Bewusstsein: Wie Neuro-Yoga das Gehirn verändert

Yoga, eine aus Indien stammende Praxis, hat sich im Westen zu einer beliebten Aktivität entwickelt. In Deutschland üben mittlerweile über 15 Millionen Menschen den Sonnengruß, den herabschauenden Hund oder sitzen meditativ im Lotussitz, um Stress abzubauen, den Rücken zu stärken und fit zu bleiben. Viele Praktizierende berichten von einer Verbesserung ihres körperlichen und psychischen Wohlbefindens. Die Hirnforschung liefert nun Hinweise darauf, wie Yoga das Gehirn beeinflusst und somit positive Effekte erzielt.

Die wissenschaftliche Erforschung von Yoga

Mediziner und Psychotherapeuten untersuchen seit Jahrzehnten die heilsame Wirkung von Yoga. Bereits 1956 berichtete die Neurologin Mariella Fischer-Williams von einem Patienten, dessen chronische Schmerzen durch Yoga gelindert wurden. 1975 folgte eine umfassende Untersuchung im Fachblatt "The Lancet", die zeigte, dass Yoga den Bluthochdruck stärker senkte als bloße Entspannung. Auch positive Effekte auf das Gedächtnis sowie Linderung von Depressionen, Ängsten und chronischen Schmerzen wurden beobachtet.

Um die zugrunde liegenden Mechanismen zu verstehen, konzentrieren sich Wissenschaftler zunehmend auf das Gehirn. Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) vermessen sie Hirnregionen und untersuchen, wie Yoga die elektrische Spannung des Gehirns verändert.

Die wissenschaftliche Erforschung von Yoga ist jedoch nicht unproblematisch. Holger Cramer, Forschungsleiter an der Klinik für Naturheilkunde der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte, weist auf die Schwierigkeit der Definition von "Yoga" hin. Klassischerweise beinhaltet Yoga eine Kombination aus Asanas (Körperhaltungen), Samyama (Entspannung und Meditation) und Pranayama (Atemübungen). Im Laufe der Zeit haben sich jedoch unterschiedliche Stile entwickelt, die jeweils eigene Schwerpunkte setzen, wie Hatha, Iyengar, Ashtanga, Vinyasa, Bikram und Yin Yoga.

Zudem stellt sich die Frage, welche Faktoren für die positiven Effekte verantwortlich sind. Sind es die körperlichen Übungen, die Konzentration auf den Atem, das Gemeinschaftsgefühl oder der Stil des Lehrers? Diese sogenannten Confounder erschweren die Yogaforschung.

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Die Auswirkungen von Yoga auf das Gehirn

Ulrich Ott, Psychologe am Bender Institute of Neuroimaging der Justus-Liebig-Universität in Gießen, betont, dass alle Yogastile das Gehirn verändern: "Egal ob traditionelles Hatha, Vinyasa mit Techno-Beats oder schwitzendes Bikram - sie alle verändern unser Gehirn." Die wiederholte Praxis von Körperstellungen, Atemübungen und Meditationen führt zu funktionellen und strukturellen Anpassungen im Gehirn. Die genutzten Hirnregionen differenzieren sich aus, und die synaptischen Verbindungen werden stärker.

Zwei Arbeiten aus dem Jahr 2019 geben einen guten Überblick über den neurowissenschaftlichen Forschungsstand. Sie orientieren sich an den drei Grundelementen aller Yogastile: Asanas, Meditation und Atemübungen. Jede dieser Komponenten beeinflusst das Gehirn auf unterschiedliche Weise.

Veränderungen der grauen Substanz

Ein starker Effekt von Yoga zeigt sich beispielsweise auf das Volumen der grauen Substanz, die vor allem aus Nervenzellkörpern besteht. Sie ist ein wesentlicher Teil des Zentralnervensystems und nimmt im Laufe des Lebens ab. Weniger graue Substanz beeinträchtigt das Gedächtnis und könnte das Risiko für Demenz erhöhen. Yoga scheint diesen altersbedingten Abbau zu verlangsamen oder sogar die Bildung neuer Nervenzellkörper zu fördern. Die veränderten Hirnareale sind vor allem für die kognitive Kontrolle, die Koordination von Bewegungen und die Bewertung von Entscheidungen zuständig.

