Nervenschmerzen, auch neuropathische Schmerzen genannt, sind eine spezielle Form von chronischen Schmerzen, die durch eine Schädigung oder Funktionsstörung des Nervensystems verursacht werden. Diese Schmerzen können sich stark von anderen Schmerzarten unterscheiden und erfordern oft eine gezielte Diagnostik und Therapie.
Was sind Nervenschmerzen?
Nervenschmerzen (neuropathische Schmerzen) werden durch eine Schädigung des Nervensystems selbst ausgelöst. Dabei können sowohl das periphere als auch das zentrale Nervensystem betroffen sein. Im Gegensatz zu anderen Schmerzarten, die durch akute Verletzungen oder Entzündungen verursacht werden, entstehen neuropathische Schmerzen durch eine Dysfunktion der Nerven selbst.
Ein Gefühl, als würden Ameisen über die Beine laufen, Schmerzen oder fehlendes Temperaturempfinden in Händen oder Füßen - diese Symptome können Anzeichen für eine Polyneuropathie sein. Der Zusatz „Poly“ drückt aus, dass nicht nur ein einzelner Nerv, sondern mehrere Nerven oder ganze Nervenstrukturen geschädigt sind. Dadurch werden bei Betroffenen Reize zwischen Nerven, Rückenmark und Gehirn nicht mehr richtig weitergeleitet. Diese Funktionsstörung löst die typischen Beschwerden wie Schmerzen, Missempfindungen, Gefühlsstörungen oder Muskelschwäche aus.
Ursachen von Nervenschmerzen
Nervenschmerzen können vielfältige Ursachen haben, die sowohl das periphere als auch das zentrale Nervensystem betreffen können. Zu den häufigsten Ursachen gehören:
Diabetes: Diabetes ist eine der häufigsten Ursachen für neuropathische Schmerzen, da ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel die peripheren Nerven schädigen kann. Dies wird als diabetische Neuropathie bezeichnet. Bei der diabetischen Polyneuropathie ist die Durchblutung kleiner Blutgefäße durch Ablagerungen beeinträchtigt. Diese führt zu Nervenschädigungen insbesondere im Bereich der Füße, Unterschenkel und Hände. Neben Missempfindungen und Gefühlsstörungen sowie Zuckungen und Muskelschwund leiden die Betroffenen unter brennenden, stechenden, schneidenden oder einschießenden Schmerzen. Wichtigste therapeutische Maßnahme ist in diesen Fällen die Normalisierung des Blutzuckerspiegels.
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Infektionen: Einige Infektionen wie Herpes Zoster (Gürtelrose) können nach der Abheilung lang anhaltende, brennende Schmerzen hinterlassen, bekannt als postherpetische Neuralgie. Beispiel für eine Nervenschädigung in Folge einer Infektion ist die Gürtelrose, eine Spätfolge der Windpocken. Die auslösenden Viren (Varizella-zoster-Viren) verbleiben nach dem Abklingen der Windpocken in den Nerven und werden zu einem späteren Zeitpunkt reaktiviert. Dadurch entzündet sich der betroffene Nerv, was mit Schmerzen und Missempfindungen einhergeht. Schließlich rötet sich die Haut in dem versorgten Körperareal und es bilden sich Bläschen. Wenn die Entzündung eine erhebliche Nervenschädigung nach sich zieht, heilt sie allerdings nicht innerhalb von 2 bis 4 Wochen ab. Etwa jeder 5. Gegen die Viren werden bei einer akuten Gürtelrose Virusstatika eingesetzt. Zudem kann eine kühlende Zinksalbe gegen die Entzündung aufgetragen werden. Ferner erhalten die betroffenen Patienten eine medikamentöse Schmerztherapie. Neben einem Analgetikum kann diese zusätzlich ein Antidepressivum und ein Antiepileptikum umfassen.
Nervenverletzungen: Verletzungen, wie etwa durch Unfälle, Operationen oder Knochenschäden, können Nerven dauerhaft schädigen und neuropathische Schmerzen verursachen. Auch Nervenquetschungen oder Nervendurchtrennungen im Rahmen von Unfällen oder Operationen - z.B. des Trigeminus-Nervs im Gesicht bei zahnärztlichen Eingriffen - können Nervenschmerzen nach sich ziehen. Gleiches gilt für das bis heute nicht komplett verstandene Krankheitsbild des Phantomschmerzes, bei dem Schmerzen in Gliedmaßen gespürt werden, die durch eine Amputation entfernt wurden. Schließlich können Nervenschmerzen auch auftreten, wenn Nerven zusammengedrückt werden, was als Engpass-Syndrom bezeichnet wird. Ein häufiges Beispiel ist das Karpaltunnel-Syndrom am Handgelenk. Es geht mit Nervenschmerzen und weiteren Ausfällen wie Taubheitsgefühl und Muskellähmung einher.
