Das Gedächtnis ist eine wesentliche Funktion des Gehirns mit einer Speicherkapazität von mehreren Milliarden Gigabyte. Es ermöglicht uns, uns an Dinge, Menschen und Ereignisse zu erinnern und steuert unser Verhalten aufgrund von Erfahrungen und Erlebnissen. Das Gedächtnis wird in verschiedene Kategorien unterteilt, die sich auf die Zeitspanne beziehen, in der die Gedächtnisinhalte abgerufen werden können.
Aufbau und Funktionen des Gehirns
Das Gehirn, medizinisch „Encephalon“, wiegt etwa 1,5 bis 2 Kilogramm und befindet sich innerhalb des Schädels. Es besteht aus unzähligen Nervenzellen sowie vielen Furchen und Spalten. Unser Gehirn steuert dabei alles im Körper - von Bewegungen über Emotionen bis hin zu Gedanken. Rund 20 Prozent der täglichen Energiezufuhr beansprucht das Gehirn für sich. Das Gehirn benötigt ständig Sauerstoff und neben weiteren Nährstoffen vor allem Glukose, da sie die bevorzugte Energiequelle ist. Jede Gehirnhälfte wird durch drei Arterien und ihre Blutgefäße versorgt. Die Gehirnaktivität entsteht aus elektrischen Impulsen von Nervenzellen. Die Signale werden über die Nervenbahnen blitzschnell weitergeleitet. Dabei leisten die verschiedenen Gehirnareale regelrechtes Teamwork für Körper und Geist.
Die großen Bereiche des Gehirns und ihre Aufgaben:
- Großhirn (Cortex): Zuständig für das Lernen, Denken, Erinnern und Planen. Außerdem steuert es bewusste Bewegungen und Sinneseindrücke.
- Kleinhirn (Cerebellum): Zuständig für die Koordination, das Gleichgewicht und die Feinmotorik.
- Hirnstamm: Steuert überlebenswichtige Funktionen wie die Atmung, den Herzschlag und den Kreislauf sowie Reflexe und den Schlaf.
- Hirnhäute: Schützen das Gehirn zusammen mit der Flüssigkeit (Liquor).
Neben den Hirnhäuten wird das Gehirn auch durch den knöchernen Schädel geschützt. Zusätzlich gewährt die Blut-Hirn-Schranke Schutz, indem sie nur bestimmte Moleküle durchlässt und eine Barrierefunktion zwischen dem Blut und dem zentralen Nervensystem übernimmt. Außerdem gibt es eine Filterfunktion zwischen Blut und Gehirn für Glukose, Blutsalze, Elektrolyte, Hormone und Schadstoffe. Auch Krankheitserreger und bestimmte Medikamente werden dadurch herausgefiltert.
Gedächtnisarten: Ultrakurzzeit-, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis
Das Gedächtnis wird in verschiedene Kategorien unterteilt, die sich auf die Zeitspanne beziehen, in der die Gedächtnisinhalte abgerufen werden können. Hierzu gehören das Ultrakurzzeitgedächtnis, das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis.
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Ultrakurzzeitgedächtnis
Das Immediatgedächtnis, auch Ultrakurzzeitgedächtnis oder sensorisches Gedächtnis genannt, speichert Inhalte nur für Millisekunden bis maximal zwei Sekunden. Es ermöglicht eine erste Informationsverarbeitung, beispielsweise das Einprägen einer neuen Telefonnummer. Neu eintreffende Informationen verdrängen rasch die aktuellen Inhalte.
Kurzzeitgedächtnis
Das Kurzzeitgedächtnis ermöglicht das Abspeichern von Daten über einen Zeitraum von einigen Sekunden bis wenigen Minuten. So kann man sich zum Beispiel eine nachgeschlagene Nummer kurz merken, bis man sie aufgeschrieben hat. In der ersten Phase nach Aufnahme von Gedächtnis-Inhalten in das Kurzzeitgedächtnis sind diese noch nicht stabil gespeichert. So kann eine Gehirnerschütterung bei einem Unfall zum Beispiel eine Erinnerungslücke hervorrufen, die Sekunden und bis zu mehrere Stunden vor das Ereignis zurückreicht.
