Der Konsum von Alkohol ist ein gesellschaftlich weit verbreitetes Phänomen. Um das Thema Alkohol ranken sich viele Mythen und Halbwahrheiten. Fest steht, dass übermäßiger Alkoholkonsum schädliche Auswirkungen auf den Körper und insbesondere das Gehirn haben kann. Doch wie sieht es bei moderatem Konsum aus? Und welche Mechanismen wirken im Gehirn, wenn Alkohol konsumiert wird? Dieser Artikel fasst aktuelle Studienergebnisse zusammen und räumt mit einigen Irrtümern auf.
Mythos oder Realität: Die Wirkung von Alkohol auf das Gehirn
Viele Menschen glauben, dass bei jedem Rausch tausende von Gehirnzellen absterben. Diese Vorstellung ist jedoch nicht korrekt. Es stimmt zwar, dass starker und regelmäßiger Alkoholkonsum die Hirnmasse schrumpfen lassen kann, aber Alkohol tötet nicht direkt Gehirnzellen ab. Vielmehr stört er die Kommunikation zwischen den Nervenzellen.
Die Nervenzellen kommunizieren über Botenstoffe, die entweder hemmend oder aktivierend wirken. Alkohol greift in diese Balance ein, indem er die Ausschüttung hemmender Botenstoffe verstärkt und die aktivierender Botenstoffe reduziert. Dadurch werden die Kettenreaktionen zwischen den Nervenzellen verlangsamt, was zu den bekannten Auswirkungen wie verlangsamtes Denken und beeinträchtigte Motorik führt.
Moderate Mengen Alkohol: Freund oder Feind des Gehirns?
Es gibt Hinweise darauf, dass sehr geringe Mengen Alkohol - etwa 0,1 Liter Wein täglich oder 0,2 Liter jeden zweiten Tag - sogar förderlich für das Gehirn sein können. Dies wird auf die verbesserte Durchblutung des Gehirns zurückgeführt. Einige Studien deuten sogar darauf hin, dass Menschen, die gar keinen Alkohol trinken, ein leicht erhöhtes Risiko haben könnten, an Alzheimer zu erkranken. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass diese Ergebnisse umstritten sind und nicht dazu verleiten sollten, übermäßig Alkohol zu konsumieren.
Wer nun aber denkt, er könne jeden Tag zwei Flaschen Wein trinken, täuscht sich. Denn damit geht das Risiko wieder in die andere Richtung.
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Die Rolle des Extrazellularraums (EZR)
Ein Forscherteam hat einen bisher unbekannten Mechanismus der Alkoholwirkung entdeckt. Sie beobachteten, dass Alkohol die Form und Struktur des Extrazellularraumes (EZR) im Gehirn verändert. Der EZR ist ein Netzwerk aus Hohlräumen und Kanälen zwischen Nerven- und Gliazellen, das mit Flüssigkeit gefüllt ist und in dem wichtige Substanzen zirkulieren.
Chronischer Alkoholkonsum führt dazu, dass die Immunzellen des Gehirns reagieren und sich zurückziehen. Dadurch verändern sich die Geometrie des EZR und die Diffusionswege für Botenstoffe wie Dopamin. Die erhöhte Diffusion kann die Aktivität dieser Botenstoffe beeinflussen und die sogenannte Volumentransmission verstärken, eine Art der Signalübertragung im Gehirn, bei der viele Kommunikationselemente gleichzeitig erreicht werden.
Diese Veränderungen im EZR könnten erklären, wie Alkohol trotz anfänglich schwacher Effekte auf das Belohnungssystem langfristig Anpassungsreaktionen auslöst, die den Alkoholkonsum begünstigen und zur Suchtentwicklung beitragen.
Veränderungen im Gehirnstoffwechsel
Eine weitere Studie untersuchte die Auswirkungen von moderatem Alkoholkonsum auf den Gehirnstoffwechsel. Bereits nach sechs Minuten zeigten sich Veränderungen in den Gehirnzellen. Das Gehirn scheint auf ein Abbauprodukt des Alkohols zur Energiegewinnung umzuschalten, anstatt Glukose zu nutzen. Gleichzeitig nimmt die Konzentration von zellschützenden Stoffen wie Kreatin und Aspartat ab, und auch der Bestandteil der Zellwände, Cholin, ist erniedrigt.
