Die Leitungsanästhesie ist eine wichtige Methode zur Schmerzausschaltung in der Zahnmedizin. Sie ermöglicht es, Eingriffe im Mund- und Kieferbereich schmerzfrei durchzuführen. Bei dieser Technik werden gezielt die Nerven betäubt, die das Behandlungsgebiet versorgen.
Grundlagen der Leitungsanästhesie
Bei der Leitungsanästhesie wird das Lokalanästhetikum in die Nähe von Nervenästen oder bestimmten Nerven injiziert. Dadurch wird die Reizweiterleitung in den Nerven unterbrochen, was zu einer Betäubung des Versorgungsgebiets führt. Im Gegensatz zur Infiltrationsanästhesie, bei der das Anästhetikum direkt ins Gewebe in der Nähe des Behandlungsgebiets injiziert wird, wirkt die Leitungsanästhesie auf einen größeren Bereich.
Intraorale und extraorale Techniken
Man unterscheidet zwischen intraoraler und extraoraler Leitungsanästhesie. Bei der intraoralen Technik erfolgt die Injektion innerhalb des Mundraums, während bei der extraoralen Technik das Anästhetikum von außerhalb des Mundes injiziert wird. Die extraorale Leitungsanästhesie ermöglicht eine gezielte Betäubung von Nerven, die tiefer liegen oder schwerer zugänglich sind.
Betäubte Nerven und Injektionsstellen
Je nach Behandlungsregion werden bei der Leitungsanästhesie unterschiedliche Nerven betäubt:
- Unterkiefer:
- Nervus alveolaris inferior: Betäubung des Unterkiefers, der Zähne und der Lippe auf der gleichen Seite. Die Injektion erfolgt in der Nähe des Foramen mandibulae.
- Nervus mentalis: Betäubung des Kinns und der Unterlippe. Die Injektion erfolgt am Foramen mentale.
- Nervus lingualis: Betäubung der Zunge auf der gleichen Seite.
- Oberkiefer:
- Nervus infraorbitalis: Betäubung des Oberkiefers, der Zähne, der Nase und der Oberlippe auf der gleichen Seite. Die Injektion erfolgt am Foramen infraorbitale unterhalb des Auges.
- Nervus palatinus major: Betäubung des harten Gaumens. Die Injektion erfolgt am Foramen palatinum majus.
- Nervus incisivus: Betäubung des vorderen Gaumenbereichs. Die Injektion erfolgt am Foramen incisivum.
Durchführung der Leitungsanästhesie
Vor der Durchführung einer Leitungsanästhesie muss der Zahnarzt eine genaue Analyse der Mundregion vornehmen, um die richtige Injektionsstelle zu identifizieren. Zudem ist es wichtig, den Patienten nach möglichen Allergien oder Unverträglichkeiten gegenüber den verwendeten Anästhetika zu fragen.
Lesen Sie auch: Leitfaden: Welcher Arzt hilft bei Nervenschmerzen im Fuß?
Bei der Injektion ist es entscheidend, die anatomischen Strukturen genau zu kennen, um den Nerv gezielt zu erreichen und Verletzungen zu vermeiden. Nach der Injektion dauert es einige Minuten, bis das Betäubungsmittel seine Wirkung entfaltet und eine vollständige Taubheit eintritt. Der Zahnarzt überprüft die Wirksamkeit der Anästhesie vor Beginn der Behandlung.
Herausforderungen und Komplikationen
Obwohl die Leitungsanästhesie eine bewährte Methode ist, gibt es einige Herausforderungen und mögliche Komplikationen:
- Nervverletzungen: In seltenen Fällen kann es durch die Injektion zu einer Verletzung des Nervs kommen, was zu vorübergehenden oder dauerhaften Sensibilitätsstörungen führen kann. Die Literatur gibt eine Prävalenz von reversiblen Sensibilitätsstörungen mit 0,1 Prozent an, während Dauerschädigungen in weniger als 0,01 Prozent der Fälle auftreten.
- Intravasale Injektion: Trotz Aspirationstest kann es vorkommen, dass das Anästhetikum versehentlich in ein Blutgefäß injiziert wird. Dies kann zu Herz-Kreislauf-Beschwerden oder einer verminderten Betäubungswirkung führen.
- Hämatome: Durch die Punktion eines Blutgefäßes kann es zur Bildung eines Hämatoms kommen, was zu einer Kieferklemme oder einer Parulis führen kann.
- Allergische Reaktionen: In seltenen Fällen kann es zu allergischen Reaktionen auf das verwendete Anästhetikum kommen.
