Die Frage, ob und inwieweit Zucker und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) zusammenhängen, ist ein viel diskutiertes Thema. Viele Eltern beobachten, dass ihre Kinder nach dem Konsum von Zucker "hibbelig" werden. Aber ist Zucker wirklich ein Auslöser oder Verstärker von ADHS-Symptomen? Dieser Artikel beleuchtet die wissenschaftlichen Erkenntnisse, um ein differenziertes Bild zu vermitteln.
Zucker als Treibstoff fürs Gehirn: Ein zweischneidiges Schwert
Glukose, eine Form von Zucker, ist die primäre Energiequelle für das Gehirn. Etwa 140 Gramm Glukose benötigt das Gehirn täglich, um seine vielfältigen Funktionen aufrechtzuerhalten, darunter Denken, Gedächtnis und Lernen. Neurotransmitter wie Dopamin spielen eine wichtige Rolle bei der Kommunikation zwischen den Neuronen. Der Geschmack von Süße signalisierte unseren Vorfahren einst, ob eine Frucht genießbar war. Süße Speisen aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn, das mesolimbische Dopaminsystem, und setzen Dopamin frei, was ein Gefühl der "Nahrungsliebe" auslöst.
Allerdings ist ein Übermaß an Zucker nicht förderlich. Studien deuten darauf hin, dass eine hohe Zuckeraufnahme die Denkleistung sowohl kurz- als auch langfristig beeinträchtigen kann.
ADHS und Zucker: Was sagt die Wissenschaft?
Die Studienlage zum Thema ADHS und Zucker ist heterogen und erlaubt keine abschließende Einschätzung. Viele Studien untersuchen den Zusammenhang zwischen ADHS-Symptomen und hohem Zuckerkonsum. Es gibt zahlreiche Studien zum Thema ADHS und Zucker, die von „Zucker löst ADHS aus“ bis hin zu „kein Zusammenhang zwischen Zucker und ADHS“ reichen.
Einige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass ein hoher Blutzuckerspiegel nach dem Konsum von Zucker bei empfindlichen Kindern zu einem Blutzuckerabfall führen kann. Es ist aber auch wichtig zu beachten, dass Zucker oft in aufregenden Situationen konsumiert wird, wie Kindergeburtstagen oder Festen, was die Beobachtung erschwert.
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Metaanalysen haben gezeigt, dass ADHS durch eine Kombination von genetischen Risiken und Umweltfaktoren verursacht wird. Eine Studie, die das Erbgut von über 20.000 Menschen mit ADHS und über 35.000 ohne ADHS analysierte, bestätigte die Vererbbarkeit von ADHS. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jeder mit einem genetischen Risiko automatisch ADHS entwickelt. Viele Menschen denken, dass ein hoher Zuckerkonsum ADHS auslösen kann. Studien konnten das jedoch nicht belegen.
Die Rolle von Dopamin und Impulskontrolle
Ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern im Gehirn, insbesondere ein Dopaminmangel, wird als ein Faktor bei der Entwicklung von ADHS angesehen. Dopamin reguliert Stimmung, Motivation, Belohnungssystem und Gedächtnis. Menschen mit ADHS haben oft niedrigere Dopaminspiegel oder eine verminderte Aktivität in den dopaminergen Signalwegen des Gehirns.
Aufgrund des Dopaminmangels im ADHS-Gehirn kann es zu einem verstärkten Verlangen nach Aktivitäten kommen, die Dopamin freisetzen. Das erklärt, warum Menschen mit ADHS oft impulsiv nach Belohnungen suchen, und Schwierigkeiten haben, ihre Impulse zu kontrollieren. Das Bedürfnis nach Dopamin kann auch zu Heißhungerattacken führen, insbesondere auf Nahrungsmittel, die schnell verfügbares Dopamin liefern, wie z. B. Zucker.
Es ist wichtig zu verstehen, dass der kurzfristige Genuss von Lebensmitteln mit hohem Dopamingehalt zwar vorübergehend die Dopaminfreisetzung im Gehirn erhöhen kann, aber langfristig negative Auswirkungen haben kann. Eine unausgewogene Ernährung, die reich an zucker- und fettreichen Lebensmitteln ist, kann zu Gewichtszunahme, schlechterer Konzentration und einer Verschlechterung der ADHS-Symptome führen.
Zucker und Verhalten: Ein Teufelskreis?
Ein erhöhter Zuckerkonsum kann zu einem verstärkten Verlangen nach Zucker führen. Bei Kindern mit verminderter Impulskontrolle kann dies zu einem ungesunden Maß an Zucker in der Ernährung führen. Eine Studie an Ratten deutete darauf hin, dass eine zuckerreiche Ernährung die Fähigkeit zur Verhaltenskontrolle und Entscheidungsfindung beeinträchtigen kann, was sich auf inhibitorische Neuronen und die Freisetzung von GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) auswirken kann. GABA ist ein Neurotransmitter, der beruhigende Wirkungen haben und für eine entspannte Gefühlslage verantwortlich sein soll. Ist diese Funktion gestört, kann das theoretisch Schlafprobleme, schlechtere Impulskontrolle und emotionale/soziale Schwierigkeiten begünstigen.