Obwohl diese Veränderungen nach moderatem Alkoholkonsum reversibel sind, vermuten die Forscher, dass die Fähigkeit des Gehirns zur Erholung mit zunehmendem Alkoholkonsum abnimmt oder ganz verloren geht. Diese akuten Effekte könnten die Grundlage für die dauerhaften Schäden sein, die bei alkoholabhängigen Menschen bekannt sind.
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Alkohol und kognitive Fähigkeiten
Auch moderater Alkoholkonsum kann die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen. Eine Studie zeigte, dass bereits ein einziger Drink die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, beeinträchtigen kann, obwohl man sich dessen nicht bewusst ist. Dies betrifft insbesondere Situationen, die eine sichere und flexible Entscheidungsfähigkeit erfordern, wie beispielsweise das Autofahren.
Langfristig kann regelmäßiger Alkoholkonsum zu einer beschleunigten Alterung des Gehirns führen. Wenn beispielsweise ein 50-Jähriger seinen Alkoholkonsum von 0,25 Litern Bier am Tag auf 0,5 Liter erhöht, kann dies langfristig zu einem um zwei Jahre älteren Gehirn führen.
Alkohol und das Risiko für Demenz
Regelmäßiger Konsum hoher Alkoholmengen kann im Gehirn Veränderungen verursachen, die das Risiko einer Demenzerkrankung erhöhen. Dies betrifft insbesondere Personen ab 45 Jahren, die mehr als 24 Gramm reinen Alkohol (ca. 250 ml Wein) am Tag trinken.
Eine spezielle Form der Demenz, die vor allem bei Alkoholikern auftritt, ist das Korsakow-Syndrom. Betroffene leiden unter Gedächtnisschwund und sind nicht in der Lage, neue Gedächtnisinhalte zu speichern oder wiederzugeben.
Alkohol und Hirngefäße
Eine brasilianische Studie untersuchte die Gehirne von Verstorbenen auf Schädigungen der Hirngefäße. Dabei zeigte sich, dass starke Trinker ein um 133 Prozent höheres Risiko für Gefäßschäden im Gehirn hatten als Menschen, die nie getrunken hatten. Auch bei ehemals starken Trinkern war das Risiko noch erhöht.
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Darüber hinaus hatten starke und ehemalige starke Trinker mit höherer Wahrscheinlichkeit Tau-Proteine im Gehirn entwickelt, die mit der Alzheimer-Krankheit in Verbindung stehen.
Nationale Richtlinien zum Alkoholkonsum
Die Empfehlungen für einen akzeptablen Alkoholkonsum variieren weltweit. In Großbritannien wird empfohlen, nicht mehr als 16 g Alkohol pro Tag zu konsumieren, während in den USA die Schwellendosis bei 28 g pro Tag liegt. Die Fachgesellschaften für Ernährung in Deutschland, Österreich und der Schweiz geben für gesunde Frauen eine akzeptable Menge von 10 g Alkohol pro Tag an, bei Männern sind es 20 g.
Die weiße Substanz im Gehirn
Alkoholmissbrauch schädigt nachweislich die weiße Substanz im Gehirn, die aus Leitungsbahnen und Nervenfasern besteht. In der Folge kann es zu Einschränkungen der Handlungsfähigkeit kommen, was wiederum die Sucht befördert.
Neueste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Hirnschäden nicht nur beim Rauschtrinken selbst auftreten, sondern sich insbesondere während der ersten Phasen des Entzugs verstärken. Diese entzugsbedingten Schäden können bestehende Suchtstörungen aufrechterhalten.
Die Mechanismen der Hirnschädigung durch Alkohol
Je mehr und regelmäßiger Alkohol konsumiert wird, desto stärker steuern Körper und Gehirn entgegen. Es kommt zur Toleranzentwicklung. Alkohol dämpft die Hirnaktivität, indem er die Wirkung des Botenstoffs Gamma-Aminobuttersäure (GABA) verstärkt und gleichzeitig die Wirkung von Glutamat reduziert. Um dies zu kompensieren, passen sich die Rezeptoren im Gehirn an, wodurch der Alkohol weniger dämpfend wirkt.
Wenn das Botenstoffsystem aufgrund dieser Toleranzbildung nicht mehr richtig funktioniert, kann es beim Entzug wegen der Übererregbarkeit des nüchternen Gehirns zum Absterben von Hirngewebe kommen, insbesondere der weißen Substanz.
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