Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung, die nicht nur das Gedächtnis, sondern auch die Fähigkeit zur selbstständigen Nahrungsaufnahme beeinträchtigen kann. Für Betroffene und ihre Angehörigen stellt sich daher die Frage, wie eine angemessene Ernährung sichergestellt und gleichzeitig die Lebensqualität erhalten werden kann.
Bedeutung von Essen und Trinken bei Demenz
Essen und Trinken sind weit mehr als nur die Sicherstellung der Nährstoffzufuhr. Sie sind ein wichtiger Bestandteil der Lebensqualität, geben Sicherheit und Orientierung und tragen zum seelischen Wohlbefinden bei - insbesondere bei Menschen mit Demenz. Regelmäßige Mahlzeiten, idealerweise in Gesellschaft, können den Tagesrhythmus strukturieren und ein Gefühl der Normalität vermitteln. Ein bunt gedeckter Tisch und Lieblingsgerichte aus der Kindheit können den Appetit anregen und positive Erinnerungen wecken.
Herausforderungen bei der Ernährung von Demenzpatienten
Demenz verändert das Essverhalten und führt häufig zu Mangelernährung. Dies liegt an verschiedenen Faktoren:
- Vergesslichkeit: Patienten vergessen, ob, wann, was und wie viel sie bereits gegessen haben.
- Verändertes Hunger- und Sättigungsgefühl: Das natürliche Empfinden für Hunger und Sättigung ist gestört.
- Verlust von Alltagsfähigkeiten: Einkaufen, Kochen und der Umgang mit Besteck fallen zunehmend schwer.
- Unruhe und Bewegungsdrang: Viele Patienten sind unruhig und haben einen erhöhten Energiebedarf, können aber nicht still am Tisch sitzen.
- Verlust sozialer Kompetenzen: Die Teilnahme an gemeinsamen Mahlzeiten wird erschwert.
- Misstrauen und Ablehnung: Patienten lehnen unbekannte Gerichte oder fremde Köche ab, Speisen und Getränke werden nicht mehr als solche erkannt oder als gefährlich eingestuft.
Ernährungsempfehlungen für Demenzpatienten
Bedarfsgerechte Ernährung
Eine gesunde Ernährung ist für den ganzen Körper wichtig. Während gesunde Menschen eher fettarm und zuckerreduziert leben sollen, kann es bei Demenzerkrankten notwendig werden, süße und fettreiche, also hochkalorische Lebensmittel anzubieten. Je schlechter die Patienten essen bzw. je mehr Kalorien durch erhöhten Bewegungsdrang verbraucht werden, desto mehr muss darauf geachtet werden, in kleine Portionen eine hohe Nährstoffdichte zu bringen.
- Kalorienzufuhr erhöhen: Bei mangelernährten Patienten ist die Kalorienzufuhr zu erhöhen. Anstatt Magermilch sollte Vollmilch serviert werden, Sahnejoghurt anstatt fettarmem Joghurt, reichlich Butter und Sahne, Salami statt gekochtem Schinken, Zucker statt Süßstoff.
- Süße und fettige Speisen bevorzugen: Mit Fortschritt der Demenz kann sich die Vorliebe zu süßen und fettigen Speisen verstärken. Auch wenn es schwerfällt, sollten diese „ungesunden“ Vorlieben berücksichtigt werden. Es ist immer noch besser als die komplette Nahrungsverweigerung und damit einhergehend eine Unterernährung.
- Kleine Portionen: Lieber mehr Mahlzeiten über den Tag verteilt als 3 große Mahlzeiten. Demenziell erkrankte Personen schrecken oft vor zu großen Portionen zurück.
- Fingerfood: Fingerfood ist geeignet für Menschen mit Demenz. Aber auch für Menschen mit Gelenksproblemen. Arthrose und andere Erkrankungen machen es den Betroffenen oft schwer, das Besteck zu halten und das Essen zum Mund zu führen.
Fingerfood: Essen mit den Fingern
Fingerfood ist eine gute Möglichkeit, Menschen mit Demenz das Essen zu erleichtern. Es ermöglicht ihnen, selbstständig zu essen, ohne auf Besteck angewiesen zu sein. Geeignet sind portionsweise Häppchen, die mit maximal 2 Bissen gegessen werden können und gut zu greifen sind.
