Agitation bei Demenz: Ursachen und Behandlungsansätze

Agitation bei Demenz äußert sich häufig durch starke innere Unruhe und Bewegungsdrang, ein Verhalten, das für Angehörige und Pflegekräfte sehr belastend sein kann. Wer jedoch versteht, was hinter dieser Erregung steckt, kann angemessen und einfühlsam darauf reagieren.

Was ist Agitation?

Unter Agitation (auch Agitiertheit genannt) versteht man einen Zustand innerlicher Erregung, der sich durch einen unstillbaren Bewegungsdrang zeigt. Betroffene laufen ruhelos auf und ab, zappeln, zupfen an ihrer Kleidung oder hantieren ziellos mit Gegenständen. Auch Zittern kann eine Form von Agitation sein. In der Psychologie fasst man diese Symptome unter dem Begriff „gesteigerte Psychomotorik“ zusammen. Innere Anspannung und Unruhe können sich in motorischer Aktivität zeigen, die über das gemeinhin als „normal“ angesehene Maß hinausgehen. Die Grenze für die Definition von Agitiertheit kann somit schwierig festgelegt werden. Häufig tritt Agitiertheit als Komplikation einer Erkrankung auf.

Agitation und Demenz

Agitation kann in Verbindung mit unterschiedlichen Krankheiten, Medikamenten oder auch einem Drogenentzug auftreten, besonders häufig ist sie jedoch bei einer fortgeschrittenen Demenz zu beobachten. Die Betroffenen erleben dabei eine starke Anspannung und sind nicht in der Lage, sich selbst zur Ruhe zu bringen. Bei einer Demenz entwickeln zwischen 76 und 96 % aller betroffenen Patienten im Verlauf der Erkrankung Symptome wie Aggressivität, Unruhe, Enthemmung, Affektlabilität oder Apathie. Diese Symptome bestehen neben kognitiven Einschränkungen und werden als „Verhaltensstörung bei Demenz“, „nichtkognitive Symptome“ oder „herausforderndes Verhalten“ bezeichnet.

Hinlauftendenz statt Weglauftendenz

Während Menschen ohne kognitive Einschränkungen ihr Verhalten bewusst steuern können, ist das bei agitierter Demenz nicht mehr möglich. Besonders bei fortgeschrittener Erkrankung treten Bewegungsdrang und innere Unruhe verstärkt auf, auch nachts. Betroffene verlassen ihr Bett, Zimmer oder sogar die Wohnung, oft mit der Überzeugung, einer Aufgabe nachgehen zu müssen: zur Arbeit zu fahren, die Kinder abzuholen oder Einkäufe zu erledigen.

Diese Weglauftendenz wird von Fachleuten oft treffender als „Hinlauftendenz“ bezeichnet, denn das Verhalten folgt einem inneren Ziel, das jedoch nicht realisierbar ist. Orientierungslosigkeit macht diese Situationen für Angehörige besonders herausfordernd, da sie mit Sorge, Stress und hoher Belastung einhergehen.

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Hinzu kommt, dass den Betroffenen oft nicht nur der räumliche, sondern auch der zeitliche Bezug fehlt. So kann es vorkommen, dass sie nachts frühstücken möchten oder tagsüber schlafen wollen. Auf Hinweise reagieren sie unter Umständen gereizt oder aggressiv - durch Schreien, Wegdrängen oder hektische Gesten. Das ist für das Umfeld emotional und körperlich fordernd.

Ursachen von Agitation bei Demenz

Die Pathogenese der Verhaltensstörung ist multifaktoriell. Bezüglich biologischer Ursachen wird die metabolische Hypothese favorisiert, bei der von einer Dysregulation der Hypophysen-Hypothalamus-Nebennierenrinden-Achse („Stress-Achse“) und einer resultierenden Imbalance im Transmittersystem mit Auftreten von Wahn (Dopamin) und depressiver Symptomatik (Serotonin) ausgegangen wird. Die Atrophie im Bereich der Nucleus raphe dorsalis (Serotoninmangel) kann ebenfalls zu affektiven Symptomen führen. Die frühzeitige Atrophie des paralimbischen Systems, wie bei Alzheimer-Demenz, kann durch den Eingriff in das dopaminerge Stoffwechselsystem zu Aggressivität durch Wahnsymptome (Vergiftung, Bestehlung) führen, während die Aggressivität bei fronto-temporaler Demenz eher durch Enthemmungsphänomene entsteht. Affektlabilität (Stimmungsschwankungen) bei vaskulären Demenzen kann ebenfalls Aggressivität verursachen. Eine solche ätiologische Unterscheidung der Aggressivität kann hilfreich sein, um differenziert zu therapieren.

