Die Debatte um die Legalisierung von Cannabis flammt immer wieder auf. Ein zentraler Streitpunkt ist die Frage, ob Cannabiskonsum schädliche Auswirkungen auf das Gehirn hat, insbesondere bei Jugendlichen, deren Gehirn sich noch in der Entwicklung befindet. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Forschungslage zu diesem Thema und versucht, ein umfassendes Bild der potenziellen Risiken und Auswirkungen von Cannabiskonsum auf die Gehirnzellen zu zeichnen.
Cannabis und die Entwicklung des Gehirns: Eine vulnerable Phase
Ein internationales Forschungsteam hat gezeigt, dass sich das Gehirn von Cannabis-Konsumentinnen deutlich verändern kann. Die betroffenen Jugendlichen waren impulsiver und konnten sich schlechter konzentrieren. Studienbeginn waren die Teilnehmerinnen etwa 14 Jahre alt und hatten noch keinen Kontakt mit Cannabis. Forschende überprüften die Hirnstruktur der Probandinnen durch MRT-Aufnahmen. Zu Beginn der Studie sahen alle Hirnscans ähnlich aus. Fünf Jahre später war das ganz anders: Ein Teil der Probandinnen hatte angefangen zu kiffen - manche nur gelegentlich, andere sehr häufig. Bei den Cannabis-Konsumentinnen zeigten die MRT-Aufnahmen ein deutlich verändertes Bild: Ihre Hirnrinde war dünner als bei der Vergleichsgruppe. Die Veränderungen zeigten sich in einem besonders wichtigen Bereich des präfrontalen Kortex. Dort befinden sich viele Andockstellen für Inhaltsstoffe aus Cannabis. Diese Hirnregion hilft uns, Impulse zu kontrollieren, Probleme zu lösen und Handlungen zu planen. Deshalb überrascht es kaum, dass die Jugendlichen mit auffälligen Hirnscans sich auch im Verhalten von Gleichaltrigen ohne Kontakt zu Cannabis unterschieden: Die 19-jährigen Cannabis-Konsumentinnen reagierten impulsiver und hatten größere Schwierigkeiten, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Der Effekt bei Hirnscan und Verhaltenstests hing eindeutig mit der konsumierten Menge zusammen: Je mehr Cannabis die jungen Proband*innen zu sich nahmen, desto ausgeprägter waren die Folgen. Aus der Studie in JAMA Psychiatry lassen sich aber keine Grenzwerte ableiten. Aus anderen Studien ist aber bekannt, dass beispielsweise bei Jugendlichen mit Neigung zu Psychosen bereits gelegentliches Kiffen psychische Krisen auslösen kann. Außerdem wurde nicht genauer gefragt, in welcher Form das Cannabis konsumiert wurde: ob die Jugendlichen also kifften, Haschkekse aßen oder Cannabisöl verwendeten.
Professor Maximilian Gahr, Psychiater an der Uniklinik Ulm, bezeichnet die Untersuchung als qualitativ hochwertig und unterstreicht, dass die Entwicklung des Frontalhirns erst mit Mitte 20 abgeschlossen ist - bis dahin reagiere das Gehirn besonders empfindlich auf Drogen. Je jünger die Konsumierenden, desto höher das Risiko.
Mögliche Auswirkungen auf die Hirnstruktur
Es gibt einen Forschungszuwachs an neuen internationalen Studien, die belegen, dass sich hirnstrukturelle Veränderungen im zentralen Nervensystem ereignen, wenn Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung Cannabis konsumieren. Bis zum 22. Lebensjahr befindet sich das Gehirn im Umbauprozess. THC stört diesen Prozess: Es bildet sich nicht ausreichend Ummantelungssubstanz. Das kann dann eben erwähnte Folgen haben. Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Intelligenz leiden.
Starker Cannabiskonsum wirkt sich insbesondere auf jene Hirnregionen aus, wo die Dichte an Cannabinoidrezeptoren hoch ist. Eine hohe Dichte an Cannabinoidrezeptoren findet sich unter anderem in einer Hirnregion namens Hippocampus. Bildgebende Verfahren haben gezeigt, dass der Hippocampus bei starkem Cannabiskonsum schrumpft, Nervenzellen also abgebaut werden. Da der Hippocampus eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung spielt, haben Betroffene Einbußen in der Merkfähigkeit.
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Eine weitere wichtige Hirnregion mit einer hohen Dichte an Cannabinoidrezeptoren ist der präfrontale Cortex. Dieser Bereich hinter der Stirn ist für „höhere“ geistige Leistungen wie Nachdenken oder Entscheiden zuständig. Studien zufolge nimmt die Dicke des präfrontalen Cortex stärker ab als üblich, wenn schon im Jugendalter viel Cannabis konsumiert wird.