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Beispiele für Fingerfood:
- Käsewürfel, Wurstscheiben, Fleischbällchen, gebratene Hähnchenstücke, weiche Fleischstücke, Schnitzelstückchen, Sandwich, belegtes Brot, Fischstäbchen, Maultaschenstreifen, kleine Pastetchen, Waffeln, Mini-Quiches
- Obst- und Gemüsestücke, kleine Tomaten, Gurkenscheiben, gebratenes und in Stückchen geschnittenes Gemüse
Wichtige Hinweise zur Zubereitung:
- Es sollten nur Nahrungsmittel und Speisen angeboten werden, die dem Patienten schmecken.
- Die Häppchen sollten auf keinen Fall mit Spießchen zusammengesteckt werden.
- Bei Patienten mit Schluckstörungen kann auch auf Löffeln in kleinen Häppchen ein Püree-Menü angeboten werden.
- Bei der Zusammenstellung der Speisen müssen natürlich auch immer andere vorhandene Krankheiten (wie z.B. Diabetes, Dysphagie) berücksichtigt werden.
- Das Essen sollte gut sichtbar platziert werden.
- Die Fingerfoodstücke sollten sich vom Teller und der Umgebung farblich gut abheben, damit die Patienten das Essen auch erkennen können.
Servierformen für Fingerfood
- Am Tisch: Personen, die noch am Tisch essen aber Probleme mit dem Besteck haben, kann das Fingerfood zu den Mahlzeiten auf einem Teller serviert werden.
- Eat-by-Walking: Für Personen, die am Tisch bei den Mahlzeiten nicht genügend Nahrung zu sich nehmen und sehr viel laufen, kann das Essen während dem Laufen angeboten werden (Eat-by-Walking).
- Imbiss-Stationen: In der Wohnung werden an gut erreichbaren Stellen (Sideboard, Stehtisch, Tisch, Regal usw.) Teller mit kleinen Fingerfood-Häppchen aufgestellt.
Flüssigkeitszufuhr
Auch das Trinken muss überwacht werden, denn Dehydrierung ist ebenfalls ein Problem bei älteren Menschen und auch bei Menschen mit Demenz. Getränke haben den Vorteil, dass sie sehr kalorienreich sein können (Obst- und Gemüsesäfte, Vollmilch usw.).
Ursachen für Mangelernährung bei Demenz
Es gibt ganz unterschiedliche Gründe, warum Menschen mit Demenz nicht mehr genügend Nahrung zu sich nehmen. Oftmals hilft nur gutes Beobachten um festzustellen, warum zu wenig gegessen oder die Nahrung komplett verweigert wird. Hier einige Beispiele:
- Die Patienten können aufgrund ihres erhöhten Bewegungsdrangs nicht still am Tisch sitzen und sind dauernd abgelenkt. Das Essen wird zur unliebsamen Last. Dadurch wird nur wenig Nahrung aufgenommen.
- Sie vergessen nach dem Kauen das Essen zu schlucken. Es wird dadurch nur sehr wenig und sehr langsam gegessen.
- Sie neigen zu Schluckstörungen/Schluckbeschwerden (Dysphagie) und dadurch zu Verschlucken, Husten und Erstickungsanfällen.
- Sie empfinden manchmal keinen Hunger oder Durst mehr und entwickeln somit auch keinen Appetit.
- Sie müssen Medikamente einnehmen, die das Hunger- und Durstgefühl bzw. den Appetit reduzieren.
- Sie haben zwar Hunger, wissen aber nicht, wie Abhilfe geschaffen werden kann. Sie können das Hungergefühl nicht mehr mit Essen assoziieren.
- Sie lassen sich leicht ablenken durch zu viel Lärm. Oftmals sind die Sinne überreizt durch zu viele einzelne Essenskomponenten auf dem Teller oder zu viele Gegenstände auf dem Tisch.
- Sie sind an dem Geschehen um sich herum desinteressiert. Auch das Essen ist nicht mehr von Bedeutung.
- Sie mögen eine Speise nicht, können es aber nicht mehr formulieren.