Gehirnwellen und kognitive Leistungsfähigkeit

Nach atmungsbasiertem Yoga sind die Betawellen, die mit der kognitiven Leistungsfähigkeit in Zusammenhang stehen, besonders aktiv. In einem Versuch schnitten Yoga-Praktizierende bei einem Stroop-Test besser ab und zeigten während des Experiments eine erhöhte Aktivität im dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC) und eine geringere Aktivität im Mandelkern (Amygdala).

Yogapraktizierende weisen nach Meditation, Atemübungen und Asanas eine höhere Frequenz von Alphawellen auf. Diese Hirnwellen versetzen das Gehirn in einen Ruhezustand, in dem es gemächlicher schwingt und dadurch mehr aufnehmen kann.

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Dopamin und Stressreduktion

Im ventralen Striatum, einem Teil des Vorderhirns, steigt der Botenstoff Dopamin während Meditationsübungen stark an. Dopamin ist ein körpereigener Stimmungsaufheller und stimuliert wichtige kognitive Prozesse im präfrontalen Kortex. Zudem berichten viele Studien über eine Abnahme der Stressreaktion. Ein achtwöchiges Hatha-Yoga-Programm senkt den Blutspiegel des Stresshormons Kortisol deutlich mehr als Stretching. Die Yogapraktizierenden lernen auch schneller und schneiden bei Genauigkeitstests besser ab.

Erste neurologische Veränderungen schon nach 20 Minuten?

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Yoga unser Gehirn verändert. Doch sind die Veränderungen nachhaltig? Reicht es, einmal die Woche ins Studio zu gehen, oder braucht es jahrelanges Training? Die Forschungslage zu Dosis und Dauer ist noch nicht eindeutig, auch wenn vieles darauf hindeutet, dass bereits kurzzeitiges Üben Wirkung zeigt. Schon nach einer Meditationssitzung von nur 20 Minuten lassen sich erste neurologische Veränderungen beobachten. Für nachweislich mehr Substantia grisea ist wohl Ausdauer nötig: Menschen, die Yoga mehrere Jahre bis Jahrzehnte regelmäßig intensiv praktizieren, weisen mitunter ein größeres Volumen an grauer Substanz auf als diejenigen, die erst seit Kurzem Yoga machen.

Ist Yoga sicher?

Knapp 80 Fallberichte in der medizinischen Fachliteratur berichten über unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit Yoga, von Muskelzerrungen und -verletzungen über Bänderrisse und Frakturen bis hin zu einem Anstieg des Augendrucks. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2015 zeigt jedoch, dass Verletzungen beim Yoga nicht signifikant häufiger auftreten als bei anderen Sportarten. Nur zwei Prozent der Studienteilnehmer haben von unerwünschten Nebenwirkungen der Yogapraxis berichtet, die meist schnell wieder vorbei gingen. Menschen mit Vorerkrankungen sollten jedoch unbedingt mit dem Yogalehrer und gegebenenfalls vorab mit ihrem Arzt sprechen.

Weitere Einflussfaktoren

Der Lebensstil könnte ebenfalls eine Rolle spielen. Menschen, die Yoga machen, sind im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt eher körperlich aktiv, ernähren sich gesünder, weisen seltener Übergewicht auf und sind oft gut ausgebildet - alles Faktoren, die sich positiv auf Struktur und Funktion des Gehirns auswirken.

Viele Untersuchungen vergleichen Yogapraktizierende zudem einfach nur mit solchen, die kein Yoga machen. Wichtig wären zusätzlich Studien mit Kontrollgruppen, die eine andere Sportart machen, sowie ein Vergleich zwischen den einzelnen Stilen. Auch die meist kleine Anzahl an Probanden ist ein Problem. Um die Wirkmechanismen genauer zu unterscheiden, brauche man neben den MRT-Aufnahmen daher Daten zum Lebensstil sowie Langzeitstudien.

