskelkrämpfe verursachen.

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Vegetative Polyneuropathie

Das vegetative Nervensystem koordiniert automatisierte Körperfunktionen wie Verdauen, Atmen oder Schwitzen. Eine vegetative Polyneuropathie kann mit Beschwerden wie Schwindel, Blasenschwäche, Durchfall oder verstärktem Schwitzen in Verbindung stehen und betrifft die Organfunktionen.

Neben körperlichen Symptomen berichten Betroffene auch von Erschöpfungszuständen und oft unter brennenden, schneidenden oder stechenden Schmerzen.

Ursachen der Polyneuropathie

Polyneuropathie kann erblich bedingt oder im Laufe des Lebens erworben sein, wobei Letzteres häufiger vorkommt. Schädigungen an den peripheren Nerven können durch Entzündungsprozesse im Körper als Folge einer Autoimmunerkrankung oder einer Infektion mit bestimmten Viren bzw. Bakterien auftreten. Bekannte Erkrankungen sind Borreliose, Diphtherie oder Gürtelrose. Diese Entzündungen können die Myelinschicht, die Schutzschicht des Nervenzellfortsatzes, angreifen.

Eine häufige Ursache ist die Diabeteserkrankung, bei der ein dauerhaft zu hoher Blutzuckerspiegel die Nerven schädigt. Auch Alkoholabhängigkeit kann aufgrund der nervenschädigenden Wirkung bei langjährigem, hohem Konsum eine Polyneuropathie verursachen.

Weitere Ursachen können sein:

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  • Erkrankungen der Leber
  • Mangelernährung, z.B. bei Zöliakie
  • Vitaminmangel, z.B. Vitamin B12
  • Autoimmunerkrankungen wie das Guillain-Barré-Syndrom oder rheumatoide Arthritis
  • Einnahme bestimmter Medikamente wie Nitrofurantoin oder Metronidazol
  • Kontakt mit giftigen Substanzen, etwa Schwermetalle
  • HIV-Infektionen
  • Erkrankungen, die auf Infektionen beruhen: Borreliose oder Syphilis
  • Krebserkrankungen, beispielsweise Brustkrebs oder Blutkrebs
  • Hormonelles Ungleichgewicht, zum Beispiel ausgelöst durch eine Schilddrüsenunterfunktion
  • Erbliche Veranlagung (hereditäre Neuropathien)

Die häufigsten Ursachen für eine Polyneuropathie sind Diabetes mellitus oder übermäßiger Alkoholkonsum. Entzündliche, meist immunvermittelte Polyneuropathien sind seltener. Eine wahrscheinlich weiterhin unterdiagnostizierte Gruppe sind die erblichen Neuropathien. Eine Vielzahl von Medikamenten und weiteren Substanzen kann eine „exotoxische“ Polyneuropathie verursachen, darunter verschiedene Chemotherapeutika, Antibiotika und Immun-Checkpoint-Inhibitoren.

Diagnose der Polyneuropathie

Bei Verdacht auf Polyneuropathie ist eine neurologische Facharztpraxis die richtige Anlaufstelle. Auch der Hausarzt kann eine erste Verdachtsdiagnose stellen und an einen Neurologen überweisen.

Anamnese und körperliche Untersuchung

Zunächst findet ein Gespräch statt, in dem der Arzt die Krankengeschichte und die vorliegenden Beschwerden erfragt. Dabei sind Informationen über Probleme beim Gehen, feinmotorische Einschränkungen der Hände oder Finger sowie Art und Stärke der Schmerzen relevant.

Bei der körperlichen Untersuchung prüft der Arzt, ob Muskeln gelähmt oder geschwächt sind. Einschränkungen beim Reizempfinden oder eine Beeinträchtigung der Reflexe können ebenfalls auffallen.

