Die steigende Zahl älterer Menschen und die damit einhergehende Zunahme von Demenzerkrankungen stellen unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Professor Thomas Klie plädiert in seinem Buch "Recht auf Demenz" für ein Umdenken im Umgang mit Menschen mit Demenz. Statt sie als "ver-rückte" Mitglieder unserer Gesellschaft zu betrachten, fordert er, sie als selbstverständlichen Teil davon anzuerkennen und ihnen ein glückliches und zufriedenes Leben unter den richtigen Rahmenbedingungen zu ermöglichen.
Demenz als gesellschaftliche Herausforderung
Demenz ist eine gefürchtete Krankheit, die oft mit negativen Attributen behaftet ist. In Deutschland leben schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen mit Demenz, die unter den Auswirkungen dieser unheilbaren Krankheit leiden. Dies stellt unsere Gesellschaft vor eine der größten gesundheitlichen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit. Viele Familien sind unmittelbar mit den Folgen der Demenzerkrankung ihrer Angehörigen konfrontiert.
Klie betont, dass Demenz in der öffentlichen Diskussion oft dämonisiert wird. Es sei an der Zeit, den Horrorszenarien im Zusammenhang mit Demenz eine positive Vision entgegenzusetzen.
Ein Plädoyer für ein neues Verständnis von Demenz
Der Titel des Buches "Recht auf Demenz. Ein Plädoyer" ist ein Aufruf, Demenz nicht als Stigma zu betrachten, sondern als eine Lebensform, die Freiräume benötigt. Eine engagierte und lebensbejahende Zuwendung kann spürbar positive Wirkungen erzielen. Das persönliche Umfeld sollte nicht in ein erstarrtes Bemitleiden verfallen, sondern Gestaltungsräume zum Leben schaffen und Achtsamkeit für ein Leben mit Demenz ermöglichen.
Klie fordert ein menschenrechtlich fundiertes Verständnis von Demenz. Ob zu Hause oder im Heim, im Krankenhaus oder in der Öffentlichkeit - die Rechte von Menschen mit Demenz werden oft verletzt. Wir brauchen Bilder und Geschichten, die zeigen, dass auch unter den Bedingungen von Demenz ein gutes Leben möglich ist.
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Inhalte und Schwerpunkte des Buches
In seinem Buch behandelt Klie in zehn Kapiteln verschiedene Aspekte des Lebens mit Demenz und lädt Betroffene und eine interessierte Öffentlichkeit zu einem ethisch und rechtlich ausgerichteten Verständnis von Demenz ein. Dabei werden aktuelle Forschungsergebnisse und Praxisprojekte vorgestellt.
Aktuelle Forschung und Praxisprojekte
Das Buch bereitet aktuelle Forschungen des Autors auf, darunter Bevölkerungsumfragen zum Thema Demenz und Praxisprojekte in Landkreisen, Stadtteilen und Dörfern. Es werden neue Wohnformen vorgestellt und Möglichkeiten der Unterstützung aufgezeigt.
Ethische und rechtliche Aspekte
Klie erörtert die ethischen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit Demenz. Er plädiert für eine Grundkompetenz und Basiswissen zum Thema, einschließlich Wissen über die Ursachen, Formen, therapeutischen Maßnahmen und Epidemiologie der Demenz.
Lebensqualität und Würde
Ein lebenswertes Leben setzt menschenwürdige Rahmenbedingungen voraus. Menschen dürfen nicht auf den Grad ihrer Pflegebedürftigkeit reduziert werden. Es kommt darauf an, den ganzen Menschen zu sehen und die Förderung unterstützungsbedürftiger Grundbefähigungen zu einem guten Leben zu konkretisieren.
Solidarität und Ausgrenzung
Klie beschreibt die konfliktreichen Dimensionen von Solidarität und Ausgrenzung, die besonders kranke und hilfebedürftige Menschen in stationären Einrichtungen erleben. Er weist auf den großen Nachholbedarf bei der Bereitstellung unterstützender Hilfen für die über 70 % der Pflege- und Hilfsbedürftigen hin, die in eigener Häuslichkeit versorgt werden.