Die Rolle des Alters
Generell ist das Alter von Bedeutung. Je jünger die Person beim ersten Cannabiskonsum ist und je früher sie zum regelmäßigen Konsum übergeht, desto wahrscheinlicher sind strukturelle Hirnveränderungen und Einbußen in der geistigen Leistungsfähigkeit. Denn die Gehirnentwicklung ist erst mit etwa 25 Jahren weitestgehend abgeschlossen, und das Endocannabinoid-System spielt dabei eine wichtige Rolle. Langzeitstudien legen nahe, dass auch die allgemeine Intelligenz gemindert sein kann, wenn Jugendliche bereits intensiv Cannabis konsumieren und den Konsum bis ins Erwachsenenalter aufrechterhalten.
Cannabis als Auslöser psychischer Probleme
Aus anderen Studien ist aber bekannt, dass beispielsweise bei Jugendlichen mit Neigung zu Psychosen bereits gelegentliches Kiffen psychische Krisen auslösen kann.
Langzeitfolgen
Zu den Langzeitfolgen zählen:
- Psychotische Störungen, wie cannabisinduzierte Psychosen oder Schizophrenien. Die Wahrscheinlichkeit, eine solche Erkrankung zu entwickeln, steigt bei Konsumenten um 40 bis 100 Prozent gegenüber Nicht-Konsumenten.
- Affektive Störungen wie Depressionen, Angststörungen, bipolare Störungen und Suizidalität. Die Wahrscheinlichkeit, eine Depression zu entwickeln, liegt bei Konsumenten im Vergleich zu Nicht-Konsumenten um 30 bis 60 Prozent höher.
- Beeinträchtigung der Kognition bei Konsum im Jugendalter: Gedächtnisfunktionen, Lernleistung, Aufmerksamkeit, die Fähigkeit zum Problemlösen und Intelligenz vermindern sich. Das führt bei Abhängigen häufig zu einem Leistungsknick in der Schule und zum Abbruch der Ausbildung. Jugendliche verlieren außerdem frühere Freizeitinteressen und ziehen sich in die Gemeinde der ebenfalls Konsumierenden zurück.
Cannabis und die Frage der Hirnzelltötung: Eine Richtigstellung
Für lange Zeit wurde behauptet, dass chronischer Cannabiskonsum Hirnzellen abtötet. Heute ist man sich weitestgehend einig, dass dies so nicht stimmt.
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Die diskreditierte Heath/Tulane-Studie
Das Argument, dass Cannabis Gehirnzellen tötet, schaffte es in den 70er Jahren auf die Titelblätter. Diese Behauptungen beruhten auf der Studie von Dr. Heath. Rhesusaffen wurden dazu gezwungen, ein Jahr lang pro Tag ca. 30 Joints zu konsumieren. Dr. Heath schlussfolgerte, dass Gehirnschäden die Todesursache der Affen waren. Heute ist die berüchtigte Heath/Tulane-Studie, die im Jahre 1974 Schlagzeilen machte, weitestgehend diskreditiert. Da die Affen so viel Cannabisrauch ausgesetzt waren, ohne zusätzlich Sauerstoff zu erhalten, wurden sie sozusagen täglich 5 Minuten lang erstickt. Eine der ersten Folgen der Erstickung ist das Absterben von Gehirnzellen aufgrund von Sauerstoffmangel.
Aktuelle Forschungsergebnisse
Auch Eva Hoch verfolgt die Hypothesen und die "Explosion an Publikationen" rund um Cannabis. "Es stimmt, dass Cannabis in die Neurophysiologie eingreift", sagt sie. Aber auf die Frage, wie neurotoxisch - also schädigend für das Gehirn - der Hauptwirkstoff von Cannabis, das Tetrahydrocannabinol (THC), wirklich ist, dazu kann auch sie keine klare Aussage machen.
Neuroprotektive Eigenschaften von Cannabinoiden?
Studien haben gezeigt, dass bestimmte Cannabinoide, insbesondere THC und CBD, einzigartige neuroprotektive Eigenschaften besitzen. Dies wurde zum Subjekt für unzählige Versuche und legt nahe, dass sie sogar eine wichtige Rolle bei der Behandlung einer Reihe von neurodegenerativen Krankheiten spielen könnten.
Kurzfristige Auswirkungen von Cannabiskonsum
Zu den unmittelbaren, kurzfristigeren Auswirkungen ist hingegen schon mehr bekannt. So ist gut belegt, dass bestimmte geistige Fähigkeiten nach akutem Cannabisgebrauch beeinträchtigt sind, wie das Kurzzeitgedächtnis, psychomotorische Koordination oder die Aufmerksamkeitsspanne. Bei chronischem Konsum können diese Auswirkungen auch tagelang bestehen bleiben.
Die Rolle von CBD
Niedrigpotenter Cannabis enthält hingegen das Cannabinoid CBD, dem eine eher nervenschützende Funktion zugesprochen wird. Erste tierexperimentelle Versuche fokussieren sich auf die Wirkung von Cannabidiol (CBD) auf die Neurogenese. CBD gehört zusammen mit THC zu den bekanntesten Cannabinoiden, also chemischen Verbindungen, die in Cannabis vorkommen.
