Parkinson ist eine fortschreitende neurologische Erkrankung, von der weltweit über zehn Millionen Menschen betroffen sind. Sie ist durch den Verlust dopaminproduzierender Nervenzellen im Gehirn gekennzeichnet, was zu motorischen Beeinträchtigungen wie Zittern und Steifheit führt. Obwohl bestehende Medikamente die Symptome lindern können, gibt es derzeit keine Heilung für Parkinson. Das Pharmaunternehmen Bayer will den Markt erschließen und geht mit seiner neuen Behandlung gegen Parkinson bereits in die zulassungsrelevante Testphase.
Der aktuelle Stand der Parkinson-Behandlung
Bisher gibt es keine Heilung für Parkinson. Die derzeitigen Behandlungsmethoden konzentrieren sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Medikamente wie Levodopa können den Dopaminmangel im Gehirn ausgleichen und die motorischen Symptome verbessern. Diese Medikamente verlieren jedoch mit der Zeit an Wirksamkeit und können Nebenwirkungen verursachen.
Bayers vielversprechender Ansatz: Zell- und Gentherapie
Bayer hat bei der Entwicklung einer neuartigen Therapie gegen Parkinson einen wichtigen Meilenstein erreicht. Das Unternehmen verfolgt einen kombinierten Ansatz mit Zell- und Gentherapien, um die Parkinson-Krankheit zu behandeln.
Zelltherapie mit Bemdaneprocel
Für den Zelltherapiekandidaten Bemdaneprocel sei der erste Patient in die zulassungsrelevante Phase-3-Studie aufgenommen worden, teilte der Pharma- und Agrarkonzern mit. Die Studie mit rund 100 Parkinson-Patienten ist die weltweit erste ihrer Art mit einer solchen Therapie. Die Zelltherapie Bemdaneprocel zielt darauf ab, die bei Parkinson verlorenen dopaminproduzierenden Neuronen zu ersetzen. Dafür werden aus Stammzellen gezüchtete Nerven-Vorläuferzellen in das Gehirn der Patienten implantiert. Die Stammzellen stammen aus einer Zellbank, die auf eine einmalige Embryonen-Spende vor mehr als 20 Jahren zurückgeht. Diese war im Rahmen einer künstlichen Befruchtung für die Forschung erfolgt.
Im Januar hatte Bayer von der US-Arzneimittelbehörde FDA grünes Licht erhalten, Bemdaneprocel nach positiven Ergebnissen in einer klinischen Studie der Phase 1 mit zwölf Teilnehmern direkt in die entscheidende dritte und letzte Phase der Entwicklung zu bringen.
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Die Bayer-Tochter BlueRock Therapeutics, die sich im Schwerpunkt um neue Formen von Zelltherapien kümmern soll, darf mit Unterstützung der FDA direkt von der Phase I in die Phase III der klinischen Entwicklung einer Zelltherapie bei Parkinson übergehen. Gleichwohl befindet sich der Ansatz noch in einem frühen Stadium des Wirksamkeitsnachweises.
Die Zulassungsstudie mit dem Namen exPDite-2 soll in der ersten Jahreshälfte 2025 beginnen und stellt einen bedeutenden Meilenstein für die Entwicklung von allogenen Zelltherapien zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen dar. Der Schritt in die nächste Phase folgt direkt nach dem Abschluss der Phase I mit Unterstützung der FDA.
Daten aus der zuvor absolvierten Phase I-Studie mit zwölf Teilnehmern zeigten, dass Bemdaneprocel auch 24 Monate nach der Operation gut vertragen wurde. Es traten keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit der Therapie auf. Darüber hinaus wurden ermutigende Trends bei den sekundären Endpunkten bezüglich motorischer Beeinträchtigungen nach 24 Monaten beobachtet. Aufbauend auf diesen positiven Ergebnissen wird durch die FDA wegen des hohen Bedarfs an Parkinson-Behandlungsoptionen die klinische Entwicklung unter enger Begleitung verkürzt und die Phase III-Studie exPDite-2 als Doppelblind-Studie durchgeführt. Der primäre Endpunkt der Studie ist die Veränderung der Zeit, die Patienten im „ON“-Zustand ohne störende Dyskinesien nach 78 Wochen verbringen. Diese Zeit wird mithilfe eines Patiententagebuchs erfasst, das an einen 16-Stunden-Wachtag angepasst ist.
