Zucker-Nasenspray in der Alzheimer-Forschung: Ein vielversprechender Therapieansatz

Die Alzheimer-Krankheit, eine Form der Demenz, betrifft Millionen von Menschen weltweit und führt zu einem fortschreitenden Verlust des Gedächtnisses und der kognitiven Fähigkeiten. Die Behandlungsmöglichkeiten sind derzeit begrenzt, und eine Heilung gibt es bisher nicht. Daher suchen Forscher auf der ganzen Welt nach neuen und wirksamen Therapieansätzen. Ein vielversprechender Ansatz ist die Entwicklung eines Zucker-Nasensprays, das die Signalübertragung zwischen Nervenzellen im Gehirn verbessern und den kognitiven Verfall verlangsamen soll.

Die Rolle der Polysialinsäure (PolySia)

Forschende haben ein Molekül identifiziert, das bei altersbedingter Demenz und anderen Erkrankungen eine wichtige Rolle spielt: die Polysialinsäure (PolySia), ein für die reguläre Entwicklung und Funktion des Nervensystems essenzieller Vielfachzucker. PolySia hält unter anderem ein Gleichgewicht bei Signalweiterleitungs-Prozessen von Nervenzellen im Gehirn aufrecht, das das Gedächtnis mit bedingt. Bei einem Mangel an körpereigener PolySia, wie dies etwa im Gehirn von Alzheimer-Patienten der Fall ist, sind jedoch die Signalweiterleitung und damit auch die kognitiven Fähigkeiten gestört.

Der Ansatz der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und des DZNE

Ein Forschungsteam der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) sieht in der PolySia einen erfolgversprechenden Therapieansatz. „Bedeutsam dabei ist, dass PolySia spezieller Polymergröße in mehreren Tiermodellen für Demenz einen nachgewiesenen positiven Effekt auf die Plastizität der Nervenzellen und den damit verbundenen kognitiven Verfall besitzt“, betont Dr. Hauke Thiesler vom Institut für Klinische Biochemie der MHH. „Dieser positive Effekt war bereits nach einmaliger Verabreichung über die Nase messbar.“

Im Projekt CogniSia verfolgt das Team das Ziel, PolySia mit einer Polymergröße (degree of polymerization) DP10 bis DP12 als Therapeutikum in Form eines Anti-Dimentivums zu entwickeln, das den kognitiven Verfall im Alter und somit Demenz verlangsamt. Im Vorfeld des Projektes war der Verlust von PolySia bei Altersdemenz und Schizophrenie bereits bekannt. Nun hat das DZNE-Team den Mechanismus der PolySia-Wirkung entschlüsselt, die auf der Hemmung extrasynaptischer NMDA-Rezeptoren beruht. „Wir haben jetzt erste funktionelle Daten zusammengetragen, die belegen, dass die Zuführung von PolySia DP10 bis DP12 extrasynaptische NMDA-Rezeptoren hemmt und die kognitive Funktion wiederherstellen kann“, erläutert Prof. Dr. Alexander Dityatev von der Forschungsgruppe Molekulare Neuroplastizität des DZNE die Fortschritte. Die Forschenden sind zuversichtlich, dass ein solches Therapeutikum auch bei vielen anderen neurologischen Erkrankungen angewendet werden könnte, zum Beispiel bei Epilepsie oder Schlaganfall.

Wie das Zucker-Nasenspray funktioniert

Wenn wir denken, uns erinnern oder planen, kommunizieren Millionen von Neuronen in unserem Gehirn über synaptische Kontakte miteinander. Dort wird Glutamat freigesetzt und synaptische NMDA-Rezeptoren werden aktiviert. Dies induziert adaptive Veränderungen in der Struktur und Funktion von Kontakten, die sogenannte synaptische Plastizität. Diese synaptische Plastizität ist die zelluläre Basis für das Lernen und das Gedächtnis.

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Bei vielen Krankheiten, einschließlich der Alzheimer-Krankheit, hat Glutamat auch eine starke aktivierende Wirkung auf NMDA-Rezeptoren außerhalb der Synapsen. Dies reduziert die synaptische Plastizität und führt schließlich zum Zelltod. Das Forschungsteam will mit Polysialinsäure spezifischer Polymerlänge die Signalweiterleitung der Nervenzellen im Gehirn verbessern und so gegen Demenz vorgehen.

