Epilepsien gehören zu den häufigsten schweren neurologischen Erkrankungen, von denen etwa 0,5 % aller Kinder und Jugendlichen betroffen sind. Der Grundpfeiler der Behandlung sind anfallssuppressive Medikamente (ASM), mit denen etwa zwei von drei Patienten anfallsfrei werden.
Wann spricht man von überstandener Epilepsie?
Auch wenn mithilfe von ASM eine langjährige Anfallsfreiheit erreicht wird, spricht man nicht von einer „Heilung“ der Erkrankung. Eine Epilepsie gilt als überwunden, wenn Patienten 10 Jahre anfallsfrei waren und mindestens in den letzten 5 Jahre kein ASM eingenommen haben.
Nutzen und Risiken des Absetzens von ASM
Wesentliche Fragen für anfallsfreie Patienten sind, ob und wann ein ASM abgesetzt werden kann. Das Absetzen eines ASM sollte nach einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung gemeinsam von Arzt und Patient entschieden werden.
Möglicher Nutzen
Der Nutzen des Absetzens eines ASM kann in einem Wegfall etwaiger Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und somit in der Verbesserung der Lebensqualität bestehen. Nebenwirkungen bei der Langzeitbehandlung mit ASM können neuropsychologische und -psychiatrische (kognitive Beeinträchtigung, Depressionen, Reizbarkeit), neurologische (Schwindel, Doppelbilder, Tremor) als auch allgemeine, z. B. internistische (Übelkeit, Leberschädigungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen) oder teratogene Aspekte umfassen. Spontan berichten 10-40 % der Patienten über Nebenwirkungen, während unter Verwendung strukturierter Screeningfragebögen 60-90 % der Patienten Nebenwirkungen ihrer ASM angeben. Oftmals werden Nebenwirkungen von Patienten subjektiv nicht wahrgenommen und erst deutlich, wenn das ASM abgesetzt wurde, insbesondere bei kognitiven Beeinträchtigungen.
ASM haben zudem potenzielle Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Vor allem die Interaktion von Substanzen wie Lamotrigin mit hormonellen Kontrazeptiva ist von hoher klinischer Relevanz. Darüber hinaus sind einige ASM, wie Carbamazepin und Phenytoin, Induktoren bestimmter Zytochrom-P450-Isoenzyme und können die Wirksamkeit oraler Antikoagulanzien sowie antiviraler oder antibiotischer Medikamente beeinflussen.
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Die langjährige Einnahme von ASM kann die Lebensqualität der Patienten reduzieren, und das Absetzen kann diese verbessern. Damit einhergehend kann sich auch eine von Patienten empfundene Stigmatisierung wegen der täglichen Einnahme von ASM durch deren Absetzen bessern. In spezifischen Fällen können durch das erfolgreiche Absetzen von ASM und nach mehrjähriger anfallsfreier Beobachtungszeit auch berufliche Einschränkungen wegfallen.
Ein weiterer Nutzen des Absetzens von ASM ist die Reduktion von Kosten für das Gesundheitssystem im Allgemeinen sowie für die Patienten bei Zuzahlungspflicht im Besonderen.
Mögliche Risiken
Dem dargestellten Nutzen stehen Risiken eines Absetzversuchs gegenüber, die durch das Auftreten eines erneuten epileptischen Anfalls und die damit verbundenen Folgen entstehen. Neben den unmittelbaren Risiken jedes epileptischen Anfalls besteht die Gefahr, dass Patienten mit einem Anfallsrezidiv nach dem Absetzen von ASM trotz erneuter Einnahme nicht wieder anfallsfrei werden. Das Wiederauftreten eines Anfalls nach dem Absetzen von ASM kann relevante psychosoziale Auswirkungen haben.
Studien zum Rezidivrisiko nach Absetzen von ASM
Die Evidenzlage hinsichtlich des Risikos für ein Anfallsrezidiv nach dem Absetzen von ASM im Vergleich zur Fortführung von ASM ist bei erwachsenen Patienten mit Epilepsie gering. Es gibt zwei randomisierte kontrollierte Studien, in beiden Studien war ein anfallsfreies Intervall vor dem Absetzen des ASM in Monotherapie von mindestens 2 Jahren gefordert.
Die größere der beiden Studien ist vom Medical Research Council in Großbritannien durchgeführt worden und war eine randomisierte kontrollierte, aber nicht doppelt-verblindete Studie. Von gut 1000 Patienten mit Epilepsie wurde bei der Hälfte über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten das ASM ausgeschlichen, die andere Hälfte wurde unverändert mit einem ASM weiterbehandelt. Der Anteil der Patienten mit einem Anfallsrezidiv betrug 24 Monate nach Absetzen des ASM 41 %, unter Weitereinnahme des ASM lag das Risiko bei 22 %.