Erkrankungen des zentralen Nervensystems: Multiple Sklerose, Schlaganfälle und Rückenmarksverletzungen können neuropathische Schmerzen hervorrufen, wenn Nervenbahnen beschädigt werden.
Tumore und Krebs: Tumore oder deren Behandlung (z. B. durch Bestrahlung oder Chemotherapie) können Nerven schädigen und neuropathische Schmerzen auslösen.
Alkoholmissbrauch: Chronischer Alkoholkonsum kann eine periphere Neuropathie verursachen und neuropathische Schmerzen hervorrufen.
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Genetische Erkrankungen: Einige genetische Störungen wie die hereditäre sensorische und autonome Neuropathie (HSAN) können ebenfalls neuropathische Schmerzen verursachen.
Polyneuropathie: Schädigungen an den peripheren Nerven können etwa durch Entzündungsprozesse im Körper als Folge einer Autoimmunerkrankung oder einer Infektion mit bestimmten Viren beziehungsweise Bakterien auftreten. Dafür bekannte Erkrankungen sind unter anderem Borreliose, Diphtherie oder Gürtelrose. Daraus resultieren Entzündungen, die die empfindliche Schutzschicht des Nervenzellfortsatzes, die sogenannte Myelinschicht, angreifen können. Eine weitere häufige Ursache ist die Abhängigkeit von Alkohol, wegen seiner nervenschädigenden Wirkung bei langjährigem hohen Konsum.
Weitere Polyneuropathie-Ursachen: Erkrankungen der Leber, Mangelernährung, unter anderem bei Zöliakie, Vitaminmangel, z.B. Vitamin B12, Autoimmunerkrankungen wie das Guillain-Barré-Syndrom oder rheumatoide Arthritis, Einnahme bestimmter Medikamente wie zum Beispiel die Antibiotika Nitrofurantoin oder Metronidazol, Kontakt mit giftigen Substanzen, etwa Schwermetalle, HIV-Infektionen, Erkrankungen, die auf Infektionen beruhen: Borreliose oder Syphilis, Krebserkrankungen, beispielsweise Brustkrebs oder Blutkrebs, hormonelles Ungleichgewicht, zum Beispiel ausgelöst durch eine Schilddrüsenunterfunktion, erbliche Veranlagung (hereditäre Neuropathien).
Symptome von Nervenschmerzen
Nervenschmerzen äußern sich oft auf besondere Weise und unterscheiden sich von anderen Schmerzarten:
Brennende oder stechende Schmerzen: Die Schmerzen können wie ein Brennen oder Stechen empfunden werden, was typisch für neuropathische Schmerzen ist. Diese Art von Schmerzen nach leichter Berührung wird auch als Allodynie bezeichnet. Zudem weisen Betroffene häufig eine verstärkte Schmerzempfindlichkeit nach anderen schmerzauslösenden Reizen auf, die als Hyperalgesie beschrieben wird.
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Elektrisierende Empfindungen: Ein elektrisierendes oder schießendes Gefühl entlang eines Nervs tritt häufig auf.
Taubheit oder Kribbeln: Die betroffene Region kann sich taub oder kribbelnd anfühlen (Parästhesien).
Überempfindlichkeit: Schon leichte Berührungen oder Reize können starke Schmerzen verursachen (Allodynie).
Schmerzen bei Kälte oder Hitze: Manche Menschen empfinden eine abnormale Empfindlichkeit gegenüber Kälte oder Wärme.
Weitere Symptome: Oft leiden Betroffene unter brennenden, schneidenden oder stechenden Schmerzen.
Diagnostik von Nervenschmerzen
Die Diagnose neuropathischer Schmerzen erfolgt durch:
Anamnese und klinische Untersuchung: Der Arzt erfragt die Krankheitsgeschichte und Symptome und führt neurologische Untersuchungen durch, um den Schmerzcharakter und die Empfindlichkeiten zu bewerten. Auch eine körperliche Untersuchung ist wichtig. Dabei prüft der Mediziner oder die Medizinerin, ob Muskeln gelähmt oder geschwächt sind. Einschränkungen beim Reizempfinden oder eine Beeinträchtigung der Reflexe können bei der körperlichen Untersuchung ebenfalls auffallen. Um den Ursachen auf den Grund zu gehen und um herauszufinden, welche Nerven wie stark geschädigt sind, gibt es zahlreiche Untersuchungsmethoden.
