Alkohol ist eine Substanz, die in vielen Kulturen weit verbreitet konsumiert wird, oft aus Genuss, zur Entspannung oder aus sozialen Gründen. Doch hinter den kurzfristigen, oft als angenehm empfundenen Effekten verbirgt sich eine komplexe Wirkung auf das Gehirn und insbesondere auf die Synapsen, die Schaltstellen der Nervenzellen. Dieser Artikel beleuchtet die vielfältigen Auswirkungen von Alkohol auf die synaptische Funktion, von den unmittelbaren Effekten des Rausches bis zu den langfristigen Konsequenzen chronischen Konsums.
Wie Alkohol im Gehirn wirkt
Der Rausch, den viele Menschen beim Alkoholkonsum erleben, ist das Ergebnis einer komplexen Interaktion von Ethanol, dem eigentlichen "Trinkalkohol", mit dem Gehirn. Ethanol ist ein Nervengift, das bereits wenige Minuten nach der Aufnahme ins Gehirn gelangt. Dort beeinflusst er die Neurotransmitter, die Botenstoffe, die für die Reizweiterleitung zwischen Nervenzellen verantwortlich sind.
Beeinflussung von Neurotransmittern
Alkohol verändert die Übertragung von Informationen zwischen den Nervenzellen, indem er die Bildung von Gamma-Aminobuttersäure (GABA) anregt. GABA ist ein Neurotransmitter, der die neuronale Aktivität im Gehirn hemmt. Wenn GABA an eine Nervenzelle andockt, wird diese gebremst, und ihre Informationen werden langsamer an die Nachbarzellen weitergegeben.
Gleichzeitig blockiert Alkohol Glutamat, einen Neurotransmitter, der stimulierend wirkt und die Nervenzellen anregt, ihre Informationen weiterzugeben. Durch den Einfluss von Alkohol wird weniger Glutamat freigesetzt.
Zusammenfassend bringt Alkohol das Gleichgewicht von GABA und Glutamat im Gehirn durcheinander. Der aktivierende Botenstoff Glutamat wird gedämpft, und die hemmende Wirkung von GABA wird durch den Alkohol verstärkt. Das Ergebnis ist, dass Alkohol das Gehirn dämpft.
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Weitere Auswirkungen auf Botenstoffe
Alkohol beeinflusst auch andere Botenstoffe im Gehirn. So werden beispielsweise die anregenden Stresshormone Adrenalin und Cortisol vermehrt ausgeschüttet, ebenso wie Glückshormone wie Serotonin und Dopamin.
Diese Veränderungen im Neurotransmitter-Haushalt führen zu den typischen Wirkungen von Alkohol: Entspannung, Gelassenheit, Enthemmung und Euphorie. Gleichzeitig schwindet die Reaktionsfähigkeit, es kommt zu Gleichgewichtsstörungen, und die Artikulation wird undeutlich. In höheren Dosen kann Alkohol zu Müdigkeit, Gedächtnisverlust, Bewusstlosigkeit und im schlimmsten Fall zum Tod führen.
Akute Auswirkungen auf die synaptische Funktion
Die akuten Auswirkungen von Alkohol auf die synaptische Funktion sind vielfältig und komplex. Sie reichen von subtilen Veränderungen in der Neurotransmission bis hin zu deutlichen Beeinträchtigungen der kognitiven und motorischen Fähigkeiten.
Veränderte Reizübertragung
Ethanol wirkt im Nervensystem vor allem auf die Außenhaut der einzelnen Nervenzellen, die Membranen. Diese erfüllen normalerweise zahlreiche wichtige Aufgaben, werden durch den Alkohol allerdings blockiert. Dadurch verändert sich die Reiz- und Signalübertragung. Genauer gesagt werden verschiedene Rezeptoren (GABA und NMDA) stimuliert bzw. blockiert, wodurch die Informationsweiterleitung zwischen den Zellen heruntergefahren wird.
