Nervenschmerzen, auch als neuropathische Schmerzen oder Neuralgie bezeichnet, sind ein weit verbreitetes und oft quälendes Leiden. Sie entstehen durch eine Schädigung oder Erkrankung des Nervensystems und können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. In Deutschland leiden etwa fünf Millionen Menschen an Nervenschmerzen, was sie neben Rücken- und Kopfschmerzen zu einer der häufigsten Ursachen chronischer Schmerzen macht.
Was sind Nervenschmerzen?
Nervenschmerzen sind Schmerzen, die durch eine Schädigung des Nervensystems selbst ausgelöst werden. Dabei können sowohl das periphere Nervensystem (die Nerven außerhalb von Gehirn und Rückenmark) als auch das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) betroffen sein. Im Gegensatz zu anderen Schmerzarten, bei denen die Schmerzimpulse in den Nervenendigungen der Schmerzfasern in den Geweben des Körpers entstehen, entstehen neuropathische Schmerzen durch eine direkte Schädigung der "Gefühlsfasern" des Nervensystems.
Ursachen von Nervenschmerzen
Es gibt eine Vielzahl von Ursachen für Nervenschmerzen. Viele Einflüsse können die Nerven schädigen und so Nervenschmerzen hervorrufen. Dazu gehören:
- Stoffwechselstörungen: Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) ist eine häufige Ursache für Nervenschäden, insbesondere die diabetische Polyneuropathie, bei der erhöhte Blutzuckerwerte die Nerven schädigen. Auch Alkoholismus kann zu Nervenschmerzen führen, da Alkohol und seine Abbauprodukte Gift für die Nervenzellen sind und die Neurotransmitter stören.
- Infektionen: Gürtelrose (Herpes Zoster) ist eine Viruserkrankung, die zu schmerzhaften Hautausschlägen und Nervenschmerzen führen kann. Die Schmerzen können auch nach Abheilung des HautausschlagsMonate bis Jahre andauern (Post-Zoster-Neuralgie). Borreliose, Masern und Mumps können ebenfalls Nervenentzündungen verursachen.
- Verletzungen: Verletzungen von Nervengewebe, z. B. durch Unfälle oder Operationen, können Nervenschmerzen verursachen. Auch Druck auf Nerven, wie beim Karpaltunnelsyndrom oder Bandscheibenvorfällen, kann zu Nervenschmerzen führen.
- Medikamente: Bestimmte Medikamente, insbesondere Chemotherapien, können Nervenschäden als Nebenwirkung verursachen. Auch einige "Säureblocker" (Protonenpumpenhemmer) können die Aufnahme von Vitamin B12 beeinträchtigen, was zu Nervenschäden führen kann.
- Gifte: Neben Alkohol können auch andere Gifte, wie sie beispielsweise in giftigen Pilzen oder beim Kugelfisch vorkommen (Neurotoxine), Nervenschmerzen verursachen.
- Weitere Ursachen: Tumore können auf Nerven drücken und so Schmerzen verursachen. Auch Multiple Sklerose, Morbus Parkinson und Schlaganfall können Nervenschmerzen verursachen. In seltenen Fällen können genetisch bedingte Erkrankungen zu Nervenschmerzen führen.
Spezifische Nervenschmerz-Syndrome
- Ischias: Der Ischiasnerv ist der dickste Nerv im menschlichen Körper. Hervorgerufen werden die Beschwerden, wenn eine Bandscheibe sich verschiebt (nach vorne fällt) und dabei auf einen Nerv drückt. Besonders häufig wird dabei der Ischias-Nerv in Mitleidenschaft gezogen.
- Karpaltunnelsyndrom: Der Karpaltunnel ist eine knöcherne Rinne an der Innenseite des Handgelenks, durch die der Mittelhandnerv verläuft. Kommt es in diesem Bereich zu einer Verengung, wird der Nerv abgeschnürt bzw. eingeklemmt.
- Trigeminusneuralgie: Ein blitzartig einschießender, heftiger Schmerz im Gesicht ist das typische Symptom der Trigeminusneuralgie.
- Diabetische Polyneuropathie: Überhöhte Zuckerwerte schädigen die Nerven, was zu Schmerzen, Kribbeln und Taubheitsgefühlen in den Füßen führen kann.
- Post-Zoster-Neuralgie: Nach einer Gürtelrose können starke Nervenschmerzen auf der Haut auftreten, vor allem am Rumpf, an einem Arm oder im Gesicht.
- Phantomschmerzen: Schmerzen in Gliedmaßen, die durch eine Amputation entfernt wurden.
- Piriformis-Syndrom: Schmerzen im unteren Rücken und Po können auf ein Piriformis-Syndrom hinweisen.
