Wissen Sie, was Ihr Gehirn denkt? Wissenschaftliche Erkenntnisse enthüllt

Unser Gehirn ist ein faszinierendes Organ, das uns ermöglicht, die Welt zu verstehen, zu lernen und zu interagieren. Doch wie genau verarbeitet unser Gehirn Informationen und wie beeinflusst es unsere Entscheidungen? Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse geben Aufschluss darüber, was in unserem Kopf vorgeht.

Die zerebrale Repräsentation von Konzepten

Um in unserer Lebenswelt zu funktionieren, verfügen wir über bestimmte Konzepte von Objekten, Menschen oder Ereignissen. Diese Konzepte sind mit ihren jeweiligen Merkmalen verknüpft. Wenn wir beispielsweise das Wort "Telefon" lesen, ruft unser Gehirn das entsprechende geistige Konzept ab. Dieses Konzept besteht aus sichtbaren Merkmalen wie Form und Farbe sowie Geräuschen wie dem Klingeln.

Eine Studie mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) hat gezeigt, dass das zerebrale Spiegelbild eines Begriffs davon geprägt ist, auf welchen Aspekt wir uns bei einem Objekt konzentrieren. Wenn wir uns auf den Geräusch-Aspekt eines Telefons konzentrieren, werden auditorische Areale in der Großhirnrinde aktiviert. Wenn wir uns auf den Gebrauch des Telefons konzentrieren, treten somatomotorische Areale des Gehirns in Aktion, die auch bei tatsächlich durchgeführten Handlungen aktiv wären.

Der linke Lobus parietalis inferior (IPL) spielt eine wichtige Rolle bei der Integration verschiedener Aspekte eines Konzepts. Dieser Hirnbereich wird als multimodales Areal bezeichnet. Der anteriore Temporallappen (ATL) ist für die Unterscheidung von realen Begriffen und Pseudowörtern zuständig.

Diese Erkenntnisse wurden in einem Modell integriert, das beschreibt, wie konzeptuelles Wissen im menschlichen Gehirn repräsentiert ist. Demnach werden Informationen von einer Hierarchieebene an die nächste weitergegeben und gleichzeitig bei jedem Schritt abstrakter. Auf der untersten Ebene liegen die modalitätsspezifischen Areale, die einzelne Sinneseindrücke oder Handlungen verarbeiten. Diese übertragen ihre Informationen an die multimodalen Regionen wie den IPL, die mehrere verknüpfte Wahrnehmungen integrieren können.

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Gedankenlesen und elektronische Manipulation

Das Interesse an der Frage, was im menschlichen Gehirn vor sich geht, ist groß. Zahlreiche Hi-Tech-Unternehmen und die Wissenschaft forschen an Möglichkeiten, Gedanken zu lesen und elektronisch zu manipulieren.

Ein Beispiel für eine solche Technologie ist ein Hirn-Computer-Interface, das es einer an ALS erkrankten Frau ermöglicht, mit ihrem Geist zu tippen. Ihr wurde eine Elektrode in der Größe einer Bohne an der Stelle implantiert, wo ihr Gehirn im gesunden Zustand die motorischen Funktionen kontrollieren würde.

Elon Musk, der Gründer von Tesla und SpaceX, hat ebenfalls großes Interesse am Gedankenlesen. Er kaufte die Firma Neuralink, die sich mit der Entwicklung von Hirn-Computer-Interfaces befasst. Neuralink hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2021 ein Neurolace zu entwickeln, das in das Hirn injiziert werden soll. Auf diese Weise würde ein symbiotischer Mensch-Maschine-Organismus entstehen.

Die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) fördert die Entwicklung eines Fensters zum Hirn mit 21,6 Millionen Dollar. Das Projekt "Window into the brain" wird von Ehud Isacoff von der University of California in Berkeley geleitet. Ziel des Projekts ist es, ein Interface zu entwickeln, das im großen Stil die Aktivitäten individueller Neuronen lesen und den Neuronen zugleich auch antworten kann.

Gedankenlesen mithilfe von MRT-Scans

Gedankenlesen mithilfe von MRT-Scans wird federführend von John-Dylan Haynes in Berlin betrieben. Haynes hat herausgefunden, dass jeder Gedanke mit einem unverwechselbaren Muster in der Hirnaktivität einhergeht. Mit Hilfe eines Computers kann man diese Muster erkennen und so dechiffrieren, woran eine Person gerade denkt.

