Ein Glas Wein am Abend, am Wochenende vielleicht auch zwei - für viele Menschen scheint dieser Konsum harmlos. Doch was bewirkt Alkohol wirklich im Gehirn? Dieser Artikel beleuchtet die Auswirkungen von Alkoholkonsum auf die Hirnzellen, basierend auf aktuellen Forschungsergebnissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Einführung
Die Frage, ob und wie Alkohol Gehirnzellen schädigt, ist ein viel diskutiertes Thema. Es kursieren viele Mythen, aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse, die ein differenziertes Bild zeichnen. Dieser Artikel fasst den aktuellen Stand der Forschung zusammen und gibt Antworten auf die Frage, wie viele Gehirnzellen durch Alkohol sterben und welche langfristigen Folgen Alkoholkonsum auf das Gehirn haben kann.
Alkoholkonsum und seine Auswirkungen auf das Gehirn
Mäßiger Konsum vs. Starker Konsum
Ein brasilianisches Forschungsteam obduzierte die Gehirne von 1.781 Verstorbenen, um Schädigungen zu untersuchen. Im Durchschnitt waren die Körperspender bei ihrem Tod 75 Jahre alt. Die Studie teilte die Verstorbenen in vier Gruppen ein:
- Nichttrinker: 965 Personen, die nie Alkohol getrunken hatten.
- Moderate Trinker: 319 Personen, die sieben oder weniger alkoholische Getränke pro Woche konsumiert hatten.
- Starke Trinker: 129 Personen, die acht oder mehr Gläser pro Woche konsumiert hatten.
- Ehemalige starke Trinker: 368 Personen, die in jüngeren Jahren viel Alkohol konsumiert hatten, aber später abstinent geworden waren.
Ein Getränk wurde als 14 Gramm reinen Alkohols definiert, was etwa 350 ml Bier, 150 ml Wein oder 45 ml Spirituosen entspricht.
Auswirkungen auf die Hirngefäße
Die Untersuchung konzentrierte sich auf die Hyaline Arteriolosklerose, eine Erkrankung, bei der sich die feinen arteriellen Gefäße (Arteriolen) durch eine glasartige (hyaline) Verdickung ihrer Wände verengen und versteifen. Dies erschwert den Blutfluss durch die Gefäße.
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Auf den ersten Blick zeigten die Autopsien nur geringe Unterschiede zwischen den Gruppen. Bei 40 Prozent der Nichttrinker, 45 Prozent der moderaten Trinker, 44 Prozent der starken Trinker und 50 Prozent der ehemaligen starken Trinker wurden geschädigte Hirngefäße (vaskuläre Hirnläsionen) gefunden.
Nach Berücksichtigung von Faktoren wie Todesalter, Rauchen und körperlicher Aktivität ergaben sich jedoch gravierende Unterschiede:
- Starke Trinker hatten eine um 133 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für Gefäßschäden im Gehirn als Nichttrinker.
- Ehemalige starke Trinker hatten ein um 89 Prozent erhöhtes Risiko.
- Moderate Trinker hatten ein um 60 Prozent erhöhtes Risiko.
Tau-Proteine und Alzheimer
Die Forscher untersuchten die Hirne der Verstorbenen auch auf sogenannte Tau-Proteine, fehlgefaltete Eiweißbausteine, die sich in den Gehirnen von Menschen mit Alzheimer ansammeln. Starke und ehemalige starke Trinker hatten mit einer um 41 Prozent bzw. 31 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit solche Tau-Proteine entwickelt als Nichttrinker.
Verkürzte Lebenszeit
Starke Trinker starben im Durchschnitt 13 Jahre früher als Menschen, die nie Alkohol getrunken hatten.
Aussage der Studienautoren
„Wir haben festgestellt, dass starker Alkoholkonsum direkt mit Anzeichen von Schädigungen des Gehirns verbunden ist“, sagt Studienhauptautor Alberto Fernando Oliveira Justo von der University of São Paulo in Brasilien. Dies könne langfristige Folgen für die Gesundheit des Gehirns haben und sich auf Gedächtnis und Denkvermögen auswirken.
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Mythos vs. Realität: Sterben Gehirnzellen durch Alkohol ab?
Entgegen der landläufigen Meinung tötet Alkohol nicht direkt Gehirnzellen ab. Vielmehr stört er die Kommunikation zwischen den Gehirnzellen. Dies verlangsamt das Denken während des Rauschs. Allerdings schadet exzessiver Alkoholkonsum dem Gehirn indirekt.
Wie Alkohol die Kommunikation der Gehirnzellen beeinflusst
Das Gehirn funktioniert durch ein komplexes Netzwerk von Nervenzellen (Neuronen), die über elektrische Impulse und Botenstoffe miteinander kommunizieren. Diese Botenstoffe können entweder hemmend oder aktivierend wirken. Alkohol greift in diese Balance ein, indem er die Ausschüttung hemmender Botenstoffe verstärkt und die aktivierender Botenstoffe reduziert. Dadurch werden die Kettenreaktionen zwischen den Nervenzellen verlangsamt oder blockiert.