Symptome von Nervenschmerzen
Nervenschmerzen können sich auf vielfältige Weise äußern. Typische Symptome sind:
- Schmerzqualität: Brennende, stechende, einschießende, bohrende oder elektrisierende Schmerzen.
- Schmerzlokalisation: Die Schmerzen können lokalisiert oder ausstrahlend sein und sich entlang des Verlaufs eines Nervs oder in einem bestimmten Körperbereich ausbreiten. Neuropathische Schmerzen strahlen meist in den ganzen Körperbereich aus, der von einem Nerv oder mehreren Nerven versorgt wird. Manchmal haben Betroffene auch an verschiedenen Körperstellen gleichzeitig stechende Schmerzen.
- Schmerzintensität: Die Schmerzintensität kann variieren und von leicht bis unerträglich reichen.
- Begleitsymptome: Taubheitsgefühle, Kribbeln (Ameisenlaufen), Schwäche, Missempfindungen, veränderte Hautsensibilität (Allodynie, Hyperalgesie), Gangunsicherheiten, vegetative Symptome (z. B. Funktionsstörungen von Organen).
- Allodynie: Schon harmlose Reize wie leichte Berührung, Wärme, Kälte oder Druck auf der Haut können bei Betroffenen Schmerzen auslösen.
- Hyperalgesie: Verstärkte Schmerzempfindlichkeit nach anderen schmerzauslösenden Reizen.
- Veränderte Schmerzwahrnehmung: Die Schmerzwahrnehmung bei Nervenschmerzen ist typischerweise verändert.
- Spontane Schmerzen: Die Beschwerden treten oft in Ruhe auf und können oft auch durch leichte Berührungsreize ausgelöst werden.
Diagnose von Nervenschmerzen
Die Diagnose von Nervenschmerzen erfordert eine sorgfältige Anamnese, neurologische Untersuchung und gegebenenfalls weitere diagnostische Maßnahmen.
Lesen Sie auch: Symptome und Behandlungsmethoden bei eingeklemmtem Nerv
- Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankheitsgeschichte des Patienten, einschließlich der Art, Lokalisation, Intensität und des Verlaufs der Schmerzen. Auch Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme, Alkoholkonsum und andere Faktoren werden erfasst.
- Neurologische Untersuchung: Der Arzt untersucht die Sinneswahrnehmungen (Tast-, Hör-, Seh-, Riech- und Geschmackstests), die Motorik, Koordination und Reflexe des Patienten. Auch die Mimik, Augenbewegung und sonstige Körperfunktionen (Herzschlag, Atmung, Schweißproduktion, Verdauung) werden überprüft.
- Quantitative sensorische Testung (QST): Hierbei werden die betroffenen Areale des Patienten auf Wärme, Kälte, Druck, Vibration, Berührung und stumpfe Nadelreize getestet. Die Ergebnisse geben schließlich Rückschlüsse auf vorhandene Nervenschädigungen.
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Elektroneurographie (ENG) und Elektromyographie (EMG) können die Funktion der Nerven und Muskeln beurteilen. Bei der Elektroneurografie wird die Erregbarkeit des Nerven überprüft. Bei der Elektromyografie wird die Funktionalität des Muskels untersucht.
- Bildgebende Verfahren: Magnetresonanztomographie (MRT), Computertomographie (CT) oder Röntgen können eingesetzt werden, um Nervenschädigungen oder andere Ursachen der Schmerzen sichtbar zu machen.
- Nervenbiopsie: In seltenen Fällen kann eine Nervenbiopsie durchgeführt werden, um eine Erkrankung der dünnen Nervenfasern (Small-Fiber-Neuropathie) festzustellen.
- Liquoruntersuchung: In eher seltenen Fällen wird Liquor (Gehirn- beziehungsweise Rückenmarksflüssigkeit) über eine Lumbalpunktion im Lendenbereich entnommen und im Labor überprüft.
- Somatosensibel evozierte Potenziale (SEP): SEP dienen zur Prüfung der gesamten Gefühlsbahn von der Haut über das Rückenmark bis ins Gehirn.
Behandlung von Nervenschmerzen
Die Behandlung von Nervenschmerzen ist oft schwierig und erfordert einen individuellen Therapieansatz. Ziel der Behandlung ist es, die Schmerzen zu lindern, die Lebensqualität zu verbessern und die zugrunde liegende Ursache zu behandeln, wenn möglich.
Medikamentöse Therapie
- Antidepressiva: Bestimmte Antidepressiva, wie z. B. Amitriptylin und Duloxetin, können Nervenschmerzen lindern, indem sie die Schmerzverarbeitung im Gehirn beeinflussen.
- Antiepileptika: Antiepileptika, wie z. B. Gabapentin und Pregabalin, können die Erregbarkeit der Nervenzellen reduzieren und so Nervenschmerzen lindern.