Ein häufiger Auslöser von Agitation bei Demenz kann Schmerz sein. Da viele Betroffene diesen nicht mehr in Worte fassen können, äußert sich ihr Unwohlsein über agitierte Verhaltensweisen. Daher ist es wichtig, zunächst körperliche Ursachen zu prüfen und bei Bedarf eine gezielte Schmerztherapie einzuleiten.

Weitere Ursachen können sein:

  • Somatische Ursachen: Schmerzen (z.B. durch Stürze, Frakturen, Zahnprobleme), Harnwegsinfekte, Hyperthyreose, Neuroleptika-Überdosierung, internistische Erkrankungen.
  • Psychologische und Umfeld-assoziierte Ursachen: Defizitorientierter Umgang mit dem Erkrankten, Desorientierung, Wortfindungsstörungen, veränderte Wahrnehmung der Umwelt, Traumata, psychosoziale Belastungen (Verlust, Umzug).
  • Psychische Erkrankungen: Psychose, Schizophrenie, bipolare Störung, Angst- und Panikstörungen, Depression (agitierte Depression), alkoholverursachtes Delirium.
  • Substanzen: Einnahme oder Entzug von gewissen Substanzen (z.B. Antidepressiva, illegale Drogen, Alkohol).
  • Neurologische Erkrankungen: Morbus Parkinson, Epilepsie, Hirnhautentzündungen, Hirntumor, Schädel-Hirn-Trauma.
  • Weitere organische Ursachen: Unterzuckerung, Überfunktion der Schilddrüse, Sauerstoffmangel, Elektrolyt-Entgleisung.

Diagnostik von Agitation bei Demenz

Zunächst sollte die Verhaltensstörung als solche identifiziert und zugeordnet werden. Der Demenztyp ist zu beachten. Alzheimerkranke zeigen durch die limbische und paralimbische Atrophie Wahnsymptome oder Halluzinationen und durch frühzeitige Involvierung der hinteren Raphekerne Depressivität. An fronto-temporaler Demenz Erkrankte erleiden frühzeitig Enthemmungsphänomene und emotionale Indifferenz. Vaskuläre Demenzerkrankungen können durch Affektlabilität imponieren, Lewy-Körperchen-Demenzen durch ausgeprägte, wenig affektbeladene, szenische Halluzinationen.

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Die Abgrenzung vom Delir als Verwirrtheitszustand mit organischer Ursache, Bewusstseinsänderung, gestörter Aufmerksamkeit, vegetativen Symptomen und anderen kognitiven Defiziten ist notwendig. Ein Kriterium der Abgrenzung von Verhaltensstörungen ist die Unfähigkeit, Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, sie zu verlagern oder aufrechtzuerhalten.

Wichtig ist, die beschriebenen somatischen Komorbiditäten zu erkennen und zu behandeln. Auslösende Faktoren und Situationen sind mittels Fremdanamnese konkret zu identifizieren. Ein Patient mit fortgeschrittener Demenz, der seine verstorbene Ehefrau sucht und permanent hört, dass sie „doch tot“ sei, wird zwangsläufig Verhaltensstörungen entwickeln. Ein psychischer Befund ist hilfreich. Zu achten ist auf Wahnerleben, Stimmungsschwankungen, Appetitverlust und Schlafstörungen. Spezifische Skalen können zur Beurteilung von Ursachen (zum Beispiel Schmerzen, Depression) und Schweregrad der Verhaltensstörungen eingesetzt werden.

Therapie von Agitation bei Demenz

Die Therapie von Verhaltensstörungen sollte im therapeutischen Gesamtkonzept aufeinander abgestimmter nichtmedikamentöser und medikamentöser Behandlungsansätze durchgeführt werden. Im ersten Schritt erfolgt die Psychoedukation aller beteiligten Personen in validierendem, ressourcenorientiertem Umgang. Dann müssen auslösende Faktoren und Situationen erkannt und vermieden werden.

Psychopharmaka sollten dann eingesetzt werden, wenn die nichtmedikamentösen Interventionen nicht effektiv waren. Zuvor muss eine gründliche somatische Abklärung erfolgen. Es sollte nicht vordergründig gefragt werden „Welches Medikament soll der Patient bekommen?“, sondern „Was hat er eigentlich?“.