- Sie haben Schmerzen (zum Beispiel im Mundbereich durch schlecht sitzende Prothesen oder Entzündungen) und können dies nicht mehr zum Ausdruck bringen.
- Sie haben durch Zahnprothesen einen veränderten Geschmackssinn.
- Sie verändern ihr Essverhalten und bevorzugen nur noch ihnen bekannte Speisen. Unbekannte Speisen werden oftmals verweigert.
- Sie haben einen veränderten Geruchs- und Geschmackssinn und mögen oftmals nur noch süße oder fettige Speisen. Hier ist abzuwägen, wie eine sinnvolle Ernährung aussehen kann. Manchmal ist es leider besser, wenn „ungesund“ gegessen wird anstatt dass überhaupt keine Nahrungsaufnahme stattfindet.
- Sie haben vielleicht morgens lieber Lust auf einen herzhaften Braten anstatt auf Brötchen mit Marmelade.
- Sie erkennen die Speisen nicht mehr als solches. Sie erinnern sich auch nicht mehr an das Essen und Trinken.
- Sie können in fortgeschrittenem Stadium nur noch schlecht Farbunterschiede erkennen. Ist das Essgeschirr nicht kontrastreich genug zum Essen, wird dieses nicht erkannt. Eine helle Spargelcremesuppe in einem weißen Teller ist in diesem Stadium nur schlecht wahrnehmbar.
- Im Endstadium erinnern sie sich nicht mehr an den Umgang mit Messer, Gabel und Löffel. Das Besteck ist ihnen fremd. Hilfe beim Essen ist notwendig.
- Sie verlieren immer mehr ihre motorischen Fähigkeiten und können nicht mehr mit dem Besteck essen. Lieber nehmen Sie die Hände zum Essen.
- Sie befürchten, dass das Essen vergiftet ist und verweigern die Nahrungsaufnahme.
- Sie kommen mit den Pflegenden nicht zurecht, lehnen diese ab.
Tipps zur Verbesserung der Esssituation
Es gibt keine allgemeingültigen Tricks, die für alle Demenzpatienten funktionieren. Es ist wichtig, den Patienten aufmerksam zu beobachten und situationsgerecht zu reagieren.
- Atmosphäre: Die Atmosphäre am Tisch ist wichtig. Es sollte nicht zu laut und hektisch sein, lieber ruhig und entspannt. Manche Patienten mögen eine leise Hintergrundmusik, für andere ist dies aber schon wieder zu viel Ablenkung.
- Gesellschaft: Für die Patienten ist es ganz gut, wenn andere Menschen mit am Tisch sitzen und ebenfalls essen. Patienten die vergessen haben mit Besteck umzugehen, können zumindest noch ein bisschen bei den anderen abschauen, wie Löffel und Gabel eingesetzt werden.
- Entscheidungsfreiheit einschränken: Demenzpatienten fällt es irgendwann immer schwerer, Entscheidungen zu treffen. Deshalb sind Fragen wie: „Was möchtest du gerne essen“, meist schon eine Überforderung. Besser ist es, Speisen zu servieren, die der Patient schon immer gerne gegessen hat.
- Übersichtlichkeit: Wenn mehrere unterschiedliche Speisen auf dem Teller liegen (z.B. Schnitzel, Gemüse, Nudeln, Salat) kann es sein, dass die Patienten sich nicht entscheiden können, was sie zuerst essen möchten und verzichten dann aus Überforderung ganz auf das Essen.
- Tischdekoration: Ein schön gedeckter Tisch mit schönen Servietten und bunter Deko kann den Appetit anregen, kann aber auch genauso den Patienten überfordern. Er weiß dann nicht mehr, was ist essbar von all dem was auf dem Tisch steht und was nicht. Deshalb nur das auf den Tisch stellen, was zum Essen auch wirklich benötigt wird.
- Beleuchtung: Für gute Beleuchtung am Esstisch sorgen, damit der Patient die Speisen gut erkennen kann und sieht, was er isst.
- Pürierte Kost: Patienten mit mittelschweren Kau- und Schluckbeschwerden (Dysphagie) muss unter Umständen pürierte Kost verabreicht werden. Es gibt hierfür auch spezielle Fertig-Püreemenüs, die mit allen wichtigen Nährstoffen angereichert sind.
