Nervengifte: Eine umfassende Liste und ihre Wirkungsweisen

Nervengifte, auch als Synapsengifte bekannt, sind Substanzen, die die neuronale Signalübertragung stören. Sie greifen in die komplexen Mechanismen der Reizweiterleitung ein, indem sie diese entweder blockieren oder verstärken. Diese Gifte können vielfältige Auswirkungen auf den Körper haben, von Muskelkrämpfen bis hin zum Tod durch Atemlähmung.

Was sind Synapsengifte?

Synapsengifte beeinträchtigen die neuronale Signalübertragung durch Blockade oder Verstärkung der Reizweiterleitung. Sie greifen in die komplexen Mechanismen der Reizweiterleitung ein, indem sie diese entweder blockieren oder verstärken. Ein zentraler Mechanismus vieler Synapsengifte ist die Verhinderung der Ausschüttung von Neurotransmittern. Dies kann beispielsweise durch die Behinderung der Signalkaskade an den Calcium-Kanälen im Endknöpfchen der Präsynapse geschehen.

Synapsengifte, auch Nervengifte genannt, sind Giftstoffe, die die Erregungsübertragung zwischen Nervenzellen stören. Die Wirkungsweise eines Neurotoxins im Körper hängt vom Wirkort in der Synapse ab.

Wie wirken Nervengifte?

Nervengifte wirken auf die Weiterleitung von Nervenimpulsen. Das kann auf unterschiedlichen Wegen passieren. Angriffspunkt ist meist das cholinerge Nervensystem, also Neuronen, die Acetylcholin (ACh) als Botenstoff benutzen.

Die Synapse und ihre Funktion

Um die Wirkungsweise der Nervengifte zu verstehen, ist es wichtig, die Funktion einer Synapse zu kennen:

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  1. Wenn ein Aktionspotential an der Synapse ankommt, sorgt es dafür, dass mit Neurotransmittern gefüllte Vesikel mit der Zellmembran verschmelzen und ihren Inhalt in den synaptischen Spalt abgeben.
  2. An der postsynaptischen Membran befinden sich die Rezeptoren, an die die Neurotransmitter binden und die Öffnung von Natriumkanälen bewirken. Diese lösen in der postsynaptischen Zelle wiederum ein Aktionspotential aus.
  3. Wird der Neurotransmitter, also in diesem Fall das ACh, nicht mehr gebraucht, löst er sich vom Rezeptor und wird durch ein Enzym, die ACh-Esterase, abgebaut.

Nervengifte können an verschiedenen Stellen dieses Prozesses angreifen und ihn stören.

Angriffspunkte der Nervengifte

  • Präsynaptische Membran: Hier befinden sich Calciumionenkanäle, die regulieren, wie viele Calciumionen in die Zelle einströmen. Das Gift der schwarzen Witwe (α-Latrotoxin) führt beispielsweise dazu, dass übermäßig viele Calciumionen einströmen. Dadurch kommt es zur Entleerung aller vorhandenen Vesikel in den synaptischen Spalt, was zu einer Dauererregung der nachfolgenden Nervenzelle und Muskelkrämpfen führt.
  • Vesikelfusion: Nervengifte können auch verhindern, dass die Vesikel mit der präsynaptischen Membran verschmelzen. Das Bakteriengift Botulinumtoxin (Botox) verhindert genau diese Vesikelfusion. Es wirkt vor allem in Synapsen zwischen Nerven- und Muskelzellen statt, sodass der Neurotransmitter Acetylcholin dort nicht freigesetzt werden kann.
  • Abbau von Neurotransmittern: Enzyme wie die Acetylcholinesterase bauen die Neurotransmitter ab, um ihre Wirkungsdauer zu regulieren. Beispielsweise hemmt das Insektizid E 605 die Aktivität der Acetylcholinesterase. Das Enzym ist dafür zuständig, den Neurotransmitter Acetylcholin in Acetat und Cholin zu spalten.
  • Postsynaptische Membran: Hier befinden sich spezielle Rezeptoren, an die die Neurotransmitter binden können. Dadurch kommt es zur Öffnung von Ionenkanälen, durch die Ionen aus der Nervenzelle heraus oder in die Nervenzelle reinströmen. Die Rolle kann zum Beispiel das Curare-Gift übernehmen, das an die Rezeptoren bindet und verhindert, dass Acetylcholin selber binden kann. So bleiben die Kanäle geschlossen und es können keine Na+-Ionen in die Zelle strömen. Die Curare-Wirkung hat zur Folge, dass kein Signal weitergeleitet wird und die Muskeln erschlaffen.