Nichtmedikamentöse Therapie

Zu psychosozialen Interventionen liegen evidenzbasierte Daten vor. Effektstärken für Erinnerungstherapie, Ergotherapie, körperliche Aktivitäten und aktive Musiktherapie wurden publiziert.

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Zunächst müssen alle Personen, die an der Betreuung des Patienten beteiligt sind, eine Psychoedukation und Schulung erhalten, um einen defizitorientierten Umgang zu vermeiden. Mögliche Auslöser der Verhaltensstörungen durch das Verhalten der Bezugspersonen müssen reduziert werden. In der Kommunikation mit dem Kranken sind kurze, prägnante Sätze, eine flexible Wortwahl und eine sonore, angenehme Stimmlage hilfreich.

9 Tipps zur Linderung der Unruhe bei Agitation bei Demenz:

  1. Grundbedürfnisse erfüllen: Achte auf regelmäßiges Essen, Trinken, Schlafen und liebevolle Zuwendung.
  2. Schmerzen erkennen und behandeln: Körperliche Ursachen ausschließen.
  3. Bewegung ermöglichen: Spaziergänge, Gymnastik oder Tanzen helfen beim Ausleben des Bewegungsdrangs.
  4. Sichere Räume schaffen: Ermögliche Bewegung, ohne Gefahr für sich selbst oder andere.
  5. Struktur geben: Ein klarer Tagesablauf mit wiederkehrenden Ritualen kann Sicherheit vermitteln.
  6. Kleine Aufgaben einbinden: Aufgaben geben Sinn, Wertschätzung ist wichtig.
  7. Aromatherapie nutzen: Lavendel, Vanille oder Kamille wirken beruhigend.
  8. Musik einsetzen: Beruhigende Klänge fördern Entspannung.
  9. Beobachten und anpassen: Achte auf individuelle Reaktionen und passe Maßnahmen an.

Medikamentöse Therapie

Antidementiva und Psychopharmaka sind bei Verhaltensstörungen wirksam. Zuerst wird eine somatische Grunderkrankung medikamentös behandelt, wie zum Beispiel ein Harnwegsinfekt mit einem Antibiotikum. Die Psychopharmakotherapie der möglicherweise aus dem Harnwegsinfekt resultierenden Aggressivität ist symptomatisch und zeitlich begrenzt. Anticholinerg wirksame, sedierende und muskelrelaxierende Medikamente sollten gemieden werden, ebenso Medikamente mit hohem Interaktionspotenzial (PRISCUS-Liste).

Behandlung psychotischer Symptome, gesteigerter Psychomotorik und Aggressivität: Eine Neurolepsie erfolgt mittels hochpotent atypischer Neuroleptika, wenn akute Gefährdungssituationen oder schwere psychotische Symptome vorliegen. Eine langsame Aufdosierung („start low go slow“) über 1-2 Wochen und ein kurzfristiger Einsatz aufgrund zerebro- und kardiovaskulärer Risiken sowie erhöhter Mortalität sind zu beachten. Mittel der Wahl ist Risperidon (0,25 bis maximal 2 mg/Tag). Olanzapin, Quetiapin und Aripiprazol wirken auf Aggressivität, nicht jedoch auf Wahnsymptome. Olanzapin hat anticholinerge Nebenwirkungen.

Klassische Neuroleptika wie Haloperidol (erhöhtes Risiko für extrapyramidal motorische Nebenwirkungen) oder niederpotente Neuroleptika wie Melperon (Sedierung, Sturzrisiko) sollten kritisch verwendet werden.

Als Neuroleptika bei Demenz mit Lewy-Körperchen sind Clozapin und Quetiapin ohne Verschlechterung der Parkinsonsymptomatik geeignet. Benzodiazepine sollten allenfalls kurzfristig eingesetzt werden. Es bestehen Abhängigkeitspotenzial, erhöhte Sturzgefahr sowie Depressiogenität. Wenn notwendig, sollten Oxazepam oder Lorazepam, die ihre Halbwertszeit im Alter nicht erhöhen, verwendet werden. Carbamazepin wirkt auf agitiertes und aggressives Verhalten, hat aber auch ein hohes Interaktionspotenzial. Valproinsäure zeigt keine Effekte bei agitiertem oder aggressivem Verhalten.

