Das menschliche Gehirn ist ein faszinierendes Organ, das die Grundlage für unsere Intelligenz, unser Bewusstsein und unsere Fähigkeit bildet, die Welt um uns herum zu erfahren und zu gestalten. Seine Größe, Struktur und Entwicklung sind Gegenstand intensiver Forschung, die uns immer wieder neue Einblicke in seine Komplexität ermöglicht.
Gehirngröße im Überblick
Im Durchschnitt wiegt das menschliche Gehirn etwa 1,3 bis 1,5 Kilogramm und hat ungefähr die Größe von zwei geballten Fäusten. Das Gehirnvolumen beträgt bei der Geburt bei Knaben etwa 347 cm³ und bei Mädchen 335 cm³.
Wachstum in den ersten Lebensmonaten
Eine Studie in JAMA Neurology (2014; doi:10.1001/jamaneurol.2014.1638) zeigt, dass das Wachstum des Gehirns in den ersten Tagen nach der Geburt am stärksten ist. In den ersten drei Lebensmonaten vergrößert sich das Gehirn bei Knaben um etwa 66 Prozent und bei Mädchen um 63 Prozent. Das Kleinhirn, das für die Bewegungskoordination zuständig ist, wächst in dieser Zeit besonders schnell und verdoppelt sein Volumen.
Konkret bedeutet dies, dass die Wachstumsgeschwindigkeit in den ersten Lebenstagen bei etwa einem Prozent pro Tag liegt, bevor sie bis zum 90. Lebenstag auf etwa 0,4 Prozent pro Tag abfällt. Auch danach wächst das Gehirn weiter, jedoch wurde dies in der genannten Studie nicht weiter untersucht.
Regionale Unterschiede im Wachstum
Das Wachstum der einzelnen Hirnzentren verläuft asymmetrisch. Beispielsweise ist der linke Ventrikel zunächst größer als der rechte, während es beim Hippocampus und anderen Hirnzentren umgekehrt ist. Es wird vermutet, dass diese Asymmetrien mit der Entwicklung der Rechtshändigkeit oder der Sprache zusammenhängen könnten.
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Das Wachstum des Gehirns in den ersten Lebensmonaten steht vermutlich in Verbindung mit Migrationsbewegungen der Nervenzellen, die vom Rand der Ventrikel in Richtung Cortex wandern. Hirnforscher schätzen, dass die Zahl der Neuronen in den ersten drei Monaten um 23 bis 30 Prozent ansteigt.
Die Struktur des Gehirns
Äußerlich ähnelt das Gehirn aufgrund seiner Windungen und Spalten einer überdimensionalen Walnuss. Es besteht aus zwei Hälften, die durch ein dickes Bündel aus Nervenfasern, den Balken, miteinander verbunden sind. Jede Gehirnhälfte besteht wiederum aus sechs Bereichen (Lappen) mit unterschiedlichen Funktionen.
Großhirn
Das Großhirn kontrolliert Bewegungen und verarbeitet Sinneseindrücke. Hier entstehen bewusste und unbewusste Handlungen und Gefühle. Es ist außerdem für Sprache, Hören, Intelligenz und Gedächtnis verantwortlich.
Die beiden Gehirnhälften haben zum Teil unterschiedliche Funktionen: Während die linke Hälfte bei den meisten Menschen auf Sprache und abstraktes Denken spezialisiert ist, kommt die rechte in der Regel dann zum Einsatz, wenn es um räumliches Denken oder bildhafte Zusammenhänge geht. Die rechte Gehirnhälfte steuert die linke Körperseite, die linke Hälfte ist für die rechte Seite zuständig. Im Großhirn ist die Hirnrinde der linken Gehirnhälfte für die Sprache verantwortlich. Die Hirnrinde der rechten Gehirnhälfte vermittelt dem Gehirn die räumliche Stellung des Körpers.
Thalamus und Hypothalamus
Der Thalamus teilt dem Großhirn unter anderem Sinneseindrücke der Haut, der Augen und der Ohren mit. Der Hypothalamus reguliert zum Beispiel Hunger, Durst und Schlaf und kontrolliert zusammen mit der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) den Hormonhaushalt.
