Migräne, insbesondere Migräne mit Aura, steht seit langem im Verdacht, das Schlaganfallrisiko zu erhöhen. Eine Aura umfasst neurologische Symptome, die typischerweise etwa 30 Minuten vor den eigentlichen Migränekopfschmerzen auftreten. Diese Symptome nehmen allmählich zu und klingen langsam wieder ab, wobei sie sich in der Regel innerhalb einer Stunde vollständig zurückbilden. Am häufigsten handelt es sich um Sehstörungen, die einseitig links oder rechts im Gesichtsfeld auftreten. Seltener treten Auren in Form von Gefühlsstörungen an Armen oder Beinen auf.
Das erhöhte Schlaganfallrisiko bei Migräne-Patienten
Migränepatienten leiden manchmal nicht nur an den regelmäßig wiederkehrenden Kopfschmerzattacken und der Übelkeit. Ein Teil der Patienten - insbesondere Migränepatientinnen mit Aura - hat auch ein etwas erhöhtes Risiko für Schlaganfälle. Eine aktuelle Auswertung der Nurses' Health Study II hat ergeben, dass junge Frauen, die an Migräne leiden, langfristig ein um 50 Prozent höheres Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse haben als Frauen ohne Migräne.
Frauen, die unter Migräne leiden, haben ein erhöhtes Schlaganfallrisiko. Die Migräne ist zwar eine sehr belastende, medizinisch aber vergleichsweise harmlose Erkrankung. Gleichwohl kann sie vor allem für junge Frauen unter 35 Jahren gefährlich werden: Sie haben ein um den Faktor 1,7 leicht erhöhtes Schlaganfallrisiko. Leiden die Frauen an einer Migräne mit Aura, bei der den Kopfschmerzen neurologische Ausfallserscheinungen wie beispielsweise Seh-, Gefühls- und Sprachstörungen vorausgehen, ist ihr Risiko nochmals höher. Es ist um den Faktor 3 erhöht. Die Gefahr, einen Schlaganfall zu erleiden, wächst vor allem dann nochmals, wenn die Frauen rauchen. "Darum sollten Migränikerinnen keinesfalls zur Zigarette greifen", warnt Professor Hans-Christoph Diener von der Neurologischen Universitätsklinik in Essen. Gesichert ist, dass ältere Antibabypillen, die mehr als 50 Mikrogramm Östrogen enthalten, das Schlaganfallrisiko von Migränikerinnen ebenfalls leicht erhöhen. Ob dies indes auch für moderne, niedrig dosierte Kontrazeptiva gilt, ist noch nicht endgültig geklärt.
Die 115.541 Teilnehmerinnen der Nurses' Health Study II waren bei Studieneinschluss zwischen 25 und 42 Jahre alt und frei von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 17.531 hatten zu Beginn bereits eine ärztlich diagnostizierte Migräne, weitere 6389 kamen im Lauf der Studie hinzu. Der Anstieg des kardiovaskulären Risikos bei Migräne war unabhängig von Alter (unter/über 50 Jahre), Hormongebrauch, Raucherstatus und Blutdruck (Hypertonie ja/nein). Die Ergebnisse stehen laut Kurth und Koautoren in Einklang mit anderen epidemiologischen Studien. In einer großen Kohortenstudie war ein erhöhtes Gefäßrisiko allerdings nur bei Migräne mit Aura festgestellt worden.
Migräne mit Aura als Risikofaktor bei Frauen
Frauen zeigen beim Schlaganfall häufig zusätzliche Beschwerden, die die typischen Anzeichen wie Lähmung oder Sprachstörungen verdecken können. Besonders gefährlich wird es, wenn Frauen bereits an einer Krankheit wie Migräne leiden, die ähnliche Symptome verursacht. “Migräne-Patientinnen sollten deshalb sehr aufmerksam sein”, rät Prof. Dr. Götz Thomalla, Fachbeirat der Deutschen Hirnstiftung. Vorsicht ist gerade bei Migräne mit Aura geboten, wo Anfällen oft Symptome wie Schwindel, Übelkeit oder Sehstörungen vorausgehen. Hat man diese Form der Migräne, erhöht das nachweislich das Risiko einer plötzlichen Durchblutungsstörung im Gehirn. Eine Studie von 2025 bestätigt die Unterschiede bei Schlaganfallsymptomen zwischen Frauen und Männern.