Indirekte Schäden durch Alkohol
Langfristiger, starker Alkoholkonsum kann zu einer Entzündung der Leber führen. Dadurch kann zu viel Ammoniak in die Blutbahn gelangen, was den Nervenzellen im Gehirn schaden kann. Dies kann sogar zu einer Leberzirrhose führen.
Wernicke-Korsakow-Syndrom
Ein weiteres schwerwiegendes Problem ist das Wernicke-Korsakow-Syndrom, eine schwere Demenz, die eine direkte Folge von langjährigem, starkem Alkoholkonsum ist. Betroffene leiden unter Gedächtnisverlust, Orientierungsproblemen, Sprachschwierigkeiten und Problemen beim Planen und Organisieren.
Vorzeitiges Altern des Gehirns durch Alkohol
Schrumpfung der Gehirnsubstanz
Schon eine Flasche Bier am Tag kann die graue und weiße Substanz im Gehirn schrumpfen lassen, wenn man über einen langen Zeitraum regelmäßig konsumiert. Die graue Substanz, die Großhirnrinde (Cortex), beherbergt rund 20 Milliarden Nervenzellkörper. Im Inneren des Großhirns befinden sich ihre Zellfortsätze (Axone), die aufgrund ihrer helleren Farbe weiße Substanz genannt werden. Beide Substanzen sind wesentliche Bestandteile des zentralen Nervensystems und steuern nahezu alle Hirnfunktionen.
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Die Veränderungen, die Alkohol in den Gehirnsubstanzen verursacht, sind nicht linear: Je mehr man trinkt, desto schneller schrumpft das Gehirn. Ein Beispiel: Erhöht eine 50-jährige Person ihren täglichen Alkoholkonsum von einem 0,25l Glas Bier auf eine 0,5l Flasche Bier, entsprechen die Veränderungen im Gehirn einer Alterung von zwei Jahren.
Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten
Die Folgen der Hirnalterung machen sich vor allem durch ein geschwächtes Erinnerungsvermögen bemerkbar. Aber der Alkohol beeinträchtigt auch andere kognitive Fähigkeiten: Aufmerksamkeit, Orientierung oder die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Jüngere Studien weisen darauf hin, dass regelmäßiger Alkoholkonsum von bereits fünf bis sechs Standardgläsern pro Woche die kognitive Leistungsfähigkeit vermindert.
Erhöhtes Demenzrisiko
Regelmäßiger Konsum hoher Alkoholmengen verursacht Veränderungen im Gehirn, die das Risiko einer Demenzerkrankung stark erhöhen. Personen ab 45 Jahren, die mehr als 24 Gramm reinen Alkohol (ca. 250 ml Wein) am Tag trinken, sind besonders gefährdet.
Irrtümer und Mythen über Alkohol
Schafft fettes Essen eine Grundlage?
Falsch! Alkohol gelangt aus einem gut gefüllten Magen langsamer ins Blut, aber die gesundheitlichen Risiken verringern sich dadurch nicht.
Schützt Alkohol vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen?
Falsch! Es gibt nur umstrittene Hinweise, dass wenig Alkohol bei älteren Menschen das Risiko verringern könnte. Methodisch hochwertige Studien zeigen, dass Alkohol nahezu jedes Organsystem schädigt.
Kann ein bisschen Alkohol nicht schaden?
Falsch! Alkohol zählt zu den zehn wichtigsten Risikofaktoren für verschiedene Krebserkrankungen.
Baut sich Alkohol im Schlaf schneller ab?
Falsch! Alkohol baut sich immer in der gleichen Geschwindigkeit ab, egal ob man schläft oder nicht.
Macht ein Strohhalm schneller betrunken?
Falsch! Ein Strohhalm kann jedoch dazu verleiten, schneller und mehr zu trinken.
Hilft Alkohol gegen den Kater?
Falsch! Man verschiebt das Problem nur in die Zukunft.
Tötet Alkohol Gehirnzellen ab?
Falsch! Alkohol stört die Kommunikation zwischen den Gehirnzellen.
Die Sicht der WHO
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont, dass es beim Alkoholkonsum keine gesundheitlich unbedenkliche Menge gibt. Mögliche Vorteile von sehr mäßigem Konsum für das Herz-Kreislauf-System überwiegen nicht im Vergleich zu den negativen Auswirkungen von Alkohol. Mehr als 200 Krankheiten werden durch Alkohol begünstigt.
Moderate Alkoholgenuss: Was ist akzeptabel?
Wie genau sich ein akzeptabler Alkoholkonsum pro Woche definieren lässt, variiert weltweit. In Großbritannien empfiehlt die Regierung, nicht mehr als 16 g Alkohol pro Tag zu konsumieren - also 112 g pro Woche. In den USA liegt die Schwellendosis weit höher, bei 28 g pro Tag. Die Fachgesellschaften für Ernährung in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich auf Referenzwerte geeinigt, die für gesunde, nicht schwangere Frauen einen Konsum von 10 g Alkohol pro Tag als akzeptable Menge an Alkohol angeben, bei Männern sind es 20 g.