105 Jahre nach der Erstbeschreibung der Alzheimer-Krankheit stehen viele Forschungsansätze auf dem Prüfstand - die Tiermodelle, die Hypothesen zur Krankheitsentstehung und auch die Therapieansätze. Trotz erheblicher Fortschritte in den letzten 25 Jahren, die sich mit den molekularen Grundlagen dieser Form der Demenz und den daraus abzuleitenden Therapiestrategien befassen, bleibt ein Durchbruch aus, der den schleichenden Verlust der Hirnfunktionen dauerhaft stoppen kann. Die Alzheimer-Forschung steht vor großen Herausforderungen, bietet aber auch vielversprechende neue Ansätze.
Die Ernüchterung in der Alzheimer-Forschung
Die Alzheimer-Forschung hat in den letzten Jahrzehnten zwar Fortschritte gemacht, aber weder kann der schleichende Verlust der Hirnfunktionen dauerhaft gestoppt werden, noch gibt es Klarheit über den Pathomechanismus. "Das Wissen um die - wenn auch sehr begrenzten - Therapiemöglichkeiten demenzieller Erkrankungen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Es stehen heute eine Reihe nichtmedikamentöser Behandlungsformen und neu entwickelter Arzneimittel zur Verfügung, die das Fortschreiten kognitiver Störungen verzögern und dem Verlust an Alltagskompetenz entgegenwirken. Der große Durchbruch bei der Demenzbehandlung mit der Möglichkeit, den fortschreitenden degenerativen Prozess aufzuhalten, ist jedoch noch nicht gelungen“. Dieses Zitat aus dem Jahr 2005 trifft ebenso auf die Situation im Jahr 2011 zu und bleibt vorerst gültig.
Die Hoffnung auf neue Wirkstoffe, wie die Gamma-Sekretase-Inhibitoren, hat sich als trügerisch erwiesen. Eine große Phase-III-Studie mit Semagacestat musste mangels Effektivität abgebrochen werden. Die Substanz verhinderte zwar die Anhäufung von Amyloid-Plaques im Gehirn, steigerte aber nicht die geistigen Fähigkeiten der Probanden.
Die Amyloid-Hypothese auf dem Prüfstand
Die klassische Therapiehypothese, wonach sich durch Abbau der Amyloide die Krankheit bessern sollte, wird zunehmend hinterfragt. Dennoch werden Medikamente gegen Beta-Amyloide mit Nachdruck weiterentwickelt, darunter mehrere Antikörper.
Aktuelle Therapieansätze und Medikamente
Derzeit stehen den Alzheimer-Patienten vier synthetisch hergestellte Wirkstoffe zur Verfügung: Die drei Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil, Rivastigmin und Galantamin sowie der NMDA-Antagonist Memantine. Sie können den Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit verzögern und die Symptomatik etwas lindern. Auch Ginkgo biloba kann bei ausreichender Dosierung dazu beitragen, die Alltagsfähigkeiten zu verbessern.
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Zusammen mit den nichtmedikamentösen Maßnahmen gibt es für die 1,3 Millionen Demenzkranken in Deutschland somit zwar eine ganze Reihe von Hilfsangeboten - die aber weder einzeln noch in der Summe eine effektive Demenztherapie ergeben.
Die Alzheimer-Impfung: Ein holpriger Weg
Da die Erfolge der medikamentösen Therapie bisher dürftig sind, wird mit Hochdruck an einer Alzheimer-Impfung gearbeitet. Auch dieser Weg ist holprig: Bereits vor mehr als zehn Jahren wurde das Konzept einer aktiven Immunisierung entwickelt, bei der dem Patienten Fragmente der Alzheimer-Plaques zur Antikörper-Bildung injiziert werden, es wurde dann aber wegen schwerer Nebenwirkungen (Enzephalitis) relativ rasch wieder aufgegeben.
Um das Problem der Autoimmunität zu umgehen, setzten Wissenschaftler fortan auf die passive Immunisierung mit Antikörpern, die die Alzheimer-Plaques angreifen. Zurzeit laufen international 40 klinische Studien mit mehr als zehn verschiedenen Antikörpern und insgesamt mehr als 10 000 Patienten. Andere Impfstoff-Kandidaten werden noch im Mausmodell geprüft.