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Cannabis und Gedächtnis: Auswirkungen und Erholung
Eine Studie des gleichen Forschungsteams aus dem Jahr 2016 hatte bereits ergeben, dass eine intensive Nutzung über mehrere Jahre zu Gedächtnisverlust führen kann. Außerdem zeigte sich damals, dass Cannabiskonsumenten unter 16 Jahren Schwierigkeiten hatten, neue Informationen zu erlernen - ein Problem, das bei Nutzern ab 17 Jahren nicht beobachtet werden konnte.
Ihr Ergebnis: Die Gedächtniskapazität wird durch Cannabis unterdrückt. Gleichzeitig konnten sie jedoch aufzeigen, dass die Beeinträchtigung schnell nachlässt, wenn man den Konsum stoppt. Die Fähigkeit der Abstinenzler, neue Informationen zu erlernen und sie sich einzuprägen, hatte sich also nach nur einem Monat verbessert und normalisiert.
Allerdings kann sich die geistige Leistungsfähigkeit nach Beendigung des Cannabiskonsums wieder erholen. Je länger die Abstinenz, desto stärker erholt sich das Gehirn. Dies gilt auch, wenn der Einstieg schon im Jugendalter erfolgt ist.
Cannabis und die Herzgesundheit
Auch die NIDA etwa warnt vor den Risiken, die von der erhöhten Herzfrequenz durch Cannabiskonsum ausgehen können. "Marihuana erhöht die Herzfrequenz für bis zu drei Stunden nach dem Rauchen." "Cannabis hat durchaus eine Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System", sagt auch Stefan Tönnes. Auf einen Zusammenhang von Cannabiskonsum und einem erhöhten Risiko bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) deuten auch ältere Studien hin.
Cannabis als Medizin: Potenzial und Risiken
Cannabisprodukte sind bereits als Medikamente zugelassen, zum Beispiel für die Schmerzbekämpfung.
Forschung zu THC und altersbedingtem kognitiven Abbau
Wissenschaftlern der Universität Bonn und der Hebrew Universität Jerusalem (Israel) ist es bei Mäusen gelungen, altersbedingte kognitive Defizite durch die Verabreichung von THC zu reduzieren. Mäuse, die im Alter von zwei, zwölf oder 18 Monaten über einen Zeitraum von vier Wochen eine geringe Menge an THC erhielten, zeigten danach eine verbesserte Lernfähigkeit und Gedächtnisleistung. Die kognitiven Funktionen der mit Cannabis behandelten Tiere waren genauso gut wie die von zwei Monate alten Kontrolltieren.
Die Legalisierungsdebatte: Ein komplexes Thema
Sollte Cannabis legal sein? Mehrere Regierungen haben sich in den letzten Jahren dafür entschieden, etwa in Kanada, Südafrika und in mehreren US-Bundesstaaten. In Deutschland soll der Bundestag in der Woche ab dem 19. Februar 2024 über ein neues Cannabis-Gesetz abstimmen. Da alle drei Regierungsparteien das Gesetz befürworten, gilt die Verabschiedung als sicher. Dann wären vom 1. Das Thema bleibt allerdings umstritten und im Netz kursieren allerlei Behauptungen, die sich nicht immer belegen lassen.
Die Einstiegsdrogen-Theorie
Die Theorie, dass Cannabiskonsum zum Konsum härterer und gefährlicherer Drogen führt, ist wohl eines der häufigsten Argumente gegen eine Legalisierung, und eines der ältesten. Vollständig widerlegen lässt sich die Einstiegsdrogen-Theorie dennoch nicht. Doch es gebe darüber hinaus eine Vielzahl von weiteren Risikofaktoren für Konsum von illegalen Drogen, die berücksichtigt werden müssten.
Cannabis vs. Alkohol: Eine vergleichende Betrachtung
Häufig wird - insbesondere von Legalisierungs-Befürwortern - behauptet, Alkohol sei um ein Vielfaches gefährlicher als Cannabis. Diese Aussage ist allerdings nicht haltbar. Da Cannabis seine Wirkung beim Rauchen schnell entfaltet, könne die Stärke des Rausches im Vergleich zu Alkohol hier besser kontrolliert werden, sagt Stefan Tönnes. Damit sinke das Risiko einer Überdosis. Die negativen Auswirkungen beider Drogen beginnen nicht erst bei der Überdosierung. Dabei brächten die unterschiedlichen Rauschwirkungen von Alkohol und Cannabis jeweils eigene Gefahren mit sich, erklärt Stefan Tönnes.
"Alkohol hat eine hohe organschädigende Wirkung und verursacht dort mehr gesundheitliche Schäden als Cannabis," sagt auch Suchtforscherin Eva Hoch.
Risiken auf dem Schwarzmarkt
"Cannabisprodukte, die auf dem Schwarzmarkt erhältlich sind, haben ein völlig unklares Cannabinoid-Profil. Meist enthalten sie sehr wenig CBD, dafür viel vom berauschenden Hauptwirkstoff THC. Auch gefährliche Beimischungen wie synthetische Opioide oder Cannabinoide könnten enthalten sein, sagt Hoch.
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