Während auf der einen Seite die Informations- und Reizweiterleitung durch die Alkoholwirkung gehemmt wird, kommen aktivierende Hormone auf Touren. So werden Endorphine und andere Botenstoffe wie Dopamin und Serotonin ausgeschüttet, die dem Betroffenen ein euphorisches Hochgefühl verleihen. Auf diese Weise geraten das Nervensystem und der Neurotransmitter-Haushalt völlig durcheinander.
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Aktivierung des Belohnungssystems
Durch die Beeinflussung von Botenstoffen wird auch das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert. In geringen Mengen wirkt Alkohol dadurch stimmungshebend, entspannend und angstlösend. Es entsteht ein Wohlgefühl. In großen Mengen wirkt Alkohol betäubend. Die hemmende Wirkung lässt in der Regel wieder nach, wenn der Alkohol im Körper abgebaut ist.
Synaptische Plastizität und Suchtgedächtnis
Das Gehirn "merkt" sich, wie Alkoholkonsum in einer bestimmten Situation beispielsweise entspannend gewirkt hat. Dann kann schon ein Geruch oder eine bestimmte Person, die an eine solche Situation erinnert, das Verlangen nach Alkohol auslösen. Je häufiger dies passiert, desto größer wird das Risiko, ein Suchtgedächtnis, und damit verbunden eine Alkoholkrankheit, zu entwickeln. Dabei kommt es zu dauerhaften Umstrukturierungen im Gehirn, die das Verlangen nach dem konsumierten Wirkstoff auch nach einer erfolgreichen Suchttherapie immer wieder aufflackern lassen.
Langfristige Auswirkungen chronischen Alkoholkonsums
Chronischer Alkoholkonsum hat weitreichende und oft irreversible Auswirkungen auf das Gehirn und die synaptische Funktion. Diese Auswirkungen können zu einer Vielzahl von neurologischen und psychischen Problemen führen.
Hirnschrumpfung und beschleunigte Alterung
Schon eine Flasche Bier am Tag kann bei regelmäßigem Konsum über einen langen Zeitraum die graue sowie die weiße Substanz im Gehirn schrumpfen lassen. Die graue Substanz, die Großhirnrinde (Cortex), beherbergt rund 20 Milliarden Nervenzellkörper, während die weiße Substanz die Zellfortsätze (Axone) im Inneren des Großhirns umfasst. Beide Substanzen sind essenziell für die Hirnfunktionen. Die Veränderungen sind nicht linear: Je mehr man trinkt, desto schneller schrumpft das Gehirn. Eine Erhöhung des täglichen Alkoholkonsums von einem 0,25-Liter-Glas Bier auf eine 0,5-Liter-Flasche kann bei einer 50-jährigen Person Veränderungen im Gehirn verursachen, die einer Alterung von zwei Jahren entsprechen.
Es ist normal, dass sich Zellstrukturen etwa ab dem Alter von 50 Jahren langsam abbauen. Doch je mehr Alkohol konsumiert wird, desto schneller bauen sich die Zellstrukturen ab. Die Folgen der Hirnalterung machen sich vor allem durch ein geschwächtes Erinnerungsvermögen bemerkbar. Aber der Alkohol beeinträchtigt auch andere kognitive Fähigkeiten: Aufmerksamkeit, Orientierung oder die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Studien weisen darauf hin, dass regelmäßiger Alkoholkonsum von bereits fünf bis sechs Standardgläsern pro Woche die kognitive Leistungsfähigkeit vermindert.
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Erhöhtes Demenzrisiko
Ein regelmäßiger Konsum hoher Alkoholmengen verursacht im Gehirn Veränderungen, die das Risiko einer Demenzerkrankung stark erhöhen. Studien zeigen, dass sich das Demenzrisiko deutlich erhöht, wenn man regelmäßig viel Alkohol trinkt. Personen ab 45 Jahren, die mehr als 24 Gramm reinen Alkohol (ca. 250 ml Wein) am Tag trinken, sind besonders gefährdet.