Behandlung affektiver Symptome und Apathie: Am besten sind Serotinwiederaufnahmehemmer zur Behandlung einer affektiven Symptomatik untersucht. Eine Hyponatriämie mit Verschlechterung kognitiver Defizite oder Delir kann gelegentlich auftreten. Fluoxetin und Paroxetin (hohes Interaktionspotenzial) oder Trizyklika (anticholinerge Nebenwirkungen) sollten gemieden werden. Citalopram zeigte Wirksamkeit. Keine randomisierten kontrollierten Studien existieren zu Mirtazapin, Escitalopram, Venlafaxin, Reboxetin und Duloxetin. Der Einsatz erfolgt als individueller Heilversuch. Trazodon und MAO-Hemmer zeigen in Einzelstudien eine Wirksamkeit. Trazodon hat einen positiven Effekt auf Angstzustände. Risiken sind Sedierung, hypertone Entgleisung und Priapismus. Die Behandlung der Apathie ist nicht ausreichend untersucht. Der Einsatz von Antidementiva als individueller Heilversuch kann jedoch hilfreich sein.

Schmerztherapie als möglicher Ansatz

Bei Patienten mit moderater bis schwerer Demenz können Agitation, Aggression und andere neuropsychologische Störungen durch eine systematische Schmerztherapie deutlich reduziert werden. In einer kontrollierten Cluster-Studie ging der Agitationsscore (Cohen-Mansfield Agitation Inventory, CMAI) in der schmerztherapeutischen Interventionsgruppe signifikant stärker zurück als in der Kontrollgruppe mit üblicher Pflege. Die Schmerztherapie sollte ein selbstverständlicher Baustein im Management von Patienten mit moderater bis schwerer Demenz sein. Dadurch könnte sich der bei diesen Patienten mit Risiken behaftete Einsatz von Antipsychotika vermindern lassen.

Umgang mit aggressivem Verhalten bei Demenz

Aggressives und scheinbar bösartiges Verhalten bei Demenz ist ein komplexes und oft missverstandenes Verhaltensmuster, das bei etwa 50 Prozent der Menschen mit Demenz auftreten kann. Hier spielt besonders die Frustration über den kognitiven Abbau sowie äußere Faktoren eine große Rolle. Auch wenn der Ausdruck vom „aggressiven Demenzerkrankten“ noch vielfach Verwendung findet, wird in der Fachwelt zunehmend versucht, darauf zu verzichten. Die Definition des Begriffes „Aggression“ beinhaltet, dass von „aggressivem Verhalten“ nur dann gesprochen werden kann, wenn dieses mit Absicht erfolgt. Aggression bedeutet also, dass ich etwas tue, um zielgerichtet einen anderen Menschen oder eine Sache zu schädigen, zu verletzen, zu beleidigen usw. Ein an einer Demenzursache erkranktes Gehirn jedoch verliert zumeist die Fähigkeit zu geplantem, zielgerichtetem, absichtsvollem Handeln. Die uns herausfordernden Verhaltensweisen von Demenzerkrankten sollten vielmehr als Affekt eingeordnet werden. Also als eine - oft heftige - Gefühlsregung, deren Ursache sehr viel mit Frustration der Erkrankten zu tun hat.

Ursachen sind häufig Verwirrung und Frustration, die direkt durch die Erkrankung selbst ausgelöst werden. Bitte beachten Sie, dass das demenzerkrankte Gehirn nur noch einen Input, eine Information - also zum Beispiel ein Geräusch in der Umgebung - verarbeiten kann. Schon ein nebenbei laufender Fernseher, Radio oder Gespräche von mehreren Personen gleichzeitig wie auch unsere Missbilligung und Kritik am Tun oder Lassen der Erkrankten, können zu Unruhe und heftigen Reaktionen der Betroffenen führen.

Weitere Ursachen für Aggressionen können sein:

  • Körperliche Schmerzen oder Unwohlsein
  • Zu viele Reize
  • Allgemeiner Stress und Überforderung

Wie sollten Angehörige mit Aggressionen bei Demenz umgehen?

  • Schaffen Sie eine ruhige Umgebung: Reduzieren Sie Lärm und Ablenkungen.
  • Vermeiden Sie Konfrontationen: Bleiben Sie ruhig und versuchen Sie, die Situation zu deeskalieren.
  • Suchen Sie nach den Ursachen: Was hat das aggressive Verhalten ausgelöst?
  • Sprechen Sie in kurzen, einfachen Sätzen: Verwenden Sie eine ruhige und beruhigende Stimme.
  • Seien Sie verständnisvoll: Versuchen Sie, sich in die Lage des Betroffenen hineinzuversetzen.
  • Holen Sie sich professionelle Hilfe: Wenn Sie überfordert sind, suchen Sie Unterstützung bei einem Arzt oder Therapeuten.

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