Lesen Sie auch: Erfahrungen mit Epilepsie Aura
Dallas - Erleiden Frauen mit Migräne mit einer Aura einen Schlaganfall, so fallen die Behinderungen durch diesen deutlich milder aus, als bei Frauen ohne Migräne. Diese Erkenntnisse gewannen Wissenschaftler um Tobia Kurth von dem Women`s Hospital in Boston, Massachusetts. Sie publizierten ihre Ergebnisse in der Zeitschrift Circulation (doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.110.977306).
Symptome und Diagnose
Dabei können die Symptome einer Migräne mit Aura denen bei einem Schlaganfall ähneln. Betroffene und auch Angehörige sollten bei Attacken besonders aufmerksam sein. „Bemerken Patienten im Rahmen einer Aura neue neurologische Symptome oder treten Aura-Beschwerden wie Empfindungs-, Seh- oder Sprachstörungen zum gleichen Zeitpunkt wie Kopf- und Gesichtsschmerzen auf, sollte unbedingt auch an einen Schlaganfall gedacht werden“, betont Prof. Gereon Nelles vom Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) mit Sitz der Geschäftsstelle in Krefeld.
„Typisch für einen Schlaganfall sind im Gegensatz zur Migräne-Aura abrupt einsetzende Beschwerden, wie Taubheit, Schwäche oder Lähmungserscheinungen sowie eine plötzliche Sprachstörung und/oder Gleichgewichtsstörungen“, ergänzt der Experte.
Der FAST-Test zur Erkennung eines Schlaganfalls
Einem Verdacht auf einen Schlaganfall können auch medizinische Laien mit einem einfachen Test nachgehen. Innerhalb kürzester Zeit lassen sich die wichtigsten dieser Anzeichen mit dem sogenannten FAST-Test überprüfen, der aus dem englisch-sprachigen Raum stammt:
- F steht für Face (Gesicht): Man sollte die Person bitten zu lächeln. Wenn das Gesicht einseitig verzogen ist, deutet das auf eine halbseitige Lähmung hin.
- A steht für Arms (Arme): Dabei bittet man die Person, die Arme nach vorne zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Bei einer Lähmung können nicht beide Arme gehoben werden, sie sinken wieder herunter oder drehen sich.
- S steht für Speech: Ist der Betroffene nicht in der Lage, einen einfachen Satz nachzusprechen oder klingt seine Stimme dabei verwaschen, ist das ein Zeichen für Sprachstörungen.
Aura oder Schlaganfall? Die Checkliste
Wenn mindestens zwei der folgenden Punkte erfüllt sind, spricht das eher für einen Schlaganfall:
Lesen Sie auch: Was tun bei Epilepsie Aura?
- Alle Symptome treten innerhalb von unter einer Minute mit maximaler Intensität auf und breiten sich nicht allmählich aus.
- Es bestehen mehrere Symptome, die gleichzeitig auftreten.
- Alle Symptome sind Defizite wie Sehverlust, Taubheit, Lähmungen. Es bestehen keine sogenannten positiven Symptome wie Zickzacklinien, Kribbeln oder Farbsehen.
- Die Symptome werden nicht von Kopfschmerz begleitet, es folgt ihnen innerhalb einer Stunde auch kein Kopfschmerz nach.
Eher für eine Migräne-Aura sprechen diese Punkte:
- Die Symptome treten langsam über 15 bis 30 Minuten zunehmend auf.
- Wenn mehrere Symptome auftreten, treten sie sukzessive, also eines nach den anderen, auf.
- Es bestehen sogenannte positive Symptome wie Zickzacklinien, Kribbeln, Farbsehen.
- Nach spätestens einer Stunde folgen diesen Symptomen Kopfschmerzen.
Ursachen und Risikofaktoren
Der zugrunde liegende Pathomechanismus für den Zusammenhang zwischen Migräne mit Aura und Schlaganfall ist noch unklar. Einige Faktoren begünstigen aber besonders bei Frauen Schlaganfälle: Dazu gehört zum Beispiel das Vorhofflimmern. Betroffene Frauen bekommen doppelt so häufig einen Schlaganfall wie Männer mit Vorhofflimmern. Auch Frauen mit Diabetes sind stärker gefährdet als Männer.