Untersuchungsmethoden

Um die Ursachen zu ermitteln und herauszufinden, welche Nerven wie stark geschädigt sind, gibt es verschiedene Untersuchungsmethoden:

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  • Elektroneurographie (ENG): Mit einem Elektrodenset auf der Haut werden die elektrischen Impulse der Nerven gemessen. Die Untersuchung hilft festzustellen, wie die Nervensignale transportiert und im Körper verteilt werden. Nervenschädigungen führen zu einem auffälligen Ergebnis und geben Hinweise zur Abgrenzung der Nervenausfälle.
  • Elektromyographie (EMG): Diese Untersuchung macht deutlich, ob und wie stark die Muskeln auf die Nervensignale ansprechen. Dabei werden dünne Nadelelektroden durch die Haut in den entsprechenden Muskel eingeführt.
  • Quantitative Sensorische Testung (QST): Durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut werden 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist.
  • Thermode: Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
  • Nerv-Muskel-Biopsie: Die Untersuchung einer Gewebeprobe aus dem Schienbein kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dabei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen.
  • Hautbiopsie: Bei Verdacht auf Small-Fiber-Neuropathien, bei denen insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen sind, kann eine Gewebeprobe aus der Haut unter dem Mikroskop untersucht werden.
  • Untersuchungen von Urin, Gehirnwasser, Blut oder Gewebeproben sowie genetische Tests und bildgebende Verfahren: Diese Methoden sind sinnvoll, wenn Diabetes und Alkoholkrankheit als Ursache unwahrscheinlich sind und das Beschwerdebild sowie elektrophysiologische Untersuchungsbefunde weiteren Abklärungsbedarf ergeben. Auch bei sehr plötzlich auftretenden Symptomen kann eine zusätzliche Diagnostik sinnvoll sein.

Behandlung der Polyneuropathie

Bei der Behandlung einer Polyneuropathie gibt es verschiedene Ansätze:

Behandlung der Grunderkrankung

Um weitere Schäden zu verhindern und die Beschwerden zu lindern, wird die zugrunde liegende Ursache beseitigt oder behandelt. Bei einer unbehandelten Diabeteserkrankung muss der Blutzucker richtig eingestellt werden. Alkoholabhängige Menschen profitieren von einer Suchttherapie. Bei einem Vitaminmangel können Betroffene durch Ernährungsumstellungen einen Ausgleich schaffen. Führen Infektionen oder Entzündungen zu den Nervenschäden, können Antibiotika oder Kortison sinnvoll sein.

Schmerztherapie

Eine begleitende Schmerztherapie verschafft Betroffenen Linderung. Zum Einsatz kommen Antidepressiva und bestimmte Medikamente, die ursprünglich für Epilepsien entwickelt wurden (Antikonvulsiva). Antidepressiva erhöhen die Produktion von Botenstoffen, die die Weiterleitung von Schmerzsignalen dämpfen. Antikonvulsiva bremsen die Erregbarkeit der Nerven, was schmerzlindernd wirkt. Bei ausgeprägten Schmerzen können Opioide angezeigt sein, die jedoch aufgrund des Abhängigkeitspotenzials nur für kurze Zeit verschrieben werden.

Weitere Therapien

Je nach vorliegender Nervenschädigung können weitere Behandlungsansätze hilfreich sein:

  • Physio- oder Ergotherapie: Sie unterstützen bei ungünstigen Bewegungsabläufen oder Gleichgewichtsstörungen sowie bei der Regeneration akuter Polyneuropathien.
  • Orthesen: Spezielle Schienen helfen Betroffenen mit Muskellähmungen dabei, Hände und Füße beweglich zu halten.
  • Capsaicin-Pflaster: Capsaicin, das für die Schärfe der Chilischoten verantwortlich ist, hat sich in Studien als erfolgversprechendes Mittel gegen Polyneuropathie erwiesen. Es betäubt nicht nur den schmerzenden Bereich und steigert die Durchblutung, sondern scheint sogar die Neubildung kleiner Nervenfasern anzuregen.
  • Elektrotherapie (TENS-Gerät): Die Nerven werden durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren.
  • Gleichgewichtstraining: Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie.
  • Akupunktur: Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt.