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Hirnstamm
Der Hirnstamm schaltet Informationen vom Gehirn zum Kleinhirn und dem Rückenmark um und kontrolliert Bewegungen der Augen sowie die Mimik.
Die Blutversorgung des Gehirns
Das Gehirn muss ständig mit ausreichend Sauerstoff, Glukose und weiteren Nährstoffen versorgt werden. Deshalb ist es besonders gut durchblutet. Die vordere Hirnarterie (Arteria cerebri anterior) versorgt das Gewebe hinter der Stirn und im Bereich des Scheitels. Die mittlere Hirnarterie (Arteria cerebri media) ist für die Seite und weiter innen liegende Gehirnbereiche wichtig. Die vordere und die mittlere Hirnarterie zweigen von der inneren Halsschlagader ab. Die hintere Hirnarterie (Arteria cerebri posterior) versorgt den Hinterkopf und den unteren Bereich des Gehirns sowie das Kleinhirn. Sie wird mit Blut aus den Wirbelarterien gespeist.
Bevor die drei Arterien in „ihre“ Hirnregionen ziehen und sich dort in kleinere Äste verzweigen, liegen sie nahe beieinander unterhalb des Gehirns. Hier sind sie über kleinere Blutgefäße miteinander verbunden - ähnlich wie in einem Kreisverkehr. Auch an weiter entfernten Stellen gibt es Verbindungswege zwischen den einzelnen Arterien. Das hat den Vorteil, dass Durchblutungsstörungen im Gehirn bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden können: Wenn zum Beispiel ein Arterienast allmählich immer enger wird, kann über diese „Umwege“ (sogenannte Kollateralen) trotzdem Blut in den betroffenen Hirnbereich fließen.
Die feinsten Aufzweigungen (Kapillaren) der Hirnarterien geben zwar Sauerstoff und Nährstoffe aus dem Blut an die Gehirnzellen ab - für andere Stoffe sind sie jedoch weniger durchlässig als vergleichbare Blutgefäße im übrigen Körper. Fachleute nennen diese Eigenschaft „Blut-Hirn-Schranke“. Sie kann das empfindliche Gehirn zum Beispiel vor im Blut gelösten Schadstoffen schützen.
„Verbrauchtes“ - also sauerstoffarmes - Blut wird über die Gehirnvenen abtransportiert. Sie leiten es in größere Blutgefäße, die sogenannten Sinusse. Die Sinuswände sind durch harte Hirnhaut verstärkt, die die Gefäße gleichzeitig aufspannen.
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Gehirngröße und Intelligenz
Die relative Größe des Gehirns in einem Tier wird häufig als Maß für dessen Intelligenz betrachtet. So haben Menschen mit 1,3 bis 1,5 Kilogramm deutlich kleinere und leichtere Gehirne als Pottwale (8,5 Kilogramm) und Elefanten (5 Kilogramm), doch bezogen auf die Körpermasse liegen sie auf den ersten Blick weit vorn im Tierreich: Das Denkorgan macht rund zwei Prozent ihres Gewichts aus.
Allerdings ist das Verhältnis von Gehirngröße und Intelligenz komplizierter. Eine neue Studie von Forschern um den Anthropologen Jeroen Smaers vom University College London zeigt, dass sich über die Millionen von Jahren unterschiedliche Trends entwickelt haben. Bei Fledermäusen zum Beispiel verkleinerte sich das Gehirn in evolutionären Schrumpfphasen sehr viel langsamer als der Körper, was zu einem erhöhten relativen Gehirngewicht führte. Wahrscheinlich stecken adaptive Vorteile dahinter: Mit kleinerem Körper konnten die Tiere leichter in der Luft manövrieren, verfügten aber weiter über ausreichend kognitive Leistungsfähigkeit, um in unübersichtlichem Gelände zu navigieren und zu jagen. Bei Primaten hingegen schrumpft das Gehirn in solchen Phasen ein bisschen schneller als der Körper.
Die Evolution des menschlichen Gehirns
Die Evolution der menschlichen Linie ist untrennbar mit der Evolution des Gehirns verknüpft. Das Gehirnvolumen heute lebender Menschen ist etwa dreimal so groß wie das von Schimpansen. Die Gehirnvolumina unserer fossilen Vorfahren, wie zum Beispiel der Art Australopithecus afarensis (bekannt durch ihre wohl berühmteste Vertreterin „Lucy“), waren mit denen heute lebender Schimpansen vergleichbar. Vor allem in den letzten zwei Millionen Jahren kam es zu einer dramatischen Größenzunahme des menschlichen Gehirns.