Neuropathien und Nervenschäden
Ein hoher Alkoholkonsum kann das Nervensystem direkt oder indirekt negativ beeinflussen. So ist unter anderem davon auszugehen, dass Ethanol einzelne Bestandteile der peripheren Nerven direkt schädigt. Das betrifft beispielsweise die Schutzschicht der Zellen (Myelinscheiden) sowie die Nervenzellfortsätze (Axone). Diese Form der Schädigung kommt bei einer Polyneuropathie vor, kann aber auch direkt im Gehirn auftreten.
Daneben gibt es einige indirekte Möglichkeiten, wie Alkohol einen negativen Einfluss auf das Nervensystem ausübt. So leiden viele Alkoholsüchtige unter einer Mangelversorgung mit Thiamin sowie anderen wichtigen B-Vitaminen (vor allem B1 und B12), die für die Bildung der Schutzschicht von Nervenzellen essenziell sind. Eine Unterversorgung führt demnach dazu, dass die empfindlichen Nervenzellen praktisch schutzlos sind und folglich noch stärker auf den schädlichen Einfluss der toxischen Substanz reagieren.
Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
Alkohol kann das Bewusstsein, das Gedächtnis und das Denkvermögen beeinträchtigen. Dies gilt auch für die psychische Gesundheit. Beispiele sind psychische Entzugserscheinungen oder Psychosen. Alkohol kann nicht nur psychische Erkrankungen auslösen. Auch umgekehrt können bestehende seelische Erkrankungen den Konsum von Alkohol begünstigen. Zu den Erkrankungen, die häufig zusammen mit übermäßigem Alkoholkonsum auftreten, zählen: Depressionen, Angststörungen, Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) und Persönlichkeitsstörungen.
Verhaltensänderungen und soziale Folgen
Erhöhter Alkoholkonsum beeinträchtigt die Selbstkontrolle und Kritikfähigkeit. Alkohol wirkt enthemmend und erhöht zudem die Bereitschaft zu aggressivem Verhalten. Dies kann unter Umständen dazu führen, dass Betroffene gewalttätig werden oder andere Straftaten begehen. Beispiele dafür sind Sachbeschädigung, Raub, sexuelle Gewalt, Körperverletzung, verbale Gewalt und Mobbing. Ein übermäßiger Alkoholkonsum erhöht nicht nur die Gewaltbereitschaft gegenüber anderen, sondern auch das Risiko, selbst Opfer von Gewalt zu werden.
Auch schwere Verkehrsunfälle sind unter Einfluss von Alkohol häufiger, denn er beeinträchtigt auch die Bewegungsfähigkeit (Motorik) und das Reaktionsvermögen. Der Alkoholkonsum selbst und seine Folgen können schließlich zu sozialer Ausgrenzung, zu Problemen am Arbeitsplatz bis hin zum Jobverlust und damit zu finanziellen Schwierigkeiten führen. Erhöhter Alkoholkonsum hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Betroffenen selbst. Auch das enge Umfeld ist mitbetroffen.
Molekulare Mechanismen der Alkoholwirkung
Die Forschung hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte bei der Aufklärung der molekularen Mechanismen der Alkoholwirkung erzielt. Dabei wurden spezifische Bindungsstellen für Ethanolmoleküle an verschiedenen Membranrezeptoren und Ionenkanälen identifiziert.
Primäre Angriffsstellen des Alkohols
Die sogenannte Proteintheorie besagt, dass Ethanol in erster Linie Membranproteine angreift. Zu den wichtigsten primären Angriffsstellen gehören NMDA- und GABAA-Rezeptoren.
- NMDA-Rezeptoren: Ethanol hemmt die Funktion von N-Methyl-D-aspartat-(NMDA-)Glutamatrezeptoren bereits bei sehr geringen Ethanolkonzentrationen. Die durch Ethanol hervorgerufene Hemmung des NMDA-Rezeptors kann zu den neuronalen und kognitiven Veränderungen beitragen, die mit einer Alkoholintoxikation assoziiert sind.