Parallel dazu wird weiter an einer aktiven Immunisierung geforscht. So hat Ende 2010 eine europäische Phase-II-Studie mit dem Impfstoff AD02 begonnen, an der 420 Probanden mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz teilnehmen sollen. Der Impfstoff besteht aus einem „kurzen“ Peptid-Antigen, das keine T-Zell-Antwort auslöst und das Risiko einer humoralen Autoimmunität reduziert. Erste Ergebnisse zur Wirksamkeit werden Ende 2012 erwartet, sofern es mit der Rekrutierung der Probanden klappt.
Menschen mit dem gesuchten Profil, besonders dem Frühstadium von Alzheimer, sind schwer zu finden, da sich kaum jemand auf eine beginnende Demenz untersuchen lässt. Und selbst wenn alles nach Plan läuft - vermutlich werden noch fünf bis sieben Jahre vergehen, bis die Vakzine anwendungsreif ist. Auch gibt es Zweifel, ob die Stimulierung der körpereigenen Abwehr zur Auflösung der Amyloid-Plaques der richtige Weg ist oder ob nicht beim Abtransport der „ruhenden“ Plaques mit beträchtlichen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Der künftige Stellenwert einer Immunisierung gegen Morbus Alzheimer ist daher kaum einzuschätzen.
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Ursachenforschung und neue Tiermodelle
Die bisherige Alzheimerforschung hat viel zum Verständnis der neuronalen und biochemischen Prozesse im Verlauf der Erkrankung beigetragen, jedoch relativ wenig zur Aufdeckung der grundlegenden Pathomechanismen. „Bei 99 Prozent der Alzheimerpatienten ist die Ursache für ihre Erkrankung unbekannt“, sagt etwa Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Jens Pahnke von der Universität Rostock. Die sogenannte Beta-Amyloid-Kaskaden-Hypothese, wonach verklumpte Eiweißfragmente (Amyloide) den Neuronenabbau im Gehirn anstoßen, muss womöglich überarbeitet werden.
Auch ist nicht geklärt, welche Rolle das Tau-Protein bei der Krankheitsentstehung spielt. Dies mag erklären, warum die auf Amyloid und Tau fixierte pharmazeutische Forschung mit so herben Rückschlägen zu kämpfen hat - womöglich sind die genetischen und molekularbiologischen Zusammenhänge viel komplexer, als bisher angenommen. Zum Aufspüren bisher unbekannter, falsch interpretierter oder schlichtweg übersehener ätiologischer Faktoren könnten neue Tiermodelle nötig sein, deren Etablierung viel Zeit in Anspruch nehmen dürfte.
Fragen zum Einfluss von Umweltfaktoren auf die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz sind ebenso von Relevanz wie die Untersuchungen zur intrazerebralen Zell-Zell-Kommunikation und zur mitochondrialen Energieversorgung der Hirnzellen.
Neuroprotektion und zellulärer Energiestoffwechsel
Eine Verbesserung des zellulären Energiestoffwechsels, der durch mitochondriale Dysfunktion eingeschränkt ist, scheint eine vielversprechende Interventionsstrategie zu sein. Auch haben mehrfach gesättigte Fettsäuren womöglich eine mitochondriale Schutzfunktion. Ganz neu sind Hinweise, wonach die Synthese von Isoprenoiden bei Alzheimer-Patienten gestört sein könnte. Isoprenoide sind Intermediärprodukte im Cholesterinstoffwechsel, könnten aber auch die Funktion von neuronalen Signalmolekülen haben und über zelluläre Proteine die synaptische Plastizität modulieren.
Behandlungsstrategien, die auf eine Besserung der synaptischen Plastizität abzielen, versprechen im Moment wahrscheinlich am ehesten Erfolg. Darüber hinaus scheint die Reduktion der intrazellulären neurofibrillären Bündel noch immer eine mögliche Strategie zu sein.
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Die meisten Tiermodelle bilden die Einschränkung von synaptischer Plastizität und Neurodegeneration nur ungenügend ab. Hier hat man zu lange Tiermodelle akzeptiert, die zwar die Plaquebildung darstellen, aber die funktionell relevanten Veränderungen des Alzheimer-Patienten nicht zeigen.