Alternativen zur Leitungsanästhesie
In bestimmten Situationen können alternative Anästhesieverfahren in Betracht gezogen werden:
- Infiltrationsanästhesie: Bei dieser Technik wird das Anästhetikum direkt in das Gewebe in der Nähe des zu behandelnden Zahns injiziert. Sie eignet sich vor allem für Eingriffe im Oberkiefer und im Frontzahnbereich des Unterkiefers, wo der Knochen leichter durchdringbar ist.
- Intraligamentäre Anästhesie (ILA): Hierbei wird das Anästhetikum direkt in den Desmodontalspalt, den Raum zwischen Zahn und Knochen, injiziert. Die intraligamentäre Anästhesie ist heute ein in der Zahnheilkunde anerkanntes Anästhesieverfahren. Der Erfolg einer intraligamentären Anästhesie hängt vor allem von geeigneten Instrumentarien ab. Dosierradspritzen erlauben eine präzise Feinstmengendosierung und eine optimale Druck- und Zeitkontrolle.
- Oberflächenanästhesie: Durch Auftragen von Anästhetika in Form von Gels, Salben oder Sprays auf die Schleimhaut kann eine oberflächliche Betäubung erreicht werden. Die Oberflächenanästhesie eignet sich vor allem zur Milderung des Einstichschmerzes bei Injektionen oder zur Reduzierung des Würgereizes bei Abformungen.
Infiltrationsanästhesie als Alternative im Unterkiefer
In der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Homburg/Saar wird bei dentoalveolären Eingriffen auch im Unterkiefer bevorzugt die Infiltrationsanästhesie verwendet. Dabei kommt 4%iges Articainhydrochlorid mit Adrenalin 1:100.000 zum Einsatz. Dieses Präparat weist eine gute Knochengängigkeit auf und ermöglicht durch die eingriffsnahe Vasokonstriktion eine gute Übersicht über das Operationsfeld.
Ein Beispiel für die Anwendung der Infiltrationsanästhesie ist die Insertion von enossalen Implantaten im Unterkiefer. Hierbei wird das Anästhetikum bukkal und lingual am Plexus dentalis injiziert. Nach einer Einwirkzeit von etwa fünf Minuten kann eine vollständige Anästhesie im Operationsgebiet festgestellt werden.
Lesen Sie auch: So finden Sie den Spezialisten für Fußpolyneuropathie
Intraligamentäre Anästhesie (ILA) im Detail
Eine subtile Möglichkeit der örtlichen Betäubung ist die Injektion von Anästhetikum in den Desmodontalspalt des zu behandelnden Zahns. Schon seit Beginn des letzten Jahrhunderts wird berichtet, dass vor anstehenden Extraktionen durch Anästhetikuminjektion ins Desmodont proximal eines zu extrahierenden Zahns eine ausreichende Analgesie erreicht wurde. Die damals verfügbaren Spritzensysteme und Kanülen waren aber keine medizintechnische Basis für eine systematische Anwendung dieser Lokalanästhesiemethode in der zahnärztlichen Praxis.
Histologische Studien konnten die Ausbreitung des intradesmodontal injizierten Anästhetikums und den Wirkmechanismus dieser Anästhesiemethode aufklären. Die medizintechnische Entwicklung hat Injektionssysteme verfügbar gemacht, die es heute ermöglichen, das in den Desmodontalspalt zu injizierende Anästhetikum punktgenau und minimalinvasiv zu applizieren. Die klinische Eignung der für Injektionen ins Ligamentum circulare via Sulcus gingivalis verfügbaren Injektionssystem wurde in klinischen Studien bewertet. Dabei wurden signifikante Unterschiede zwischen den angewandten Injektionssystemen (Pistolenspritzen, Dosierhebelspritze, Dosierradspritzen) festgestellt. Nur für die Dosierradspritzen war es möglich, eine (anwenderunabhängige) Standardisierung in der DIN-Norm 13989:2013 zu definieren.
Die in der DIN-Norm 13989:2013 vorgegebene „Feinstmengendosierung und optimale Druck- und Zeitkontrolle“ ist mittels der Dossierradspritze uneingeschränkt möglich, weil bei diesem Injektionssystem Druckaufbau und -übertragung ohne ein integriertes mehrstufiges Hebelsystem erfolgt. Der Behandler kann somit den eigenen, von ihm aufgebauten Injektionsdruck präzise an den interstitiellen Gegendruck des Patienten anpassen. Das von ihm „angediente“ Anästhetikum wird vom zahnumgebenden Gewebe resorbiert und breitet sich intraossär aus.
