Chemotherapie-induzierte periphere Neuropathie (CIPN) ist eine häufige und belastende Nebenwirkung von Krebsbehandlungen. Die Suche nach wirksamen Therapien ist daher von großer Bedeutung. Akupunktur, eine traditionelle chinesische Behandlungsmethode, rückt zunehmend in den Fokus der Forschung als mögliche Option zur Linderung der Symptome der CIPN.
Die Herausforderung: Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN)
Erkrankungen des peripheren Nervensystems sind weit verbreitet und können zu dauerhaften Beeinträchtigungen führen. Eine häufige Ursache ist die Chemotherapie, bei der bestimmte Zytostatika wie Vinca-Alkaloide, Platinderivate, Taxane sowie neuere Substanzen wie Bortezomib und Thalidomid eine Polyneuropathie als Nebenwirkung auslösen können. Oxaliplatin, ein platinhaltiges Chemotherapeutikum, verursacht in bis zu 92 % der Fälle eine CIPN.
Die Symptome der CIPN sind vielfältig und können motorische, sensible und autonome Nerven betreffen. Typischerweise äußern sie sich als Taubheitsgefühle, Kribbeln, einschießende und brennende Schmerzen, oft in einer socken- oder handschuhförmigen Verteilung von distal nach proximal aufsteigend. Diese Beschwerden können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen und eine langwierige Schmerztherapie erforderlich machen. Gangunsicherheiten können ebenfalls auftreten.
Bisher gibt es nur wenige etablierte Therapiemöglichkeiten zur Behandlung und Prophylaxe von Erkrankungen des peripheren Nervensystems in der westlichen Medizin. Daher besteht ein großer Bedarf an neuen Therapieoptionen.
Akupunktur als Therapieoption bei CIPN: Evidenz aus Studien
Die Akupunktur ist ein in der Schmerztherapie etabliertes Verfahren zur Behandlung akuter und chronischer Schmerzzustände. In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gibt es seit Jahrhunderten Strategien zur Behandlung von Polyneuropathien, die nun an die Erfordernisse der modernen evidenzbasierten Medizin angepasst werden.
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Die Akupunkturbehandlung der Polyneuropathie (PNP) ist als Therapieoption im Westen erst seit kurzem eingeführt worden, obwohl die WHO die Erkrankung bereits 1979 in die Liste der Erkrankungen aufgenommen hat, bei denen die Akupunktur als sinnvoll erachtet wird.
Einige Pilotstudien haben die Akupunktur bei der Behandlung von Polyneuropathien unterschiedlicher Erkrankungen, HIV, Diabetes und PNP unklarer Ursache untersucht, mit überwiegend positiven Ergebnissen für die Akupunktur. Unterschiedliche Fallserien und Pilotstudien konnten diese Wirkungen auch für die CIPN bestätigen.
Aktuelle Studien und Forschungsergebnisse
Das HanseMerkur Zentrum zur Erforschung der Akupunktur der Polyneuropathie leistet seit Jahren wichtige Arbeit auf diesem Gebiet. Die Techniker Krankenkasse (TK) verweist in einer Veröffentlichung auf ihrer Webseite auf eine Multicenter-Studie des HanseMerkur Zentrums, die in Zusammenarbeit mit der Charité Berlin durchgeführt wurde und die Wirksamkeit von Akupunktur bei diabetischer Polyneuropathie belegt (1). Diese Studie bestätigte die Ergebnisse der ACUDIN-Studie, in der sogar nachgewiesen werden konnte, dass Akupunktur die Nervenleitgeschwindigkeiten der Nerven verbessert (2).
Hervorgehoben wurde in dem Artikel der TK auch, dass Akupunktur auch bei Polyneuropathie durch Chemotherapie zur Krebstherapie wirkt. Dies ist ein Problem, welches bei fast allen Chemotherapeutika auftritt, insbesondere durch platinhaltige Chemotherapie für Tumoren des Magen-Darm-Traktes und bei Therapie mit „Taxanen“, die vor Allem für Brust- und Eierstockkrebs angewandt werden.
