Muskelkrämpfe lösen: Was wirklich hilft

Muskelkrämpfe sind ein weit verbreitetes Problem, das viele Menschen betrifft. Sie können plötzlich auftreten und sehr schmerzhaft sein. Obwohl sie meist harmlos sind, können sie die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen, insbesondere wenn sie häufig auftreten oder die Schlafqualität stören. Viele Betroffene greifen zu Magnesium oder resignieren, doch es gibt effektivere Behandlungsmöglichkeiten wie gezielte Übungen und Chinin.

Was sind Muskelkrämpfe?

Muskelkrämpfe sind tastbare und schmerzhafte Verhärtungen der Muskulatur. Sie entstehen durch hochfrequente Entladungsserien der motorischen Einheiten mit etwa 50 und 150 Hz, was elektromyografisch nachgewiesen werden konnte. Dies deutet auf eine neurogene Übererregbarkeit hin, wobei auch spinale Faktoren wie der Wegfall inhibitorischer Einflüsse an den Vorderhornzellen eine Rolle spielen könnten. Die Krämpfe sind selbstlimitierend und hören meist innerhalb weniger Minuten auf, können aber auch länger anhalten und Schmerzen in der betroffenen Muskulatur verursachen, die über den eigentlichen Krampf hinausgehen.

Häufigkeit und Ursachen

Muskelkrämpfe, insbesondere nächtliche, sind ein häufiges Phänomen. Vereinzelt treten sie bei jungen Erwachsenen, besonders Sportlern, mit einer Häufigkeit von über 90 % auf. Die Frequenz nimmt mit dem Alter zu, sodass 33-50 % der älteren Erwachsenen jenseits von 65 Jahren regelmäßig - mindestens 1-mal pro Woche - an Muskelkrämpfen leiden (1). Frauen sind eher betroffen als Männer (5). Die Häufigkeit der Krämpfe variiert individuell, wobei etwa 2 % der Betroffenen mindestens zweimal pro Woche darunter leiden. Interessanterweise treten Muskelkrämpfe im Sommer häufiger auf als in anderen Jahreszeiten (6).

Die genauen Ursachen von Muskelkrämpfen sind vielfältig und oft nicht vollständig geklärt. Einige mögliche Ursachen sind:

  • Dehydration und Elektrolytstörungen: Insbesondere bei körperlicher Belastung, wie sie bei Arbeitern unter warmen und feuchten Bedingungen oder bei Sportlern auftritt, können Dehydration und Elektrolytverluste Muskelkrämpfe begünstigen.
  • Medikamente: Zahlreiche Medikamente können Muskelkrämpfe als Nebenwirkung verursachen. Dazu gehören Diuretika, Statine und inhalative Beta-2-Sympathomimetika (8).
  • Neurologische Erkrankungen: Schädigungen des ersten oder zweiten Motorneurons, wie sie bei Polyneuropathien oder Radikulopathien auftreten, können ebenfalls zu Muskelkrämpfen führen.
  • Internistische Erkrankungen: Schilddrüsenfunktionsstörungen, Diabetes mellitus, Hämodialyse und Leberzirrhose können das Auftreten von Muskelkrämpfen begünstigen.
  • Körperliche Anstrengung und Schwangerschaft: Symptomatische Muskelkrämpfe können im Rahmen körperlicher Anstrengung oder einer Schwangerschaft auftreten.
  • Magnesiummangel: Verschiebungen im Elektrolythaushalt des Körpers und eine Unterversorgung mit Magnesium sind eine häufig diagnostizierte Ursache für Wadenkrämpfe. Als Gegenspieler von Calcium wird Magnesium vom Körper eingesetzt, um die Muskeln nach einer Kontraktion wieder zu entspannen. Fehlt der Mineralstoff, hat das für die Muskelkontraktion verantwortliche Calcium Übergewicht, es erregt die Nervenzellen und löst das unwillkürliche Zusammenziehen von Muskelpartien aus. Ein Krampf entsteht.

Diagnostik

Die Anamnese ist bei der Diagnose von Muskelkrämpfen entscheidend. Wichtige Differenzialdiagnosen lassen sich bereits im Gespräch gut differenzieren (7). Üblicherweise handelt es sich um einen starken Schmerz, der meist im Bereich der Wade oder des Fußgewölbes lokalisiert ist. Der Schmerz hält für wenige Sekunden bis maximal 10 Minuten an. Auch nach dem Krampf kann ein Schmerz noch persistieren. Häufig kommt es zu Schlafstörungen.

