Akupunktur bei Schlaganfall: Eine kritische Betrachtung der Studienlage

Der Schlaganfall stellt in Deutschland die dritthäufigste Todesursache dar. Alternative Behandlungsmöglichkeiten wie die Akupunktur, die möglicherweise direkt an den Krankheitsursachen angreifen, könnten die Patientenversorgung einen entscheidenden Schritt voran bringen. Mittlerweile gibt es eine erkleckliche Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen zu der Frage, ob die Akupunktur auch bei der Behandlung des Schlaganfalls sinnvoll ist. Dieser Artikel beleuchtet die aktuelle Studienlage und gibt einen Überblick über die potenziellen Vorteile und Einschränkungen der Akupunktur bei der Behandlung von Schlaganfallpatienten.

Akupunktur: Ursprung und Wirkungsweise

Die Akupunktur ist Teil der Jahrhunderte alten traditionellen chinesischen Medizin (TCM). Ihre Wurzeln gehen bis in das dritte Jahrtausend vor Christus zurück. Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) beruht neben der Akupunktur auch auf einer spezielle Pflanzenheilkunde, auf Entspannungs- und Konzentrationstechniken (Qigong) und besonderen Formen der Massage. Sie geht davon aus, dass der menschliche Körper entlang bestimmter Bahnen (Meridiane) von Energie durchflossen wird. Diese Meridiane treten an verschiedenen Punkten an die Hautoberfläche (Akupunkturpunkte). Krankheiten entstehen dadurch, dass der Energiefluss gestört wird. Nach Auffassung der Akupunktur kann man sie therapieren, in dem man Nadeln in die Akupunkturpunkte einsticht und so den Energiefluss wieder gewährleistet.

Schlaganfall: Definition und Folgen

Unter einem Schlaganfall versteht man eine schlagartig einsetzende schwere Funktionsstörung des Gehirns, weil die Blutversorgung bestimmter Gehirnbezirke deutlich vermindert oder vollständig unterbrochen wird, entweder durch Blutungen oder durch Gefäßverschlüsse. Der Schlaganfall ist nach den koronaren Herzkrankheiten und bösartigen Tumorerkrankungen die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Man schätzt, dass jedes Jahr fast eine Millionen Bundesbürger einen Schlaganfall erleiden. Mehr als zwei Drittel davon sterben (meist sehr früh) an den Folgen oder behalten bleibende Schäden. Auch wenn sich die Therapie des akuten Schlaganfalls in Deutschland nach der Einführung der so genannten Stroke units deutlich verbessert hat, so gibt es bisher keine Einzelmaßnahme zur Behandlung der Langzeitfolgen, die sich als unbestritten wirksam erwiesen hat. In der Regel wird in den Rehakliniken ein ganzer Kanon verschiedenster Maßnahmen eingesetzt, um Folgen wie Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Sprachstörungen oder Gedächtnisausfälle zu kurieren.

Studienlage zur Akupunktur bei Schlaganfall

Die erste Übersichtsarbeit zu diesem Thema stammt aus dem Jahr 1996. In dieser Arbeit wird von insgesamt acht Studien berichtet, die positive Effekte der Akupunktur aufzeigen. Besonders hervorgehoben wird eine taiwanesische Studie, der es zu zeigen gelang, dass eine Akupunkturbehandlung bei einem akuten Schlaganfall (innerhalb von 36 Stunden nach dem Ereignis) nach drei Monaten die bleibenden Schäden signifikant verringert.

Wesentlich mehr Studien zum Thema hat J. Tang aus Hong Kong gefunden und bewertet. Vor allem im chinesischen Sprachraum scheint es eine Vielzahl randomisierter Therapiestudien zu geben, die der westlichen Wissenschaft völlig unbekannt sind. Frau Tang identifizierte insgesamt 49 Studien, von denen 46 die Akupunktur gegenüber einer Kontrollbehandlung leicht oder deutlich im Vorteil sahen. Allerdings zeigte sich auch, dass die Studien umso weniger deutliche Ergebnisse brachten je größer die Zahl der behandelten Patienten war. Frau Tang zog daraus den Schluss, dass die Daten einen viel zu positiven Gesamteindruck vermitteln, und die Akupunktur möglicherweise gar nicht besser ist als eine Kontrollbehandlung. Der wissenschaftliche Fachbegriff hierfür ist publication bias. Das Phänomen des "Publication Bias" scheint bei der Akupunkturbehandlung des Schlaganfalls besonders ausgeprägt.

