Epilepsie ist eine weit verbreitete neurologische Erkrankung, die Menschen jeden Alters betreffen kann. Entgegen der landläufigen Meinung, dass es sich um ein Problem des Kindes- und Jugendalters handelt, tritt Epilepsie auch häufig bei älteren Menschen über 60 Jahren auf. Die moderne Medizin bietet jedoch vielfältige Therapieansätze, die in vielen Fällen zur Anfallsfreiheit führen können.
Epidemiologie und Risikofaktoren
Etwa 10 % der Menschen erleiden im Laufe ihres Lebens einen Krampfanfall, wobei etwa 0,6 % von Epilepsie betroffen sind. Durch die demografische Entwicklung und den steigenden Anteil älterer Menschen hat sich die Altersstruktur der Betroffenen verschoben.
Ein besonderes Risiko stellt der sogenannte SUDEP (Sudden Unexpected Death in Epilepsy) dar, der mit einer geschätzten Häufigkeit von 1,16 Fällen pro 1.000 Epilepsiepatienten pro Jahr auftritt. Studien haben gezeigt, dass bereits zwei bilateral tonisch-klonische Anfälle das SUDEP-Risiko um das 25-fache erhöhen können. Daher ist eine frühzeitige und erfolgreiche Therapie mit dem Ziel der Anfallsfreiheit von großer Bedeutung.
Umfassende Epilepsietherapie
Die Epilepsietherapie umfasst weitaus mehr als nur die Behandlung von Anfällen. Eine umfassende Beratung zu Themen wie Fahreignung, Kinderwunsch und Schwangerschaft, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen der Medikation, Berufseignung oder auch Sport ist wichtig, idealerweise bereits zu Beginn der Erkrankung. Um das Therapieziel, die Anfallsfreiheit, zu erreichen, kann die Mitbetreuung durch ein spezialisiertes Epilepsiezentrum, ein Schwerpunktzentrum oder eine Spezialambulanz für Epilepsie sinnvoll sein. Das Versorgungsnetz in Deutschland ist gut ausgebaut und bietet in allen Bundesländern entsprechende Anlaufstellen.
Medikamentöse Therapie
Seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stehen Medikamente zur Verfügung, die epileptische Anfälle unterdrücken können. Mittlerweile gibt es etwa 25 verschiedene Antiepileptika, die eine maßgeschneiderte Therapie für jeden Patienten ermöglichen. Ziel ist nicht nur die Anfallsfreiheit, sondern auch die Verbesserung der Lebensqualität und die Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen.
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Auswahl des geeigneten Medikaments
Die Auswahl des geeigneten Medikaments oder einer Medikamentenkombination erfolgt anhand verschiedener Kriterien:
- Wirksamkeit: Die Wirksamkeit eines Medikaments für die spezielle Epilepsieart ist entscheidend.
- Verträglichkeit: Die Verträglichkeit des Medikaments muss beim individuellen Patienten berücksichtigt werden, da eine zuverlässige Vorhersage von Nebenwirkungen nicht möglich ist.
- Besondere Lebensumstände und Begleiterkrankungen: Diese Faktoren können die Wahl des Medikaments beeinflussen.
- Begleitmedikation: Wechselwirkungen zwischen Antiepileptika und anderen Medikamenten müssen beachtet werden.
- Geeignete Einnahmeart: Für einige Medikamente gibt es verschiedene Darreichungsformen wie Tabletten, Säfte oder Zäpfchen.
Einnahme und Dosierung
Antiepileptika sollen das Auftreten von Anfällen verhindern und müssen daher dauerhaft eingenommen werden. Die Dosis muss ausreichend hoch sein, um eine ausreichende Wirkung zu erzielen.
Individuelle Unterschiede
Die Ursachen für Anfälle sind von Patient zu Patient unterschiedlich. Daher kann ein Medikament, das bei einem Patienten gut wirkt, bei einem anderen Patienten unwirksam sein oder Nebenwirkungen verursachen.
Langzeitrisiken
Bei Einhaltung der empfohlenen Dosierung sind in der Regel keine dauerhaften Gesundheitsschädigungen durch Antiepileptika zu erwarten. Dennoch sollten besondere Risiken vor der Eindosierung erfragt werden. Die erfolgreiche Therapie der Anfälle ist der beste Schutz vor epilepsiebedingten Unfällen und Todesfällen.
Pharmakoresistenz
Bei manchen Patienten treten trotz der Einnahme mehrerer Medikamente weiterhin Anfälle auf. In diesem Fall spricht man von Pharmakoresistenz. Es ist jedoch wichtig, weiterhin nach der besten Therapiemöglichkeit zu suchen.