Prävention: Risikofaktoren und Lebensstil
Da wir in diesem Jahrzehnt kaum mit bahnbrechenden Erfolgen in der Therapie des Morbus Alzheimer rechnen können, richtet sich der bange Blick auf die Prävention - was wurde bisher unternommen, um (womöglich vermeidbare) Risikofaktoren zu identifizieren? Der Enthusiasmus in diesem Forschungsbereich hält sich in Grenzen, da der Hauptrisikofaktor für die Erkrankung nun einmal das höhere Lebensalter ist. Mit einer Prävalenz von 35 Prozent bei den über 90-Jährigen könnte es sich bei der Alzheimer-Demenz um einen normalen Alterungsprozess handeln, der bei manchen Menschen - aus bisher unbekannten Gründen - zu geistiger Verwirrung führt und bei anderen weitgehend symptomlos verläuft.
Eine häufig zitierte US-amerikanische Studie („Nonnen-Studie“) mit 678 Frauen im Alter von 75 bis 106 Jahren hatte gezeigt, dass die Menge an Amyloid-Plaques im Gehirn wenig Rückschlüsse auf die kognitive Leistungsfähigkeit zulässt. Etwa ein Drittel der Nonnen mit postmortal deutlich nachweisbarer Alzheimer-Neuropathologie wiesen zu Lebzeiten keine Demenzsymptome auf. Umgekehrt waren manche Nonnen dement, hatten aber keine krankhaften Ablagerungen im Gehirn. Studienautor Dr. David Snowdon von der Universität Kentucky vermutet auf Basis dieser Daten, dass insbesondere Schlaganfälle das Risiko für Alzheimer erhöhen und für die Entstehung einer Demenz mindestens ebenso entscheidend sind wie die zunehmende Plaquebildung.
Lebensstiländerungen und Risikofaktoren
Zwei neue Studien stützen die These, dass sich das Risiko für Alzheimer-Demenz durch Modifikation des Lebensstils - und damit Absenkung des kardiovaskulären Risikos - senken lässt. So fand man in einer Metaanalyse von Daviglus M. et al. drei Risikofaktoren für Alzheimer (Diabetes mellitus, Hyperlipidämie in der Lebensmitte, Nikotinkonsum) sowie fünf Faktoren, die das Erkrankungsrisiko statistisch senken (Mittelmeer-Diät, Folsäure-Substitution, geringer bis mäßiger Alkoholkonsum, kognitives Training, Bewegungsaktivität). Die Korrelationsstärke war jedoch durchweg gering.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Wissenschafter der Universität Kalifornien, die nach Durchsicht relevanter Studien sieben mögliche Risikofaktoren für Alzheimer-Demenz fanden: Diabetes, Bluthochdruck oder Adipositas in der Lebensmitte, Nikotinkonsum, Depression, kognitive oder körperliche Inaktivität sowie geringe Bildung. Allerdings lassen sich damit höchstens die Hälfte aller Alzheimer-Erkrankungen erklären, wie die Autoren einräumen.
Ein Team um Dr. Susanne Steinberg von der Universität Pennsylvania schlug einen anderen Weg ein: Sie beschrieben die Biografien von Menschen, die noch im hohen Alter geistig fit sind. Den Befragten gemeinsam war eine gewisse Zähigkeit, die sich in hohen Widerstandswerten gegen Stress, Angst, Depression und psychische Traumabelastung zeigte. Diese sogenannte Resilienz könnte somit auch für die Weichenstellung im hohen Lebensalter noch eine Rolle spielen.
Das Risiko für Alzheimer-Demenz war bei den Probanden, die einen Sinn im Leben sahen und Zukunftspläne hatten, um 52 Prozent geringer als bei den Befragten mit eher negativen Erwartungen, wobei die Gruppen bezüglich Alter, Geschlecht und Bildung vergleichbar waren. Die Aufnahme etlicher Variablen wie Depressionsanamnese, Vorhandensein eines sozialen Netzwerkes und Multimorbidität brachten die Hazard-Modell-Rechnung nicht ins Wanken - die Optimisten hatten signifikant bessere Chancen, geistig auf der Höhe zu bleiben.
Neue Risikofaktoren und Präventionsstrategien
Im Juli hat eine Kommission des Fachmagazins Lancet Psychiatry 14 Risikofaktoren für Alzheimer zusammengetragen und die These aufgestellt, dass sich damit rund 45 Prozent aller Fälle vermeiden ließen. Neu hinzugekommen sind auf der Risikoliste: zu hohe Werte beim LDL-Cholesterin und Sehverlust. Schlechtes Sehen scheint genauso wie schlechtes Hören den Ausbruch von Alzheimer zu beschleunigen.