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Zwei Jahre nach Tang hat sich J. Park noch einmal des Themas angenommen. Er bewertete insgesamt neun randomisierte Studien, die jeweils eine zusätzliche Akupunktur mit einer ausschließlichen Routinebehandlung verglichen. Sechs dieser Studien zeigten eine signifikante Überlegenheit der Akupunktur an. Die größte und aus wissenschaftlicher Sicht beste Studie allerdings konnte eine solche Überlegenheit nicht belegen. Die Akupunkturgruppe schnitt in keinem Parameter deutlich besser ab als die eine unbehandelte Gruppe (die "nur" die übliche Standardbehandlung bekam) oder die Gruppe, bei der nur eine oberflächliche Akupunktur verwendet wurde, ohne dass die Nadeln tief eingestochen wurden: Weder neurologische Fähigkeiten wie Deutlichkeit der Aussprache oder sensorische Defizite noch die Einschränkungen des täglichen Lebens konnten im Vergleich zu den anderen Gruppen relevant gebessert werden. Auch die aus wissenschaftlicher Sicht zweitbeste Studie zum Thema konnte keine Überlegenheit der Akupunktur gegenüber einer Scheinakupunktur nachweisen. J. Park betont aber, dass das in diesem Fall an der recht geringen Zahl an Patienten gelegen haben kann, da tendenziell eine leichte Überlegenheit der Akupunktur zu erkennen war, vor allem bei der Verringerung von Wasseransammlungen (Ödemen) im Gehirn.

Park kommt daher zu der Schlussfolgerung, dass "es keine überzeugende Evidenz gibt, die die Wirksamkeit der Akupunktur bei Schlaganfallbehandlungen belegt". Dieses steht im Gegensatz zur Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO, die den Schlaganfall als einen der Bereiche führt, für den "die Akupunktur sich in klinischen Studien als wirksam erwiesen hat".

Auffällig ist, dass die meisten Akupunkturstudien erst relativ spät mit der Behandlung beginnen, d.h. mehr als eine Woche nach dem Schlaganfall. Lediglich die Studie von Duan begann direkt nach dem Ereignis mit der Behandlung, die bereits oben erwähnte Studie von Naeser dagegen erst nach zwei Monaten während der Rehabilitation.

Ein Großteil der veröffentlichten Studien weist erhebliche wissenschaftliche Schwächen auf, die die Aussagekraft der meisten Studien stark einschränken. Die Datenlage zur Akupunkturbehandlung des Schlaganfalls ist aus diesen beiden Gründen bei weitem nicht so gut wie es der reine Zahlenvergleich von positiven und negativen Ergebnissen vermuten lässt. Diesem Fehler ist auch die WHO aufgesessen.

Akupunktur bei Aphasie nach Schlaganfall

Aphasie ist eine häufige Folge eines Apoplexes und für die Patient*innen sehr belastend. In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird die Akupunktur zur Behandlung der Aphasie eingesetzt. Um das therapeutische Potenzial zu prüfen, analysierten chinesische Wissenschaftler Daten aus Datenbanken wie MEDLINE, Cochrane Library, Embase, China National Knowledge Infrastructure, VIP und Wanfang. Bei 14 Studien mit 936 Teilnehmenden war die Methodik von schlechter Qualität. Die Metaanalyse ergab, dass im Vergleich zur Gruppe mit Sprech- und Sprachtherapie (Logopädie) die Akupunktur in Kombination mit der Logopädie Verbesserungen bewirkte beim BDAE-Score (Boston Diagnostic Aphasia Examination) und ABC-Score (Aphasia Battery of Chinese). Mit den Scores werden kommunikative Fähigkeiten beurteilt. In der Metaanalyse zeigten sich Verbesserungen bei:

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  • Wiederholfähigkeit
  • Lesefähigkeit
  • Schreibfähigkeit
  • Benennungsfähigkeit und
  • Hörverständnis.

Bei allen Studien wurde das Risiko für einen Beurteilungs-Bias als hoch eingestuft. Die Metaanalyse zeigt die möglichen Effekte einer Akupunkturbehandlung bei Aphasie nach Schlaganfall. Die Ergebnisse der randomisierten Untersuchung, an der in 41 Krankenhäusern in China insgesamt 862 Patienten teilgenommen hatten, wurden von Dr. Die Akupunktur wurde drei Wochen lang fünfmal pro Woche für jeweils dreißig Minuten angewandt. Primärer Endpunkt war das Auftreten von Todesereignissen oder schweren Behinderungen im Alltag, die mit dem Barthel-Score quantifiziert wurden. Durchschnittlich jeder dritte Patient fiel in diese Gruppe, unabhängig davon, ob Akupunktur angewandt wurde oder nicht. Erfreulich sei, daß die Rate an unerwünschten Wirkungen der Akupunkturbehandlung gering gewesen sei und nur ein Patient die Nadelbehandlungen wegen Schmerzen vorzeitig abgebrochen habe. Nach einem Schlaganfall leiden einige Patientinnen und Patienten an einer motorischen bzw. Broca-Aphasie. In drei chinesischen Krankenhäusern behandelten sie 258 Erwachsene, die erstmals einen ischämischen Schlaganfall erlitten hatten und bei denen eine Broca-Aphasie diagnostiziert worden war. Dieses Gefühl wird nach traditioneller chinesischer Medizin induziert, wenn die Akupunkturnadel korrekt gesetzt wird. Die andere Hälfte erhielt eine oberflächliche Schein-Akupunktur an nicht relevanten Körperstellen, die kein De-Qi-Gefühl auslöste. Fazit für die Praxis: Für das Studienteam belegen die Ergebnisse den langfristigen positiven Effekt einer Akupunktur auf Menschen mit Broca-Aphasie nach Schlaganfall.