Bildgebende Verfahren: MRT und CT können helfen, strukturelle Probleme im Nervensystem zu identifizieren, wie etwa Bandscheibenvorfälle oder Tumore. Bei der Elektroneurographie wird ein Elektrodenset im Gebiet des Nervenverlaufs auf die Haut geklebt - so lassen sich die elektrischen Impulse der Nerven messen. Die Untersuchung hilft dabei, herauszufinden, wie die Nervensignale transportiert und im Körper verteilt werden - Nervenschädigungen führen zu einem auffälligen Ergebnis und geben Hinweise zur Abgrenzung der Nervenausfälle. Elektromyographie macht deutlich, ob und wie stark die Muskeln auf die Nervensignale ansprechen. Bei dieser Untersuchung werden dünne Nadelelektroden durch die Haut in den entsprechenden Muskel eingeführt.
Elektrophysiologische Tests: Nervenleitgeschwindigkeitstests und Elektromyographie (EMG) messen die elektrische Aktivität in den Nerven und Muskeln und helfen, Nervenschäden zu lokalisieren.
Labortests: Bluttests können Infektionen, Diabetes oder andere zugrunde liegende Ursachen aufdecken. Untersuchungen von Urin, Gehirnwasser, Blut oder Gewebeproben sowie genetische Tests und bildgebende Verfahren sind sinnvoll, wenn etwa Diabetes und Alkoholkrankheit als Ursache unwahrscheinlich sind und das Beschwerdebild sowie elektrophysiologische Untersuchungsbefunde weiteren Abklärungsbedarf ergeben. Auch wenn die Symptome sehr plötzlich auftreten, kann eine zusätzliche Diagnostik sinnvoll sein.
Behandlungsmöglichkeiten für Nervenschmerzen
Die Behandlung neuropathischer Schmerzen ist oft komplex und kann aus einer Kombination von Medikamenten, physikalischen Therapien und alternativen Ansätzen bestehen. Vor Beginn einer konservativen und symptomorientierten Therapie neuropathischer Schmerzen mit medikamentösen oder nichtmedikamentösen Maßnahmen fordert die S2k-Leitlinie (14) die Definition realistischer Therapieziele. Diese beinhalten eine Schmerzreduktion um ≥ 30 % sowie die Verbesserung schmerzassoziierter Funktionen. Die therapeutischen Maßnahmen sind dementsprechend multimodal und sollen, angepasst an die Schmerzentität und das individuelle Erleben, in der kombinierten Anwendung synergistisch wirken.
Medikamentöse Therapie
Antidepressiva: Bestimmte Antidepressiva, wie Amitriptylin oder Duloxetin, haben schmerzlindernde Eigenschaften und wirken oft gut bei neuropathischen Schmerzen. Durch die Einnahme von Antidepressiva produziert der Körper vermehrt Botenstoffe - diese dämpfen die Weiterleitung von Schmerzsignalen.
Antikonvulsiva: Medikamente wie Gabapentin und Pregabalin, die zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt werden, wirken auch bei neuropathischen Schmerzen, indem sie die Nervenaktivität dämpfen. Antikonvulsiva sind meist die erste Wahl, sie bremsen die Erregbarkeit der Nerven, was schmerzlindernd wirkt.
Opioide und Tramadol: Bei schweren Schmerzen können Opioide und Tramadol in bestimmten Fällen verschrieben werden, aber sie werden aufgrund des Risikos von Abhängigkeit und Nebenwirkungen meist nur vorsichtig und in niedrigen Dosen eingesetzt. Bei ausgeprägten Schmerzen sind womöglich Opioide angezeigt. Da diese zu einer Abhängigkeit führen können, verschreiben Mediziner und Medizinerinnen sie nur für kurze Zeit.
Topische Therapie: Cremes oder Pflaster mit Wirkstoffen wie Lidocain oder Capsaicin können direkt auf die betroffene Hautstelle aufgetragen werden, um Schmerzen lokal zu lindern.
Physiotherapie und Ergotherapie
Kräftigungs- und Bewegungsübungen: Physiotherapie kann helfen, die Muskulatur zu stärken, Beweglichkeit zu fördern und Schmerz zu reduzieren.
Sensorisches Training: Übungen zur Desensibilisierung, wie das Berühren von unterschiedlichen Oberflächen, können helfen, die Schmerzempfindlichkeit zu verringern.
Psychologische Therapie
Kognitive Verhaltenstherapie (CBT): Chronische Schmerzen können die Lebensqualität stark beeinträchtigen, und psychologische Unterstützung kann helfen, mit den Schmerzen besser umzugehen und das Schmerzempfinden zu reduzieren.