Eine randomisierte, kontrollierte Studie von Forschern um Dr. Ting Bao vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York untersuchte die Wirksamkeit von Akupunktur bei 75 Patienten mit mäßiger bis schwerer Polyneuropathie nach Chemotherapie. Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen aufgeteilt: echte Akupunktur, Scheinakupunktur und Standardbehandlung. Die Ergebnisse zeigten, dass die echte Akupunktur in allen Punkten signifikant stärker wirkte als die Standardbehandlung, insbesondere bei Schmerzen, Kribbeln und Taubheitsgefühlen. Die Scheinakupunktur schnitt lediglich bei den Taubheitsgefühlen besser ab als die konventionelle Behandlung. Der positive Effekt der echten Akupunktur hielt auch nach zwölf Wochen noch an.
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Eine weitere Studie, die in der Fachzeitschrift Phytomedicine veröffentlicht wurde, untersuchte die Auswirkungen von Akupunktur auf die CIPN anhand von neurophysiologischen und klinischen Ergebnissen. Die Ergebnisse dieser randomisierten, kontrollierten Cross-over-Studie zeigten, dass Akupunktur die Symptome der CIPN verbessern kann.
Eine systematische Überprüfung und Netzwerk-Metaanalyse von Yeh ML et al. untersuchte 33 Studien mit insgesamt 2027 Teilnehmern. Die Ergebnisse zeigten, dass akupunkturbezogene Interventionen der üblichen Versorgung, medikamentösen Behandlungen oder Nahrungsergänzungsmitteln bei der Verbesserung der CIPN-Symptome, CIPN-Schmerzen und der Lebensqualität überlegen waren. Die Netzwerk-Metaanalyse ergab, dass Akupunktur in Kombination mit elektrischer Stimulation (Elektroakupunktur) den größten Gesamteffekt unter den verschiedenen Interventionen hatte.
Vibrationstraining als ergänzende Therapieoption
Neben der Akupunktur wird auch das Vibrationstraining als mögliche Therapieoption für die CIPN untersucht. Studien haben gezeigt, dass Vibrationstraining Verbesserungen des Gleichgewichts, der Muskelkraft sowie der statischen und dynamischen Gleichgewichtskontrolle bewirken kann. Allerdings steht der Nachweis eines spezifischen Effekts für die CIPN noch aus.
Eine kontrollierte, randomisierte, offene klinische Studie im Parallelgruppendesign untersucht derzeit die Wirksamkeit einer standardisierten Körperakupunktur und eines standardisierten Vibrationstrainings zur Prävention der CIPN, ausgelöst durch oxaliplatinhaltige Chemotherapie bei abdominalen Tumoren.
Akupunktur in der S3-Leitlinie "Komplementärmedizin"
Die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin“ in der Behandlung onkologischer PatientInnen listet eine „Kann“-Empfehlung für die Behandlung mit Akupunktur bei der schmerzhaften Polyneuropathie. Die Empfehlung basiert im Wesentlichen auf einer Cochrane-Review von 2017 und zwei neueren „randomized controlled trials“ (RCTs).
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Fazit und Ausblick
Die vorliegenden Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Akupunktur eine vielversprechende Therapieoption zur Linderung der Symptome der Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie sein kann. Zwar müssen die Patienten die Kosten für Akupunktur noch selbst tragen, aber die aktuellen Studien könnten dies in Zukunft ändern.
Weitere Forschung ist jedoch erforderlich, um die Wirksamkeit von Akupunktur bei CIPN weiter zu bestätigen und die optimalen Behandlungsprotokolle zu ermitteln. Zukünftige Studien sollten auch die langfristigen Auswirkungen der Akupunktur auf die CIPN untersuchen und die potenziellen Vorteile von Akupunktur in Kombination mit anderen Therapieansätzen, wie z. B. Vibrationstraining, bewerten.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Akupunkturbehandlung von CIPN nur von qualifizierten und erfahrenen Therapeuten durchgeführt werden sollte. Patienten sollten sich vor Beginn einer Akupunkturbehandlung von ihrem Arzt beraten lassen, um sicherzustellen, dass diese für sie geeignet ist.
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