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Therapeutische Anwendung von Yoga

Dass Yoga unser Gehirn verändert und einen positiven Effekt auf Körper und Geist hat, steht für zahlreiche Forscher dennoch außer Frage. Es sind Effekte, die sich mit etwas Glück auch therapeutisch nutzen lassen. An der Charité wird derzeit untersucht, wie gut Ängste mit Yoga zu behandeln sind. Um Demenz vorzubeugen und Schlaganfallpatienten sowie Menschen mit Parkinson zu behandeln, kann Yoga ebenfalls sinnvoll sein. Wie genau das Training für diese Gruppen aussehen sollte, muss allerdings erst untersucht werden.

Yoga und Neuroplastizität

Ein faszinierender Aspekt der Yoga-Praxis ist ihre Fähigkeit, die Neuroplastizität zu fördern - die beeindruckende Eigenschaft des Gehirns, sich selbst zu verändern, neue Verbindungen zu schaffen und sich an neue Erfahrungen anzupassen. Yoga stimuliert das Gehirn auf verschiedene Weisen, indem es Bewegung, Atem und Achtsamkeit integriert.

Die Rolle der grauen Substanz

Studien haben gezeigt, dass regelmäßige Yoga-Praxis das Volumen der grauen Substanz in Bereichen wie dem Hippocampus, der Amygdala und dem präfrontalen Kortex erhöhen kann. Diese Regionen spielen eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von Emotionen und Stress.

Stressabbau und Cortisolregulation

Yoga aktiviert das parasympathische Nervensystem und reduziert nachweislich den Cortisolspiegel. Eine Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin hat gezeigt, dass Yoga eine stabile Funktion der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse) fördert, was die langfristige Stressbewältigung unterstützt.

Verbesserte Konnektivität im Gehirn

Eine Studie, veröffentlicht in Frontiers in Human Neuroscience, zeigte eine erhöhte Konnektivität zwischen Gehirnregionen, die für Selbstwahrnehmung, Aufmerksamkeit und emotionale Regulation verantwortlich sind. Diese Veränderungen weisen darauf hin, dass Yoga nicht nur das emotionale Wohlbefinden verbessert, sondern auch die Effizienz neuronaler Netzwerke steigert.

Wie Yoga verschiedene Gehirnregionen beeinflusst

Yoga wirkt sich positiv auf mehrere Schlüsselregionen des Gehirns aus, die unsere kognitiven, emotionalen und motorischen Fähigkeiten steuern:

  • Hippocampus: Studien zeigen, dass Yoga das Wachstum neuer Nervenzellen in diesem Bereich fördern und den Hippocampus vor stressbedingten Schäden schützen kann.
  • Amygdala: Regelmäßige Yoga-Praxis reduziert die Größe und Aktivität der Amygdala, wodurch Menschen besser mit Stress und Angst umgehen können.
  • Präfrontaler Kortex: Yoga stärkt diesen Bereich des Gehirns und verbessert die Fähigkeit, rational und gelassen auf Herausforderungen zu reagieren.

Wissenschaftliche Belege für Yoga und Neuroplastizität

  • Die Universität des Saarlandes fand heraus, dass Teilnehmer, die über sechs Monate regelmäßig Yoga praktizierten, eine signifikante Zunahme der grauen Substanz in kognitiven und emotionalen Zentren des Gehirns aufwiesen.
  • Die Charité in Berlin untersuchte die Wirkung von Yoga auf Stresshormone und fand heraus, dass Yoga die Cortisolproduktion senkt und die Funktion der HPA-Achse stabilisiert.
  • Eine Studie in Frontiers in Psychology zeigte, dass Yoga die emotionale Stabilität durch die Stärkung des präfrontalen Kortex verbessert.

Wie Yoga Neuroplastizität im Alltag fördert

  • Neue Bewegungsmuster: Asanas fördern neue Bewegungsabläufe, die das Gehirn herausfordern und die motorische Kontrolle verbessern.
  • Stressabbau: Durch Atemübungen (Pranayama) und Meditation reduziert Yoga die physiologischen und psychologischen Auswirkungen von Stress.
  • Achtsamkeit: Die Achtsamkeit, die während der Yoga-Praxis kultiviert wird, fördert die Selbstwahrnehmung und stärkt die Fähigkeit, negative Denkmuster zu durchbrechen.