Aktuelle Entwicklungen und neue Medikamente
Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz, etwa 60 Prozent der Betroffenen haben die Demenzform Alzheimer. Bis 2070 könnten laut Robert Koch-Institut doppelt so viele Seniorinnen und Senioren an Alzheimer leiden wie im Moment. Auch wer gesund lebt, kann an Alzheimer erkranken. Aber der Ausbruch lässt sich vermutlich verzögern und vielleicht in manchen Fällen sogar verhindern, wenn man wichtige Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder Bewegungsmangel vermeidet.
In den vergangenen Monaten gab es vielversprechende Entwicklungen, aber auch Rückschläge. Jüngstes Beispiel ist der Wirkstoff Lecanemab. In Europa können Patienten Lecanemab aber nicht bekommen - die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat die Zulassung Ende Juli 2024 abgelehnt. Denn aus Sicht der Europäer ist die Wirkung ziemlich schwach, bestenfalls verzögert sich das Fortschreiten der Demenz um ein paar Monate. Gleichzeitig sind schwere Nebenwirkungen wie Schwellungen und Blutungen im Gehirn möglich. Die Risiken überwiegen laut EMA den Nutzen.
Das Wirkprinzip von Donanemab ist ähnlich wie bei Lecanemab - der positive Effekt könnte etwas größer sein. Grundsätzlich funktionieren beide neuen Wirkstoffe nur im Frühstadium von Alzheimer - man braucht also eine sehr gute Diagnostik. Außerdem müssen die Patientinnen und Patienten für die Infusionen in eine Klinik und die ganze Zeit engmaschig per Hirnscan überwacht werden. Das ist sehr teuer und aufwendig - eine große praktische Hürde.
Repurposing von Medikamenten
Eine spannende Richtung ist das "Repurposing", also die Umwidmung von Medikamenten. Es häufen sich vielversprechende Studien mit Diabetesmedikamenten. Gerade erst ist im British Medical Journal ein Artikel zu Gliflozinen und Alzheimer erschienen. Auch bei den neuen Abnehmspritzen wie Wegovy wird eine positive Wirkung vermutet. Studien dazu laufen bereits. Was bei den verschiedenen Wirkstoffen gegen Diabetes genau im Gehirn passiert, ist noch unklar.
Vor allem zwei Faktoren spielen vermutlich eine Rolle: Entweder liegt der positive Effekt daran, dass Entzündungsprozesse im Gehirn gebremst werden - Entzündungen fördern die Ablagerungsprozesse im Gehirn bei Alzheimer.
Impfstoffe gegen andere Erkrankungen
Eine Studie im Fachmagazin Nature Medicine hat bei mehr als 100.000 Menschen untersucht, wie sich Shingrix, der neue Impfstoff gegen Gürtelrose, auf den Ausbruch von Alzheimer auswirkt. Alle Probandinnen und Probanden wurden vier bis sechs Jahre beobachtet. Alzheimer wurde zwar auch bei einigen Geimpften diagnostiziert - aber im Schnitt rund ein halbes Jahr später als bei den Ungeimpften. Noch ist unklar, wieso das scheinbar funktioniert. Eine Theorie geht davon aus, dass die Impfung das Herpes-Zoster-Virus unterdrückt, das wohl eine Rolle bei der Entstehung von Alzheimer spielt.
Co-Pathologien und differenzierte Diagnostik
Bereits bei frühen Formen der Alzheimer-Krankheit, der sogenannten leichten kognitiven Störung, ist typischerweise ein verminderter Zuckerstoffwechsel des Gehirns zu beobachten. Diese Abnahme des Hirnstoffwechsels ist stärker ausgeprägt, wenn das Protein Alpha-Synuclein im Nervenwasser nachweisbar ist. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Universitätsmedizin Halle in der renommierten Fachzeitschrift „Alzheimer's & Dementia“. Die Analyse unterstreicht die Bedeutung parallel auftretender krankhafter Vorgänge, auch Co-Pathologien genannt, bei neurodegenerativen Erkrankungen. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit einer differenzierten Diagnostik, insbesondere angesichts neuartiger Therapieansätze bei der Alzheimer-Erkrankung, so das Studienteam.