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Differenzialdiagnostisch sollte an ein Restless-legs-Syndrom (RLS) gedacht werden. Die Patienten beschreiben einen Bewegungsdrang meist der Beine. Dieser ist häufig assoziiert mit unangenehmen Missempfindungen wie beispielsweise Kribbeln oder Brennen. Die Beschwerden treten häufig in Ruhephasen auf und bessern sich durch Herumlaufen und durch körperliche Aktivität. Der Schlaf kann ebenso beeinträchtigt sein. Schmerzen sind beim RLS nachrangig und die Beschwerden bessern sich im Gegensatz zu den Muskelkrämpfen durch Bewegung.

Die Lokalisation der Krämpfe ist zu erfragen. Sofern sie häufig am Rumpf, den Armen oder den Oberschenkeln auftreten, sollte der Patient zur Mitbeurteilung neurologisch vorgestellt werden. Anamnestisch ist zu klären, ob es Hinweise für Muskelerkrankungen in der Familie gibt. Es ist wichtig, eine vollständige Medikamentenanamnese zu erheben. Häufig leiden ältere Patienten unter Muskelkrämpfen und hier stellt die Polypharmazie ein ernsthaftes Problem dar. Zahlreiche Medikamente können das Auftreten von Muskelkrämpfen begünstigen.

Eine neurologische Abklärung sollte erfolgen, sofern sich Hinweise für eine Schädigung des ersten Motorneurons ergeben. Gesteigerte Reflexe, verbreiterte Reflexzonen, Pyramidenbahnzeichen, Muskeltonuserhöhung und spastische Paresen in der Untersuchung sind Hinweise für eine derartige Erkrankung. Auch bei Hinweisen für eine Schädigung des 2. Motoneurons sollte eine neurologische Mitbeurteilung erfolgen. Klinisch imponiert dies durch schlaffe Paresen, Muskelatrophie und Reflexausfälle. Erkrankungen des 2. Motorneurons wie Polyneuropathien oder Radikulopathien können zu Muskelkrämpfen führen.

Bevor eine Therapie eingeleitet und bewertet wird, sollte zunächst der Status quo erhoben werden. Dies ist entscheidend, um später die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen zu bewerten. Der Patient sollte für etwa 4 bis 8 Wochen die Häufigkeit und die Schwere der Muskelkrämpfe erfassen. Er sollte potenzielle Auslösefaktoren wie beispielsweise Alkohol meiden.

Behandlungsmöglichkeiten

Die Behandlung von Muskelkrämpfen lässt sich in nichtmedikamentöse und medikamentöse Maßnahmen unterteilen.

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Nichtmedikamentöse Therapien

Nichtmedikamentöse Therapien werden sowohl in der Prävention als auch in der Akuttherapie angewandt.

  • Dehnübungen: Der Patient sollte über die Sinnhaftigkeit regelmäßiger Dehnübungen der betroffenen Muskulatur informiert werden (9). Hierdurch kann er effektiv die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Muskelkrämpfen reduzieren. Regelmäßige Dehnübungen sollten mehrmals am Tag für circa 30 Sekunden durchgeführt werden. Die Übungen sollten 3-mal wiederholt und zwischen den Durchgängen Pausen von wenigen Sekunden eingehalten werden (10).
  • Akutbehandlung: In der Akutbehandlung kann der Muskelkrampf durch Anspannung der antagonistischen Muskulatur über die einsetzende reziproke antagonistische Hemmung beendet werden. Hierbei hemmen Renshaw-Interneurone über Ia-Interneurone den Antagonisten (Inhibitorische Wirkung auf das α-Motorneuron des Antagonisten). Eine kräftige Dehnung des betroffenen Muskels kann ebenfalls zur Unterbrechung des Krampfes führen (sogenannte autogene Hemmung durch Golgi-Sehnenrezeptoren) (11).
  • Weitere Maßnahmen: Regelmäßige Bewegung, Massagen, Entspannungsübungen und Wärme können ebenfalls helfen, Muskelkrämpfen vorzubeugen oder diese zu lindern.

Medikamentöse Therapien

Die medikamentöse Behandlung der Muskelkrämpfe beruht im Wesentlichen auf der Therapie mit Chinin. Gemäß der neurologischen Leitlinie sollte zunächst ein Versuch mit der Gabe von Magnesium aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils durchgeführt werden - auch wenn die Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist.