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Komplexbehandlung
Epileptische Anfälle können psychische oder soziale Störungen sowie Störungen der Alltagsfunktionen inklusive Gedächtnisstörungen auslösen. In solchen Fällen kann eine stationäre Komplexbehandlung sinnvoll sein, die neben der ärztlichen Behandlung auch pflegerische Betreuung und psychologische Unterstützung umfasst. Für jeden Patienten wird ein maßgeschneidertes Programm zusammengestellt, in dem Ziele definiert und Erfolge besprochen werden.
Epilepsiechirurgie
In bestimmten Fällen kann eine Operation eine Möglichkeit zur Heilung der Epilepsie darstellen. Dies ist insbesondere bei Patienten mit Herdepilepsien der Fall, bei denen die Anfälle in einer einzigen umschriebenen Region des Gehirns beginnen.
Diagnostik
Vor einer Operation ist eine genaue Diagnostik erforderlich, um die epileptogene Zone (die Hirnregion, die für die Epilepsie verantwortlich ist) zu identifizieren und sicherzustellen, dass sich in ihrer Nähe keine wichtigen funktionstragenden Gebiete befinden. Die wichtigsten Bausteine sind die Analyse des Anfallsverlaufes, ein EEG sowie eine hochauflösende Kernspintomographie des Gehirns.
Operationszeitpunkt
Eine Operation wird in der Regel erst in Erwägung gezogen, wenn mindestens zwei korrekt ausgewählte und ausreichend hoch dosierte Medikamente unwirksam sind.
Erfolgsaussichten
Die Chance auf Anfallsfreiheit nach einer Operation hängt von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von der Lokalisation und Art der Epilepsie. Bei vollständiger Entfernung der epileptogenen Zone kann die Chance auf Anfallsfreiheit bis zu 80 % betragen.
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Risiken
Wie bei jeder Operation gibt es auch bei der Epilepsiechirurgie Risiken. Dank moderner Techniken sind die Eingriffe jedoch heute sehr sicher und können oft minimalinvasiv durchgeführt werden.
Entscheidung
Die Entscheidung für oder gegen eine Operation trifft immer der Patient selbst nach umfassender Aufklärung über Chancen und Risiken.
Ablauf
Bei der Operation wird das die Epilepsie verursachende Gewebe vorsichtig gelöst und entnommen. Während des Eingriffs kann eine EEG-Diagnostik oder eine Lokalisation wichtiger Hirnfunktionen erforderlich sein.
Nachsorge
Nach der Operation wird ein Plan zur langsamen Reduktion der Medikamente erstellt, sofern keine Anfälle mehr auftreten und das EEG und MRT keinen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für erneute Anfälle zeigen.
Fallbeispiele
- Eine 23-jährige Patientin mit Anfällen seit der Jugend und einer Läsion im rechten Hinterhauptslappen wurde nach erfolgloser medikamentöser Therapie operiert und ist seitdem anfallsfrei.
- Ein 25-jähriger Patient mit einer schweren Epilepsie aufgrund von Narben in der rechten Gehirnhälfte wurde eine Hemisphärotomie (Abtrennung der rechten Gehirnhälfte) durchgeführt. Seitdem ist er anfallsfrei und kann seine motorischen Fähigkeiten verbessern.
- Ein 44-jähriger Patient mit Anfällen seit dem 4. Lebensjahr und einem Anfallsursprung im rechten Stirnlappen wurde nach Implantation von EEG-Elektroden operiert und ist seitdem anfallsfrei.
Alternative Therapiemöglichkeiten
Neben der medikamentösen Therapie und der Epilepsiechirurgie gibt es weitere alternative Therapiemöglichkeiten:
- Hirnstimulationsverfahren: Dazu gehören die Vagusnerv-Stimulation, die transkortikale Stimulation und die Tiefe Hirnstimulation. Diese Verfahren sind in der Regel nicht so effektiv wie eine Operation, können aber dennoch eine deutliche Verbesserung für die Prognose der Betroffenen darstellen.
- Ketogene Ernährungstherapie: Eine spezielle Diät, die reich an Fetten und arm an Kohlenhydraten ist.
Gentherapie
Am Tag der Epilepsie wurde über eine neue Gentherapie berichtet, bei der ein Adeno-assoziiertes Virus (AAV) das Gen für das Neuropeptid Dynorphin gezielt in Neurone der betroffenen Hirnregion bringt. Ziel ist eine langfristige Unterdrückung von Anfällen, indem die Nervenzellen Dynorphin auf Vorrat produzieren und bei Bedarf ausschütten.
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