Vorteile des Nasensprays

Als weiteren großen Vorteil erachtet der Biochemiker, dass der Wirkstoff „in einem Nasenspray wahrscheinlich der effizienteste Weg ist, PolySia mit wenig Begleitstoffen ins Gehirn zu bringen und sich dadurch mögliche Nebenwirkungen und Risiken minimieren lassen“. Der Wirkstoff-Kandidat, der der köpereigenen PolySia in ihrem Aufbau gleicht und somit bioidentisch ist, wird mittels Biokatalyse direkt aus chemisch definierten Ausgangsstoffen erzeugt. „Dadurch ist im Vergleich zu anderen Verfahren im zukünftig angestrebten industriellen Maßstab eine besonders nachhaltige Produktion möglich“, hebt Hauke Thiesler einen Vorteil hervor.

Weitere Forschung und Studien

Zurzeit untersuchen die Kooperationspartner am DZNE die Wirkmechanismen des Wirkstoff-Kandidaten im molekularen Detail in Mausmodellen und menschlichen Zellmodellen der Alterung und Demenz. Die Forscher wollen jetzt herausfinden, wie die Prozesse genau funktionieren und wie man das PolySia in großen Mengen kostengünstig herstellen kann. Auch hier sind die ersten Schritte getan, ein Verfahren bereits patentiert. Das Wichtigste fehlt allerdings noch: Der Beweis, dass der positive Effekt auch beim Menschen funktioniert. Das soll nun in menschlichen Zellkulturen untersucht werden, dann in einer klinischen Studie bewiesen werden.

Insulin-Nasenspray: Ein weiterer Ansatz

Neben der PolySia-Forschung gibt es auch Studien, die die Wirkung von Insulin als Nasenspray bei Alzheimer untersuchen. Durch eine intranasale Anwendung kann Insulin aus der Nasenhöhle über den Riechnerv oder andere Hirnnerven direkt ins Gehirn gelangen, die Blut-Hirn-Schranke wird umgangen. So soll die Gedächtnisleistung und die Durchblutung im Großhirn verbessert werden.

Insulin und Gehirn

In den letzten Jahren rücken auch immer mehr die Wirkungen des Insulins im menschlichen Gehirn in den Fokus der Wissenschaft, auch dort kommen Insulinrezeptoren vor. Schon länger wird vermutet, dass ein gestörter Insulin- und Glucosestoffwechsel verschiedene hirnorganische Krankheiten hervorrufen kann. Diabetiker vom Typ 2 leiden im höheren Alter häufiger an kognitiven Störungen bezüglich Lernen und Gedächtnis. Sie haben auch ein erhöhtes Risiko an Morbus Alzheimer zu erkranken. Der Grund dafür liegt wahrscheinlich darin, dass es bei einem gestörten Glucosestoffwechsel im Gehirn zu einer Anhäufung von Amyloid-Peptiden und zu einer Phosphorylierung des Tau-Proteins kommt. Beide Verbindungen spielen eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Alzheimer-Krankheit.

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Ergebnisse von Insulin-Nasenspray-Studien

In einer Pilotstudie bekamen sowohl Patienten mit Typ-2-Diabetes als auch gesunde Teilnehmer über einen längeren Zeitraum Insulin als Nasenspray verabreicht. Verwendet wurde dabei Humaninsulin, das zu Studienzwecken durch einen Apotheker in eine spezielle Sprühflasche umgefüllt wurde. In beiden Gruppen kam es nach intranasaler Aufnahme von Insulin zu einer Verbesserung der Gedächtnisleistungen sowie zu einer gesteigerten Durchblutung im vorderen Abschnitt des Großhirns.

Allerdings gibt es auch Studien, die keine positiven Effekte von Insulin-Nasenspray bei Alzheimer-Patienten zeigen konnten. Eine kürzlich veröffentlichte Studie überprüfte die Umsetzbarkeit, Sicherheit und Wirksamkeit der intranasalen Insulin-Behandlung an Alzheimer-Patienten und Personen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind allerdings ernüchternd und dämpfen die Hoffnung auf eine Besserung der Alzheimer-Erkrankung durch intranasale Insulin-Applikation. Über einen Zeitraum von zwölf Monaten konnten die Forscher keinen kognitiven Nutzen bei den Patienten im Vergleich zu einer Behandlung mit einem Placebo beobachten.