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Haynes betont jedoch, dass dieses Verfahren noch in den Kinderschuhen steckt. Es ist noch ein weiter Weg, bis wir jeden beliebigen Gedanken jeder beliebigen Person auslesen können. Zurzeit schützt uns noch die Vielschichtigkeit unseres quirligen Bewusstseins davor, vollständig gelesen zu werden.

Neuroplastizität und Lernen

Unser Gehirn verändert sich ständig. Die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu strukturieren, begleitet uns ein Leben lang. Beim Lernen werden neue Reize gesetzt. Das neuronale Netz verändert sich, es bilden sich neue Verbindungen unter den Nervenzellen, es wird dichter und größer.

Diese Prozesse werden als Neuroplastizität bezeichnet. Die Fähigkeit des Gehirns, sich immer wieder neu zu strukturieren, hilft uns auch, dass wir uns in unbekannten Umgebungen orientieren können und mit neuen Situationen zurechtkommen.

Wenn Nervenzellen sich neu bilden, dann sprechen Forscher von einer Neurogenese. Diese Neubildung der Nervenzellen findet hauptsächlich im Hippocampus statt. Dieser Bereich im Gehirn ist für das Gedächtnis und Lernen zuständig.

Routinen und Gewohnheiten

Das Gehirn spielt auch bei Routinen eine Rolle. Sind wir einmal an eine Verhaltensweise gewöhnt, schalten wir gewissermaßen auf Autopilot. Das menschliche Gehirn spare damit Arbeit. Das zeigt sich auch bei der Ernährung: Essen wir Lebensmittel mit sehr viel Zucker und Fett, gewöhnt sich unser Gehirn daran und verlangt nach mehr.

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Die Schwächen des Gehirns als unsere Stärken

Neurobiologe Henning Beck ist davon überzeugt, dass Irren nützlich ist. Gehirne sind notorisch unkonzentriert, lassen sich leicht ablenken und sind oft vergesslich. Doch das sind wichtige Eigenschaften, um mehr zu sein als eine stumpfsinnige Maschine, die vielleicht niemals abschweift, dafür aber auch nie über den Tellerrand hinausschauen kann.

Wir sollten uns klarmachen, dass wir immer dann am besten denken, wenn wir den Rhythmus des Gehirns nutzen: Phasen intensiver Konzentration wechseln sich mit Austauschphasen und Phasen der Ruhe ab.

Das Gehirn in neuen Situationen

Wie geht das Gehirn mit neuen Situationen um? Wie trifft es Entscheidungen? Eine Vermutung ist, dass das Gehirn in solchen Situationen auf Erfahrungen zurückgreift, die wir früher in ähnlichen Situationen gemacht haben.

Mona Garvert und Christian Doeller vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften haben in einer Studie untersucht, welcher Mechanismus im Gehirn zugrunde liegt, wenn wir gespeichertes Wissen auf neue Entscheidungssituationen anwenden. Sie fanden heraus, dass das Gehirn räumliche und zeitliche Wissenskarten für sein Entscheidungsverhalten nutzt und diese auch anpasst, wenn es durch Belohnung lernt.

Kognitive Räume und mentale Karten

Wenn wir uns in unserer Umgebung orientieren, geschieht das vor allem durch die Arbeit zweier Zelltypen in unserem Gehirn. Die Ortszellen im Hippocampus und die Rasterzellen in einem benachbarten Hirnareal, dem entorhinalen Kortex. Gemeinsam bilden sie einen Schaltkreis im Gehirn zur räumlichen Orientierung.

Wir nehmen an, dass das Gehirn alle Informationen, die wir aus der Umgebung aufnehmen, in sogenannten kognitiven Räumen speichert. Als kognitive Räume werden dabei innere Karten bezeichnet, in denen wir mental die komplexe Realität vereinfacht anordnen und abspeichern.

Kritikfähigkeit und geistige Autonomie

Der Neurowissenschaftler Vittorio Gallese betont, dass die empirischen Ergebnisse der Hirnforschung große Bedeutung für Politik, Bildung und Moral haben. Er kommt zu dem überraschenden Ergebnis von tiefgreifender philosophischer Bedeutung: Stabile kognitive Kontrolle ist die Ausnahme, während ihr Fehlen die Regel ist.

Das autonome "Selbst" als Initiator oder Ursache unserer kognitiven Handlungen ist ein weit verbreiteter Mythos. Wer kritische Rationalität will, muss geistige Autonomie wollen. Wenn uns die Forschung zunehmend mehr darüber sagt, was die einschränkenden Faktoren für mentale Autonomie wirklich sind, dann muss sich dies auch in der akademischen Lehre widerspiegeln. Rationalität kann man genauso trainieren wie innere Bewusstheit.

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