Epilepsien sind weit verbreitete neurologische Erkrankungen, von denen in Deutschland schätzungsweise 400.000 bis 800.000 Menschen betroffen sind. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten und manifestiert sich durch wiederholte epileptische Anfälle. Eine Epilepsie wird diagnostiziert, wenn mindestens zwei epileptische Anfälle aufgetreten sind oder nach einem ersten unprovozierten Anfall ein deutlich erhöhtes Risiko von mehr als 60 % für weitere Anfälle besteht.
Vielfalt der Epilepsieformen
Epilepsie ist ein vielschichtiges Krankheitsbild. Einige Patienten erleiden schwere Anfälle mit Bewusstseinsverlust, Stürzen undGeneralisierung. Andere wiederum erfahren sogenannte fokale Anfälle, die in bestimmten Hirnregionen ihren Ursprung haben. Fokale Epilepsien, bei denen die Anfälle immer wieder an derselben Stelle im Gehirn entstehen, machen etwa zwei Drittel aller Epilepsieerkrankungen aus. Ein Beispiel hierfür ist die Schläfenlappenepilepsie, bei der der Fokus häufig im Hippocampus liegt, einem Areal, das für Lernen, Gedächtnis und Emotionskontrolle von Bedeutung ist.
Herausforderungen in der Behandlung
Obwohl Epilepsien oft medikamentös gut behandelbar sind, erreicht etwa ein Drittel der Patienten keine Anfallsfreiheit durch Medikamente. Insbesondere bei fokalen Epilepsien ist die Wirksamkeit von Medikamenten häufig nicht zufriedenstellend, was den Bedarf an alternativen Behandlungsansätzen unterstreicht.
Innovative Therapieansätze und Studien
Gentherapie mit Dynorphin
Am heutigen Tag der Epilepsie berichtet Prof. Dr. Regine Heilbronn von EpiBlok Therapeutics GmbH über eine vielversprechende neue Gentherapie. Hierbei wird ein Adeno-assoziiertes Virus (AAV) genutzt, um das Gen für das Neuropeptid Dynorphin gezielt in Neurone der betroffenen Hirnregion zu transportieren. Das Ziel dieser Therapie ist die langfristige Unterdrückung von Anfällen, indem die Nervenzellen Dynorphin auf Vorrat produzieren und bei Bedarf ausschütten.
EpiBlok entwickelt einen Genvektor, der epileptische Anfälle am Ort der Entstehung verhindern kann. Die schonende Einmaltherapie wird nur zum Zeitpunkt der Anfallsentstehung aktiviert. Es handelt sich um einen AAV-basierten Genvektor, der schützende Neuropeptide fokal produziert und speichert. Diese werden nur bei starker Erregung freigesetzt, wie zu Beginn eines Anfalls.
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Die Vision von EpiBlok ist es, die heute üblichen Therapien von fokalen Epilepsien mit antiepileptischen Medikamenten mit starken Nebenwirkungen oder mittels invasiver Operationen in Zukunft durch ihre lokale, minimal-invasive, und ‚on demand‘ erfolgende Therapie abzulösen. Das Unternehmen wird derzeit durch das GO-Bio-Förderprogramm unterstützt, um den Genvektor zu validieren und ihn als minimalinvasive Einmaltherapie klinisch zu prüfen und zulassungsfähig zu machen.
PerEpi: Nicht-invasive Verfahren zur Anfallsursprungs-Lokalisierung
Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist das Projekt PerEpi, das sich auf die Entwicklung nicht-invasiver Verfahren zur präziseren Lokalisation der Anfallsursprungszone im Gehirn konzentriert. Bisher wird zur Lokalisierung des Anfallsursprungs meist ein Elektroenzephalogramm (EEG) eingesetzt. Kann der Anfallsursprung gefunden werden, kann die betroffene Zone chirurgisch entfernt oder zerstört werden. Doch oftmals lässt sich die Zone nicht exakt genug lokalisieren oder aber sie steuert elementare Funktionen wie die Sprachfähigkeit und kann daher nicht operiert werden.
Statt des bislang üblichen EEG soll nun eine Kombination aus einem hochaufgelösten EEG und zwei weiteren Bildgebungsverfahren genauere Ergebnisse liefern. Durch die Kombination von Daten, die neben der elektrischen Aktivität auch die auftretenden Magnetfelder abbilden (Magnetoenzephalogramm, MEG), kann durch komplexe mathematisch-physikalische Berechnungen die Lokalisation der Anfallsursprungszone im Gehirn optimiert werden.