Schmerzbewältigungstraining: Techniken zur Stressbewältigung und Entspannung, wie Meditation oder Atemübungen, sind hilfreich, um den Umgang mit Schmerzen zu verbessern.
Neuromodulation
Spinal Cord Stimulation (SCS): Bei dieser Methode wird ein Implantat in der Nähe des Rückenmarks platziert, das elektrische Impulse abgibt, die die Schmerzsignale blockieren.
Periphere Nervenstimulation: Hierbei werden elektrische Impulse auf die betroffenen Nerven im peripheren Nervensystem angewandt, um die Schmerzsignale zu reduzieren.
Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Diese nicht-invasive Methode verwendet niederfrequente elektrische Impulse, um die Schmerzen zu lindern. Die Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS-Therapie), bei der Schmerzen mit elektrischen Impulsen behandelt werden, Blockadeverfahren - hierbei werden Nervenzellkörper mithilfe von Lokalanästhesien betäubt - und / oder die Lokalbehandlung können die Schmerzmittelgabe ergänzen.
Alternative Therapien
Akupunktur: Akupunktur kann bei einigen Patienten Linderung der neuropathischen Schmerzen bewirken.
Entspannungstechniken: Progressive Muskelentspannung und Yoga können helfen, die Schmerzen zu lindern und das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern.
Operative Behandlungen
Die Dekompression neuronaler Strukturen bei Engpasssyndromen peripherer Nerven, spinalen Kompressionssyndromen, Tumoren oder Gefäß-Nerven-Konflikte der Hirnnerven stellt eine kausale und somit kurative Therapie neuropathischer Schmerzen dar. Auch im onkologischen Sinn kann die Dekompression durch Tumorentfernung eine therapeutische Rolle spielen. Diese Verfahren können in der Regel für alle peripheren neuropathischen Schmerzen im Falle des Nachweises von Kompressionen beziehungsweise Versagen der konservativen Therapien eingesetzt werden. Bei anhaltenden Schmerzen beziehungsweise bei beginnender Funktionsstörung der Sensomotorik oder unzumutbaren Nebenwirkungen der Medikation ist eine zeitnahe operative Versorgung zu überlegen. Dabei sollen individuelle Nutzen und die Risiken einer Dekompression berücksichtigt und mit den Patientinnen und Patienten besprochen werden. Eine kausale Therapie kann so eine schwer therapierbare Chronifizierung der Schmerzen und der funktionellen Störungen verhindern beziehungsweise die Funktion wiederherstellen.
Bei sehr hartnäckigen Nervenschmerzen haben wissenschaftliche Untersuchungen anhaltende Therapieerfolge durch die Implantation von Nervenstimulatoren gezeigt. Hierbei werden Elektroden, die sanfte Impulse an die Nerven abgeben, in die Nähe des Schmerzursprungs implantiert und an einen im Bauchraum oder im Gesäß implantierten Neurostimulator angeschlossen.
Lifestyle-Änderungen
Ernährung und Gewichtskontrolle: Eine ausgewogene Ernährung kann das allgemeine Wohlbefinden verbessern, insbesondere bei Erkrankungen wie Diabetes, die neuropathische Schmerzen verursachen.
Regelmäßige Bewegung: Ein moderates Training und Bewegung können helfen, die Muskeln zu stärken und die Nervenfunktion zu unterstützen.
Schlafhygiene: Guter und erholsamer Schlaf ist wichtig, um Schmerzen und Überempfindlichkeit zu reduzieren.
Tipps für die Vorsorge und mehr Lebensqualität bei Polyneuropathie
Eine Polyneuropathie bedeutet manchmal eine Einschränkung der Lebensqualität. Diese Tipps können das Wohlbefinden steigern und Risiken minimieren: Blutzucker kontrollieren: Menschen mit Diabetes kontrollieren am besten regelmäßig ihren Blutzucker und nehmen ärztlich verordnete Medikamente ein. Schließlich kann eine suboptimale Blutzuckereinstellung das Risiko für die Entstehung und einen raschen Fortschritt der Erkrankung erhöhen. Füße kontrollieren: Eine Polyneuropathie an Beinen oder Füßen erhöht das Risiko für Fußgeschwüre - eine regelmäßige Kontrolle auf Wunden ist also wichtig. Bewegen: Menschen mit Polyneuropathie können bei Schmerzen und Missempfindungen von verschiedenen Angeboten wie Aquagymnastik oder Gehtraining profitieren.
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