Inzwischen weiß man, dass bei 20 bis 30 Prozent der Alzheimer-Betroffenen ein weiteres krankhaft verändertes Protein im Gehirn auftritt: Das Protein Alpha-Synuclein spielt auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie der Parkinsonkrankheit und der Demenz mit Lewy-Körperchen eine zentrale Rolle. „Alzheimer-Erkrankte mit Alpha-Synuclein als Co-Pathologie sprechen womöglich schlechter auf Therapien an, haben einen schnelleren kognitiven Verfall, abweichende klinische Verläufe und schlechtere Prognosen“, erklärt PD Dr. Christopher Weise, Letztautor der Studie und leitender Oberarzt in der Universitätsklinik und Poliklinik für Neurologie an der Universitätsmedizin Halle.
Eine sorgfältige diagnostische Unterscheidung ist aber nicht nur für den Erfolg zukünftiger Therapien wichtig, sondern auch für die Gruppeneinteilung in klinischen Studien. „Lange Zeit war es schwierig bis unmöglich, diese Erkrankten zu identifizieren. Inzwischen gibt es neue, aber noch sehr aufwendige Methoden, mit denen sich pathologisches Alpha-Synuclein im Nervenwasser nachweisen lässt“, erläutert Dr. Samir Abu Rumeileh, langjähriger Wissenschaftler auf dem Gebiet der Biomarker im Nervenwasser bei neurodegenerativen Erkrankungen, Erstautor der Studie und Oberarzt in der Neurologie der Universitätsmedizin Halle.
Verminderter Stoffwechsel von Hirnregionen
Patient:innen mit leichter kognitiver Störung und einem Nachweis von pathologischem Alpha-Synuclein im Nervenwasser zeigten eine deutlich reduzierte Hirnstoffwechselaktivität im Vergleich zu Betroffenen ohne Alpha-Synuclein. Dies betraf sowohl Alzheimer-typische Regionen als auch Hirnregionen, die üblicherweise bei der Demenz mit Lewy-Körperchen betroffen sind. Die gleichen Ergebnisse konnten ebenfalls bei der Personengruppe mit einer neurochemisch bestätigten Alzheimer-Krankheit beobachtet werden. Daraus lässt sich ableiten, dass die hirnschädigenden Prozesse, die bei der Alzheimer-Krankheit ablaufen, durch eine Co-Pathologie mit dem Protein Alpha-Synuclein verstärkt sind.
Forschungsprojekte und Initiativen
Die Alzheimer Forschung Initiative (AFI) fördert Forschungsprojekte des DZNE. Ein Forschungsteam befasst sich mit TREM2, einem Eiweiß-Molekül, das auf der Oberfläche der Immunzellen des Gehirns vorkommt. Ein anderes Team möchte mit Hilfe eines gentherapeutischen Verfahrens ein Risiko-Gen verändern und damit das Risiko für Alzheimer senken. Ziel eines weiteren Projekts ist es, mittels einer Technik der Erbgutanalyse namens GWAS genetische Risikofaktoren für die Frontotemporale Demenz (FTD) aufzuklären. Zudem wird untersucht, inwieweit Bluttests das Alzheimer-Risiko im frühen Stadium zuverlässig abschätzen können.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) unterstützt ebenfalls Forschungsvorhaben im Bereich Demenz. Im Rahmen des Projektes PraWiDem wurde 2022 eine Arbeitsgruppe Demenz und Forschung aufgebaut, die das Projekt kontinuierlich begleitet und aktuelle Forschungsfragen diskutiert hat.
Neuzugelassene Medikamente: Lecanemab (Leqembi)
Leqembi (Wirkstoff: Lecanemab) ist ein neues Medikament zur Behandlung der frühen Alzheimer-Krankheit. Es richtet sich an Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI) bei Alzheimer oder im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit. Seit April 2025 ist Leqembi in der EU zugelassen, in Deutschland aber noch nicht verfügbar. Derzeit laufen die Vorbereitungen für den Einsatz.
Lecanemab ist ein Antikörper-Wirkstoff, der gezielt eine Vorstufe der für Alzheimer typischen Amyloid-beta-Protein-Plaques im Gehirn erkennt und bindet. Dadurch wird das körpereigene Immunsystem aktiviert und baut die Plaques ab beziehungsweise verhindert die Bildung neuer Plaques. Ziel der Behandlung ist es, den geistigen Abbau bei Menschen im frühen Krankheitsstadium zu verlangsamen.
Voraussetzungen für die Behandlung mit Leqembi
Wer mit Leqembi behandelt werden kann, muss in jedem Einzelfall genau geprüft werden. Der Wirkstoff kommt nur für Menschen infrage, die sich im frühen Stadium der Erkrankung befinden und bislang nur geringe Einbußen ihrer geistigen Leistungsfähigkeit haben. Dazu zählen vor allem Personen mit einer Alzheimer-Diagnose im Stadium eines Mild Cognitive Impairment (MCI, zu Deutsch „leichte kognitive Störung“) oder im frühen Stadium einer Alzheimer-Demenz.