Langfristige Vorteile von Yoga für das Gehirn

  • Verlangsamung kognitiver Degeneration: Yoga kann den altersbedingten Abbau von Gehirnstrukturen verlangsamen, insbesondere in Regionen wie dem Hippocampus und der grauen Substanz.
  • Bessere soziale Fähigkeiten: Yoga stärkt die Konnektivität in sozialen und emotionalen Netzwerken des Gehirns, was zu besseren Beziehungen und einer stärkeren Empathie führt.
  • Resilienz gegen mentale Erkrankungen: Menschen, die regelmäßig Yoga praktizieren, zeigen eine höhere Resilienz gegenüber Depressionen, Angststörungen und Stress.

Yoga zur Bekämpfung von Demenz

Neuere Forschungen belegen, dass Yoga nicht nur Gedächtnis und Konzentration verbessern, sondern sogar Demenzerkrankungen wie Alzheimer entgegenwirken kann.

Wie Yoga bei Demenz helfen kann

  • Entzündungsreaktionen reduzieren: Chronische Entzündungsprozesse stehen in Zusammenhang mit dem Stresshormon Cortisol und spielen eine beträchtliche Rolle beim Schwund von Gehirnzellen. Yoga und Meditation können helfen, für ausreichend Ruhe und Entspannung zu sorgen und das Nervensystem gut zu regulieren.
  • Schlaf verbessern: Tiefschlaf ist wichtig für die Verarbeitung von Erinnerungen, den Abbau von Stresshormonen und die Verbesserung des Glukosestoffwechsels. Eine ausgewogene Asana-Praxis während des Tages kann den nächtlichen Schlaf verbessern.
  • Körperliche Bewegung fördern: Körperliche Bewegung hilft, Stresshormone abzubauen, die Entspannungsreaktion zu verbessern und die Insulinsensitivität zu verbessern. Auch weniger anstrengende Formen von Yoga können ähnliche Effekte erzielen.
  • Geistige Aktivität anregen: Neues zu lernen und regelmäßige Meditationspraxis sind ein ideales Work-out fürs Gehirn. Yoga kombiniert körperliche und geistige Bewegung und kann so Konzentration und Gedächtnis verbessern.
  • Gesunde Ernährung unterstützen: Eine vorwiegend pflanzliche Ernährung mit vielen gesunden Fetten, aber wenig Zucker und Kohlenhydraten, kann Entzündungsreaktionen reduzieren und den Nüchterninsulinwert stabilisieren. Ayurvedische Gewürze und Heilmittel wie Kurkuma, Ashwagandha, Brahmi und Gotu Kola haben Bredesen zufolge sogar die Fähigkeit, Vergesslichkeit gezielt entgegenzuwirken, die Konzentrationsfähigkeit zu verbessern und Entzündungsreaktionen zu reduzieren.

Eine Studie mit Kundalini-Yoga

Dr. Helen Lavretsky hat in ihren Forschungen gezeigt, dass einmal wöchentlich eine 60-minütige Kundalini-Yogaklasse mit Asanas und Meditation, kombiniert mit einer täglichen, 12-minütigen Kirtan-Kriya-Meditation, messbar die Konnektivität im Gehirn verbessert.

Tipps für den Einstieg ins Yoga

  • Legen Sie den Perfektionismus beiseite: Beim Yoga geht es nicht um Leistung, sondern um die Entwicklung von Bewusstheit für den eigenen Körper, die Emotionen und den Geist.
  • Achten Sie auf Ihren Atem: Die Stellungen entfalten ihre volle Wirkung dadurch, dass sie mit bewusstem Atmen und voller Aufmerksamkeit ausgeführt werden. Gehen Sie nur so weit, dass Sie noch ruhig atmen können.
  • Wärmen Sie sich auf: Wichtig ist es, sich vor den einzelnen Übungen aufzuwärmen, was unter anderem beim Sonnengruß geschieht.
  • Seien Sie vorsichtig bei fortgeschrittenen Stellungen: Wer den Kopfstand oder starke Rückwärtsbeugen nicht richtig ausführt, kann sich leicht verletzen.
  • Nehmen Sie an einem Kurs unter qualifizierter Anleitung teil: Viele solcher Angebote werden von den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sogar bezuschusst.

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