Das Altern des Gehirns ist ein komplexer Prozess, der viele Fragen aufwirft. Lange Zeit wurden Gehirne hauptsächlich nach dem Tod untersucht, was es schwierig machte, den Alterungsprozess selbst zu verstehen. Dank neuer Technologien können Forscher heute jedoch Gehirne über den Alterungsprozess hinweg untersuchen und so neue Einblicke gewinnen.
Beginn des Alterungsprozesses
Allgemein geht man davon aus, dass das Altern des Gehirns bereits in der dritten Lebensdekade beginnt. In der zweiten Lebensdekade erreicht das Gehirn biologisch seinen Höhepunkt. Danach gehen verschiedene Funktionen unterschiedlich schnell verloren. Die graue Substanz, die die neuronalen Zellkörper enthält, scheint früher zu schrumpfen als die weiße Substanz, die die Verbindungen zwischen den Zellen darstellt. Mit zunehmendem Alter beschleunigt sich dieser Schrumpfungsprozess.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass diese Veränderungen nicht zwangsläufig zu auffälligen Einbußen bei den kognitiven Funktionen führen müssen. Ein älterer Mensch wird im Normalfall nicht das gleiche kognitive Niveau wie eine Person in den 20ern haben, aber 80-Jährige mit einem für ihr Alter normalen kognitiven Niveau können bereits viel Hirnmasse verloren haben. Es gibt große interindividuelle Unterschiede in Bezug auf den Umfang des Hirnmasseverlusts. Dieser Verlust hängt auch damit zusammen, dass unser Gehirn veränderbar ist und sich anpasst. Es verfügt über Kompensationsmechanismen, die es uns ermöglichen, uns beispielsweise mehr zu konzentrieren, wenn die Aufmerksamkeit nachlässt, oder mehr nachzudenken, wenn der Gedächtnisabruf schwieriger wird.
Heterogener Schrumpfungsprozess
Ein interessanter Aspekt der Gehirnalterung ist, dass nicht alle Gehirnregionen gleichermaßen schrumpfen. Insbesondere das Gedächtnis und die Exekutivfunktionen lassen im Alter nach. Die Exekutivfunktionen umfassen die Konzentrationsfähigkeit, die Denkgeschwindigkeit, die Flexibilität beim Wechsel zwischen Themen und die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen.
Untersuchungen mittels Magnetresonanztomographie (MRT) haben bestätigt, dass Regionen, die das Gedächtnis und die Exekutivfunktionen unterstützen, wie der präfrontale Kortex und temporale Bereiche wie der Hippocampus, früher schrumpfen als Gehirnregionen, die auditorische, visuelle oder motorische Informationen verarbeiten.
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Warum das Gehirn heterogen schrumpft, ist noch nicht vollständig verstanden. Ein Erklärungsansatz ist die "Last in - First out"-Hypothese. Sie besagt, dass Gehirnbereiche, die sich später entwickeln, im Alter schneller abgebaut werden. Es gibt dabei ein verdächtig ähnliches Muster, wobei es nicht deckungsgleich. Diese Hypothese lässt sich aber nicht für alle Regionen im Gehirn bestätigen. Zusammenfassend kann man daher festhalten, dass es Gehirnbereiche gibt, die etwas stärker veränderbar sind als andere. Dies gilt in der Evolution, in der persönlichen Entwicklung zum Erwachsenenalter und auch im Altern.
Vaskularisierung und Mikro-Läsionen
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Gehirnalterung ist die Vaskularisierung, also die Versorgung mit Blutgefäßen. Verbesserte bildgebende Verfahren ermöglichen es, den Einfluss der Durchblutung auf das Altern genauer zu untersuchen. Mini-Schlaganfälle, die zu Mikro-Läsionen führen, sind ein weit verbreitetes Phänomen, das mehr als die Hälfte der über 60-jährigen Menschen betrifft. Diese Mikro-Läsionen können ausschlaggebend für einen darauffolgenden Volumenverlust sein, da die Nährstoffzufuhr dadurch abgeschnitten wird. Es gibt die Hypothese, dass Alterserscheinungen wie Schwierigkeiten mit der Balance oder Konzentration mit diesen mikrovaskulären Verletzungen zusammenhängen.
Veränderungen in den Hirnrindenschichten
Die Hirnrinde wird mit dem Alter dünner, was ein charakteristisches Merkmal des menschlichen Alterns ist. Tübinger Forschern ist es erstmals gelungen, die verschiedenen Schichten der Hirnrinde separat zu untersuchen und die Veränderungen der Hirnrindenschichten im Laufe des Alters zu messen. Dabei zeigte sich, dass nicht alle Schichten gleich stark altern. Nur die tieferen Schichten der Hirnrinde nehmen mit dem Altern ab, während die mittleren und oberflächlichen Schichten weitgehend verschont bleiben.
Die tieferen Hirnschichten sind für die Signalverarbeitung und Filterfunktionen zuständig. Wenn diese Schichten im Alter dünner werden, fällt es älteren Menschen schwerer, störende Umgebungsgeräusche auszublenden oder sich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Die Daten deuten auch darauf hin, dass das Gehirn die Teile der Hirnrinde vor dem Verfall bewahrt, die es häufig nutzt.