Wichtige Hinweise für Betroffene

Für alle Polyneuropathien gilt:

  • Regelmäßige Kontrolle der Füße auf Druckstellen
  • Tragen von bequemem Schuhwerk
  • Meidung von Druck
  • Nutzung professioneller Fußpflege
  • Verbesserung des Lebensstils mit regelmäßiger körperlicher Betätigung (z. B. 150 Minuten Ausdauersport pro Woche)

Kribbeln ohne Polyneuropathie: Weitere Ursachen

Kribbeln kann auch andere Ursachen haben als eine Polyneuropathie. Hier sind einige Beispiele:

  • Karpaltunnelsyndrom: Eine Verengung im Handgelenk drückt auf den Mittelarmnerv und verursacht Kribbeln in Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger.
  • Restless-Legs-Syndrom (RLS): Diese neurologische Krankheit äußert sich durch Kribbeln, Ziehen und Brennen in den Beinen, vor allem in Ruhephasen.
  • Bandscheibenvorfall: Das Verrutschen der Bandscheibe kann auf Nerven drücken und Kribbeln in den Beinen verursachen.
  • Kubitaltunnelsyndrom (Sulcus-ulnaris-Syndrom): Eine Einengung des Ellennervs auf Höhe des Ellenbogens kann zu Kribbeln und Taubheitsgefühlen in Ring- und Kleinfinger führen.
  • Thoracic-outlet-Syndrom (TOS): Druck im oberen Brustkorb schädigt oder beeinträchtigt Nerven oder Blutgefäße.
  • Epileptischer Anfall: Sogenannte einfach-fokale Anfälle können Sensibilitätsstörungen wie Kribbeln und „Ameisenlaufen“ auslösen.
  • Fibromyalgie: Diese chronische Schmerzerkrankung äußert sich durch Muskelschmerzen, Steifigkeit, Brennen, Kribbeln oder Taubheitsgefühl.
  • Schlaganfall: Ein halbseitiges Taubheitsgefühl oder Kribbeln in einem Arm oder Bein kann auf einen Schlaganfall hindeuten.
  • Durchblutungsstörungen: Eine Minderdurchblutung kann zu Kribbeln und Taubheitsgefühlen führen.
  • Raynaud-Syndrom: Kälte oder Stress lösen Gefäßkrämpfe aus, die zu Durchblutungsstörungen und Missempfindungen führen.
  • Psychische Störungen: Angst-/Panikattacken, Angststörungen und das Hyperventilationssyndrom können mit Kribbeln und Taubheitsgefühlen einhergehen.
  • Medikamente und Umweltgifte: Vergiftungen oder Nebenwirkungen von Medikamenten können Nervenschäden verursachen, die zu Missempfindungen führen.
  • Vitaminmangel: Ein Mangel an Vitamin B12 oder Pantothensäure kann Kribbeln verursachen.
  • Magnesiummangel: Ein Magnesiummangel kann ebenfalls zu Kribbeln führen.

Was tun bei Kribbeln?

Bei häufigem, anhaltendem oder neu auftretendem Kribbeln ohne erkennbaren Grund sollte ein Arzt aufgesucht werden, um die Ursache abzuklären.

Selbsthilfemaßnahmen

  • Betupfen: Bei Kribbeln auf den Lippen, das auf Herpes hindeutet, können Propolis, ätherisches Minzöl oder Teebaumöl (verdünnt) aufgetragen werden.
  • Inhalieren: Bei beginnendem Schnupfen mit Kribbeln in der Nase kann eine Inhalation mit Kamillenblüten, Salbeiblättern und Eukalyptusöl helfen.
  • Vitamine und Magnesium: Bei einem Mangel an Vitamin B12, Pantothensäure oder Magnesium sollte die Ernährung entsprechend angepasst werden.

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