Langzeitgedächtnis
Das Langzeitgedächtnis kann unbegrenzt und dauerhaft Informationen aufnehmen. Es speichert alle erlebten Ereignisse und gelernten Informationen. Ohne das Langzeitgedächtnis hätten wir keine Identität, da wir uns nicht an unseren Namen, Wohnort oder Geburtsort erinnern könnten. Ist eine Information einmal im Langzeitgedächtnis gespeichert, wird sie in der Regel nicht vergessen, auch wenn sie manchmal schwer abrufbar ist.
Das Langzeitgedächtnis wird unterteilt in deklaratives und nicht deklaratives Gedächtnis:
- Deklaratives Gedächtnis (explizites Gedächtnis): Speichert bewusste, sprachlich abrufbare Inhalte. Es wird weiter unterteilt in episodisches Gedächtnis (autobiographisches Wissen) und semantisches Gedächtnis (Faktenwissen).
- Nicht deklaratives Gedächtnis (implizites Gedächtnis): Speichert implizite Inhalte, die dem Bewusstsein nicht direkt zugänglich sind, wie z.B. automatisierte Fertigkeiten (prozedurales Gedächtnis).
Lokalisation von Gedächtnisinhalten im Gehirn
Es gibt keine klar abgrenzbare Struktur im Gehirn, die ausschließlich für das Gedächtnis zuständig ist. Vielmehr ist für die Merk- und Erinnerungsfähigkeit ein Netzwerk von Nervenzellen zuständig, die sich über verschiedene Hirnbereiche erstrecken. Bei Gedächtnisprozessen sind daher verschiedene Gehirnbereiche gleichzeitig aktiv.
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- Prozedurales Gedächtnis: Basalganglien, (prä-)motorische und cerebelläre (Kleinhirn-) Strukturen.
- Semantisches und episodisches Gedächtnis: Amygdala und Hippocampus. Die Amygdala speichert Erinnerungen mit emotionalem Gehalt. Für die Verarbeitung des episodischen Gedächtnisses sind frontale und temporale Regionen der rechten Gehirnhälfte zuständig, für die Verarbeitung von Inhalten im semantischen Gedächtnis sind die gleichen Regionen der linken Gehirnhälfte zuständig.
- Hippocampus: Als Zwischenspeicher für Daten, die in das Langzeitgedächtnis übernommen werden sollen, unerlässlich, um neue Informationen abspeichern zu können.
- Corpora mammillaria: Für das Abrufen von Gedächtnisinhalten von Bedeutung.
- Visuelles Kurzzeitgedächtnis: Sitz im Scheitellappen, genauer im posterioren Parietalcortex.
Wie funktioniert das Gedächtnis?
Etwa 10 Millionen Signale aus den Sinnesorganen erreichen unser Gehirn in jeder Sekunde, aber nicht alle sind es wert, gespeichert und später erinnert zu werden. Aus diesem Grund hilft nur eine Selektion der Signale, welche die Eindrücke in verschiedene Kategorien einteilt. Eine erste Unterscheidung erfolgt in die Kategorien: „bekannt“ und „unbekannt“. Danach entscheidet unser Gehirn, ob die Eindrücke es wert sind, dass wir sie uns einprägen und im Gedächtnis behalten, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder abrufen zu können.
Die Arbeitsweise des Gedächtnisses lässt sich in folgende Prozesse unterteilen:
- Enkodierung: Umwandlung von Informationen in ein Format, das im Gehirn gespeichert werden kann.
- Konsolidierung: Festigung der gespeicherten Informationen, um sie langfristig verfügbar zu machen.
- Ablagerung: Speicherung der Informationen in den verschiedenen Gedächtnisspeichern.
- Abruf: Zugriff auf die gespeicherten Informationen, um sie bewusst zu machen.
Mnemotechnische Mentalfaktoren zur Steigerung der Gedächtnisleistung
Mithilfe von insgesamt sieben sogenannten mnemotechnischen Mentalfaktoren kann die Gedächtnisleistung bedeutend erhöht werden. Diese lassen sich leicht durch das Akrostichon "All Factors Lead To Very Efficient Learning" einprägen:
- Assoziation: Verknüpfungen zwischen Informationen herstellen.
