Emotionen sind ein integraler Bestandteil unseres Lebens. Sie beeinflussen unser Handeln, prägen unsere Erfahrungen und bestimmen, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen. Freude, Angst, Ekel, Traurigkeit und Ärger sind nur einige der vielfältigen Emotionen, die wir täglich erleben. Doch woher kommen diese Emotionen, und wo werden sie im Gehirn verarbeitet? Dieser Artikel beleuchtet die komplexen neuronalen Prozesse, die unseren Gefühlen zugrunde liegen, und zeigt, welche Hirnstrukturen dabei eine zentrale Rolle spielen.
Die Entstehung von Emotionen: Ein komplexer Prozess
Emotionen sind Bewertungen unserer Umwelt. Große Lebensereignisse, schockierende Neuigkeiten, soziale Interaktionen und bestimmte Ereignisse lösen Reize in unserem Gehirn aus. Diese Reize setzen verschiedene Kettenreaktionen in Gang, die letztendlich zur Entstehung von Emotionen führen. Diese Kettenreaktionen basieren zum Großteil auf unseren Erfahrungen. Machen wir mit einer anderen Person immer wieder unangenehme Erfahrungen, wird diese Person negative Emotionen wie Angst oder Wut bei uns auslösen. Positive Erfahrungen aus der Vergangenheit führen hingegen zu positiven Emotionen wie Freude oder Lust.
„Emotionen sind ganz allgemein gesagt Bewertungen unserer Umwelt - große Lebensereignisse, schockierende Neuigkeiten, soziale Interaktionen und bestimmte Ereignisse lösen Reize in unserem Gehirn aus. Durch verschiedene Kettenreaktionen werden anschließend Emotionen ausgelöst“, erläutert Prof. Dr. Christian Büchel vom Institut für systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE).
Wenn wir bestimmte Personen oder Situationen mit Emotionen verbinden, beeinflusst das nicht nur unser Verhalten diesen Personen gegenüber. Es prägt auch unsere zukünftigen Reaktionen und Entscheidungen. Was wir auch entscheiden, immer beeinflussen Emotionen unser Denken und unser Handeln. Die nüchterne, rationale Entscheidung ist eine Fata Morgana. Das sähen inzwischen sogar die Ökonomen ein, die immer häufiger die Neurowissenschaftler um Rat fragten, um ihre Strategien dem menschlichen Gehirn entsprechend zu verfeinern. Das Gehirn ist - daran lassen neueste Forschungsergebnisse keine Zweifel - ein emotionales Gehirn. Dabei ist der Einfluß der Gefühle von Mensch zu Mensch, von Mann zu Frau unterschiedlich stark entwickelt. Immer aber nisten sich Gefühle in allen Regionen der Großhirnrinde ein.
Das limbische System: Das Zentrum der Emotionen
Besonders wichtig für die Entstehung und das Erleben von Emotionen ist das limbische System. Es ist eine Ansammlung komplizierter Strukturen in der Mitte des Gehirns, die den Hirnstamm wie einen Saum (lat.: limbus) umgeben. Es ist ein stammesgeschichtlich alter Teil des Gehirns. Zum limbischen System gehören unter anderem die Amygdala, der Hippocampus, der Thalamus und der Hypothalamus. Diese Strukturen arbeiten eng zusammen, um Emotionen zu verarbeiten, zu regulieren und mit Erinnerungen zu verknüpfen.
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Die Amygdala: Das Angstzentrum
Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, ist eine mandelförmige Struktur im Gehirn und Teil des limbischen Systems. Sie liegt tief im Temporallappen und ist entscheidend für die Verarbeitung von Emotionen, insbesondere Angst, Furcht und Bedrohung. Sie agiert wie ein Frühwarnsystem und hilft uns, potenzielle Gefahren zu erkennen und schnell darauf zu reagieren.
Die Amygdala bewertet unsere Erfahrungen und Erinnerungen. Wenn wir uns in der Vergangenheit gefährdet oder bedroht gefühlt haben, ändert sich die Art und Weise, wie die Amygdala Informationen an andere Hirnbereiche sendet. So werden dann etwa mehr Stresshormone und Nervenbotenstoffe ausgeschüttet. Diese signalisieren dem Körper, dass potenziell Gefahr besteht. Anschließend werden diese Signale von der Amygdala mit Erinnerungen verglichen. Falls dabei eine Gefahr erkannt wird, wird Angst als Emotion im Körper ausgelöst.