  • Magnesium: Je nach Alter und Geschlecht liegt die empfohlene Tageszufuhr für Magnesium gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bei 300-400 mg pro Tag. Es gibt zahlreiche Hersteller von Magnesiumpräparaten, häufig liegen deren Dosierungen ebenfalls bei 300 oder 400 mg pro Tablette/Kapsel. Es sind auch deutlich höher dosierte Präparate erhältlich. Im Zusammenhang mit der Einnahme von Magnesium kann es zu Durchfällen kommen. Insbesondere bei einer bestehenden Niereninsuffizienz muss die Gefahr einer Hypermagnesiämie beachtet werden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt eine Tageshöchstdosis von 250 mg, da Magnesium zusätzlich über die Nahrung aufgenommen wird und insofern eine Überdosierung möglich sein kann (12). Der Nutzen von Magnesium in der Vorbeugung von Muskelkrämpfen scheint insgesamt jedoch sehr begrenzt zu sein. Die meisten Betroffenen haben Magnesium bereits versucht, bevor sie einen Arzt aufgrund ihrer Beschwerden aufsuchen.
  • Chinin: Die Gabe von Chinin zur vorbeugenden Behandlung von schmerzhaften Muskelkrämpfen ist etabliert und durch Studien belegt. Insofern wird diese Therapie auch in der aktuellen neurologischen Leitlinie empfohlen (1). Den französischen Chemikern Pierre Pelletier und Joseph Caventou gelang es 1820, den eigentlichen Wirkstoff Chinin aus der Rinde der Cinchona-Bäume zu extrahieren und in reiner Form darzustellen. Chinin ist schlecht wasserlöslich. Die Lösbarkeit der Chininsalze ist deutlich besser und war Voraussetzung für die Entwicklung von Tabletten. Chinin wird meist in Form des Chininsulfates angeboten. Eine Cochrane-Analyse aus dem Jahr 2015 bewertete den Einsatz von Chinin zur Behandlung von Muskelkrämpfen und untersuchte Studien, die Chinin gegen Plazebo und gegen Vitamin E testeten (13). Außerdem wurden Kombinationen aus Chinin und Vitamin E sowie Chinin und Theophyllin herangezogen. So wurden 23 Studien mit insgesamt 1 586 Probanden berücksichtigt. In ihnen wurde meist eine Tagesdosis von 300 mg pro Tag (Bandbreite 200-500 mg) eingenommen. Verglichen mit Plazebo kam es zu einer signifikanten Reduktion der Crampi-Häufigkeit über 2 Wochen um 28 %, die Intensität der Muskelkrämpfe nahm um 10 % ab. Die Anzahl der Nächte mit Muskelkrämpfen wurde um 20 % reduziert. Die Dauer der Muskelkrämpfe wurde durch Chinin nicht beeinflusst. Als Hauptnebenwirkung wurden gastrointestinale Beschwerden beschrieben. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass eine mittelstarke Evidenz für die Reduktion der Intensität der Muskelkrämpfe vorliegt. Für die Reduktion der Häufigkeit der Muskelkrämpfe und der Häufigkeit der Nächte mit Muskelkrämpfen lag eine schwache Evidenz vor. Therapeutisch und vorbeugend Chininsulfat kann zur Prophylaxe von Muskelkrämpfen verordnet werden, da es zu Veränderungen im Bereich der neuromuskulären Übertragung führt. Es verlängert die Refraktärzeit durch direkte Wirkung auf die Muskelfaser. Es vermindert die Erregbarkeit an der motorischen Endplatte, eine Wirkung ähnlich der von Curare. Außerdem beeinflusst es die Verteilung von Kalzium in der Muskelfaser. Über diese Mechanismen wird die Schwelle für eine Reaktion des Muskels auf einen einzelnen maximalen Reiz erhöht. Die Bereitschaft zu einer tetanischen Kontraktion nimmt ab. Chininsulfat weist eine hohe orale Bioverfügbarkeit (> 85 %) auf und wird überwiegend im oberen Teil des Dünndarms resorbiert. Die höchsten Plasmakonzentrationen werden etwa 1-3 Stunden nach Einnahme erreicht. Die Plasmahalbwertszeit liegt bei etwa 11 Stunden. Die Plasmaeiweißbindung beträgt 70 %. Die Behandlung mit Chininsulfat beginnt mit 200 mg nach dem Abendessen. Der Behandlungserfolg kann etwa nach 4 Wochen beurteilt werden. Bei Bedarf kann die Dosis auf 400 mg gesteigert werden. Insbesondere zu Beginn der Therapie sollten die Betroffenen die Häufigkeit und die Intensität der Muskelkrämpfe dokumentieren, um die Wirksamkeit besser abschätzen zu können. Zahlreiche Nebenwirkungen, die im Zusammenhang mit Chininsulfat beschrieben wurden wie beispielsweise eine Schädigung des Nervus vestibulocochleares oder des Nervus opticus, sind auf hohe Plasmakonzentrationen zurückzuführen. Derartig hohe Plasmakonzentrationen werden in der Prophylaxe von Muskelkrämpfen nicht erreicht, da hierfür maximal 400 mg täglich gegeben werden. Dabei sind Plasmakonzentrationen deutlich unter 7 μg/ml zu erwarten. In Malariatherapie ist dies ganz anders. Die Erhaltungstherapie für einen 70 kg schweren Patienten liegt dann bei bei 2 100 mg/d (16). Chininsulfat darf nicht in der Schwangerschaft und der Stillzeit angewendet werden. Es ist bei Bradykardien und Herzrhythmusstörungen kontraindiziert, da es zu einer Verlängerung der QT-Zeit kommen kann. Auch sollten regelmäßige Kontrollen der Elektrolyte bei gleichzeitiger Anwendung von Diuretika oder Laxantien erfolgen. Zahlreiche Medikamente können die QT-Zeit verändern. Dies ist in der Kombination mit Chininsulfat zu berücksichtigen, da es seinerseits zu einer Verlängerung des QT-Intervalls führen kann. Patienten mit vorbestehendem QTc-Intervall > 500 ms sollten nicht mit Chininsulfat behandelt werden. In sehr seltenen Fällen kann sich unter der Behandlung mit Chininsulfat eine thrombozytopenische Purpura entwickeln. Derartige immunvermittelte Reaktionen unter Chinin haben zu einer erheblichen Verunsicherung der behandelnden Ärzte geführt. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass Patienten mit Muskelkrämpfen häufig eine wirkungsvolle Behandlung vorenthalten wird. Typischerweise treten nach bis zu einer Woche der Einnahme oder bei intermittierender längerer Einnahme petechiale oder ekchymatöse Blutungen als Hinweise auf eine Thrombozytopenie auf. Auch neu aufgetretenes Nasen- oder Zahnfleischbluten oder gastrointestinale Blutungen sollten daran denken lassen. Thrombozytopenien treten unter zahlreichen Arzneien wie Cotrimoxazol, Rifampicin, Carbamazepin, Diclofenac, Ibuprofen, Vancomycin, Heparin und Chinin auf (17). Unter der Behandlung mit Chininsulfat ist eine medikamentös-induzierte Thrombozytopenie sehr selten.

