Ein Schlaganfall kann verheerende Folgen haben, von dauerhaften Lähmungen bis hin zur Pflegebedürftigkeit. In Deutschland erleiden jährlich fast 270.000 Menschen einen Schlaganfall, wobei bis zu 40 Prozent der Betroffenen innerhalb des ersten Jahres versterben. Die Kathetertherapie hat sich als eine vielversprechende Methode zur Verbesserung der Ergebnisse bei schweren Schlaganfällen erwiesen.
Ursachen und Folgen eines Schlaganfalls
In den meisten Fällen wird ein Schlaganfall durch ein Blutgerinnsel verursacht, das ein Gefäß im Gehirn verschließt. Dies führt zu einer Unterbrechung der Blutversorgung des umliegenden Gewebes, wodurch dieses nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Nervenzellen können diesen Zustand nur wenige Minuten tolerieren, bevor irreparable Schäden entstehen.
Standardtherapie und Katheter-Behandlung
Die Standardtherapie bei einem Schlaganfall ist die Thrombolyse, bei der ein Medikament intravenös verabreicht wird, um das Blutgerinnsel aufzulösen. Eine weitere Option ist die Katheter-Behandlung, bei der Ärzte über die Blutgefäße von der Leiste aus einen dünnen Schlauch (Katheter) bis zum Ort des Blutgerinnsels im Gehirn einführen, um es entweder abzusaugen oder mit Hilfe eines Drahtgeflechts herauszuziehen.
Die Entwicklung der Katheter-Therapie
Die Katheter-Therapie ist keine neue Methode, wurde aber bereits in den 90er-Jahren bei Schlaganfällen eingesetzt. Anfangs gab es Bedenken hinsichtlich sogenannter Reperfusionsschäden, die auftreten können, wenn nach der Entfernung des Blutgerinnsels Blut mit hohem Druck in möglicherweise bereits geschädigtes Gewebe strömt.
Aktuelle Studien belegen die Vorteile
In den vergangenen Jahren haben jedoch immer mehr Studien gezeigt, dass die Katheter-Therapie Patienten mit einem schweren Schlaganfall mehr hilft als schadet. Studien aus Japan, China und dem englischsprachigen Raum konnten positive Effekte zeigen. Eine im Fachmagazin Lancet veröffentlichte Studie ergab, dass durch die Katheter-Therapie bei 20 Prozent der Patienten der Tod oder eine Pflegebedürftigkeit verhindert werden konnte. Zudem hatten die Katheter-behandelten Personen ein deutlich besseres funktionelles Outcome: Mehr Menschen konnten 90 Tage nach dem Eingriff selbstständig gehen, und deutlich weniger Personen waren auf dauerhafte Hilfe angewiesen. Aufgrund dieser eindeutigen Ergebnisse wurde die Studie vorzeitig abgebrochen.
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Die Thrombektomie als Revolution in der Schlaganfallmedizin
Andreas Kastrup, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Bremen Mitte, bezeichnet die Thrombektomie als eine Revolution in der Schlaganfallmedizin. Früher sei es mit einer alleinigen medikamentösen Therapie in der Regel nicht gelungen, solch große Gefäßverschlüsse wieder aufzumachen.
Anpassung der Leitlinien und Bedeutung von Stroke Units
Die neuen Erkenntnisse zur Thrombektomie haben jedoch noch keinen Eingang in die deutschen und internationalen Leitlinien zur Behandlung von ischämischen Schlaganfällen gefunden. Schlaganfall-Stationen, sogenannte Stroke Units, sind spezialisierte neurologische Stationen, die bestimmte Voraussetzungen für die akute Behandlung von Schlaganfall-Patienten erfüllen müssen. Seit 2022 müssen überregionale Stroke Units aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Thrombektomie auch eine Rund-um-die-Uhr-Katheter-Interventionsbereitschaft als Mindestanforderung vorhalten.
Die mechanische Thrombektomie: Ein minimalinvasiver Eingriff
Bei der mechanischen Thrombektomie werden große Gerinnsel mithilfe eines minimalinvasiven Kathetereingriffes zerstört oder aus dem Gefäß "gefischt". Der Eingriff wird bestenfalls in der Stroke Unit eines Krankenhauses von einem interdisziplinären Team durchgeführt, wobei die Bereiche Neurologie und Neuroradiologie zentral sind.