Entzündungshemmendes Nasenspray

Wissenschaftler des College of Medicine der Texas A & M University haben ein Spray entwickelt, das in Tierversuchen das Voranschreiten von Alzheimer-Erkrankungen verzögern konnte. Bei Alzheimer sorgen schädliche Ablagerungen der Proteine Beta-Amyloid und Tau im Gehirn dafür, dass Nervenzellen absterben und der kognitive Abbau beginnt. Daran haben auch die Mikrogliazellen und die Astrozyten ihren Anteil.

Vor diesem Hintergrund entwickelten die Forscher um Leelavathi N. Madhu ein Nasenspray, das ein antientzündliches Mittel enthält. Dieses wurde aus Stammzellen in extrazellulären Vesikeln gewonnen - also Bläschen, die Stoffe transportieren. Das antientzündliche Mittel zielt auf die Mikrogliazellen und die Astrozyten ab, um die Entzündung zu hemmen sowie die schädlichen Proteinablagerungen im Gehirn zu reduzieren.

Ergebnisse der Studie mit dem entzündungshemmenden Nasenspray

Die genetisch behandelten Mäuse, die Placebo-Nasenspray bekamen, zeigten nach 1,5 Monaten charakteristische Alzheimer-Anzeichen wie Beta-Amyloid-Ablagerungen, eine erhöhte Aktivität der Mikrogliazellen und eine Entzündung des Nervengewebes. Die Mäuse hingegen, die das Nasenspray mit dem antientzündlichen Mittel bekamen, wiesen nach 1,5 Monaten weniger Ansammlungen von Mikrogliazellen und eine niedrigere Aktivität der Gene auf, die an den Entzündungen des Nervengewebes beteiligt sind. Zudem hatten sie weniger Beta-Amyloid-Ablagerungen und eine bessere kognitive Funktion als die mit Placebo behandelten Mäuse.

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Der Rückgang der Entzündungen machte sich am meisten im Hippocampus bemerkbar - dem Bereich des Hirns, der eine entscheidende Rolle beim Lernen und Erinnern spielt sowie im Falle einer Alzheimer-Erkrankung schwer betroffen ist.

Kritische Stimmen und Ausblick

Ob Medikamente wie Lecanemab zu kognitiven Verbesserungen führen, muss sich nach Markteinführung noch zeigen. Steve Allder, beratender Neurologe bei Re:Cognition Health, begrüßte die Forschungserkenntnisse. Doch auch er räumte ein: „Während die Studie vielversprechende Ergebnisse zeigt, müssen mögliche Nebeneffekte bewertet werden.“„Aus der Veränderung des Verhaltens von Immunzellen, den unerwarteten Einflüssen auf andere Zelltypen oder den Langzeitfolgen der Manipulation der Immunantwort des Gehirns könnten ungünstige Reaktionen resultieren“, sagt er zu „Medical News Today“. „Klinische Versuche müssten alle immun-bezogenen Begleiterscheinungen oder unerwartete Auswirkungen auf die Kognition überwachen.“

Prävention von Alzheimer

Noch besser als Alzheimer zu behandeln ist es, der Krankheit vorzubeugen. Hier sind einige Tipps:

  1. Was gut für Ihr Herz ist, ist auch gut für Ihr Gehirn.
  2. Lernen Sie Neues - auch im Alter. Das hält Ihr Gehirn auf Trab.
  3. Orientieren Sie sich an der klassischen mediterranen Ernährung. Essen Sie viel Obst und Gemüse, Olivenöl und Nüsse.
  4. Zu zweit oder in der Gruppe machen Aktivitäten mehr Spaß und Ihre grauen Zellen werden gefordert.
  5. Achten Sie darauf, dass Sie nicht zu viele Kilo auf die Waage bringen.
  6. Rauchen schadet auch Ihrem Gehirn.
  7. Lassen Sie Ihren Blutdruck regelmäßig kontrollieren.
  8. Behalten Sie Ihren Blutzuckerspiegel im Blick.
  9. Sorgen Sie gut für sich. Wenn Sie über eine längere Zeit antriebslos oder niedergeschlagen sind, ist es sinnvoll, Ihren Arzt oder Ihre Ärztin aufzusuchen, um die Ursache abzuklären.
  10. Nehmen Sie es ernst, wenn Sie merken, dass Sie schlechter hören.

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