Das Besondere am Vorhaben PerEpi: Das Projekt befasst sich nur mit Verfahren, die ohne physisches Eindringen in den Körper der Patientinnen und Patienten auskommen (sogenannte nicht-invasive Verfahren). Die in diesem Vorhaben erforschten Methoden sollen die Grundlage für weitere Entwicklungsarbeiten sein, die langfristig dazu dienen, die Anfallsursprungszone im Gehirn von einzelnen Patientinnen und Patienten besser zu bestimmen. Außerdem könnte die hier erforschte Elektrostimulation Patientinnen und Patienten helfen, deren Epilepsie-Erkrankung weder durch Medikamente noch durch eine Operation behandelt werden kann.
Fokusstimulation mittels kombinierter Ströme
Am Epilepsiezentrum Freiburg wird eine Studie zur Fokusstimulation mittels kombinierter Wechselströme (100 Hz) und Gleichströme mittels eines neuen entwickelten, unter die Kopfhaut implantierten Gerätes durchgeführt. Hierbei wird mittels einer speziellen Elektrode im Laplace-Design eine besonders gute Eindringtiefe erreicht; der Generator wird - wie bei anderen Stimulationsformen - im Brustbereich platziert. Die Studie EASEE4YOU wird Patienten zwischen 12 und 18 Jahren mit fokalem Anfallsbeginn im Neocortex, der an der Außenseite des Gehirns liegt, angeboten. Patienten mit mindestens 3 fokal beginnenden Anfällen pro Monat, die auf Medikamente nicht ausreichend angesprochen haben, können teilnehmen.
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Weitere Studien und Forschungsansätze
- AURORA-Studie zur Vagusnervstimulation: In dieser Studie wird ein neu entwickeltes Gerät der belgischen Firma Synergia erprobt, das anstelle elektrischer Impulse Lichtleitung verwendet und daher ohne Einschränkungen auch dann eingesetzt werden kann, wenn Kernspintomographien erforderlich sind. Ferner wird es wöchentlich aufgeladen und benötigt keinen Batteriewechsel. In diese Studie können Patienten im Alter von >18 Jahren mit einer fokalen Epilepsie eingeschlossen werden, die trotz Pharmakotherapie unter beeinträchtigen Anfällen leiden.
- Studie zu Ganaxolone bei Tuberöser Sklerose: Eine Phase-III-Studie untersucht die Wirksamkeit von Ganaxolone zur Therapie der Epilepsie bei Patienten mit Tuberöser Sklerose. Patienten ab dem Alter von 1 Jahr können teilnehmen.
- Netzwerk "Multizentrische Studien in der Epileptologie" (MuSE): Dieses Netzwerk fördert den Austausch zwischen Forschern aus verschiedenen Bereichen der Epileptologie, um die Entwicklung neuer Studien und Therapieansätze voranzutreiben.
- EASEE®-PEARL-Beobachtungsstudie: Diese Studie sammelt Erfahrungswerte mit dem kommerziell verfügbaren EASEE®-System im Real World-Setting. Bei Patientinnen und Patienten, die aufgrund einer therapierefraktären fokalen Epilepsie mit dem EASEE®-System behandelt werden, sollen über einen längeren Zeitraum Effektivität und Verträglichkeit der Stimulationsbehandlung untersucht werden.
- STARS-Studie mit Alprazolam (Staccato®): Diese Studie untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit von Alprazolam (Staccato®) 2 mg bei Patienten mit stereotypen, prolongierten Anfällen.
- ToSEE-Studie mit Valproat vs. Levetiracetam: Im Rahmen der ToSEE-Studie werden ältere Erwachsene (ab 65 Jahre), die mit einem anhaltenden Status epilepticus ins Krankenhaus kommen, bei Versagen der 1. Stufe der Standardbehandlung (mit Benzodiazepinen) zufällig auf zwei Gruppen verteilt, von denen die eine mit Valproat, die andere mit Levetiracetam behandelt wird.
- X-TOLE2- und X-ACKT-Studien mit XEN1101: Diese Studien untersuchen die Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von XEN1101 als Zusatztherapie bei erwachsenen Patienten mit therapierefraktärer fokaler bzw. generalisierter Epilepsie.