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Die zweite und einzige randomisierte kontrollierte, doppelt-verblindete Studie wurde in Norwegen mit insgesamt 160 Patienten durchgeführt. Bei den 79 Patienten, bei denen das ASM abgesetzt wurde, betrug die Rate an Anfallsrezidiven nach 12 Monaten 15 %, unter Fortführung des ASM (n = 81) lag diese bei 7 %. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen 12 Monate nach Absetzen der ASM war jedoch statistisch nicht signifikant.
Basierend auf den erwähnten Studien kann das Absetzen eines ASM nach einer Mindestdauer von 2 Jahren Anfallsfreiheit erwogen werden. Das Risiko eines erneuten Anfalls nach dem Absetzen des ASM sinkt, je länger Patienten anfallsfrei waren.
Faktoren zur Abschätzung des Rezidivrisikos
Bei der Abschätzung des Risikos für ein Anfallsrezidiv nach dem Absetzen des ASM stellen auch die Epilepsieart und das Epilepsiesyndrom relevante Faktoren dar. So ist bei in der Kindheit beginnenden genetischen Epilepsien, wie der Absence-Epilepsie oder der Rolando-Epilepsie, die Chance sehr hoch, dass es nach langjähriger Anfallsfreiheit auch nach dem Absetzen einer ASM zu keinem erneuten Anfall kommt. Dagegen ist die Wahrscheinlichkeit für ein Anfallsrezidiv nach dem Absetzen eines ASM bei Patienten mit einer fokalen Epilepsie mit struktureller Läsion im MRT, insbesondere einer Hippokampussklerose, oder bei Patienten mit einer juvenilen myoklonischen Epilepsie (JME), dem häufigsten Syndrom innerhalb der genetisch generalisierten Epilepsien, hoch.
Praktische Hinweise zum Absetzen von ASM
Patienten sollten darüber aufgeklärt werden, dass ASM nur nach ärztlicher Rücksprache abgesetzt werden sollten, um das Risiko für einen Status epilepticus oder Entzugsanfälle zu minimieren. Belastbare Daten für Erwachsene zur Dauer der Dosisreduktion bis zum Absetzen des ASM fehlen bislang. Einige ASM weisen jedoch entweder wegen Gewöhnung (GABAerge Substanzen wie Benzodiazepine, Phenobarbital, Primidon) oder aufgrund ihres Wirkmechanismus (Vigabatrin als irreversibler Hemmstoff der GABA-Transaminase) bei schneller Reduktion der Dosis oder sofortigem Absetzen ein erhöhtes Risiko für Entzugsanfälle auf.
Patienten müssen darüber aufgeklärt werden, dass für die Dauer des Absetzens und für 3 Monate nach der letzten Einnahme des zuvor in Monotherapie eingenommenen ASM keine Fahreignung für Kraftfahrzeuge besteht.
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Einer der unabhängigen Risikofaktoren für ein Anfallsrezidiv nach dem Absetzen von ASM ist der Nachweis interiktaler epileptiformer Muster im EEG noch unter der Einnahme von ASM, dies gilt insbesondere für Patienten mit genetisch generalisierter Epilepsie. Bei dieser Epilepsieart ist daher ein Routine-EEG vor dem etwaigen Absetzen des ASM sinnvoll.
Nach Beendigung eines ASM sollten Patienten für mindestens 2 Jahre von ihren behandelnden Neurologen regelmäßig gesehen werden, um nach klinisch diskreten Anfällen wie fokalen bewusst erlebten nichtmotorischen Anfällen (früher: Aura) und Myoklonien bei genetisch generalisierten Epilepsien zu fragen.
Ob und wann bei anfallsfreien Patienten mit Epilepsie die regelmäßige Einnahme von anfallssuppressiven Medikamenten (ASM) beendet werden kann, ist eine komplexe und vielschichtige Frage. Nach den Empfehlungen der aktuellen Leitlinie Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter der Deutschen Gesellschaft für Neurologie kann bei mindestens zweijähriger Anfallsfreiheit in einer gemeinsamen Entscheidungsfindung von Arzt und Patient ein Absetzen des ASM desto eher erwogen werden, je günstiger die Konstellation bezüglich der genannten Prädiktoren für weitere Anfallsfreiheit ist. Zudem sollen laut Leitlinie die Patienten darüber aufgeklärt werden, dass bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung die wahrscheinlichen Konsequenzen eines möglichen Rezidivs berücksichtigt werden.
Medikamentöse Therapie der Absence-Epilepsie
Die Behandlung von Epilepsie zielt nicht nur auf die Kontrolle epileptischer Anfälle ab, sondern berücksichtigt den gesamten Menschen in seiner individuellen Lebenssituation. Es geht darum, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und ihnen trotz der Erkrankung ein erfülltes Leben zu ermöglichen. Dabei stehen nicht nur medizinische Aspekte im Vordergrund, sondern auch psychologische, soziale und emotionale Faktoren. Die Epilepsie wird als Systemerkrankung betrachtet, die nicht nur Anfälle verursacht, sondern auch andere Bereiche des Lebens beeinflussen kann. Daher ist ein ganzheitlicher, interdisziplinärer Ansatz in der Behandlung essentiell. Die Beziehung zwischen Ärzten und Patienten ist zentral. Es geht nicht nur darum, eine Krankheit zu behandeln, sondern einen Menschen in einer bestimmten Lebensphase mit all seinen Ängsten, Hoffnungen und Wünschen.
