ADHS und Alzheimer: Eine Verbindung im alternden Gehirn?

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die oft im Kindesalter beginnt und sich bis ins Erwachsenenalter fortsetzen kann. In den letzten Jahren hat die Forschung begonnen, die möglichen langfristigen Auswirkungen von ADHS über die Kindheit hinaus zu untersuchen, insbesondere im Hinblick auf das Demenzrisiko im späteren Leben. Neue Studien deuten auf einen besorgniserregenden Zusammenhang zwischen ADHS und einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer hin. Dieser Artikel beleuchtet die aktuellen Forschungsergebnisse zu diesem Thema, untersucht die zugrunde liegenden Mechanismen und diskutiert mögliche Präventions- und Behandlungsstrategien.

ADHS im Erwachsenenalter: Mehr als nur ein "Kinderproblem"

Während ADHS traditionell als eine Störung des Kindesalters betrachtet wurde, ist es heute anerkannt, dass die Symptome bei vielen Betroffenen bis ins Erwachsenenalter andauern. Im Erwachsenenalter können sich die Symptome jedoch anders manifestieren als bei Kindern. Hyperaktivität kann sich beispielsweise in innerer Unruhe äußern, während Schwierigkeiten mit Aufmerksamkeit und Organisation zu Problemen im Beruf und im Alltag führen können. Viele Erwachsene mit ADHS schaffen es, ihre Symptome durch Kompensationsstrategien zu bewältigen, oft unter großem Kraftaufwand. Bleibt ADHS unbehandelt, kann dies jedoch weitreichende Folgen für das Selbstwertgefühl, die sozialen Beziehungen und die allgemeine Lebensqualität haben.

Das erhöhte Demenzrisiko bei ADHS-Betroffenen

Mehrere Studien haben gezeigt, dass Erwachsene mit ADHS ein erhöhtes Risiko haben, im späteren Leben an Demenz zu erkranken. Eine prospektive Beobachtungsstudie in JAMA Network Open ergab beispielsweise, dass ADHS-Patienten fast drei Mal so häufig an Demenz erkrankten wie Personen ohne ADHS. Eine weitere Studie aus Israel, die Daten von über 730 älteren Versicherten auswertete, zeigte, dass 13,2 % der ADHS-Patienten später an Demenz erkrankten, verglichen mit 7,0 % der Versicherten ohne ADHS. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass ADHS im Erwachsenenalter ein signifikanter Risikofaktor für die Entwicklung von Demenz sein könnte.

Mögliche neurologische Mechanismen

Die genauen Mechanismen, die dem Zusammenhang zwischen ADHS und Demenz zugrunde liegen, sind noch nicht vollständig geklärt. Neue Forschungsergebnisse deuten jedoch auf eine Reihe von möglichen neurologischen Faktoren hin, die eine Rolle spielen könnten.

Veränderungen im Eisengehalt des Gehirns

Eine Studie der Genfer Universitätskliniken (HUG) und der Universität Genf (UNIGE) hat herausgefunden, dass das Gehirn von Erwachsenen mit ADHS ähnliche Veränderungen aufweist wie das Gehirn von Demenzpatienten. Insbesondere stellten die Forscher fest, dass ADHS-Betroffene höhere Eisenwerte in bestimmten Hirnregionen aufwiesen als gesunde Kontrollpersonen. Ein Eisenüberschuss im Gehirn kann oxidativen Stress verursachen und die neuronale Degeneration fördern, was ein Kennzeichen von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer ist.

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Erhöhte Neurofilament-Leichtkettenprotein (NfL)-Werte

Die Genfer Studie ergab auch, dass ADHS-Patienten erhöhte Konzentrationen von Neurofilament-Leichtkettenprotein (NfL) im Blut aufwiesen. NfL ist ein Indikator für neuronale Schäden im Gehirn, insbesondere für Schäden an den Axonen, die für die Nervenübertragung wichtig sind. Hohe NfL-Werte im Blut spiegeln Axonschäden im Gehirn wider und können auf eine zugrunde liegende neurodegenerative Pathologie hinweisen.

Noradrenerge Dysfunktion

Eine gepoolte Datenanalyse unter der Leitung von Michael David vom Imperial College London deutet darauf hin, dass noradrenerge Störungen eine Rolle bei der Alzheimer-Krankheit spielen könnten. Die Forscher fanden heraus, dass noradrenerg wirksame Substanzen, darunter oftmals ADHS-Wirkstoffe wie Atomoxetin, Methylphenidat und Guanfacin, möglicherweise kognitive und neuropsychiatrische Symptome bei Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen verbessern könnten. Noradrenerge Störungen treten früh bei der Alzheimer-Krankheit auf und tragen zu den kognitiven und neuropsychiatrischen Symptomen bei.

Genetische Faktoren

Eine schwedische Studie untersuchte die generationsübergreifenden Assoziationen zwischen ADHS und Alzheimer anhand von Daten aus schwedischen Nationalregistern. Die Studie ergab, dass Eltern von Personen mit ADHS ein signifikant erhöhtes Risiko für Alzheimer hatten. Bei Großeltern und Onkeln/Tanten war diese Assoziation schwächer nachweisbar, das Risiko blieb aber erhöht. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass genetische Faktoren eine Rolle bei der Verbindung zwischen ADHS und Alzheimer spielen könnten.