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Strategien für einen gesunden Umgang mit Zucker
Es ist ratsam, den Zuckerkonsum in der Ernährung zu regulieren bzw. zu limitieren. Ein hoher Zuckerkonsum kann das Risiko für Krankheiten wie Diabetes Typ II und Übergewicht erhöhen und möglicherweise ADHS-Symptome verschlimmern.
Um den Dopaminmangel im ADHS-Gehirn auszugleichen und die Symptome zu lindern, ist es wichtig, gesunde Gewohnheiten zu entwickeln. Regelmäßige körperliche Aktivität ist eine der effektivsten Möglichkeiten, um den Dopaminspiegel im Gehirn zu erhöhen. Sport und körperliche Bewegung fördern die Freisetzung von Dopamin und können dazu beitragen, die Symptome von ADHS zu verbessern. Darüber hinaus kann eine ausgewogene Ernährung, die reich an nährstoffreichen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und magerem Protein ist, helfen, die allgemeine Gehirnfunktion zu unterstützen. Diese Lebensmittel liefern wichtige Nährstoffe, die für die Dopaminproduktion und -regulation im Gehirn erforderlich sind. Es ist ratsam, eine Ernährung zu wählen, die den Blutzuckerspiegel stabil hält, da Blutzuckerschwankungen die Dopaminproduktion beeinflussen können.
Die oligoantigene Diät: Ein individueller Ansatz
Bestimmte Lebensmittel können ADHS verschlimmern. Welche man meiden sollte, ist individuell verschieden. Eine oligoantigene Diät und ein Ernährungstagebuch können helfen, ADHS-Symptome zu bessern. Grundsätzlich kann ADHS nicht durch eine Ernährungsumstellung geheilt werden. Die Therapie bei ADHS muss individuell auf den einzelnen Betroffenen abgestimmt werden. Das gilt auch für die Ernährung. Auf Dauer meiden sollten Betroffene immer nur die Nahrungsmittel, gegen die eine Unverträglichkeit vorliegt oder die die ADHS-Symptomatik verschlimmern. Der Grund: Wer dauerhaft auf zu viele Nahrungsmittel verzichtet, der versorgt seinen Körper nicht mehr mit allen nötigen Nährstoffen - Mangelernährung droht. Dies gilt erst recht für Betroffene, die Medikamente gegen ADHS einnehmen, was sich nicht selten appetitmindernd auswirkt.
Der ernährungsmedizinische Ansatz bei ADHS ist die sogenannte oligoantigene Diät. Über einen Zeitraum von vier Wochen (Auslassphase) werden sämtliche potenziell problematischen Lebensmittel komplett ausgelassen: Kuhmilch und Kuhmilchprodukte, Ei, Fisch, Soja, Nüsse, glutenhaltiges Getreide sowie jegliche Art von Zusatzstoffen. Das bedeutet etwa Farb- oder Süßstoffe, wie sie oft in verarbeiteten Fleisch- und Wurstwaren, Fertiggerichten und Fast Food enthalten sind. Anschließend werden Eier, Fisch etc. einzeln - mit zwei Wochen Abstand - wieder in den Speiseplan aufgenommen und genau beobachtet, wie der Körper reagiert. Verträgliche Lebensmittel dürfen wieder regelmäßig auf den Speiseplan. Grundsätzlich, also dauerhaft reduziert werden sollten bei ADHS in jedem Fall hoch verarbeitete Lebensmittel mit Zusatzstoffen und allzu Zuckriges.
Appetitmangel wie auch unregelmäßige, einseitige Mahlzeiten können auf Dauer zu Infektanfälligkeit führen, zudem kann der Omega-Index sich verschlechtern - das heißt, die Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren. Die sind laut Ernährungsmediziner Matthias Riedl ganz besonders wichtig für die Psyche und unser Verhalten. Zudem dienen diese Fettsäuren als Zellbaustein für die allgemeine Regeneration. Entzündungshemmende Antioxidantien stecken in Gemüse und Obst (Verträglichkeit beachten).
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Studien haben gezeigt, dass mit Hilfe einer speziellen Diagnosediät, der oligoantigenen Diät, herausgefunden und behandelt werden kann, ob und welche Lebensmittel bei Kindern zwischen sieben und achtzehn Jahren mit ADHS dazu beitragen, die Symptome zu verstärken. Bei den 24 Kindern, die bisher an der Studie teilgenommen haben, verbesserte sich die Symptomatik der ADHS nach dieser Diät im Schnitt deutlich. Etwa 60 Prozent der Kinder verbessern sich um mehr als 40 Prozent.
Die oligoantigene Diät ist auf jeden Patienten speziell zugeschnitten. Das Ziel ist es, einzelne unverträgliche Lebensmittel zu identifizieren. In der darauf folgenden Wiedereinführungsphase werden die Lebensmittel wieder einzeln in die Ernährung aufgenommen. So kann genau ermittelt werden, auf welches Lebensmittel das Kind reagiert. Diese Phase dauert in der Regel drei bis vier Monate. Oft sind es gleich mehrere Lebensmittel, die bei den Kindern Symptome auslösen. Im täglichen Speiseplan müssen diese dann vermieden werden, um die Symptome der Störung dauerhaft deutlich zu verbessern.