Gerade bei Menschen, die nicht die klassischen Risikofaktoren aufweisen, findet man häufig akute auslösende Faktoren. In der Altersspanne von 16 bis 55 Jahren steckt oft ein kleiner angeborener Defekt im Herzen hinter einem Schlaganfall - ein offenes oder persistierendes Foramen ovale (PFO). Dabei handelt es sich um eine Verbindung zwischen dem rechten und dem linken Herzvorhof, die sich normalerweise in den ersten Wochen nach der Geburt verschließt. Bei jedem Vierten wächst das Loch (Foramen ovale) allerdings nicht vollständig zu, es bleibt dauerhaft offen.
Wenn die innere Gefäßwand einer Halsschlagader plötzlich einreißt, kann diese sogenannte Dissektion ebenfalls zum Schlaganfall führen. Das kann beispielsweise auch die sogenannte Vertebralis-Arterie betreffen (Vertebralisdissektion): Sie verläuft zwischen den Wirbelkörpern und ist dort hohen mechanischen Belastungen ausgesetzt. Der Bluterguss in der Gefäßwand verengt die Ader, der Blutfluss wird behindert und hinter der Engstelle kann sich ein Blutgerinnsel bilden. Löst sich das Gerinnsel, kann es ins Gehirn geschwemmt werden und dort ein Gefäß verschließen, also einen Schlaganfall auslösen. Zu den typischen Warnzeichen einer Dissektion gehören einseitige Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen und Ohrgeräusche.
Migräne mit Aura erklärt viele Schlaganfälle bei jüngeren Menschen
Bei Menschen unter 50 Jahren mit offenem Foramen ovale könnte fast jeder 2. kryptogene, das heißt ungeklärte Schlaganfall auf eine Migräne mit Aura zurückzuführen sein. Zu diesem Ergebnis kommt eine europäische Fall-Kontroll-Studie in Stroke (2025; DOI: 10.1161/STROKEAHA.124.049855). Bei Menschen mit geschlossenem Foramen ovale erklärte die Migräne mit Aura jeden 5. kryptogenen Schlaganfall.
Lesen Sie auch: MS und Migräne: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Behandlung und Prävention
Bei einem akuten Schlaganfall werden die Betroffenen idealerweise auf einer Spezialstation, einer sogenannten Stroke Unit behandelt. Unmittelbar nach Einlieferung wird per CT oder MRT des Kopfes festgestellt, ob es sich um einen Hirninfarkt (ischämischer Schlaganfall) oder eine Hirnblutung handelt.
Um einem erneuten Schlaganfall vorzubeugen, sollten bei Risikopatienten regelmäßig der Blutdruck, die Cholesterinwerte und der Blutzucker überprüft und eingestellt werden. Auch eine Umstellung des Lebensstils mit viel Bewegung, gesünderer Ernährung und ohne Rauchen kann das Risiko eines erneuten Schlaganfalls verringern.
Akutbehandlung des Schlaganfalls
Bei einem Hirninfarkt muss die Durchblutung des betroffenen Gehirnbereichs so schnell wie möglich wiederhergestellt werden. Eine Methode ist die Thrombolyse (kurz: Lyse). Dabei wird ein das Gerinnsel auflösendes Medikament über die Vene in den gesamten Körper oder mittels Katheter direkt in das verschlossene Gehirngefäß verabreicht. Die Therapie sollte idealerweise innerhalb von viereinhalb Stunden nach Auftreten der ersten Schlaganfall-Symptome beginnen - je eher, desto besser der Behandlungserfolg.
Eine weitere Methode ist die Thrombektomie. Sie wird vor allem bei größeren Blutgerinnseln eingesetzt, die sich nicht allein medikamentös auflösen lassen. Dabei wird ein Katheter durch die Leiste ins Gehirn eingeführt und das Blutgerinnsel mit einem weichen Metallgitter-Geflecht eingefangen und abgesaugt. Ist die Thrombektomie nicht erfolgreich, kann das verstopfte Gefäß mit einem Ballonkatheter geweitet werden, damit das Blut wieder ungehindert fließen kann. Wenn der Ballon an der richtigen Stelle in der Arterie sitzt, wird er auf zwei Millimeter aufgeblasen. Danach wird ein Stent, also eine Gefäßstütze, eingesetzt.
