Wie man 100 Prozent seines Gehirns nutzt: Wissenschaftlicher Faktencheck

Das menschliche Gehirn ist ein faszinierendes und komplexes Organ. Es ist kein Wunder, dass sich viele Mythen und Missverständnisse um seine Funktionsweise ranken. Einer der hartnäckigsten Mythen ist die Behauptung, dass wir nur 10 Prozent unseres Gehirns nutzen. Dieser Artikel untersucht diesen Mythos und andere gängige Annahmen über das Gehirn, um wissenschaftlich fundierte Antworten zu geben und verbreitete Irrtümer aufzuklären.

Der Mythos der 10-Prozent-Nutzung

Die Vorstellung, dass wir nur 10 Prozent unseres Gehirns nutzen, ist weit verbreitet und findet sich oft in Selbsthilfebüchern und Filmen wie "Lucy". Diese Idee suggeriert, dass wir ein riesiges ungenutztes Potenzial haben, das wir freisetzen könnten, um intelligenter, kreativer und leistungsfähiger zu werden. Doch was ist dran an dieser Behauptung?

Widerlegung des Mythos

Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Beweise, die den Mythos der 10-Prozent-Nutzung widerlegen:

  • Evolution: Das Gehirn macht nur 2 Prozent der Körpermasse aus, verbraucht aber 20 Prozent der Energie. Aus evolutionärer Sicht wäre es ineffizient, 90 Prozent des Gehirns ungenutzt zu lassen. Ein solches ineffizientes Organ hätte sich nicht durchgesetzt, da es einen Selektionsnachteil darstellen würde.
  • Hirnschädigung: Selbst kleine Verletzungen des Gehirns können schwerwiegende Auswirkungen haben und zum Verlust bestimmter Fähigkeiten führen. Dies deutet darauf hin, dass alle Bereiche des Gehirns eine Funktion haben und aktiv genutzt werden.
  • Bildgebende Verfahren: Moderne bildgebende Verfahren wie PET und fMRT zeigen, dass alle Bereiche des Gehirns während verschiedener Aktivitäten aktiv sind. Selbst im Schlaf ist die Aktivität weitaus höher als 10 Prozent.
  • Energieverbrauch: Das Gehirn verbraucht etwa 20 Prozent des gesamten Energieverbrauchs im menschlichen Körper. Dieser hohe Energiebedarf deutet darauf hin, dass das Gehirn ständig aktiv ist und nicht nur zu einem geringen Prozentsatz genutzt wird.

Ursprung des Mythos

Der Ursprung des Mythos ist unklar, aber er könnte auf Missverständnisse wissenschaftlicher Aussagen oder auf populärpsychologische Bücher zurückgehen. Eine mögliche Quelle ist eine Aussage des Psychologen William James, der sagte, dass die meisten Menschen nicht ihr volles geistiges Potenzial erreichen. Diese Aussage wurde jedoch oft falsch interpretiert und als Behauptung verstanden, dass wir nur einen kleinen Teil unseres Gehirns nutzen.

Weitere Fakten und Mythen über das Gehirn

Neben dem Mythos der 10-Prozent-Nutzung gibt es noch viele weitere interessante Fakten und Mythen über das Gehirn. Hier sind einige Beispiele:

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Kopfschmerzen sind keine Gehirnschmerzen

Obwohl alle Schmerzwahrnehmungen an das Gehirn gemeldet und dort verarbeitet werden, kann das Gehirn selbst keine Schmerzen empfinden. Bei Kopfschmerzen schmerzen nicht die Nervenzellen, sondern die Blutgefäße der Hirnhaut.

Das Gehirn hat eine nahezu unbegrenzte Speicherkapazität

Verglichen mit einem Computer hätte unser Gehirn eine Speicherkapazität von schätzungsweise 2,5 Millionen Gigabyte. Während unser Kurzzeitgedächtnis nur wenig Platz hat, kann unser Langzeitgedächtnis unbegrenzt Informationen aufnehmen. Alle dort gespeicherten Erinnerungen bleiben erhalten, selbst wenn wir sie vergessen haben. Vergessen bedeutet nur, dass wir auf die Informationen nicht mehr zugreifen können.