Die krankhaften Amyloid-beta-Ablagerungen müssen im Gehirn nachgewiesen werden - entweder durch eine Lumbalpunktion oder mittels Amyloid-PET. Auch genetische Voraussetzungen spielen eine Rolle: Erkrankte dürfen höchstens eine Kopie des sogenannten ApoE4-Gens tragen. Personen mit zwei Kopien sind wegen der erhöhten Gefahr für Hirnblutungen von der Behandlung ausgeschlossen. Leqembi eignet sich außerdem nicht für Menschen, die Gerinnungshemmer einnehmen. In Kombination mit dem Medikament steigt das Risiko für eine Hirnblutung deutlich.
Ablauf der Behandlung
Leqembi wird als Infusion (Tropf) alle zwei Wochen direkt in die Vene verabreicht. Die Behandlung dauert jeweils etwa eine Stunde. Vor Beginn und während der Behandlung sind MRT-Untersuchungen notwendig, um mögliche Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder kleine Blutungen im Gehirn frühzeitig zu erkennen.
Mögliche Nebenwirkungen
In Studien traten bei einem Teil der Teilnehmenden Nebenwirkungen auf - darunter Hirnschwellungen (ARIA-E) und Hirnblutungen (ARIA-H). Diese waren in den meisten Fällen symptomlos, wurden aber engmaschig kontrolliert. Bei den für die EU-Zulassung relevanten Patientengruppen - also Menschen mit höchstens einer Kopie des ApoE4-Gens - kam es in rund 13 % der Fälle zu Hirnblutungen und in 9 % zu Hirnschwellungen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen (11 %) und Infusionsreaktionen (26 %). In der Studie wurden drei Todesfälle gemeldet, von denen zwei mit der gleichzeitigen Einnahme von Gerinnungshemmern in Verbindung gebracht wurden.
Studienergebnisse und Bewertung
An der CLARITY AD-Studie hatten insgesamt 1.795 Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder leichter Alzheimer-Demenz teilgenommen. Ergebnis der Studie war, dass die Krankheit bei denjenigen, die Lecanemab erhielten, um 27 Prozent langsamer voranschritt als bei der Kontrollgruppe. Trotz der messbaren Wirksamkeit wird die Wirkung von Leqembi von vielen Expertinnen und Experten eher als moderat eingeschätzt. Es ist fraglich, inwieweit die Wirkung für die Betroffene spürbar ist und im Alltag einen Unterschied macht. Die Studie hat jedoch gezeigt, dass sich der verzögernde Effekt mit der Dauer der Einnahme zunimmt.
Herausforderungen und zukünftige Forschung
Trotz der Fortschritte in der Alzheimer-Forschung gibt es noch viele Herausforderungen. Die Ursachen der Krankheit sind noch nicht vollständig geklärt, und es gibt noch keine Therapie, die den Krankheitsverlauf aufhalten kann. Zukünftige Forschung muss sich auf die Aufklärung der Pathomechanismen der Alzheimer-Krankheit, die Entwicklung neuer Therapieansätze und die Identifizierung von Risikofaktoren und Präventionsstrategien konzentrieren.
Die Rolle der Arbeitsgruppe „Demenz und Forschung"
Menschen mit Demenz wollen mitreden und wollen gehört werden. Insbesondere dann, wenn es um ihre eigenen Belange geht. Dies gilt auch für die Forschung. Wenn in Forschungsprojekten Menschen mit Demenz im Fokus stehen, dann sollte die Forschung auch die Gedanken, Erfahrungen und das Wissen von Menschen mit Demenz einbeziehen.
Im Rahmen des Projektes PraWiDem, wurde 2022 eine Arbeitsgruppe Demenz und Forschung aufgebaut. Sie hat das Projekt kontinuierlich begleitet und einmal im Monat aktuelle Forschungsfragen diskutiert. Am 31.12.2024 endete das Projekt PraWidem.
Doch die gemeinsame Arbeit in der AG Demenz und Forschung sollte weitergehen, damit die wertvollen Erfahrungen nicht verloren gehen. Daher entschied sich die AG - gemeinsam mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft - die Arbeit fortzuführen.