Diskussionen über die kognitiven Fähigkeiten unserer fossilen Vorfahren oder Verwandten drehen sich daher meist um archäologische Funde und Schädelvolumen. Das Volumen allein kann aber die herausragenden Fähigkeiten des menschlichen Gehirns nicht hinreichend erklären. Für die kognitiven Fähigkeiten ist die innere Struktur des Gehirns wichtiger als dessen Größe. Diese Vernetzung des Gehirns wird in den ersten Lebensjahren angelegt. Jüngste Forschungsergebnisse betonen daher die Bedeutung des Wachstumsmusters im Laufe der Kindesentwicklung.
Um das menschliche Gehirn besser zu verstehen, muss man sechs Millionen Jahre zurückblicken, zu dem Zeitpunkt, als die Schimpansenlinie sich von der Linie der menschlichen Vorfahren, der sogenannten Homininen, trennte. Die ersten Stationen dieser Zeitreise nach Afrika haben aber noch nichts mit dem Gehirn zu tun, sondern mit Beinen und Hüfte. Vor etwa sechs Millionen Jahren entwickelte sich innerhalb der Linie der Homininen eine für Primaten ungewöhnliche Art der Fortbewegung: der aufrechte Gang. Da es nur wenige fossile Fragmente aus dieser Zeit gibt, sind viele Details über diesen entscheidenden Schritt noch unklar und umstritten.
Sicher ist, dass die Vertreter der Gattung Australopithecus vor 3,6 Millionen Jahren aufrecht gehen konnten. Dieser Zeitpunkt gilt deshalb als gesichert, weil in den 1970er-Jahren die versteinerten Fußspuren von aufrecht gehenden Homininen in Tansania gefunden wurden. Diese Fußabdrücke haben Individuen der Art Australopithecus afarensis in einer Schicht feuchter Vulkanasche hinterlassen, die sich auf exakt 3,6 Millionen Jahre datieren lässt.
Die Evolution des aufrechten Gangs ging also der dramatischen evolutionären Expansion des Gehirnvolumens um bis zu vier Millionen Jahre voraus. Diese Chronologie der Ereignisse ist wichtig, weil die evolutionären Anpassungen an den aufrechten Gang das Skelett dramatisch verändert haben. Unter anderem wurde das Becken schmaler und dadurch der Geburtskanal des knöchernen Beckens kleiner. Im Laufe der Evolution der aufrecht gehenden Homininen musste also bei der Geburt ein Baby mit immer größerem Kopf durch den bereits verengten knöchernen Geburtskanal. Die Geburt wurde zu einem immer größeren Risiko für Mutter und Kind und damit auch zu einem evolutionären Risiko für die gesamte Art.
Nicht nur bei den Vögeln, sondern im gesamten Tierreich gibt es im Grunde zwei Strategien: Nestflüchter und Nesthocker. Nesthocker sind für einen unterschiedlich langen Zeitraum von der Zuwendung der Eltern abhängig und können sich weder alleine fortbewegen noch ernähren. Primaten sind typischerweise Nestflüchter und bereits nach kurzer Zeit sehr selbstständig. Menschenkinder hingegen sind Nesthocker und weichen damit von der Strategie der Primaten ab.
Bereits bei der Geburt hat das Gehirn eines menschlichen Babys mit circa 400 ml etwa die Größe eines erwachsenen Schimpansengehirns. Die Speziesunterschiede sind also bereits pränatal eindeutig: Schon in der 22. Schwangerschaftswoche nimmt die Wachstumsgeschwindigkeit des Gehirns beim Schimpansen ab. Bei Menschen verdreifacht sich das Volumen des Gehirns in den ersten Lebensjahren. Auch bei Schimpansen und anderen Menschenaffen wächst das Gehirn noch nach der Geburt, aber bei Menschen findet ein größerer Anteil des Gehirnwachstums und der Gehirnentwicklung nach der Geburt statt. Im Vergleich zu Menschenaffen nimmt das Gehirn des Menschen im Laufe der Kindesentwicklung also deutlich schneller an Volumen zu und wächst über einen etwas längeren Zeitraum. Relativ gesehen bedeutet das aber eine Verlangsamung der Gehirnentwicklung bei Menschen.
