Die Frage, wie lange ein Mensch ohne Gehirn überleben kann, ist komplex und wirft ethische und wissenschaftliche Fragen auf. Traditionell wurde der Herzstillstand als Todeszeichen angesehen. Mit dem Aufkommen der künstlichen Beatmung und der Transplantationsmedizin hat sich das Verständnis von Leben und Tod jedoch gewandelt. Der Hirntod, definiert als der irreversible Ausfall aller Hirnfunktionen, ist heute ein akzeptiertes Kriterium für den Tod, insbesondere im Kontext der Organspende.
Die Definition des Hirntodes
Der Hirntod wird in Deutschland durch die Stellungnahme der Bundesärztekammer definiert. Demnach müssen alle Funktionen des Gehirns, vom Hirnstamm bis zur Großhirnrinde, erloschen sein. Dieses Kriterium wurde 1968 von einer Kommission der Harvard Medical School erstmals formuliert, ein Jahr nachdem Christian Barnard das Herz einer hirntoten Frau verpflanzte. Die Begründung war, dass nach dem kompletten Hirnausfall der Herzstillstand eintritt und damit sämtliche Körperfunktionen erlöschen.
Die Kontroverse um den Hirntod
Das Konzept des Hirntodes ist jedoch nicht unumstritten. Kritiker argumentieren, dass hirntote Patienten, die künstlich beatmet werden, weiterhin Körperfunktionen aufweisen, die ein komplexes Zusammenspiel des Organismus widerspiegeln. Beispiele hierfür sind schwangere hirntote Frauen, die Kinder gebären können, oder hirntote Kinder, die proportioniert wachsen. Diese Beobachtungen stellen die Vorstellung in Frage, dass das Gehirn allein für die Integration des Organismus verantwortlich ist.
Der Hirntod als Prozess
Einige Experten sehen den Tod nicht als einen punktuellen Ereignis, sondern als einen Prozess. Der Medizinethiker Prof. Stephan Sahm argumentiert, dass die Transplantationsmedizin die Frage nach dem genauen Todeszeitpunkt in den Vordergrund gerückt hat. Ohne die Möglichkeit der Organtransplantation würde die Feststellung des Todes als ein fortschreitender Prozess betrachtet werden.
Die Rolle der Transplantationsmedizin
Der Hirntod ist die Grundlage der modernen Transplantationsmedizin. Nur durch die künstliche Aufrechterhaltung der Körperfunktionen hirntoter Organspender können lebensbedrohlich erkrankten Menschen mit Spenderorganen geholfen werden. Dies wirft jedoch ethische Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf die Würde des Sterbenden und die Entscheidungsfindung der Angehörigen.
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Was passiert im Gehirn beim Sterben?
Der Neurologe Jens Dreier erforscht die physiologischen Vorgänge im Gehirn zwischen Leben und Tod. Er erklärt, dass wenige Sekunden nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand die Sauerstoffkonzentration im Gehirn sinkt und die Nervenzellen in einen Sparmodus wechseln. Nach etwa sieben bis acht Sekunden verliert der Betroffene das Bewusstsein, und nach 30 bis 40 Sekunden ist die gesamte Hirnaktivität erloschen.
Die terminale Spreading Depolarization
Ein entscheidendes Ereignis beim Sterben ist die sogenannte terminale Spreading Depolarization. Dabei handelt es sich um eine riesige Depolarisationswelle, bei der sich die Nervenzellen ähnlich wie bei einem Kurzschluss nacheinander entladen. Diese Welle breitet sich mit einer Geschwindigkeit von schätzungsweise drei Millimetern pro Minute über das gesamte Gehirn aus und bewirkt massive Veränderungen im Inneren der Nervenzellen.
Parallelen zur Migräne
Interessanterweise treten ähnliche Depolarisationswellen auch bei Schlaganfällen und Migräneauren auf. Im Gegensatz zum Sterben, wo der Energiemangel global ist, tritt er bei Schlaganfällen nur lokal auf. Bei Migräneauren könnte ein kleines Blutgerinnsel ein Gefäß verschließen und die Welle auslösen, ohne jedoch bleibende Schäden zu verursachen.
Leben mit minimaler Hirnmasse
Ein außergewöhnlicher Fall aus Frankreich zeigt, dass ein Mensch auch mit minimaler Hirnmasse ein weitgehend normales Leben führen kann. Ein 44-jähriger Mann hatte aufgrund eines unbehandelten Wasserkopfes nur zehn Prozent der üblichen Hirnmasse. Trotzdem war er verheiratet, hatte zwei Kinder und arbeitete als Verwaltungsbeamter. Sein IQ lag bei 75, sein Sprach-IQ sogar bei 84. Dieser Fall verdeutlicht die erstaunliche Anpassungsfähigkeit des Gehirns und die Möglichkeit, dass Funktionen von anderen Hirnbereichen übernommen werden können.
Die Bedeutung des Gehirns für das Bewusstsein
Das Gehirn ist die Grundlage für unser Bewusstsein, unsere Persönlichkeit und unser Ich. Massive Schädigungen der Großhirnrinde können zu einem Wachkoma führen, während eng umgrenzte Defekte Teile der räumlichen Wirklichkeit oder biografische Erlebnisse auslöschen können. Wenn die Hirntätigkeit vollends zum Erliegen kommt, ist nicht nur kein Denken, Fühlen und subjektives Erleben mehr vorhanden, sondern auch der Körper kann ohne künstliche Beatmung nicht weiter funktionieren.
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Ethische Überlegungen zur Organspende
Die Organspende ist ein komplexes Thema, das ethische Fragen aufwirft. Einerseits kann sie lebensbedrohlich erkrankten Menschen helfen, andererseits berührt sie die Würde des Sterbenden und die Entscheidungsfindung der Angehörigen. Es ist wichtig, dass die Entscheidung für oder gegen eine Organspende auf informierter Basis und unter Berücksichtigung der individuellen Werte und Überzeugungen getroffen wird.
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