Bei der Behandlung wird über ein Gefäß im Arm (Arteria radialis) oder der Leiste (Arteria femoralis) ein dünner Schlauch (Katheter) eingeführt und über das Gefäßsystem voran geschoben. Die Spitze des Katheters wird im verschlossenen Gefäß bis zum Thrombus, also an das Blutgerinnsel, herangeführt. Je nach Lage und Größe des Gerinnsels kann es dann über den Katheter abgesaugt oder mit einem Stent, also einem feinen Drahtnetz, das aus dem Katheter entfaltet werden kann, erfasst und herausgezogen werden. Weil bei diesem Verfahren der Stent das Gerinnsel quasi einfängt und herauszieht, wird neben Stent auch der Begriff "Stent Retriever" verwendet. Für die bestmögliche Rekanalisation des Blutgefäßes wird in der Regel die Thrombektomie mit der medikamentösen Thrombolyse kombiniert.
Die "kleine Revolution" im Jahr 2015
Obwohl Technik und Behandlungsmethode der Thrombektomie schon deutlich früher bekannt waren, sorgten mehrere Studien zur Effektivität und Zuverlässigkeit der mechanischen Thrombektomie 2015 für eine Art "kleine Revolution" unter Neurologen und Neuroradiologen weltweit und in der Akuttherapie bei Schlaganfall. Hintergrund war vor allem auch ein technischer Sprung bei der endovaskulären Schlaganfallbehandlung durch effektivere Katheter.
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Zeitfenster für die Thrombektomie
Die Entfernung von Blutgerinnseln aus blockierten Hirnarterien wird bisher nur in den ersten sechs Stunden als evidenzbasiert eingestuft. Eine Studie zeigte jedoch, dass die Thrombektomie bei Patienten mit einem Missverhältnis zwischen Symptomen und den Befunden in der Bildgebung in einem Intervall von bis zu 24 Stunden das Ausmaß der Behinderungen nach einem Schlaganfall deutlich vermindert.
Die Thrombektomie hat das Ausmaß der Behinderungen jedoch nur vermindert, wenn sie in den ersten sechs Stunden durchgeführt wurde. Dies ist eine erhebliche Einschränkung, da viele Patienten erst relativ spät die Stroke-Unit erreichen. Bei einigen Patienten, die später die Klinik erreicht haben, erscheint vielen Neurologen dennoch ein Therapieversuch angebracht. Es handelt sich um Patienten mit ausgedehnten neurologischen Symptome, bei denen in der Computertomographie oder in der Magnetresonanztomographie nur ein kleines Infarktareal zu erkennen ist. Bei diesen Patienten besteht die Hoffnung, dass ein Teil der Symptome durch Funktionsstörungen in der Umgebung des eigentlichen Infarktareals ausgelöst wird.
Die DAWN-Studie untersuchte, in welchen Situationen eine späte Thrombektomie in einem Intervall zwischen 6 und 24 Stunden erfolgreich sein könnte. Teilnehmen durften nur Patienten mit einem Verschluss größerer Hirnarterien, die mit einem Thrombektomie-Katheter erreicht werden. Dabei musste ein Missverhältnis zwischen Symptomen und Infarktareal bestehen.
Ergebnisse der DAWN-Studie
In der „utility-weighted“ modifizierten Rankin-Skala, erreichten die Patienten in der Thrombektomie-Gruppe in der adjustierten Auswertung im Mittel ein um 2 Punkte (5,5 versus 3,4 Punkte) besseres Ergebnis. In der Thrombektomie-Gruppe hatten 49 Prozent der Patienten nach 90 Tagen ihre Unabhängigkeit (0 bis 2 Punkte auf der modifizierten Rankin-Skala) erreicht. In der Kontrollgruppe hatten dieses Ziel nur 13 Prozent erreicht.
Die Therapie erwies sich als sicher. Die Häufigkeit von akuten neurologischen Verschlechterungen nach der Behandlung war mit 14 Prozent gegenüber 26 Prozent in der Vergleichsgruppe sogar signifikant niedriger. Es kam etwas häufiger zu intrakraniellen Blutungen (6 Prozent in der Thrombektomie-Gruppe und 3 Prozent in der Kontrollgruppe). Die 90-Tage-Mortalität (19 versus 18 Prozent) war jedoch nahezu identisch.