Akupunktur zur Schlaganfallprävention bei Rheumatoider Arthritis

Menschen mit rheumatoider Arthritis haben ein höheres Risiko, einen Schlaganfall zu bekommen. Akupunktur wird häufig eingesetzt, um Schmerzen und Entzündungen zu lindern. Möglicherweise hat sie bei Menschen mit rheumatoider Arthritis aber noch einen bedeutsamen Nebeneffekt: In einer Studie ging diese Behandlung mit weniger Schlaganfällen einher, die durch Blutgerinnsel im Gehirn verursacht werden: Ein Vergleich von je 11.613 Rheuma-Patienten mit und ohne Akupunktur-Behandlung ergab, dass in der Akupunkturgruppe 341 und in der Kontrollgruppe 605 einen Schlaganfall bekamen - ein Unterschied von 43 Prozent. Dies war unabhängig von Alter, Geschlecht, Medikamenteneinnahme und Begleiterkrankungen zu beobachten. Die Forschenden vermuten, dass Akupunktur den Spiegel an entzündungsfördernden Substanzen im Körper senkt, was Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen kann, die die Haupttodesursache bei Menschen mit rheumatoider Arthritis sind. Sie schreiben außerdem: „Instabiler Blutdruck und Lipidprofile sind zwei wichtige Risikofaktoren für einen ischämischen Schlaganfall. Akupunktur hat den Vorteil, sowohl Bluthochdruck als auch Dyslipidämie zu kontrollieren. Indem Akupunktur Morgensteifigkeit und Gelenkschmerzen lindert, profitieren Betroffene möglicherweise doppelt davon, indem sie körperlich aktiver sein können, was das Schlaganfallrisiko weiter verringert.“ 87 Prozent der Personen in der Akupunkturgruppe erhielten eine manuelle Akupunktur, 3 Prozent eine Elektroakupunktur, bei der über die Nadel ein schwacher Stromimpuls abgegeben wird, und 10 Prozent erhielten eine Kombination aus beidem.

Kritik und Einschränkungen

Exeter - Dass die Akupunktur die Rehabilitation von Schlaganfallpatienten sinnvoll unterstützen kann, ist einer Meta-Analyse im Canadian Medical Association Journal (CMAJ 2010; doi: 10.1503/cmaj.091113) zufolge nicht belegt. Negativ fiel auch das Fazit einer Cochrane Arbeitsgruppe aus. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie vergibt in einer Leitlinie sogar einen Evidenzgrad A für eine Unwirksamkeit der Akupunktur. Jetzt hat Ernst noch einmal mit Kollegen aus Südkorea die englischsprachige und die ostasiatische Literatur nach Studien durchsucht. Mit wenig Erfolg: Zwar wurden 664 Publikationen gefunden, von denen aber nur zehn mit 711 Patienten die Qualitätskriterien für eine Meta-Analyse erfüllten. Nur in zwei Studien wurde der Akupunktur eine Wirkung attestiert, doch aus Sicht der Autoren waren es die methodisch schlechtesten Studien.

Methodische Schwächen vieler Studien

Ein Großteil der veröffentlichten Studien weist erhebliche wissenschaftliche Schwächen auf, die die Aussagekraft der meisten Studien stark einschränken. Die Datenlage zur Akupunkturbehandlung des Schlaganfalls ist aus diesen beiden Gründen bei weitem nicht so gut wie es der reine Zahlenvergleich von positiven und negativen Ergebnissen vermuten lässt. Diesem Fehler ist auch die WHO aufgesessen.

Zeitpunkt der Behandlung

Auffällig ist, dass die meisten Akupunkturstudien erst relativ spät mit der Behandlung beginnen, d.h. mehr als eine Woche nach dem Schlaganfall. Lediglich die Studie von Duan begann direkt nach dem Ereignis mit der Behandlung, die bereits oben erwähnte Studie von Naeser dagegen erst nach zwei Monaten während der Rehabilitation.

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Nebenwirkungen

In nahezu allen Studien wird auf unerwünschte Nebenwirkungen der Akupunktur nicht eingegangen. Vor dem Hintergrund einer lebensbedrohlichen Erkrankung, die gleichzeitig mit verschiedenen Medikamenten und Therapieverfahren behandelt wird, ist es allerdings auch schwer zu beurteilen, ob bestimmte Ereignisse auf die Akupunktur zurückzuführen sind.

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