Behandlung eines offenen Foramen ovale (PFO)
Nur wenn keine anderen Ursachen für einen Schlaganfall gefunden werden, kommt ein PFO als Schlaganfall-Ursache infrage. Auf den ersten Blick ist so ein Loch im Herzen auch für Ärzte nicht zu erkennen. In den Kliniken arbeiten Neurologen und Kardiologen, die Spezialisten für Gehirn- und Herzerkrankungen, dann eng zusammen. Ein sogenanntes Schluck-Echo kann ein PFO sichtbar machen.
Um einem erneuten Schlaganfall vorzubeugen, gibt es dann verschiedene Möglichkeiten. Entweder müssen lebenslang gerinnungshemmende Medikamente ("Blutverdünner") genommen werden, um die Bildung eines erneuten Blutgerinnsels zu verhindern. Alternativ kann das Loch mit einem Okkluder, einem kleinen Schirmchen, verschlossen werden. Das kleine Drahtgeflecht wird per Katheter von der Leiste bis ins Herz vorgeschoben - ein minimalinvasiver Eingriff, der etwa 20 Minuten dauert. Für diese Behandlung gibt es eine Leitlinienempfehlung.
Behandlung einer Dissektion
Wird eine verengende Dissektion gefunden, muss der Betroffene schnell mit blutverdünnenden Medikamenten behandelt werden, damit sich kein Blutgerinnsel bildet. Die Therapie dauert so lange, bis der Einriss in der Gefäßwand abgeheilt und der Bluterguss verschwunden ist.
Medikamentöse Behandlung von Migräne
„Zur akuten Behandlung sind keine Medikamente oder Hausmittel verfügbar“, sagt Charly Gaul. Aber: Es gibt Medikamente, die Patientinnen und Patienten vorbeugend einnehmen können, um die Migränehäufigkeit - und damit auch die der Auren - zu verringern. Oft heißt es, man solle sie erst nehmen, wenn die Aura abklingt. „Ursprünglich dachte man, dass sich ihr Wirkmechanismus über eine Gefäßverengung im Gehirn ableitet“, erklärt Gaul. Deswegen steht im Beipackzettel, dass Triptane nicht während der Aura eingenommen werden sollten. „Tatsächlich wirken diese Medikamente jedoch vor allem auf die Ausschüttung von Botenstoffen. Die damit verbundenen Veränderungen der Gefäßweite sind eher eine mittelbare Folge.“
Leben mit Migräne und Schlaganfallrisiko
Um eine Aura leichter zu überstehen, muss der Patient oder die Patientin lernen, mit Migräne-Attacken umzugehen. „Häufig sorgen sich Patienten, es könne eine Hirnerkrankung dahinterstecken oder sich ein Schlaganfall ankündigen“, sagt Charly Gaul. „Die beste Strategie hier ist, sich über die Aura zu informieren.“
Wichtig ist bei einem Schlaganfall nicht nur die Akutversorgung auf der Stroke Unit, sondern auch eine langfristige Nachbehandlung der Betroffenen. Nach einem Schlaganfall bleiben oft Lähmungen, Wahrnehmungs- und Sprechstörungen zurück. Um Langzeitschäden so gering wie möglich zu halten, sollte möglichst schon in den ersten Tagen in der Klinik mit Reha-Maßnahmen begonnen werden. Häufig treten zum Beispiel gefährliche Schluckstörungen auf, die in der Frühphase erkannt und behandelt werden müssen. Nach der Akuttherapie in der Klinik haben Betroffene in der Regel Anspruch auf eine Anschlussbehandlung.
Depressionen gehören zu den häufigsten Komplikationen nach einem Schlaganfall. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Veränderungen am Hirnstamm ein Biomarker dafür sein könnten. Mit einem hochauflösenden Hirnstamm-Ultraschall könnten Risikopatienten frühzeitig erkannt und behandelt werden.
Oft vergehen nach einem Schlaganfall viele Monate, bis der Alltag wieder funktioniert. Um einem erneuten Schlaganfall vorzubeugen, sollten bei Risikopatienten regelmäßig der Blutdruck, die Cholesterinwerte und der Blutzucker überprüft und eingestellt werden. Auch eine Umstellung des Lebensstils mit viel Bewegung, gesünderer Ernährung und ohne Rauchen kann das Risiko eines erneuten Schlaganfalls verringern.
tags: #Aura #warnt #vor #Schlaganfall #Ursachen