Bemdaneprocel (BRT-DA01) ist eine Zelltherapie in der klinischen Entwicklung, um die Dopamin-produzierenden Neuronen zu ersetzen, die bei der Parkinson-Krankheit zerstört werden. Diese dopaminergen Neuronen werden aus pluripotenten Stammzellen (PSC), einschließlich menschlicher embryonaler Stammzellen, gewonnen. Sie werden während einer Operation in das Gehirn von Parkinson-Patienten implantiert. Nach der Transplantation sollen sie neuronale Netzwerke regenerieren, die durch die Krankheit beschädigt wurden, und so motorische und nicht-motorische Funktionen der Patienten verbessern. Die indizierbaren pluripotenten Stammzellen werden durch BlueRock mittels CRISPR/Cas genetisch editiert, so dass ihnen die HLA-Oberflächenmarker fehlen, die zur Erkennung durch Zellen des Empfängerimmunsystems und gegebenfalls einer Abstoßungsreaktion führen könnten. Dennoch ist der klinische Ansatz noch in einem frühen Stadium. Bisher ging es hauptsächlich um die Verträglichkeit des Transplantats, was die Kontrolle einer eventuell auftretenden Abwehrreaktion des Immunsystems des Empfängers einschloss. Bei den bisher beobachteten Studienteilnehmern wurde keine solche Reaktion gefunden. Die wesentliche Frage ist jedoch noch weitgehend ungeklärt, ob die neuen Stammzellen im Gehirn des Empfängers auch das durch die Parkinsonkrankheit bereits gestörte Netzwerk aus Neuronen und vielen weiteren Zelltypen wieder reparieren können oder zumindest den weiteren Abbau verhindern.
Gentherapie mit AB-1005
Bayer kündigte zudem an, dass eine Phase-2-Studie für die Gentherapie AB-1005 gegen Parkinson in Europa gestartet ist - in den USA läuft diese bereits. AB-1005 ist eine experimentelle Gentherapie, die neuroregenerative Effekte untersuchen soll.
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Partnerschaft und Expertise
Beide Therapien werden in Zusammenarbeit mit den hundertprozentigen Tochtergesellschaften BlueRock Therapeutics (Bemdaneprocel) und AskBio (AB-1005) entwickelt. Mit der Übernahme von BlueRock Therapeutics im August 2019 hat sich Bayer den Zugriff auf eine mögliche Zelltherapieoption zur Behandlung der Parkinson-Krankheit gesichert. BlueRock Therapeutics LP wurde 2016 als ein Joint Venture von Versant Ventures und Leaps by Bayer gegründet, der Impact-Investing-Einheit der Bayer AG. Ende 2019 übernahm Bayer alle Anteile und machte BlueRock zu einer hundertprozentigen Bayer-Tochter als eine Kerneinheit der neu gegründeten Zell- und Gentherapieplattform von Bayer.
Die Herausforderungen und Risiken
Der Chef der Bayer-Pharmasparte, Vorstandsmitglied Stefan Oelrich, sprach von einem Ansatz, der die Medizin verändern könne. Er räumte ein, dass es sich um eine riskante Technologie handle. Bei einem Erfolg der Studien hoffe er, vor dem Ende des Jahrzehnts ein Medikament für Patienten verfügbar zu haben. Zur Sicherheit des Verfahrens sagte Oelrich, in der vorangegangenen, kleineren Studie habe es bei den Patienten über einen Zeitraum von drei Jahren keine Probleme wie etwa unerwünschtes Zellwachstum gegeben.
Die Entwicklung von Zell- und Gentherapien ist ein komplexer und risikoreicher Prozess. Es gibt keine Garantie dafür, dass diese Therapien erfolgreich sein werden. Es ist wichtig zu beachten, dass sich diese Ansätze noch in einem frühen Stadium der Entwicklung befinden und weitere Forschung erforderlich ist, um ihre Wirksamkeit und Sicherheit zu bestätigen.
Expertenmeinungen und Studienergebnisse
Christian Rommel, Leiter der Forschung und Entwicklung der Pharma-Division von Bayer, ist motiviert und freut sich über den kombinierten Ansatz für Zell- und Gentherapien, der Patienten neue Chancen bieten soll.
Alzheimer-Experte Christian Haass bewertet die Fortschritte in der Forschung an neurodegenerativen Erkrankungen "vorsichtig optimistisch". Er betont, dass neue Ansätze in Forschung und Entwicklung langfristig Chancen bieten, die Lebensqualität von Patient:innen zu verbessern.
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Zwei aktuelle „Nature“-Studien zeigen, dass Transplantationen von im Labor gezüchteten Nervenzellen bei Parkinson-Patientinnen und -patienten sicher sind - und in einigen Fällen sogar messbare Verbesserungen bringen können. Beide Studien setzen auf unterschiedliche Stammzelltypen als Ausgangszellen, kommen aber zu ähnlichen, hoffnungsvollen Ergebnissen.