Beispiele für Nervengifte und ihre Wirkungen

Atropin

Das Gift der Tollkirsche Atropa belladonna. Der Name "belladonna" heißt übersetzt "Schöne Frau". Atropin hat eine ähnliche Struktur wie Acetylcholin und wirkt daher als kompetitiver Hemmstoff. Die Moleküle setzen sich in die Rezeptoren der Natrium-Kanäle der postsynaptischen Membran. Sie verhindern so deren Öffnung durch Acetylcholin. Atropin wirkt vor allem auf Acetylcholin-Rezeptoren in Synapsen des Herzens, der Eingeweide und der Irismuskel des Auges. Therapeutisch nutzen Augenärzte das Nervengift in ihrem Alltag zur Pupillenerweiterung bei Untersuchungen.

Botulinumtoxin (Botox)

Botulinumgift (BTX) ist das Toxin bestimmter Bakterien, wie sie zum Beispiel bei in verdorbenem Fleisch auftreten. Das Botulinumtoxin ist das stärkste überhaupt bekannt Gift. Der so genannte LD50-Wert (das ist die Dosis, bei der 50% der Versuchstiere oder -zellen absterben; LD steht für "letale Dosis", also "tödliche Menge") des Botulinumtoxins beträgt intravenös nur 30 Picogramm pro Kilogramm Körpergewicht.

Das Botulinumtoxin dockt an der präsynaptischen Membran an und wird durch Endocytose in das synaptische Endknöpfchen aufgenommen. Dort spaltet sich das Protein in eine A-Kette und eine B-Kette. Die A-Kette ist harmlos, die B-Kette aber hemmt jetzt Proteine, die für die Fusion der synaptischen Vesikel mit der präsynaptischen Membran wichtig sind, wodurch keine Neurotransmitter mehr freigesetzt werden und es zur Lähmung der Muskulatur kommt.

Botulinumtoxin wird niedrigdosiert für kosmetische Eingriffe verwendet. Es spaltet sogenannte SNARE-Proteine, die für die Freisetzung von ACh aus den Vesikeln gebraucht werden. Daher führt es zu Lähmungen.

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Curare

Curare wird von den Indianern Südamerikas aus bestimmten Pflanzen gewonnen, vor allem Lianen. Die Indianer bestreichen die Spitzen ihrer Pfeile mit diesem Gift und erlegen damit kleine und große Tiere. Da Curare eine ähnliche Struktur hat wie der "Original"-Neurotransmitter Acetylcholin bindet Curare nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an die Na+-Kanäle der motorischen Endplatte, öffnet sie aber nicht, sondern verhindert im Gegenteil eine Öffnung derselben. Es handelt sich um eine typische kompetitive Hemmung. Eine kompetitive Hemmung ist immer reversibel, die Curare-Moleküle können sich also auch wieder von den Na+-Kanälen lösen und diese frei machen für Acetylcholin.

Curare ist ein pflanzlicher Stoff, der als Pfeilgift der Indianer in Südamerika bekannt ist. Es wirkt lähmend, indem es als kompetitiver Antagonist an postsynaptischen ACh-Rezeptoren bindet.

Coniin

Coniin stammt aus dem gefleckten Schierling, einer heimischen Giftpflanze, die schon in der Antike für Morde und Hinrichtungen verwendet wurde. Auch Coniin ist ein kompetitiver Antagonist am Nicotin-Rezeptor, zumindest in höheren Dosen. In niedrigen Dosen wirkt es als Agonist. Das Nervengift löst zunächst Symptome aus wie Erbrechen und Krämpfe, Pupillenerweiterung und Speichelfluss. Später tritt der Tod durch Atemlähmung bei vollem Bewusstsein ein.