Zur Behandlung steht eine Vielzahl von Wirkstoffen zur Verfügung, jedoch wirken nicht alle Medikamente bei allen Epilepsie-Formen. Um das wirksamste und verträglichste Anfallssuppressivum für Betroffene zu finden, müssen bei der Wahl des Präparats weitere Faktoren, wie z. B. Alter und Form der Epilepsie, berücksichtigt werden. Mittel wie Valproat werden häufiger als andere für die Behandlung idiopathischer generalisierter Epilepsiesyndrome verschrieben, während z. B. Ethosuximid vor allem bei Absencen im Schulkindalter verwendet wird, da es besser verträglich ist. Da es aber noch weitaus mehr Faktoren bei der Auswahl zu berücksichtigen gilt, ist das vertrauensvolle Verhältnis zwischen behandelnden Ärzten und Patienten sehr wichtig.
Ethosuximid
Ethosuximid ist ein antikonvulsiver Wirkstoff, der zur Behandlung verschiedener Epilepsieformen indiziert ist, darunter pyknoleptische Absencen sowie komplexe und atypische Absencen, myoklonisch-astatisches Petit mal und myoklonische Anfälle des Jugendlichen, wenn andere Arzneimittel nicht wirksam waren und/oder nicht vertragen wurden.
Zur Vermeidung der bei komplexen und atypischen Absencen häufig hinzukommenden großen Anfälle kann Ethosuximid mit wirksamen Antikonvulsiva kombiniert werden. Nur bei pyknoleptischen Absence-Epilepsien bei Kindern im Schulalter kann auf eine zusätzliche Grand-mal-Prophylaxe verzichtet werden.
Ethosuximid ist in unterschiedlichen Darreichungsformen erhältlich: Weichkapseln (250 mg), Tropfen zum Einnehmen (500 mg/g) und Lösung zum Einnehmen (50 mg/mL). Die Einnahme sollte während oder nach den Mahlzeiten mit einer ausreichenden Wassermenge erfolgen.
Der primäre Wirkmechanismus, der maßgeblich zur Wirkung von Ethosuximid bei Absencen beiträgt, ist die Hemmung von spannungsabhängigen T-Typ Calciumkanälen im Thalamus, wodurch die Ausbildung niederschwelliger Ca2+-Spikes verhindert wird.
Die Behandlung beginnt mit einer niedrigen Dosis, die je nach Verträglichkeit alle 5-7 Tage erhöht wird, bis eine Kontrolle der Anfälle erreicht wird. Das Risiko dosisabhängiger Nebenwirkungen lässt sich durch eine vorsichtige Dosierung und die Einnahme des Arzneimittels während oder nach den Mahlzeiten reduzieren.
Eine antiepileptische Therapie ist grundsätzlich eine Langzeittherapie. Über Beginn, Behandlungsdauer und das Absetzen von Ethosuximid sollte ein Facharzt auf individueller Basis entscheiden. Im Allgemeinen sollte eine Dosisreduktion und ein Absetzen der Medikation frühestens nach 2- bis 3-jähriger Anfallsfreiheit erwogen werden. Das Absetzen muss durch schrittweise Dosisreduktion über ein bis zwei Jahre erfolgen.
Zu den häufigsten Nebenwirkungen unter einer Therapie mit Ethosuximid gehören Übelkeit und Erbrechen, Singultus („Schluckauf“) und Abdominalschmerzen. In seltenen Fällen können sich innerhalb von Tagen und Wochen paranoide und halluzinatorische Phänomene entwickeln.
Ethosuximid ist kontraindiziert bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile des Arzneimittels. Die Behandlung mit Ethosuximid sollte während der Schwangerschaft nicht ohne ärztliche Zustimmung unterbrochen werden, weil ein plötzlicher Therapieabbruch oder eine unkontrollierte Reduktion der Dosis zum Wiederauftreten von epileptischen Anfällen führen kann, die die Schwangere und/oder das ungeborene Kind schädigen könnten.
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
Neben der medikamentösen Therapie gibt es weitere Optionen, insbesondere bei pharmakoresistenten Epilepsien. Dazu gehören die Epilepsiechirurgie und Neurostimulation (Vagusnervstimulation). Auch eine Umstellung der Ernährung (ketogene Ernährungstherapie), Psychotherapie, Neuropsychologie und gezielte Anfallsunterbrechung können zur Verbesserung des Anfallsgeschehens beitragen.
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