- Opioide: Opioide sind starke Schmerzmittel, die bei schweren Nervenschmerzen eingesetzt werden können. Aufgrund ihres Suchtpotenzials sollten sie jedoch nur unter strenger ärztlicher Kontrolle eingenommen werden.
- Lokalanästhetika: Pflaster oder Salben mit Lokalanästhetika (z. B. Lidocain) können Schmerzen unmittelbar unter der Haut lindern.
- Capsaicin: Pflaster mit Capsaicin (Extrakt der Pfefferschote) können bei bestimmten Nervenschmerzen eingesetzt werden.
- Botulinumtoxin: Spritzen mit Botulinumtoxin können bei bestimmten Nervenschmerzen, wie z. B. der Trigeminusneuralgie, eingesetzt werden.
Nicht-medikamentöse Therapie
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Muskulatur zu stärken, die Beweglichkeit zu verbessern und Schmerzen zu lindern.
- Psychotherapie: Psychotherapie kann helfen, mit den Schmerzen umzugehen, Stress abzubauen und die Lebensqualität zu verbessern.
- Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Bei der TENS-Therapie werden Schmerzen mit elektrischen Impulsen behandelt.
- Nervenblockaden: Hierbei werden Nervenzellkörper mithilfe von Lokalanästhesien betäubt.
- Entspannungstechniken: Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder Yoga können helfen, Stress abzubauen und Schmerzen zu lindern.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, den Alltag trotz der Schmerzen besser zu bewältigen.
- Alternative Heilmethoden: Ergänzend zur schulmedizinischen Behandlung können auch alternative Heilmethoden wie Homöopathie angewendet werden.
Operative Behandlungsverfahren
- Dekompression: Bei Nervenkompressionen, wie z. B. beim Karpaltunnelsyndrom oder Bandscheibenvorfällen, kann eine Operation durchgeführt werden, um den Nerv zu entlasten.
- Nervenstimulation: Bei sehr hartnäckigen Nervenschmerzen können Nervenstimulatoren implantiert werden. Hierbei werden Elektroden, die sanfte Impulse an die Nerven abgeben, in die Nähe des Schmerzursprungs implantiert und an einen im Bauchraum oder im Gesäß implantierten Neurostimulator angeschlossen.
Weitere Maßnahmen
- Anpassung der Lebensweise: Eine gesunde Lebensweise mit ausreichend Bewegung, gesunder Ernährung und Stressreduktion kann helfen, Nervenschmerzen zu lindern.
- Vermeidung von Risikofaktoren: Risikofaktoren für Nervenschmerzen, wie z. B. Alkoholkonsum und Rauchen, sollten vermieden werden.
- Behandlung der Grunderkrankung: Wenn die Nervenschmerzen durch eine Grunderkrankung verursacht werden, sollte diese behandelt werden.
Dauer von Nervenschmerzen
Die Dauer von Nervenschmerzen kann sehr unterschiedlich sein und hängt von der Ursache, der Schwere der Schädigung und der Wirksamkeit der Behandlung ab. Einige Nervenschmerzen verschwinden nach kurzer Zeit von selbst, während andere chronisch werden können und jahrelang andauern. Bei Gürtelrose können Nervenschmerzen in der akuten Phase der Erkrankung auftreten und auch noch Monate bis Jahre nach Abheilung des Hautausschlags fortbestehen (Post-Zoster-Neuralgie). Chronische Nervenschmerzen können sich als eigenständiges Krankheitsbild entwickeln.
Was kann man selbst tun?
- Gesunde Lebensweise: Achten Sie auf eine gesunde Ernährung mit vielen Vitaminen, ausreichend Bewegung und Stressreduktion. Rohkost, Obst sowie Milchprodukte und wenig Fleisch gelten als besonders gut, um einem Vitaminmangel vorzubeugen.
- Alkohol und Nikotin vermeiden: Reduzieren Sie den Alkoholkonsum und verzichten Sie auf das Rauchen.
- Entspannungstechniken: Erlernen Sie Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder Yoga.
- Regelmäßiger Sport: Regelmäßiger Sport dient dazu, Stress abzubauen.
- Schmerztagebuch: Führen Sie ein Schmerztagebuch, um die Art, Lokalisation, Intensität und den Verlauf der Schmerzen zu dokumentieren.
- Arzt aufsuchen: Wenn Sie den Eindruck haben, dass Sie einen Nervenschmerz haben, sollten Sie sofort Ihren Arzt aufsuchen.
Lesen Sie auch: Taubheitsgefühl nach zahnärztlichem Eingriff: Ein Leitfaden
Lesen Sie auch: Verlauf von Parkinson im Endstadium
tags: #Nervenschmerzen #Ursachen #und #Dauer