Ergebnisse einer klinischen Observationsstudie zur ILA
Im Rahmen einer klinischen Observationsstudie der Bundeswehr in wissenschaftlicher Begleitung der Friedrich-Schiller-Universität Jena sollte die praktische Anwendbarkeit der ILA-Methode und ihre Applikation speziell im Unterkieferseitenzahnbereich dokumentiert werden. Alle in einem Zeitraum von 16 Monaten im Rahmen der truppenzahnärztlichen Versorgung von Soldaten durchgeführten intraligamentären Lokalanästhesien gingen in die Studie ein. Dokumentiert wurden alle konservierenden, restaurativen und endodontischen Behandlungen unter Schmerzausschaltung sowie Lokalanästhesien im Zusammenhang mit prothetischen Maßnahmen.
Insgesamt wurden 321 Zähne durch intraligamentale Injektionen anästhesiert, davon 88 im Oberkiefer und 233 im Unterkiefer. Unter konventionellen Bedingungen wären von den dokumentierten 321 Zähnen 114 durch Infiltrations- bzw. Terminalanästhesie und 207 durch Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior anästhesiert worden. Im Unterkieferseitenzahnbereich wurde bei allen 207 Zähnen, d.h. von 34 bis 38 und von 44 bis 48, vor anstehenden zahnerhaltenden Therapien versucht, durch intraligamentale Injektionen eine Lokalanästhesie zu erreichen. Nach der initialen intraligamentalen Injektion von Anästhetikum war bei 168 Fällen (81,2%) eine ausreichende Analgesie gegeben; bei 39 Fällen wurde intraligamental nachinjiziert, was bei 94,9% (37 Fälle) erfolgreich war. Durch die initialen und komplettierenden intraligamentalen Injektionen konnte ein intraligamentärer Anästhesieerfolg von 99,0% erreicht werden.
Lesen Sie auch: Schlagerstar nach Schlaganfall: Einblick in die Genesung
Sofort nach Abschluss der intraligamentalen Injektion, die pro Zahnwurzel mit 20 bis 25 Sekunden anzusetzen ist, wurde der Anästhesieeintritt durch Sondierung und Kältetest überprüft. Die intraligamentäre Anästhesie war überwiegend ausgeprägt (81,2%). Die erforderlichen Nachinjektionen erfolgten unverzüglich, die bis auf zwei Fälle (0,97%) erfolgreich waren. Durch die Sondierung und den Kältetest konnte festgestellt werden, dass sich die Anästhesie nur auf den betroffenen, zu anästhesierenden Zahn und das zahnumgebende Gewebe begrenzte. Da die intraligamentäre Anästhesie ohne Latenz eintritt, kann der Anästhesieerfolg sofort überprüft werden.
Die Grenzen der intraligamentären Anästhesie liegen im chirurgischen Bereich, wo diese Lokalanästhesiemethode die Anforderungen für länger dauernde und ausgedehnte dentoalveoläre chirurgische Eingriffe nur bedingt erfüllen kann.
Vorteile der ILA
Die intraligamentäre Anästhesie bietet einige Vorteile gegenüber der Leitungsanästhesie:
- Sofortiger Wirkungseintritt: Da zwischen Injektion und Anästhesieeintritt praktisch keine Latenz liegt, kann der Anästhesieerfolg sofort überprüft werden.
- Lokale Wirkung: Die Anästhesie beschränkt sich auf den zu behandelnden Zahn und das umliegende Gewebe, wodurch Taubheitsgefühle in Lippe oder Zunge vermieden werden.
- Geringeres Risiko von Komplikationen: Da die Injektion unter vollständiger visueller Kontrolle erfolgt und die Kanüle nur wenige Millimeter in den Desmodontalspalt eingeführt wird, ist das Risiko von Nervverletzungen oder Gefäßpunktionen geringer.
ILA als primäre Methode der Lokalanästhesie
Die dokumentierten und ausgewerteten Ergebnisse der durchgeführten Studien zeigen, dass die intraligamentäre Anästhesie auch bei zahnerhaltenden Maßnahmen im Unterkieferseitenzahnbereich als primäre Methode der Lokalanästhesie zu betrachten ist. Sie kann die Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior uneingeschränkt kompensieren. Die bei der Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior bekannten Risiken eines Gefäß- oder Nervkontakts und die artikulatorischen und mastikatorischen Beeinträchtigungen des Patienten nach Abschluss der Behandlung sind bei der intraligamentalen Applikation von Anästhetikum nicht gegeben.
tags: #Leitungsanästhesie #welcher #Nerv