In einer klinischen Phase-1-Studie in den USA testeten Forschende unter der Leitung von Viviane Tabar eine Therapie mit aus Embryonen gewonnenen Stammzellen. Im Labor wurden sie gezielt in eine Vorstufe von dopamin-produzierenden Nervenzellen umgewandelt. Diese Zellen wurden anschließend in das Gehirn von zwölf Parkinson-Patientinnen und -Patienten transplantiert. Nach 18 Monaten waren keine schweren Nebenwirkungen zu beobachten. Es bildeten sich auch keine Tumore. Radiologische Untersuchungen zeigten, dass die Zellen überlebten und Dopamin produzierten. Die Beweglichkeit verbesserte sich vor allem in der Hochdosisgruppe.
Ein anderes Forschungsteam aus Japan um Ryosuke und Jun Takahashi setzte derweil in einer Phase-2-Studie auf eine ethisch weniger umstrittene Stammzellquelle: Die Autorinnen und Autoren nutzten sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen). Dafür nutzten sie Blutzellen von einem gesunden Spender. Im Labor wurden diese Zellen in einen „Stammzell-Zustand“ zurückversetzt und so zu iPS-Zellen. Aus ihnen wurden anschließend ähnlich wie in der ersten Studie im Labor gezielt Vorläufer von dopamin-produzierenden Nervenzellen hergestellt. Diese wurden insgesamt sechs Patientinnen und Patienten ins Gehirn transplantiert. Die Teilnehmenden wurden über zwei Jahre beobachtet. Auch hier zeigten sich positive Effekte wie in der Studie von Tabar et al.
Beide Studien sind nicht auf eine Wirksamkeitsanalyse ausgelegt. Sie beleuchten die Sicherheit (Phase 1) und Effektivität (Phase 2) der Behandlung. Zudem wurde in beiden Fällen ein offenes Studiendesign gewählt - was bei frühen klinischen Untersuchungen üblich ist. Es gab also keine Kontrollgruppe und alle Beteiligten wussten, wer die Behandlung erhält (nicht verblindet). Dadurch erhöht sich das Risiko von Placeboeffekten.
Die Bedeutung für Patienten und Forschung
Bayer betont die Chance, die Parkinson-Therapielandschaft zu verändern. Obwohl eine Heilung der Parkinson-Erkrankung bislang nicht möglich ist, könnten Stammzelltherapien das ändern. Die beiden genannten Studien zeigen, dass aus Stammzellen gewonnene Nervenzellen sicher in das Gehirn transplantiert werden können. Forschende bewerten die Ansätze als vielversprechend, wenngleich noch keine eindeutigen Rückschlüsse auf eine langfristige Wirksamkeit möglich seien.
Die Zukunft der Parkinson-Behandlung
Die Forschung im Bereich der Parkinson-Behandlung schreitet stetig voran. Neben den Zell- und Gentherapien von Bayer gibt es auch andere vielversprechende Ansätze, wie Immuntherapien und Substanzen, die die für die Parkinson-Erkrankung typischen Verklumpungen von Proteinen im Gehirn auflösen können.
Medizinerinnen und Mediziner sind zuversichtlich, die Parkinson-Krankheit - wenn zwar nicht heilen - aber zumindest in einem möglichst frühen Stadium diagnostizieren und behandeln zu können. Das käme einer Heilung ziemlich nahe.
Am weitesten sei man bei den Immuntherapien, speziell bei Antikörpertherapien. Hier gebe es "erste Ergebnisse, die auf eine Verlangsamung des Krankheitsverlaufs hindeuten". Besonders viel verspricht sich der Neurologe auch von Substanzen, die die für die Parkinson-Erkrankung typischen Verklumpungen von Proteinen im Gehirn auflösen können. Dazu gebe es derzeit erste klinische Studien. "Man hofft, dass auch im Menschen Effekte, wie sie im Tier schon beobachtet wurden, darstellbar sind", so der Mediziner.
Es habe sich in den vergangenen Monaten viel getan. Man sei inzwischen in der Lage, aus dem Nervenwasser von Parkinson-Patienten mit einer recht hohen Genauigkeit sagen zu können, ob der Patient die Erkrankung habe oder nicht - oder ob sie womöglich im Entstehen sei. Deshalb sei die frühe Diagnose wichtig. Je früher man in den Krankheitsverlauf eingreifen kann, desto besser ist das für den Patienten oder die Patientin. Denn, dass "Funktionen, die mal verloren gegangen sind, wieder zurückkommen, ist schwierig, weil Nervenzellen sich nicht wieder neu bilden".