Kompensationsmechanismen des Gehirns
Mit zunehmendem Alter baut unser Denkorgan ab, verliert Nervenzellen und Verbindungen. Damit verschlechtern sich auch höhere kognitive Leistungen wie die Fähigkeit, abstrakte Probleme zu lösen. Fachleute der University of Cambridge und der University of Sussex haben nun nachgewiesen: Stehen wir vor kniffligen Aufgaben, so zieht das alternde Gehirn bestimmte Regionen unterstützend hinzu. Vor allem der Cuneus im Hinterhauptslappen erfüllt diese Voraussetzungen. Dies sei einer der bisher stärksten Beweise für eine funktionelle Kompensation bei gesundem Altern.
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Zelluläre Veränderungen im Gehirn
Bestimmte Zelltypen im Gehirn verändern sich stärker und altern schneller als andere Hirnzellen. Viele dieser Alterungsprozesse treten an einem bestimmten "Hotspot" im Gehirn auf, der mit Entzündungen und der Ernährung in Zusammenhang steht. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass im alternden Gehirn vor allem jene Gene aktiver sind, die mit Entzündungen und dem Immunsystem sowie den Blutgefäßzellen des Gehirns in Verbindung stehen. Weniger aktiv als bei jungen Hirnzellen waren hingegen Gene, die mit der neuronalen Struktur und Funktion zusammenhängen.
Einfluss der Lebensweise auf die Gehirnalterung
Das Altern des Gehirns wird nicht nur durch genetische Faktoren und Krankheiten beeinflusst, sondern auch durch unsere Lebensweise. Umweltverschmutzung, Kultur, sozioökonomische Bedingungen und Ernährung können unser Altern beschleunigen oder hinauszögern.
Bewegung
Ältere Menschen, die körperlich aktiv sind, schneiden bei kognitiven Tests besser ab. Ihre physische Aktivität fördert die Konnektivität zwischen den verschiedenen Hirnbereichen und auch über die Gehirnhälften hinweg. Regelmäßige Bewegung ist also wichtig für die Gehirngesundheit.
Ernährung
Eine mediterrane Diät, die reich an Fisch, Gemüse, Hülsenfrüchten, Obst und einfach ungesättigten Fettsäuren wie Olivenöl ist, kann das Gehirn vor Gedächtnisverlust und Demenz schützen. Omega-3-Fettsäuren, Antioxidantien und Vitamine, wie sie in der mediterranen Ernährung vorkommen, können sich günstig auf die Gehirnfunktionen auswirken.
Soziale Interaktion
Sozial aktive Menschen bleiben länger kognitiv gesund. Soziale Interaktion ist also ein wichtiger Faktor für die Gehirngesundheit.
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Geistige Aktivität
Eine gute Bildung und geistige Aktivität können eine "kognitive Reserve" aufbauen. Das Wissen wird im Gehirn repräsentiert durch eine größere Zahl an Verbindungen. Wenn das Gehirn schrumpft, beginnt das Gehirn, das mehr Bildung genossen hat, mit einer größeren Zahl von Verbindungen, mit einem robusteren Netzwerk.
Was ist normale Alterserscheinung und was ist Demenz?
Es ist normal, im Alter vergesslicher zu werden oder Dinge zu verlegen. Die Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg nennt einige Merkmale, anhand derer sich normale Alterserscheinungen und Demenz gut unterscheiden lassen. Menschen mit einer Demenz vergessen nicht nur ab und zu, sondern häufig Dinge, erinnern sich nicht mehr und stellen immer wieder die gleichen Fragen, obwohl sie schon mehrfach beantwortet wurden. Sie verlegen Dinge und können nicht mehr rekonstruieren, wann sie sie das letzte Mal gesehen haben. Menschen mit Demenz haben zudem Probleme, Situationen richtig einzuschätzen und können immer schlechter Lösungsstrategien entwickeln. Auch die räumliche und die zeitliche Orientierung gehen bei Demenz verloren. Viele an Demenz Erkrankte werden darüber hinaus antriebslos und nehmen nicht mehr gerne an gesellschaftlichen Aktivitäten teil.
Vergessen als wichtiger Prozess
In gewissem Maße ist Vergessen übrigens gut, wie der Neurologe Scott Small betont. Ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Vergessen und Erinnern sei wichtig für unsere kognitiven Fähigkeiten. Vergessen sei unabdingbar für das emotionale Wohlbefinden, damit wir Ressentiments, neurotische Ängste und schmerzliche Erfahrungen, die uns belasten, loslassen können. Und nicht zuletzt wird das Gehirn durch Vergessen frei für unerwartete Assoziationen.
Resilienz im Alter
Gesundes Altern, das heißt tatsächlich bis ins hohe Alter den üblichen gesundheitlichen Alterseinschränkungen wie beispielsweise einer Abnahme kognitiver Fähigkeiten zu entgehen, gelingt in der Regel nur einem kleineren Teil alternder Menschen. Die Frage, welche biologischen Mechanismen gesund alternde Menschen schützen, wird erst seit wenigen Jahren intensiv erforscht. Es gibt ein sehr komplexes Zusammenspiel von Faktoren, die dazu führen, dass die Mehrzahl der Menschen im Alter Funktionsverluste erleiden. Schutzsysteme, die diese Funktionsverluste vermeiden oder verlangsamen, sind zum Beispiel eine gute interne Vernetzung der Gehirne, körperliche Aktivität, eine mediterrane Diät und soziale Interaktion.