Weitere Tipps und Hausmittel

Neben den genannten Therapien gibt es weitere Tipps und Hausmittel, die bei Muskelkrämpfen helfen können:

  • Ausreichend trinken: Achten Sie darauf, genügend Flüssigkeit zu sich zu nehmen, insbesondere nach dem Sport oder bei warmem Wetter.
  • Elektrolyte ausgleichen: Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend Magnesium, Kalium und Calcium ist wichtig für einen gesunden Elektrolythaushalt.
  • Wärme: Wärme, beispielsweise in Form von warmen Bädern oder Umschlägen, kann die Muskulatur entspannen und Schmerzen lindern.
  • Gurkenwasser: Einige Athleten schwören auf Gurkenwasser, die salzige und essighaltige Flüssigkeit, in der Gurken eingelegt sind, um Krämpfe zu stoppen. Laut einer kleinen US-amerikanischen Studie könnte es die Krampfdauer verkürzen.
  • Regelmäßige Bewegung: Legen Sie jeden Tag ein paar Übungen ein, die Ihre Beinmuskulatur gründlich bewegen. Hier bieten sich ein paar einfache Dehn- und Bewegungsroutinen an, die Ihnen beispielsweise ein Physiotherapeut oder ein Yogalehrer vermitteln kann. Aber auch ein paar Minuten auf dem Fahrrad-Ergometer oder dem Laufband helfen schon, die Muskeln vor dem Schlafengehen zu lockern.
  • Vermeiden Sie Alkohol: Wer regelmäßig Alkohol trinkt, hat häufiger unter solchen nächtlichen Wadenkrämpfen zu leiden.

Wann zum Arzt?

Häufige Muskelkrämpfe können sehr belastend sein. Wenn es immer wieder zu Muskelkrämpfen kommt und/oder diese besonders schmerzhaft sind und sich auch nicht mit Hausmitteln und Bewegung bessern lassen, dann sollte eine Ärztin oder ein Arzt aufgesucht werden. In der Praxis können verschiedene Untersuchungen durchgeführt werden, um die möglichen Ursachen der Muskelkrämpfe herauszufinden und eine wirksame Behandlung zu empfehlen, die langfristig geeignet ist, Krämpfe und Schmerzen zu lindern.

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