Lithium und seine Wirkung auf das Gehirn: Mechanismen, Anwendungen und Perspektiven

Die Lithiumtherapie stellt seit langem eine etablierte Behandlung in der Psychiatrie dar, insbesondere bei affektiven Störungen. Trotz ihrer langen Geschichte werden kontinuierlich neue Erkenntnisse über ihre Wirkungsweise, Indikationen und neuroprotektiven Effekte gewonnen. Dieser Artikel fasst die wichtigsten Aspekte der Lithiumbehandlung zusammen, von ihrer historischen Entwicklung über pharmakologische Grundlagen bis hin zu Anwendungsgebieten, Nebenwirkungen und praktischen Aspekten.

Historischer Überblick und Entwicklung der Lithiumtherapie

Die medizinische Verwendung von Lithiumsalzen reicht über ein Jahrhundert zurück, als sie zur Behandlung von Gicht eingesetzt wurden. Dabei wurden auch symptomatische Effekte bei psychiatrischen Patienten beobachtet, wobei unklar war, ob diese auf die sedierenden Effekte von Bromid zurückzuführen waren.

Die Geschichte der Lithiumbehandlung bei affektiven Störungen begann im 19. Jahrhundert. Frederik und Carl Lange beschrieben 1886 die Wirksamkeit von Lithium zur Vorbeugung rezidivierender Depressionen. John Cade entdeckte 1949 in Australien die antimanische Wirkung von Lithium, zunächst im Tierversuch und dann bei Patienten. Mogens Schou und Poul Baastrup leisteten in den Folgejahren systematische Forschungsarbeit zur prophylaktischen Wirksamkeit bei bipolaren Störungen und rezidivierenden Depressionen. In den USA trugen Samuel Gershon und George Winokur zur Etablierung der Lithiumtherapie bei, gefolgt von Jeff Jefferson.

Die Verwendung von Lithium als Referenzsubstanz in Studien zu neuen Stimmungsstabilisierern trägt zusätzlich zu neuen Erkenntnissen über die Lithiumtherapie bei.

Pharmakologie von Lithium

Lithium wird medizinisch in Form verschiedener Salze (Aspartat, Carbonat, Sulfat) als Tabletten oder Retardtabletten verwendet. In Deutschland sind nur retardierte Lithiumcarbonat-Präparate erhältlich.

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Der Wirkungsmechanismus von Lithium ist komplex und noch nicht vollständig geklärt. Er umfasst Wirkungen auf die neuronale Erregbarkeit und die Neuroplastizität. Lithiumionen können die Homöostase von Alkalimetallionen, insbesondere Natrium, beeinflussen und die neuronale Aktivität modulieren. Es gibt Hinweise darauf, dass Lithium verschiedene Mechanismen der zentralen Neurotransmission auf Rezeptorebene aktivieren oder hemmen kann.

Lithium hemmt die Aktivität der Adenylatcyclase und der Guanylatcyclase, wichtige Enzyme der intrazellulären Signaltransduktion. Die über Phospholipase C und Inositoltriphosphat (IP3) vermittelte intrazelluläre Übertragung wird durch eine Hemmung der Inositol-1-Phosphatase reduziert. Das serotonerge System scheint von diesem Mechanismus besonders betroffen zu sein.

Obwohl diese Mechanismen auf eine Beeinflussung der neuronalen Erregbarkeit hinweisen, konnte bisher keiner als entscheidend identifiziert werden. Eine favorisierte Hypothese der prophylaktischen Wirksamkeit bezieht sich auf neuroprotektive und antiapoptotische Eigenschaften von Lithium, insbesondere die Hemmwirkung auf Glykogen-Synthase-Kinase 3 (GSK-3). Die Hemmung von GSK-3 erhöht die Bildung neurotropher Faktoren wie CREB und BDNF sowie des antiapoptotischen Faktors Bcl-2. Mitochondrien und das endoplasmatische Retikulum wurden als wichtige Zielorganellen identifiziert.

MRT-Untersuchungen zeigen weniger Verluste grauer Hirnsubstanz bei bipolaren Patienten unter Lithiumtherapie.

Pharmakokinetik von Lithium

Die Pharmakokinetik von Lithium wird durch seinen Ionencharakter bestimmt. Lithium wird nach oraler Einnahme langsam, aber vollständig resorbiert. Retardtabletten verlängern die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Serumspiegel. Die Gewebeverteilung ist relativ gleichmäßig, mit geringeren intrazellulären Konzentrationen. Das Verhältnis des Lithium-Spiegels zwischen Hirngewebe und Blutserum beträgt etwa 0,76 und ist altersabhängig.

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Die Eliminationshalbwertzeit beträgt 14 bis 30 Stunden und ist bei Älteren verlängert und bei Jugendlichen verkürzt. Nach dem Absetzen folgt auf die primäre Eliminationsphase eine verzögerte Phase mit einer Halbwertszeit von 36 bis 48 Stunden.