- GABAA-Rezeptoren: Die Funktion von GABAA-Rezeptoren wird durch Ethanol verstärkt. Der GABAA-Rezeptor ist der bedeutendste inhibierende Neurotransmitter-Rezeptor im Säugerhirn.
Neben NMDA- und GABAA-Rezeptoren konnten noch weitere Rezeptoren und Ionenkanäle mit potenziellen Bindungsstellen für Ethanol identifiziert werden.
Neurochemische Funktionssysteme und Suchtentstehung
Die Interaktion von Ethanol mit seinen primären Angriffsstellen im Gehirn führt zu einer zweiten Welle indirekter Wirkungen auf eine Reihe von Neurotransmitter-/Neuropeptid-Systemen. Insbesondere Monoamine (Dopamin) und das endogene Opioidsystem spielen eine entscheidende Rolle bei den verstärkenden und belohnenden Eigenschaften von Alkohol. Molekulare Interaktionen von primären Angriffsstellen und den genannten neurochemischen Funktionssystemen können zu lang anhaltenden physiologischen Veränderungen innerhalb des mesokortikolimbischen Systems führen und als Folge süchtiges Verhalten bedingen.
Das mesokortikolimbische dopaminerge Belohnungssystem
Das mesokortikolimbische dopaminerge System spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Sucht. Die Stimulation dieser Hirnregion durch Alkohol führt zu einer starken Verhaltensverstärkung, die bis zur körperlichen Erschöpfung unter Vernachlässigung essenzieller Bedürfnisse fortgeführt werden kann.
Prävention und Behandlung von Alkoholabhängigkeit
Angesichts der weitreichenden negativen Auswirkungen von Alkohol auf das Gehirn und die synaptische Funktion sind Prävention und Behandlung von Alkoholabhängigkeit von entscheidender Bedeutung.
Prävention
Ein vollständig risikofreier Alkoholkonsum existiert nicht. Auch geringe Trinkmengen können zu gesundheitlichen Problemen beitragen. Daher empfehlen sowohl die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) als auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), am besten gar keinen Alkohol zu konsumieren. Als risikoarm wird eine Trinkmenge bezeichnet, bei der das Risiko von schädlichen Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit relativ gering ist. Die DGE legte 2024 den aktuellen Schwellenwert für einen risikoarmen Alkoholkonsum mit weniger als 27 Gramm reinen Alkohol pro Woche fest. Das entspricht etwas mehr als einem Liter Bier oder 0,3 Liter Wein. Dieser Wert kann aber nur zur groben Orientierung dienen. Die alkoholbezogenen Schwellenwerte gelten nur für gesunde Erwachsene.
Behandlung
Eine qualifizierte Therapie der Alkoholsucht besteht immer aus einer Entgiftung, Entwöhnung und einer ambulanten Nachsorge. Bei öffentlichen Kostenträgern erfolgt die Behandlung zweigeteilt in unterschiedlichen Einrichtungen und ist in der Regel mit einer zwischenzeitlichen Wartezeit verbunden, in der ein hohes Risiko für einen Rückfall besteht. Grundsätzlich gilt, je früher die Behandlung begonnen wird, umso geringer ist die Gefahr für bleibende Schädigungen der Gehirnzellen. Auch andere Organe des Körpers wie der Magen-Darm-Trakt, das Herz-Kreislauf-System, die Leber und die Bauchspeicheldrüse profitieren, wenn der Konsum beendet wird.
Medikamentöse Unterstützung
Die zunehmende Kenntnis der neurobiologischen Grundlagen der Alkoholabhängigkeit bietet neue Möglichkeiten, die hohe Rückfallgefährdung durch den spezifischen Einsatz von Pharmaka in integrierten Behandlungsprogrammen zu reduzieren.