Erinnerungen können trügen

In den Erinnerungen wird vor allem abgespeichert, was mit großen Emotionen verbunden war. Doch entsprechen die Erinnerungen nicht immer dem, was tatsächlich passiert ist. Hirnforscher haben herausgefunden, dass die Menschen ihre Erinnerungen meist verschönern und bei jedem Abruf etwas variieren, weil die Situation des letzten Abrufs Einfluss darauf nimmt.

Hirndoping-Medikamente verbessern die geistige Leistung gesunder Menschen nicht

Medikamente, die z.B. bei ADHS die Konzentrationsfähigkeit erhöhen, verbessern die geistige Leistung gesunder Menschen nicht. Medizinische Studien zeigen: Die Hirndoping-Medikamente wirken bei Gesunden unberechenbar, teils verschlechternd, und selten besser als Placebos. Allenfalls konnten die Testpersonen länger arbeiten oder lernen, zeigten aber keine besseren Ergebnisse.

Das Gehirn hat einen hohen Energiebedarf

Das Gehirn verbraucht etwa ein Fünftel von dem, was wir essen und einatmen - obwohl es nur zwei Prozent der Gesamtmasse ausmacht.

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Kreuzworträtsel und Sudokus halten das Gehirn nicht unbedingt fit

Zwar gilt grundsätzlich auch fürs Gehirn: Wer rastet, der rostet. Doch der Trainingseffekt, den viele sich von Kreuzworträtseln oder Sudokus versprechen, lässt sich nicht nachweisen. Rätsel fragen altes Wissen ab, Denkarbeit sollte jedoch anstrengen und Routinen sprengen, damit sie das Gehirn fit hält. Ein Musikinstrument, eine Sprache oder Tänze zu lernen senkt das Demenzrisiko viel nachhaltiger.

Die richtige Ernährung kann das Risiko für Demenz senken

Eine ausgewogene Ernährung hilft nicht nur, Herz- und Kreislauferkrankungen zu vermeiden, sondern ist enorm wichtig fürs Gehirn. Fette, wie sie in panierten Speisen und vielen Fastfood-Produkten stecken, führen zu Ablagerungen im Gehirn. Diese blockieren Reizübertragungen und lösen Entzündungen aus. Dadurch sterben Nervenzellen ab. Sich gesund zu ernähren, hält also auch das Gehirn fit.

Alzheimer-Demenz ist nur selten erblich bedingt

Wenn Großeltern oder Eltern in ihren letzten Lebensjahren unter Alzheimer gelitten haben, ist die Wahrscheinlichkeit, selbst daran zu erkranken, kaum erhöht. Nur etwa ein Prozent aller Alzheimer-Fälle ist eindeutig erblich bedingt; diese Betroffenen erkranken in der Regel früh, zwischen dem 30. und dem 65. Lebensjahr.

Rotwein und Schokolade verursachen nicht unbedingt Migräne-Attacken

Oft entsteht der Heißhunger auf Schokolade erst durch eine ohnehin bevorstehende Attacke. Menstruationszyklus-Phasen und Stress gelten aber immer noch als Trigger für Migräne-Attacken, daher gilt es, gut mit Stress umzugehen.

Schwindel kann auch durch psychische Erkrankungen entstehen

Die zweithäufigste Schwindelform (über 15 Prozent) ist der phobische Schwankschwindel, der im Rahmen von Angsterkrankungen auftritt.

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Epileptische Anfälle sind nicht selten

Etwa fünf Prozent der Deutschen, also jeder zwanzigste, erleidet mindestens einmal im Leben einen epileptischen Anfall.

Schlaganfall: Zeit ist Gehirn

Bei einem Schlaganfall werden Teile des Gehirns von der Durchblutung und Sauerstoffversorgung abgeschnitten. Pro Minute sterben unzählige wertvolle Nervenzellen ab. Jede Minute zählt also!

Schwangerschaften sind bei Multipler Sklerose nicht riskant

Meist beruhigt sich diese Autoimmun-Erkrankung während der Schwangerschaft sogar: Schübe werden seltener oder bleiben gar aus.

Nicht alle MS-Patienten benötigen später einen Rollstuhl

Bei nur etwa fünf Prozent der Multiple Sklerose-Erkrankten führt die Krankheit innerhalb weniger Jahre zu einer körperlichen Behinderung.