- Fantasie: Elaborativ ausschmückende Darstellung von Lerninhalten.
- Lokalisation: Lerninhalte spezifischen Orten in einer bekannten Umgebung zuweisen.
- Transformation: Lerninhalte in leicht zu erlernende Bildeinheiten umwandeln.
- Vorstellungskraft (Visualisierung): Prozesse und Lerninhalte durch mentale Bilder visualisieren und abspeichern.
- Emotionen: Ereignisse oder Informationen an starke Emotionen knüpfen.
- Logik: Logisches Verständnis für Lerninhalte entwickeln, indem Systemhaftigkeiten erkannt werden.
Gedächtnisstörungen
Bei Gedächtnisstörungen sind die Merk- oder Erinnerungsfähigkeit beeinträchtigt. Der Auslöser kann zu Beispiel ein Trauma, beispielsweise ein Unfall sein.
Eine retrograde Amnesie bezeichnet dabei den Gedächtnisverlust für die Zeit vor einem bestimmten Ereignis (wie einem Unfall), eine anterograde Amnesie den Gedächtnisverlust für die Zeit nach diesem Ereignis.
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Wenn das Kurzzeitgedächtnis ausfällt, dann können sich Betroffene nicht an direkt vorausgegangene Gespräche oder Ereignisse erinnern, während ältere Ereignisse, die zum Teil Jahre zurückliegen, genau erinnert werden. Das Kurzzeitgedächtnis nimmt im Alter zunehmend ab. Die Betroffenen konzentrieren sich dann bevorzugt auf lange zurückliegende Ereignisse.
Gedächtnisstörungen sind aber nicht nur durch Verletzungen möglich, die von außen (Schädel-Hirn-Trauma) einwirken, sondern auch durch innere Verletzungen wie zum Beispiel Gefäßblutungen bei einem Schlaganfall. Degenerative Veränderungen wie die Alzheimer-Krankheit oder Demenz sind ebenfalls häufige Ursachen für ein gestörtes Gedächtnis. Und nicht zuletzt führen auch Medikamente (Neuroleptika) und Alkohol („Filmriss“ nach einer durchzechten Nacht, Korsakow-Syndrom) zu Gedächtnis-Störungen.
Bei Schädigungen im Bereich der Amygdala sind mit Emotionen verbundene Gedächtnis-Inhalte gestört. Die Betroffenen können sich nur noch an reine Fakten ohne jeglichen emotionalen Inhalt erinnern.
Das Gehirn auf Trab bringen
Mit zunehmendem Alter schrumpft die Hirnsubstanz, und die Denkleistung nimmt ab. Die Weitergabe von Signalen zwischen Nervenzellen wird langsamer, und die Gehirnblutversorgung nimmt ab. Durch gezielte Denkarbeit soll das Gehirn weiterhin gefordert und gewohnte Denkmuster durchbrochen werden. Doch auch andere Faktoren spielen eine wichtige Rolle:
- Lebensstil: Ausreichend Schlaf, ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung sind die Grundlage für einen gesunden Lebensstil.
- Online-Tests und analoge Medien: Online gibt es viele Gehirn-Trainingsprogramme, die Merkfähigkeit, Konzentration und logisches Denken fördern. Wer lieber analog arbeitet, findet auch in Büchern, Logikrätseln oder Suchspielen vielfältige Angebote.
- Neues lernen: Aktivitäten wie Musizieren, Tanzen oder das Erlernen einer neuen Fremdsprache fordern das Gehirn auf besondere Weise heraus. Sie fördern die Neuroplastizität, also die Fähigkeit des Gehirns, sich anzupassen und neue Verbindungen zu bilden.
- Soziales Leben: Auch intensive soziale Kontakte wirken sich positiv auf das Gehirn aus. Bleiben Sie aktiv durch Weiterbildungen, sei es beruflich oder in der Freizeit. Radiohören, Puzzeln und Museumsbesuche sind ebenfalls förderlich.
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