Lebensstilfaktoren und Präventionsstrategien

Neben neurologischen und genetischen Faktoren können auch Lebensstilfaktoren eine Rolle bei der Entwicklung von Demenz bei ADHS-Betroffenen spielen. Ein ungesunder Lebensstil mit Rauchen, Adipositas, Typ-2-Diabetes und Hyperlipidämie ist bei ADHS-Patienten häufiger als bei anderen Menschen und kann das Demenzrisiko erhöhen. Daher sind gezielte Präventionsstrategien, die auf einen gesunden Lebensstil abzielen, von entscheidender Bedeutung.

Medikamentöse Behandlung von ADHS

Interessanterweise deutet eine Studie darauf hin, dass ADHS-Patienten, die mit Medikamenten behandelt wurden, ein geringeres Demenzrisiko hatten. Der Grund dafür ist unklar, aber es ist möglich, dass die Medikamente den Patienten helfen, ihre kognitiven Reserven länger zu erhalten. Einige ADHS-Medikamente, insbesondere noradrenerg wirksame Substanzen, könnten auch zur Behandlung bestimmter Alzheimer-Symptome von Vorteil sein. Allerdings sind größere Studien erforderlich, um diese Ergebnisse zu bestätigen und die optimale medikamentöse Behandlung von ADHS zur Vorbeugung von Demenz zu bestimmen.

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Weitere Präventionsmaßnahmen

Zusätzlich zur medikamentösen Behandlung und einem gesunden Lebensstil können auch andere Präventionsmaßnahmen dazu beitragen, das Demenzrisiko bei ADHS-Betroffenen zu verringern. Dazu gehören:

  • Früherkennung und Behandlung von ADHS: Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung von ADHS kann dazu beitragen, die negativen Auswirkungen der Störung auf die kognitive Entwicklung und die Lebensqualität zu minimieren.
  • Kognitives Training: Kognitives Training kann dazu beitragen, die kognitiven Funktionen zu verbessern und die kognitive Reserve zu erhöhen.
  • Soziale Aktivität: Soziale Aktivität kann dazu beitragen, die kognitive Funktion zu erhalten und das Gefühl der Isolation und Depression zu verringern.
  • Regelmäßige körperliche Aktivität: Regelmäßige körperliche Aktivität kann dazu beitragen, die kognitive Funktion zu verbessern und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verringern, die ein Risikofaktor für Demenz sind.

ADHS im höheren Lebensalter: Herausforderungen und Chancen

Auch im höheren Lebensalter stellt ADHS eine Reihe von besonderen Herausforderungen dar. Mit zunehmendem Alter können die Symptome von ADHS verstärkt werden, insbesondere wenn die körperlichen und geistigen Kräfte nachlassen. Viele ältere Erwachsene mit ADHS leiden unter Erschöpfung, Vergesslichkeit und Depressionen. Auch soziale Isolation und der Verlust von sozialen Kontakten können im Alter eine größere Rolle spielen.

Diagnostische Herausforderungen

Die Diagnose von ADHS im höheren Lebensalter kann schwierig sein, da es keine spezifischen Fragebögen für ältere ADHS-Patienten gibt. Es ist oft schwierig, Auskünfte darüber zu bekommen, wie ausgeprägt die Symptome im Kindesalter waren. Darüber hinaus können die Symptome von ADHS im Alter leicht mit anderen Erkrankungen wie Depressionen oder Demenz verwechselt werden.

Behandlungsmöglichkeiten im Alter

Trotz der Herausforderungen gibt es auch im höheren Lebensalter Behandlungsmöglichkeiten für ADHS. Eine medikamentöse Behandlung kann sehr hilfreich sein, muss aber die Begleiterkrankungen mitberücksichtigen. Die Medikation kann schwierig sein, weil sie oft mit anderen Medikamenten kombiniert werden muss. Insbesondere ist auf Herzerkrankungen zu achten. Auch nicht-medikamentöse Behandlungen wie kognitives Training, Verhaltenstherapie und soziale Unterstützung können im Alter hilfreich sein.

Fallbeispiele

Die folgenden Fallbeispiele verdeutlichen, wie sich ADHS im höheren Lebensalter manifestieren kann und wie eine Behandlung helfen kann:

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  • Fallbeispiel 1: Eine 79-jährige Patientin mit schwerer Depression, Impulsivität und Selbstmordgedanken wurde mit einer niedrigen Dosierung eines ADHS-Medikaments eingestellt und profitierte sehr von einem ADHS-Trainingskurs. In den folgenden Jahren war sie erstaunlich stabil und pflegte ihren Mann sieben Jahre lang aufopferungsvoll.
  • Fallbeispiel 2: Ein 79-jähriger Patient, früher in hoher Position, fühlte sich nach seiner Berentung erschöpft, unmotiviert und litt darunter, nicht mehr gebraucht zu werden. Seine Frau wollte sich nach 50 Jahren Ehe scheiden lassen. Nach einer niedrig dosierten medikamentösen Einstellung zeigte sich eine deutliche Verbesserung. Der Patient fühlte sich jetzt entspannt und ausgeglichen.

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