Strom kann gegen Steifheit und Zittern bei Parkinson helfen

Wenn sich die Krankheitssymptome mit Medikamenten nicht beherrschen lassen, kann die Implantation eines Hirnschrittmachers helfen.

Zittrige Hände gehören nicht zwingend zur Parkinson-Krankheit

Verlangsamte, oftmals wie eingefrorene Bewegungen gehören immer zum Bild des Parkinson-Syndroms.

Es gibt Landkarten auf dem Gehirn

Neurochirurgen erstellen mithilfe des Mappings eine Karte der Gehirnfunktionen, um z.B. die Entfernung eines Tumors zu den Sprachzentren und deren Verbindungsbahnen abschätzen und diese während der Operation schonen.

Teile von Albert Einsteins Gehirn liegen im Museum

Nach dem Tod Albert Einsteins 1955 entnahm der Pathologe Thomas Harvey heimlich und ohne Genehmigung dessen Gehirn, konservierte es und fertigte unzählige Gewebeproben an. Noch heute befinden sich Teile von Einsteins Gehirn in verschiedenen amerikanischen Museen.

Corona kann auch das Gehirn schädigen

Das Virus kann das Nervensystem in Mitleidenschaft ziehen, weshalb man auch von Neuro-Covid spricht.

Wie man das Gehirn optimal nutzt

Obwohl wir bereits 100 Prozent unseres Gehirns nutzen, können wir seine Leistungsfähigkeit dennoch steigern. Hier sind einige Möglichkeiten:

  • Lernen: Das Gehirn ist ein Leben lang lernfähig. Neue Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben, stärkt die Verbindungen zwischen den Nervenzellen und verbessert die kognitive Leistungsfähigkeit.
  • Bewegung: Regelmäßige körperliche Aktivität fördert die Durchblutung des Gehirns und unterstützt das Wachstum neuer Nervenzellen.
  • Gesunde Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse und gesunden Fetten versorgt das Gehirn mit den notwendigen Nährstoffen.
  • Schlaf: Ausreichend Schlaf ist wichtig für die Regeneration des Gehirns und die Festigung von Erinnerungen.
  • Soziale Interaktion: Soziale Kontakte und Beziehungen stimulieren das Gehirn und fördern die kognitive Flexibilität.
  • Achtsamkeit und Meditation: Achtsamkeitspraktiken können helfen, Stress abzubauen und die Konzentration zu verbessern.
  • Kognitives Training: Bestimmte Übungen und Spiele können die kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Problemlösungsfähigkeit verbessern.

Die Plastizität des Gehirns

Das Gehirn ist ein dynamisches Organ, das sich ständig verändert und anpasst. Diese Fähigkeit wird als Neuroplastizität bezeichnet. Durch Lernen, Erfahrung und Training können neue Verbindungen zwischen Nervenzellen gebildet und bestehende Verbindungen gestärkt werden. Dies ermöglicht es dem Gehirn, sich an neue Situationen anzupassen, Schäden zu kompensieren und seine Leistungsfähigkeit zu verbessern.

Künstliche Intelligenz und das Gehirn

Die Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) ist eng mit der Erforschung des Gehirns verbunden. Wissenschaftler nutzen Erkenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns, um intelligentere Algorithmen und neuronale Netze zu entwickeln. Umgekehrt können KI-Modelle dazu beitragen, die komplexen Prozesse im Gehirn besser zu verstehen.

Künstliche neuronale Netze

Künstliche neuronale Netze sind von der Struktur des Gehirns inspiriert. Sie bestehen aus miteinander verbundenen Knoten, die Informationen verarbeiten und weiterleiten. Diese Netze können lernen, Muster zu erkennen und Aufgaben wie Bilderkennung, Sprachverarbeitung und Entscheidungsfindung auszuführen.

Neuromorphe Chips

Neuromorphe Chips sind eine neue Art von Hardware, die speziell für die Simulation von neuronalen Netzen entwickelt wurde. Diese Chips ahmen die Funktionsweise des Gehirns genauer nach als herkömmliche Computerchips und können daher energieeffizienter und schneller arbeiten.

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