- German Registry of Antiepileptic Drugs in Pregnancy with Epilepsy (GRAPE): Dieses Schwangerschaftsregister vergleicht die Sicherheit verschiedener Antiepileptika für das ungeborene Kind.
Piriformer Kortex (PC) und Anfallsfreiheit
Mit Unterstützung der DGfE konnten junge Mitglieder Forschungsprojekte abschließen oder im Rahmen des Fellowship Epileptologie Einblicke in andere Labore oder Epilepsiezentren gewinnen. Hierbei legten wir den Fokus auf den piriformen Kortex (PC). In bisherigen Studien, in denen eine häufigere Anfallsfreiheit bei Resektion größerer PC-Volumina beobachtet worden war, war der PC manuell auf einem 3D-T1 Bild definiert worden. In unserer Studie sollte die Frage geklärt werden, ob die o.g. Ergebnisse mit einer datengetriebenen, objektiveren Definition des PC reproduziert werden können. Weiterhin wurde untersucht, ob hierbei gegebenfalls das Resektionsausmaß einzelner Subregionen des PC besonders mit Anfallsfreiheit assoziiert ist.
Da der piriforme Kortex mittels strukturellem MRT nur unzureichend von umgebenden Arealen grauer Substanz abzugrenzen ist, generierten wir in einem ersten Schritt eine auf Konnektivitäts-Daten basierte Definition des piriformen Kortex. Dieser konnte so von der Amygdala, einschließlich ihrer kortikalen Subregionen, differenziert werden. Zudem stellten sich Subregionen innerhalb des PC dar, welche vorherige histologische Untersuchungen in Teilen bestätigen konnten.
In einem nächsten Schritt wurden die erhaltenen Subregionen des PC genutzt, um bei 33 operierten Patienten mit mesialer Temporallappenepilepsie die Assoziation der Resektion einzelner Areale mit einem ILAE I Outcome zu untersuchen (unveröffentlichte Ergebnisse). Hier bestätigte sich die Assoziation zwischen Resektionsausmaß innerhalb des PC und ILAE I- outcome, und zwar insbesondere in seinen anterioren Anteilen, welche dahingehend zuvor nicht explizit untersucht worden waren. Das Resektionsausmaß in der Amygdala und im Hippocampus war hingegen nicht mit Anfallsfreiheit vergesellschaftet.
Pharmakotherapie der Epilepsie: Aktuelle Leitlinien und Empfehlungen
Die Pharmakotherapie stellt einen Eckpfeiler in der Behandlung von Epilepsien dar. Ziel ist es, durch die Einnahme von Antiepileptika (ASM) Anfallsfreiheit zu erreichen und somit die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
Grundsätze der medikamentösen Therapie
- Monotherapie: Die initiale medikamentöse Epilepsietherapie erfolgt in der Regel als Monotherapie, um die Beurteilbarkeit von Wirksamkeit und Verträglichkeit zu vereinfachen.
- Langzeittherapie: Bei den meisten erwachsenen Patienten, bei denen eine medikamentöse Therapie begonnen wird, ist von einer lebenslangen Behandlung auszugehen.
- Wirksamkeit und Verträglichkeit: Bei der Auswahl des geeigneten Medikaments spielen sowohl die Wirksamkeit als auch die Verträglichkeit eine entscheidende Rolle. Wenn keine Anfallsfreiheit erreicht wird, ist die Verträglichkeit der ASM für Patientinnen und Patienten wichtiger als die Anfallsfrequenz.
- Therapieplanung: Die Therapieplanung setzt die Kenntnis des pharmakologischen Profils jeder Substanz voraus, um nach Möglichkeit, bezogen auf die individuellen Bedürfnisse, das bestmögliche Medikament zu identifizieren und im Verlauf beurteilen zu können, welche Begleitmaßnahmen erforderlich sind, um Wirksamkeit und Verträglichkeit zu optimieren.
- Stabile Serumkonzentration: Es wird eine möglichst stabile kontinuierliche Serumkonzentration angestrebt.
- Therapeutisches Drugmonitoring: Die Bedeutung des therapeutischen Drugmonitorings wird dabei v. a. bei der Beurteilung der initialen Monotherapie überschätzt. Sie dient dann nur der Sicherstellung der Adhärenz und kann bei einem günstigen Verlauf dazu dienen, den individuellen therapeutischen Bereich festzuhalten, unter dem Patientinnen und Patienten anfallsfrei bei einwandfreier klinischer Verträglichkeit sind.