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Bedeutung der Kollateralen
Eine Studie des Universitätsklinikums Freiburg zeigte, dass für den Grad der Hirnschädigung nicht entscheidend war, ob der Schlaganfall erst eine oder schon mehrere Stunden zurücklag. Ausschlaggebend war offensichtlich eher, wie gut die betroffenen Gehirnbereiche über kleinere Arterien mit Blut versorgt wurden. Das erklärt auch, weshalb mit einer mechanischen Entfernung des Blutgerinnsels bis zu sechs Stunden und in Einzelfällen auch deutlich länger gute Behandlungserfolge erzielt werden.
Die Thrombektomie in Heidelberg
Die Heidelberger Schlaganfallstation ist mit rund 700 Patienten pro Jahr die größte "Stroke Unit" Europas. Rund 30 Prozent der Heidelberger Schlaganfall-Patienten profitieren von dem Katheter-Eingriff, Tendenz steigend.
Internationale Studie unter Leitung des UKE und des Universitätsklinikums Heidelberg
Eine internationale klinische Studie unter Leitung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) ergab, dass auch bei Patient:innen mit schweren Schlaganfällen die Behandlung mittels eines Katheters zur Öffnung des Gefäßverschlusses Erfolge zeigt. Bei knapp 20 Prozent der behandelten Patient:innen konnte durch ein entsprechendes Verfahren der Tod oder eine Pflegebedürftigkeit verhindert werden.
Die TENSION-Studie
Die von der Europäischen Union mit sechs Millionen Euro geförderte TENSION-Studie (Efficacy and safety of ThrombEctomy iN Stroke with extended leSION and extended time window: a randomized, controlled trial) wurde in 40 Schlaganfallzentren in acht Ländern Europas sowie in Kanada durchgeführt. Untersucht wurde die Behandlung von Patient:innen mit einem akuten ischämischen Schlaganfall (Hirninfarkt), dem ein großer Gefäßverschluss zugrunde lag, der bereits zu einem größeren Infarktkern geführt hatte. Die Patient:innen wurden nach dem bei klinischen Studien üblichen Zufallsprinzip entweder der medikamentösen Standardtherapie oder zusätzlich einer Katheterbehandlung zugeteilt.
Im Zuge der Auswertung des Krankheitsverlaufs von 253 Patient:innen zeigte sich bei der zusätzlichen Katheterbehandlung 90 Tage nach Abschluss der Therapie ein deutlich besseres klinisches Ergebnis gemäß der modifizierten Rankin-Skala (mRS), die das Maß einer Behinderung nach einem Schlaganfall beschreibt. In der Gruppe mit zusätzlicher Katheterbehandlung waren deutlich mehr Patient:innen nach dem Schlaganfall nicht auf dauerhafte Hilfe angewiesen (2 Prozent gegenüber 17 Prozent); 31 Prozent waren selbstständig gehfähig (gegenüber 13 Prozent in der Vergleichsgruppe). Der Anteil an Patient:innen, die in Folge des Schlaganfalls gestorben sind oder pflegebedürftig wurden, war in dieser Gruppe um fast 20 Prozent reduziert (69 gegenüber 87 Prozent), die Zahl der Todesfälle lag um 11 Prozent niedriger (40 gegenüber 51 Prozent). Aufgrund der so bereits frühzeitig nachgewiesenen Wirksamkeit der endovaskulären Thrombektomie bei schweren Schlaganfällen wurde die Studie nach der ersten geplanten Zwischenanalyse vorzeitig beendet.
Fazit
Die Kathetertherapie, insbesondere die mechanische Thrombektomie, hat sich als eine wirksame Methode zur Behandlung von Schlaganfällen erwiesen. Sie kann das Ausmaß der Behinderungen reduzieren und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern. Obwohl die Therapie bisher vorwiegend in den ersten Stunden nach dem Schlaganfall eingesetzt wurde, deuten Studien darauf hin, dass sie auch in einem erweiterten Zeitfenster von bis zu 24 Stunden wirksam sein kann. Entscheidend für den Erfolg der Behandlung ist eine schnelle Diagnose und die Durchführung des Eingriffs in einer spezialisierten Stroke Unit mit einem erfahrenen interdisziplinären Team.
Wichtige Hinweise für Laien
- Bei Verdacht auf einen Schlaganfall sofort den Notruf 112 wählen.
- Je früher die Symptome erkannt werden, desto besser sind die Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung.
- Spezialisierte Kliniken mit Stroke Unit und Neuroradiologie sind für die Akutversorgung von Schlaganfall-Patienten am besten geeignet.