Wie entscheidend diese Gehirnstruktur für unsere Gemütslage ist, entdeckten die Forscher kürzlich: Zeigt man einem Versuchsteilnehmer 20 Millisekunden lang das Bild eines ängstlichen Menschens und anschließend sofort 200 Millisekunden lang ein anderes Foto, erinnert sich der Versuchsteilnehmer bewußt an das erste Bild nicht mehr. "Aber mit den bildgebenden Verfahren konnten wir zeigen, daß die Nervenzellen der Amygdala als Reaktion auf das erste Bild aktiv wurden. Es scheint also einen Superhighway zu geben: Sehen und Reagieren, ohne zu wissen, warum", berichtet Büchel. Das Faszinierende sei, so der Forscher, daß die Amygdala besonders dann stark anspringt, wenn die Gesichter eindeutig vor einer Gefahr warnen. Dieser Befund ist ein weiterer Hinweis darauf, daß Menschen Gefühle im Verlauf der Evolution vor allem deswegen entwickelt haben, um zu überleben und um sich fortzupflanzen. "Die ursprüngliche Aufgabe der Gefühle war, rasch vor Gefahr zu warnen oder Vertrautheit zu signalisieren", erläutert Büchel.
Der Hippocampus: Das Gedächtniszentrum
Der Hippocampus ist eng mit der Amygdala verbunden und spielt eine wichtige Rolle bei der Speicherung emotionaler Erinnerungen. Er hilft uns, Erfahrungen und Emotionen mit bestimmten Kontexten zu verknüpfen. Dadurch können wir in ähnlichen Situationen in der Zukunft schneller und angemessener reagieren.
Der Thalamus: Das Tor zum Bewusstsein
Der Thalamus fungiert als eine Art "Tor zum Bewusstsein". Er filtert ankommende Reize nach ihrer Wichtigkeit und leitet sie an die entsprechenden Hirnbereiche weiter, einschließlich der Amygdala und der Hirnrinde.
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Der Hypothalamus: Das Kontrollzentrum des autonomen Nervensystems
Der Hypothalamus steuert das autonome Nervensystem, das für die Regulation von Körperfunktionen wie Herzfrequenz, Blutdruck und Atmung verantwortlich ist. In Stresssituationen sendet die Amygdala Signale an den Hypothalamus, der daraufhin Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol ausschüttet.
Die Hirnrinde: Bewusste Wahrnehmung von Gefühlen
Emotionen werden im limbischen System generiert, das nicht dem Bewusstsein untersteht. Erst das Hinzuschalten der Hirnrinde macht Gefühle bewusst. Nur Emotionen, die in die Hirnrinde gelangen, werden als bewusste Gefühle wahrgenommen.
Die Hirnrinde, insbesondere der präfrontale Cortex (PFC), spielt eine entscheidende Rolle bei der bewussten Wahrnehmung und Verarbeitung von Emotionen. Der PFC integriert emotionale Reize aus dem limbischen System in das Gesamtbild und zieht daraus Schlüsse für die beste Handlung. Er ist die Hirnregion, in der emotionale Reize in bewusste Gefühle umgewandelt werden.
Wie wichtig der PFC für die Persönlichkeit und das Gefühlsleben eines Menschen ist, zeigt der Fall des Arbeiters Phineas Gage, der bei einem Unfall diesen Teil der Hirnrinde verlor. Bei einem Unfall mit Schießpulver verletzte sich im Jahr 1848 ein Arbeiter namens Phineas Gage in den USA schwer: Eine Eisenstange schoss ihm unterhalb der linken Augenbraue ins Gesicht und durchbohrte sein Gehirn. Verblüffenderweise überlebte er und trug - mit Ausnahme eines verlorenen Auges - keine funktionellen Schäden davon. Allerdings war er nicht derselbe Mensch wie vor dem Unfall: Im Gegensatz zu früher war er jetzt respektlos, ungeduldig, unzuverlässig und wurde leicht wütend.
Spezifische Hirnareale für spezifische Emotionen?
Neurowissenschaftler unterscheiden oft zwischen Emotionen, also der körperlichen Reaktion auf einen äußeren Reiz hin, und Gefühlen, bei denen das Gehirn die Reaktionen des Körpers verarbeitet. Angst, Ärger, Glück und Trauer aktivieren unterschiedliche Hirnareale. Die Muster sind bei Frauen und Männern nahezu gleich.