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Therapeutische Ziele und rechtliche Vorsorge
Das Buch behandelt die Bedeutung therapeutischer Ziele, die Bedingungen zur rechtlichen Vorsorge und die Darstellung empirisch erhobener Daten zur Haltung und den Kenntnissen zum Thema Demenz.
Einblicke in das Leben mit Demenz
Interviews ermöglichen Einblicke in das Leben mit Menschen, die die Krankheit Demenz erfahren haben. Sie zeigen Momente der Zufriedenheit, aber auch die dunklen Seiten: ein Leben im Gefängnis der Sorge und die Konfrontation mit Agressivität und persönlichen Kränkungen.
Die Rolle der Corona-Pandemie
Eine völlig neue Brisanz des Themas Demenz zeigte sich im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie. Klie geht in der Einführung und in weiteren Kapiteln des Buches auf die besondere Problematik ein.
Eine sorgende Gesellschaft als Ziel
Im letzten Abschnitt skizziert Klie nochmals die Hoffnung und den Wunsch auf eine sorgende Gesellschaft, die zum Ziel hat, das Leben für Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen generell zu verbessern. Realistisch betrachtet bleibt die "Caring Community" noch lange vielerorts ein Traum.
Klie betont, dass es eine politische Aufgabe ist, die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass Menschen mit Demenz aber auch ihre An- und Zugehörigen zu einem guten Leben mit Demenz befähigt werden.
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Die Bedeutung von Teilhabe und Unterstützung
Klies Ansatz ist es, Demenz als eine Form des Lebens anzuerkennen. Daher sei es die einzige Möglichkeit, und damit auch Aufgabe der Gesellschaft, Bedingungen zu schaffen, die Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen eine Teilhabe in der Gesellschaft und eine würdevolle Versorgung und Unterstützung ermöglicht. Dazu gehöre eine respektvolle Haltung gegenüber den Betroffenen, die deren Rechte auf eine bedarfsgerechte Versorgung und persönliche Assistenz anerkennt.
Weitere Perspektiven und Lösungsansätze
Neben Klies Buch gibt es weitere Ansätze und Initiativen, die sich mit dem Thema Demenz auseinandersetzen und Lösungsansätze für eine bessere Versorgung und Teilhabe von Menschen mit Demenz entwickeln.
Expertenstandards in der Pflege
Der Expertenstandard "Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz" (Andrea Schiff) bietet eine wichtige Grundlage für eine menschenzentrierte Pflege.
Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz
Wohngemeinschaften für Demenzbetroffene mit Migrationshintergrund (Peter Wißmann) sind ein Beispiel für innovative Wohnformen, die den Bedürfnissen von Menschen mit Demenz gerecht werden.
Technikgestützte Erinnerungspflege und Biografiearbeit
Technikgestützte Gestaltung von Erinnerungspflege und Biografiearbeit (Gabriele Kreutzner und Beate Radzey) bieten neue Möglichkeiten, die Lebensqualität von Menschen mit Demenz zu verbessern.
Herausforderungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten
Die Auseinandersetzung mit Demenz stellt auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten und ihr Umfeld eine besondere Herausforderung dar (Christina Kuhn und Anja Rutenkröger).
Die Bedeutung des Vergessens
Die Forschung zum menschlichen Vergessen (Jasmin Alley) kann uns helfen, Demenz besser zu verstehen und den Umgang mit Betroffenen zu verbessern.
Quartiersnahe Beratungsstellen
Quartiersnahe Beratungsstellen tragen maßgeblich zur passgenauen Versorgung von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen bei. Es ist wichtig, den Kontakt zu Menschen mit Demenz und ihren Familiensystemen immer wieder zu suchen und zu stärken.