Muscarin

Muscarin begegnet einem auch, wenn man Pilzen begegnet. Es wirkt ebenfalls als kompetitiver Antagonist an ACh-Rezeptoren, allerdings hauptsächlich an nach ihm benannten Muscarin-Rezeptoren. Die unerfreulichen Symptome sind die gleichen wie beim Coniin.

Schwarze Witwe (Alpha-Latrotoxin)

Gift der "schwarzen Witwe", einer Spinne. Das Gift bewirkt eine sofortige Entleerung aller synaptischen Vesikel der motorischen Endplatten. Das Gift öffnet Calcium-Ionenkanäle in der präsynaptischen Membran, die Vesikel mit ACh entleeren sich komplett und es kommt zu einer Übererregung der postsynaptischen Nervenzelle. Die Symptome sind die gleichen wie bei Skorpion und Co.

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Saxitoxin

Saxitoxin wird nicht von den Muscheln selbst produziert, sondern deren Nahrung. Im Sommer kommt es zur massenweisen Vermehrung von Algen und sogenannten Dinoflagellaten. Diese bilden das Gift, das Natriumkanäle in der Postsynapse blockiert und so zu Lähmungen bis zum Tod führen kann.

Tetrodotoxin

Das Nervengift im Kugelfisch betäubt die Nerven, indem es wie Saxitoxin Natriumkanäle blockiert. Es beginnt bei geringen Dosen mit einem Taubheitsgefühl im Mund und im Gesicht, kann aber schnell zur Atemlähmung führen.

Solanin

Solanin, ein Alkaloid, kommt in zahlreichen Nachtschattengewächsen vor, vor allem in den grünen Teilen.Solanin blockiert die ACh-Esterase, was zu einer Dauererregung der postsynaptischen Nervenzelle führt. Das kann zu Vergiftungen führen.

Weitere Beispiele

  • Nikotin: Bindet an nicotinerge ACh-Rezeptoren der Postsynapse und löst ein Signal aus.
  • Nowitschok: Ein irreversibler ACh-Esterasehemmer.
  • Alkohol (Ethanol): Lagert sich in Zellmembranen des Nervensystems ein und bewirkt eine vermehrte Ausschüttung von Gamma-Aminobuttersäure (GABA).
  • Blei: Das Schwermetall hat nervenschädigende Wirkungen.
  • Marihuana: Der Wirkstoff THC bindet als Pseudo-Transmitter an die Acetylcholin-Rezeptoren der Postsynapse und hemmt so die Übertragung.
  • Crystal Meth: Kehrt die Transportrichtungen der Kanäle um, wodurch Botenstoffe in die Synapse befördert werden.

Nervengifte im Alltag

Nervengifte kommen in unserem Alltag häufiger vor, als wir vielleicht denken. Sie können in Pflanzen, Tieren, Insektiziden und sogar in Lebensmitteln vorkommen.

Nervengifte in Pflanzen

Viele Pflanzen bilden Nervengifte, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Beispiele hierfür sind die Tollkirsche (Atropin), der gefleckte Schierling (Coniin) und der Fliegenpilz.

Nervengifte in Tieren

Einige Tiere, wie der Pfeilgiftfrosch und die schwarze Witwe, produzieren Nervengifte, um sich zu verteidigen oder ihre Beute zu fangen.

Nervengifte in Insektiziden

Insektizide wie Parathion enthalten Nervengifte, die auf das Nervensystem von Insekten wirken.

Nervengifte in Lebensmitteln

Einige Lebensmittel, wie Kartoffeln, die grün geworden sind, können Nervengifte wie Solanin enthalten. Auch nicht sachgemäß gelagerte Konserven können das Nervengift Botulinumtoxin enthalten.

Kompetitive Hemmung

Einige Nervengifte, wie Atropin und Curare, ahmen die Rolle des Neurotransmitters Acetylcholin nach. Das bedeutet, sie haben eine ähnliche Struktur und können an die gleiche Bindestelle am Rezeptor binden. Hier konkurrieren also zwei Moleküle miteinander um die gleiche Bindestelle. Das bezeichnest du als kompetitive Hemmung.

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