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Wo genau welche bewussten Gefühle im Gehirn verarbeitet werden, hat António Damásio an der University of Southern California untersucht: Der Emotionsforscher forderte Probanden auf, sich Situationen vorzustellen, in denen sie Glück, Traurigkeit, Ärger oder Angst empfunden hatten - und schaute ihnen dabei mit der funktionellen Magnetresonanztomografie, einem bildgebenden Verfahren, das Hirnaktivitäten sichtbar macht, unter die Schädeldecke. Das Ergebnis: Je nach Art des Gefühls wurden andere Hirnrindenareale aktiviert. Bei Glück waren vor allem der rechte Gyrus cinguli, die linke Insel und der rechte somatosensorische Cortex aktiv, der linke Gyrus cinguli feuerte hingegen weniger als normal. Waren die Probanden traurig, war die Inselrinde auf beiden Seiten aktiver als sonst, ebenso der vordere Gyrus cinguli; der hintere Gyrus cinguli hingegen blieb stumm. Für Ärger und Angst ergaben sich ebenfalls ganz spezifische Aktivierungsmuster. Allerdings gibt es nicht das eine Wutareal und die eine Glücksregion. Sondern die neuronalen Netzwerke, die bei bestimmten Emotionen aktiv werden, überlappen zum großen Teil und sind zumindest teilweise auch bei anderen Gefühlen aktiv.
- Ärger: Wenn wir etwas erleben, das uns wütend macht, gelangt diese Information über den Thalamus an die Großhirnrinde sowie die Amygdala.
- Angst: Diese Emotion wird von der Amygdala ausgelöst, dem zentralen Angstsystem im menschlichen Körper ist.
- Traurigkeit: Wenn wir traurig sind, ist die Inselrinde im Gehirn auf beiden Seiten besonders aktiv.
- Ekel: Ekel entsteht vorranging in den beiden Hirnbereichen namens äußerer Linsenkern und Inselkortex.
- Freude: Sie wird durch spezielle Botenstoffe, wie zum Beispiel Endorphine, im Gehirn ausgelöst.
Emotionen und Verhalten: Ein Zusammenspiel
Emotionen bewirken bestimmte Verhaltensmuster. Angst zum Beispiel bereitet den Körper darauf vor, zu fliehen oder zu kämpfen: Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Muskeln werden mit Energie versorgt, die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Bedrohung. Das kann sehr sinnvoll sein oder auch völlig nutzlos - je nach Situation. Die eigenen Gefühle, Erfahrungen und das Verhalten der anderen müssen miteinander verrechnet werden, um angemessen reagieren zu können. Dabei spielt die Inselrinde, ein Teil der Großhirnrinde, eine bedeutende Rolle.
Die Macht der Gefühle: Mehr als nur Reaktionen
Gefühle sind oft schön, manchmal quälend, hin und wieder lästig. Und sie haben eine große Macht über unser Verhalten. Sie sind jedoch nicht nur Reaktionen auf äußere Reize, sondern auch Ausdruck unserer Persönlichkeit und unserer Erfahrungen. Was ein Mensch fühlt - und wie er oder sie das einer anderen Person gegenüber zeigt bzw. zeigen darf - ist nicht nur Ausdruck eines inneren Zustands, sondern wird auch erlernt und durch die Gesellschaft mitbestimmt. Haben also Gefühle eine Geschichte? Schreiben Gefühle gar Geschichte? Diesen Fragen gehen Ute Frevert und ihr Team am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung nach. Denn auch politisch und gesellschaftlich haben Gefühle wie Angst, Wut oder Hoffnung einen großen Einfluss. So untersuchen die Forscher*innen zum Beispiel die Bedeutung von Scham, Schande und öffentlicher Demütigung in verschiedenen Kulturen und Zeiten. Diese Gefühle spielen auch heute noch eine große Rolle: Im Internet entstehen fast jeden Tag neue Shaming-Plattformen. Cyber-Mobbing betrifft besonders Kinder und Jugendliche.
Kann man seine Gefühle kontrollieren?
Auch wenn wir ein emotionales Gehirn haben, der Mensch ist seinen Gefühlen trotzdem nicht vollkommen ausgeliefert. "Der Mensch kann seine Gefühle bewußt wahrnehmen und entscheiden, ob er ihnen folgen will - auch wenn in diese Entscheidung bereits wieder Gefühle einfließen", sagt Prof. Büchel. Der Grund: Jedes Gefühl ändert auch unsere Körperwahrnehmung.
Sich seiner Gefühle bewusst zu machen, ist der erste Schritt, achtsam mit ihnen umzugehen. Langsamer werden und sich zu beruhigen, um wieder im Bereich des Präfrontalen Cortex zu arbeiten, hilft uns, dass Gefühle uns nicht überfluten und wir besonnener reagieren können. Also nicht brüllen, sondern erst einmal bis zehn zählen, aber rauf- und nicht wie beim Countdown runter.