Bei Menschen sind zum Zeitpunkt der Geburt zwar alle Nervenzellen bereits angelegt, aber noch kaum miteinander verknüpft. Die ersten Lebensjahre sind entscheidend für die Vernetzung des Gehirns. Klinische Studien haben gezeigt, dass in der frühen Kindheit selbst geringfügige Abweichungen im Muster der Gehirnentwicklung die Struktur des Gehirns und damit Kognition und Verhalten beeinflussen. Dieses dynamische Netzwerk ist das Substrat für Kognition und entwickelt sich besonders beim Menschen unter dem Eindruck der Stimuli außerhalb des Mutterleibes.
Da Gehirne nicht versteinern, kann man bei Fossilien nur den Innenabdruck des Gehirns und seiner umgebenden Strukturen im Schädel untersuchen. Zuerst werden mittels Computertomografie (CT) hochauflösende dreidimensionale Röntgenbilder der Schädel aufgenommen. Dann wird am Computer ein virtueller Abdruck des Gehirnschädels erstellt (ein sogenannter Endocast). Diese Abdrücke der inneren Schädelkapsel geben Aufschluss über Größe und Gestalt des Gehirns. Mit modernsten Mess- und Analysemethoden ist es möglich, die Gestaltveränderungen des Endocasts im Laufe der Kindesentwicklung zwischen lebenden und ausgestorbenen Arten zu vergleichen.
Ob es zwischen Neandertalern und modernen Menschen Unterschiede in geistigen und sozialen Fähigkeiten gab, ist eines der großen Streitthemen in der Anthropologie und Archäologie. Da Neandertaler und moderne Menschen ähnlich große Gehirne hatten, gehen einige Forscher davon aus, dass auch die kognitiven Fähigkeiten dieser Spezies ähnlich gewesen sein mussten. Manche archäologischen Befunde deuten allerdings auf Unterschiede im Verhalten zwischen modernen Menschen und Neandertalern hin. So konnten Wissenschaftler nachweisen, dass sich das Muster der endocranialen Gestaltveränderung direkt nach der Geburt zwischen Neandertalern und modernen Menschen unterscheidet.
Anatomische Modelle des Gehirns
Anatomische Modelle sind unverzichtbare Lehrmittel in der medizinischen Ausbildung, die einen einzigartigen Einblick in die komplexe Welt der menschlichen Anatomie bieten. Diese präzisen Nachbildungen des menschlichen Körpers dienen Lehrern, Dozenten Studenten, Auszubildenden sowie zu Patientenaufklärung als Werkzeuge, um Strukturen, Funktionen und räumliche Zusammenhänge besser zu verstehen. Es gibt verschiedene Arten von anatomischen Modellen, darunter Skelettmodelle, Modelle von Organen und Geweben sowie spezialisierte Modelle für verschiedene medizinische Disziplinen.
Diese Modelle zeichnen sich durch ihre Detailtreue und anatomischen Korrektheit aus. Jedes Modell ist sorgfältig gestaltet, um die anatomischen Merkmale so realitätsnah wie möglich wiederzugeben. Dies ermöglicht es den Lernenden, nicht nur die äußeren Strukturen zu erkennen, sondern auch die räumlichen Beziehungen zwischen Organen und Geweben zu verstehen.
Einige Modelle zeigen auch verschiedene Pathologien, wie beispielsweise arteriovenöse Malformationen (AVM), bei denen die Blutgefäße miteinander verschlungen sind, anstatt einen normalen Kreislauf zu bilden. Es gibt auch Modelle, die die wesentlichen Landmarken und Hirnrindenregionen des Gehirns in aufwendiger farbiger Darstellung zeigen.
Dank moderner Technologien gibt es auch Augmented-Reality-Apps, die in Kombination mit anatomischen Modellen das Lernen noch einfacher und effizienter machen. Diese Apps erkennen automatisch die anatomischen Modelle und zeigen die Nomenklatur in Augmented Reality an.