Auswahl des geeigneten Antiepileptikums
Die Auswahl des geeigneten ASM erfolgt unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren, wie z.B. der Art der Epilepsie, des Alters und Geschlechts des Patienten, Begleiterkrankungen und möglicher Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.
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- Fokale Epilepsien: Leitlinienkonform wird bei fokalen Epilepsien im Erwachsenenalter bevorzugt Lamotrigin eingesetzt, entsprechend der Ergebnisse der SANAD-II-Studie. Die am häufigsten primär eingesetzte Alternative ist Levetiracetam.
- Generalisierte Epilepsien: Bei generalisierten Epilepsien ist Valproinsäure das wirksamste Medikament. Aufgrund des Risikos für Fehlbildungen und kognitive Beeinträchtigungen des Nachwuchses sollte Valproat bei Frauen im gebärfähigen Alter jedoch nur unter strengerIndikationsstellung und nach umfassender Aufklärung eingesetzt werden.
- Alternativen zu Valproat: Bei Frauen mit Kinderwunsch oder bei Kontraindikationen gegen Valproat können alternative ASM wie Lamotrigin oder Levetiracetam in Betracht gezogen werden.
Herausforderungen und Limitationen der Pharmakotherapie
- Fehlende Monotherapiezulassung für neuere ASM: Für einige hochwirksame neue ASM wie Brivaracetam, Perampanel oder Cenobamat besteht in Europa keine Monotherapiezulassung, obwohl deren Wirksamkeit und Verträglichkeit in placebokontrollierten Doppelblindstudien lediglich in der Zusatztherapie gezeigt wurde.
- Enzyminduktion: Einige ASM, insbesondere starke Enzyminduktoren wie Phenytoin, Phenobarbital und Carbamezepin, können bei längerer Einnahme zu einer Verminderung der Knochenstabilität (Osteoporose) führen.
- Wechselwirkungen: Die Therapieplanung setzt die Kenntnis des pharmakologischen Profils jeder Substanz voraus, um nach Möglichkeit, bezogen auf die individuellen Bedürfnisse, das bestmögliche Medikament zu identifizieren und im Verlauf beurteilen zu können, welche Begleitmaßnahmen erforderlich sind, um Wirksamkeit und Verträglichkeit zu optimieren.
Die Rolle der SANAD-Studien
Die SANAD-Studien ("standard and new antiepileptic drugs") haben wesentlich zur Auswahl der geeigneten ASM-Therapie beigetragen. In diesen randomisierten, offenen Studien wurde die Effizienz der Erstbehandlung mit verschiedenen ASM verglichen. Die bezüglich beider Studien erfolgreichsten ASM waren Lamotrigin für fokale und Valproat für generalisierte und unklassifizierte Epilepsien.
Bedeutung der Patientenaufklärung
Eine umfassende Aufklärung der Patienten über die Risiken und Vorteile der verschiedenen Therapieoptionen ist von entscheidender Bedeutung. Dies gilt insbesondere für Frauen im gebärfähigen Alter, die mit Valproat behandelt werden.
Langzeitstudie zur Wirksamkeit von Antiepileptika
Eine Längsschnittstudie mit 1.795 Epilepsiepatienten (9-93 Jahre), die zwischen 1982 und 2012 in einer Glasgower Klinik medikamentös behandelt wurden, untersuchte die Frage, ob neuere Antiepileptika die Prognose verbessern. Die Anfallsfreiheitsrate war in den drei untersuchten Zeiträumen (1982-1991, 1992-2001, 2002-2012) vergleichbar bei 61-64 %.
Zum Ende des Studienzeitraums waren 1.144 Patienten (63,7 %) seit mindestens einem Jahr anfallsfrei, darunter 993 (86,8 %) durch eine Monotherapie. Von der gesamten Studienpopulation blieben 906 Patienten (50,5 %) mit dem initial verschriebenen Antiepileptikum mindestens ein Jahr anfallsfrei.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Chance auf Anfallsfreiheit mit dem ersten Medikament etwa 50 % beträgt und dann kontinuierlich mit jedem weiteren sinkt. Etwa ein Drittel aller Patienten wird nicht anfallsfrei. Verträglichkeit und Wechselwirkungsprofil mancher neuer Medikamente seien im direkten Vergleich aber besser.