- Temperatur: Keine heißen Getränke und Speisen servieren, an denen sich der Patient verbrennen könnte. Auch Verbrennungen führen zu vorübergehendem Geschmacksverlust.
- Keinen Druck ausüben: Wenn der Patient eine Speise ablehnt oder nicht mag, macht es keinen Sinn, den Patienten zum Essen zu zwingen. Womöglich assoziiert der Patient dann das Essen mit etwas Negativem. Lieber einige Minuten später etwas anderes anbieten.
- Fingerfood anbieten: Läßt die Motorik mehr und mehr nach, ist es sinnvoll, vom Essen mit Besteck auf Fingerfood umzusteigen. Dafür eignen sich Pommes, Kroketten, kleine Fleischbällchen, kleingeschnittenes Fleisch und Würstchen, zusammengerollte Wurstscheiben, mundgerechte Obst- und Gemüsestücke usw.
Kalorienbedarf bei Demenz
Der Kalorienbedarf ist abhängig von der Mobilität und dem Bewegungsdrang der Demenzpatienten. Während bei älteren Menschen der durchschnittliche Kalorienbedarf bei ca. 1.800 bis 2.000 Kalorien liegt, kann dieser bei einem Alzheimerpatienten mit großem Bewegungsdrang schnell bei 3.500 bis 4.000 Kalorien liegen. Deshalb ist ein regelmäßiges Wiegen der Patienten ganz wichtig um zu sehen, ob die zugeführte Nahrungsmenge ausreichend ist.
Zusätzliche Aspekte
- Regelmäßige Essenszeiten: Um zu verhindern, dass Menschen mit Demenz das Essen einfach vergessen, sollten Sie feste Essenszeiten einhalten.
- Ausreichend trinken: Achten Sie darauf, dass Menschen mit Demenz täglich mindestens 1,5 Liter trinken.
- Mund- und Zahngesundheit: Achten Sie auf die Mund- und Zahngesundheit, da Zahnschmerzen oder schlecht sitzende Zahnprothesen zu Nahrungsverweigerung führen können.
- Schluckstörungen: Bei Schluckbeschwerden sollte eine logopädische Behandlung in Betracht gezogen werden.
- Auf Zwang verzichten: Zwingen Sie niemals einen Menschen mit Demenz zum Essen!
- Individuelle Tischkultur: Passen Sie die Tischkultur an die Bedürfnisse des Patienten an. Bieten Sie Fingerfood an, wenn der Umgang mit Besteck schwerfällt.
- Horten von Nahrungsmitteln: Wenn Menschen mit Demenz Essen horten, versuchen Sie, dies zu kontrollieren, indem Sie eine Absprache treffen und regelmäßig die Lebensmittel auf ihre Genießbarkeit überprüfen.
Umgang mit belastenden Beschwerden in der letzten Lebensphase
In der letzten Lebensphase können Menschen mit Demenz verschiedene belastende Beschwerden haben, wie Schmerzen, Luftnot, Unruhe und Angst. Es ist wichtig, diese Beschwerden zu erkennen und zu lindern.
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- Schmerzen: Achten Sie auf Anzeichen von Schmerzen und behandeln Sie diese mit geeigneten Medikamenten und nicht-medikamentösen Maßnahmen.
- Luftnot: Sorgen Sie für eine gute Sauerstoffversorgung und lindern Sie die Luftnot durch geeignete Maßnahmen wie eine aufrechte Körperposition oder Medikamente.
- Unruhe und Angst: Sorgen Sie für eine ruhige Umgebung und bieten Sie den Patienten vertraute Personen, Berührungen, Massagen oder Musik an.
- Akute Verwirrtheit: Bei akuter Verwirrtheit sollten mögliche Ursachen wie Schmerzen oder Infektionen ausgeschlossen werden.
Sterbeorte und Todesursachen
Die meisten Menschen mit Demenz werden zu Hause von den Angehörigen betreut und haben den Wunsch, auch dort zu sterben. Die häufigste Todesursache ist die Lungenentzündung (Pneumonie).
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