Bei der sehr individuellen oligoantigenen Diät sind ausgewählte Obst- und Gemüsesorten, manche Getreidearten, Reis und Kartoffeln, aber auch zwei Geflügelsorten oder Lamm erlaubt. Kuhmilch, Eier, Fisch, Soja und Nüsse sind jedoch tabu. Ganz auf Süßes müssen die Kinder nicht verzichten: „Rohrzucker ist im Zusammenhang mit der Diät erlaubt“, betont Professor Fleischhaker. „Wir stellen zahlreiche Rezepte zur Verfügung, die als wirklich tolle Alternativen genutzt werden können“, ergänzt er. Die Diät bedeute keinen Verzicht auf Genuss und hätte auch keine Einschränkung in der Energiezufuhr, sondern stelle einfach ein vierwöchiges „anders Essen“ dar, wie beispielsweise im Urlaub in einem fremden Land.
Strategien zur Selbstregulation bei Impulsivität (Dr. Russell A. Barkley)
Dr. Russell A. Barkley, ein renommierter Experte auf dem Gebiet von ADHS, hat verschiedene Strategien vorgeschlagen, um mit Impulsivität umzugehen:
- Identifiziere auslösende Situationen: Mach eine Liste von Situationen, in denen du dich am ehesten impulsiv verhältst. Das können bestimmte Orte, Aktivitäten oder soziale Situationen sein. Indem du diese Situationen erkennst, kannst du dich besser darauf vorbereiten und alternative Reaktionsweisen entwickeln.
- Bewusstsein schaffen: Wenn du dich in einer impulsiven Situation befindest, versuche, dir bewusst zu machen, dass du dazu neigst, impulsiv zu handeln. Dieses Bewusstsein kann dir helfen, einen Moment innezuhalten und über deine Handlungen nachzudenken, bevor du reagierst.
- Pause machen: Bevor du auf einen Impuls reagierst, nimm dir einen Moment Zeit, um innezuhalten und tief durchzuatmen. Dies kann dir helfen, dich zu beruhigen und eine impulsive Handlung zu unterbrechen. Bevor du jemandem antwortest, atme langsam ein, atme langsam aus, setze einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf und sage zu dir selbst: "Nun, lass mich darüber nachdenken." Lege einen Finger für ein paar Sekunden auf deinen Mund, als ob du überlegen würdest, was du sagen wirst. Paraphrasiere, was dein Chef oder Familienmitglied gesagt hat: "Oh, Sie wollen also etwas über …" oder "Du bittest mich, um…" Stell dir vor, du verschließt deinen Mund mit einem Schlüssel, um dich am Sprechen zu hindern.
- Ablenkung nutzen: Lenke deine Aufmerksamkeit auf etwas anderes, um den Impuls abzulenken. Das kann zum Beispiel sein, in Gedanken bis zehn zu zählen, einen Spaziergang zu machen oder mit einem Gummiband zu spielen.
- Alternative Handlungen finden: Überlege dir im Voraus alternative Handlungen oder Reaktionen auf impulsives Verhalten. Wenn du beispielsweise merkst, dass du dazu neigst, in einem Gespräch impulsiv zu unterbrechen, könntest du dir vornehmen, stattdessen zuzuhören und erst dann zu antworten, wenn dein Gegenüber fertig gesprochen hat.
- Strategien zur Selbstregulation entwickeln: Arbeite an Techniken zur Selbstregulation, wie zum Beispiel Entspannungsübungen, Meditation oder Achtsamkeitstraining. Diese Techniken können dir helfen, deine Impulse besser zu kontrollieren und bewusster zu handeln.
- Unterstützung suchen: Sprich mit deinem Arzt oder Therapeuten über deine Impulsivität. Sie können dir weitere Tipps und Strategien zur Selbstkontrolle geben und dich bei Bedarf auch bei der Medikation unterstützen.
Es ist wichtig zu beachten, dass diese Strategien Zeit und Übung erfordern. Russell empfiehlt: “Sei geduldig mit dir selbst und erkenne an, dass es normal ist, Rückschläge zu haben. Mit der Zeit kannst du lernen, die Impulsivität besser zu managen und alternative Verhaltensweisen zu entwickeln”.
Darm-Hirn-Achse und ADHS
Durch ein gestörtes Darmmikrobiom sowie Entzündungen im Darm, so vermuten Wissenschaftler, könnten das Gehirn und die psychische Gesundheit beeinträchtigt und die ADHS-Symptome verstärkt werden. Denn bekannt ist inzwischen, dass Darm und Gehirn über Nervenbahnen, die sogenannte Darm-Hirn-Achse, miteinander kommunizieren. Das Gehirn steuert die Darmfunktion, während der Darm Einfluss auf unser Nervensystem und unsere Psyche hat. In einem gesunden Darmmikrobiom bauen nützliche Bakterien Ballaststoffe aus der Nahrung zu kurzkettigen Fettsäuren ab, die für die Gehirnfunktion wichtig sind.
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