Eine exakte Einhaltung des therapeutischen Serumspiegelfensters ist aufgrund der konzentrationsabhängigen Toxizität von Lithium wichtig. Erhöhte Lithiumserumspiegel können durch Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts verursacht werden. Diuretika vom Thiazid-Typ, ACE-Inhibitoren und NSAR können den Lithium-Spiegel erhöhen.

Klinische Anwendung von Lithium

Lithium wird zur Behandlung und Vorbeugung von affektiven Störungen eingesetzt, insbesondere:

  • Bipolare Störung (Manie und Depression)
  • Rezidivierende Depressionen
  • Suizidprävention

Eine Metaanalyse von 36 randomisierten kontrollierten Studien ergab, dass Lithium bei der Behandlung von Manie wirksamer ist als Placebo. Es wurden keine Wirkunterschiede im Vergleich zu anderen antimanischen Standardtherapien festgestellt, mit Ausnahme einer Tendenz zu einer besseren Wirksamkeit von Olanzapin. Lithium wird in den Leitlinien nicht als primäre Akutbehandlung gemischter Episoden empfohlen, kann aber aufgrund der hohen Suizidgefährdung in Betracht gezogen werden.

Die Wirksamkeit von Lithium zur Akutbehandlung bipolarer Depressionen ist weniger eindeutig. Eine große Studie konnte keine Überlegenheit gegenüber Placebo zeigen, im Gegensatz zu Quetiapin.

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Lithium bei Demenz und Alzheimer

Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Lithium eine Rolle bei der Prävention und Behandlung von Demenz, insbesondere Alzheimer, spielen könnte. Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Alzheimer weniger Lithium im Gehirn haben und dass ein Lithiummangel mit Gedächtnisverlust und Hirnschädigungen verbunden ist.

In Tierversuchen konnte Lithium den Gedächtnisverlust umkehren und die Bildung von Amyloid-Plaques reduzieren. Lithium scheint das Volumen der an der emotionalen Regulation beteiligten Hirnstrukturen zu schützen und zu erhöhen, was möglicherweise seine neuroprotektiven Wirkungen widerspiegelt.

Low-Dose-Lithium

Low-Dose-Lithium gewinnt zunehmend an Bedeutung, insbesondere in folgenden Bereichen:

  • Bipolare Störung: Stabilisierung der Stimmungsschwankungen und Verhinderung von Rückfällen.
  • Depressionen: Verstärkung der Wirkung von Antidepressiva, insbesondere bei behandlungsresistenten Depressionen.
  • Neuroprotektive Effekte: Schutz des Gehirns vor Schäden durch neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson.
  • Angststörungen und Stressbewältigung: Stabilisierung der Stimmung und Verbesserung der Stressbewältigung.
  • Geriatrie und kognitive Gesundheit: Verbesserung der Lebensqualität und kognitiven Funktionen.

Die Anwendung von Low-Dose-Lithium erfordert eine sorgfältige Überwachung und individuelle Anpassung, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen und Nebenwirkungen zu minimieren.

Lithium-Orotat

Lithium-Orotat wird in deutlich geringeren Dosierungen eingesetzt als Lithium-Salze bei der Behandlung bipolarer Störungen. Zur Prävention und Behandlung von neuroinflammatorischen Zuständen wie Long-COVID und Post-Vac-Syndrom wird eine noch niedrigere Dosierung empfohlen.

Lithium-Orotat bietet mehrere Vorteile gegenüber anderen Lithium-Salzen:

  • Bessere Bioverfügbarkeit: Effizientere Resorption im Darm und längere Halbwertszeit.
  • Höhere Konzentration im Gehirn: Besserer Transport über die Blut-Hirn-Schranke.
  • Geringere Dosierung erforderlich: Reduziertes Risiko von Nebenwirkungen.
  • Weniger Nebenwirkungen: Aufgrund der niedrigeren Dosierungen.
  • Zusätzliche Vorteile von Orotat: Unterstützung der Gehirnfunktion und Gedächtnisleistung.

Lithium-Orotat ist in Deutschland verschreibungspflichtig und muss von einem Arzt auf Rezept verordnet werden.

Nebenwirkungen und Wechselwirkungen

Zu Beginn der Lithium-Behandlung können Nebenwirkungen wie Tremor, Polyurie und Übelkeit auftreten, die jedoch meist mit der Fortsetzung der Behandlung oder nach einer Dosisreduktion abklingen. Bei langfristiger Behandlung sind Schädigungen der Nieren sowie Schild- und Nebenschilddrüsen möglich.

Die gleichzeitige Behandlung mit bestimmten Substanzen kann den Serumlithiumspiegel erhöhen und zu einer Lithiumtoxizität führen. Dazu gehören Metronidazol, nicht-steroidale Antiphlogistika, ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten und Diuretika. Andere Substanzen können den Serumlithiumspiegel senken oder zu Neurotoxizität führen.

Kontraindikationen

Lithium darf nicht angewendet werden bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff, akutem Nierenversagen, akutem Herzinfarkt, ausgeprägter Hyponatriämie und Schwangerschaft. In der Stillzeit sollte die Anwendung sorgfältig abgewogen werden.

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